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Literatur


04.2


Gedichte

Franziska Stoecklin
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Die singende Muschel

Als Kind sang eine Muschel
mir das Meer.
Ich konnte träumelang
an ihrem kühlen Munde lauschen.
Und meine Sehnsucht wuchs
und blühte schwer,
Und stellte Wünsche und Gestalten
in das ferne Rauschen.


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Venus

O Tag der Gnade,
Sieg des frühlinghaften Glänzens!
Da sich das Meer
in dich hineingeliebt,
die schlankste Welle
deine Anmutslinie zog.
Und dann ihr kluges Spiel
auf ewige Zeit
in deine Adern sang,
damit du sein Geheimnis
großen Liebenden erhältst.
 
Ihr Priesterinnen,
die in Venus Zeichen flammt,
fühlt oft die Sehnsucht
schmerzend nach dem Meere,
und in den höchsten Liebesfesten
Tod und Todesangst.
 
Du aber Göttin
schwebst unsterblich,
lächelnd über allem —
und mit bestrickender Gebärde
hält deine Hand
die rosige Muschel
des Verschenkens.
Himmel und Qualen
der Jahrtausende!
 

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An eine Orange

Herrliche Frucht,
im Haine
behutsam gereift.
Von Sonne und Südwind
tausendmal überküßt,
gerötet, gegoldet.
Duftend und schwer
ruhst du in meiner Hand.
 
Wieviel Sonnenküsse,
wieviel Regenschauer,
wieviel Vollmondschein,
welch ein großes warmes Land
halte ich mit Dir,
Vollkommene!
in meiner kleinen
gewölbten Hand.

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Lächeln Im Traum

O Reich von Rausch und Traum,Gestalten
unter nächtlich blauen Bäumen
groß und schattenhaft bewegen.
Im fahlen Schein
die Traumgeliebte lächelt.
Aus kranker Blässe
dunkle Augen dir entgegenweitet.
Ihr roter Mund,
schmal wie ein Messer,
fiebernd zuckt . . .
 
Und dieses Lächeln, seltsam fern
und doch zu Tod verführend,
frißt sich nun ein in deine Tage.
Verwischt dein Denken,
peinigt deine Sehnsucht.
Denn du suchst und hoffst es
stumm getrieben überall.
Und in den Armen
einer strahlend helläugigen Frau
denkst du an deine Traumgeliebte.
Denn ihrem Lächeln bist du
in den Tod vermählt


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Tal der bangen Träume

Träume, in die wir sinken,
Stätte aus Dunkel und Glut.
Wo Verhüllte uns winken,
Verhüllend Wunden und Blut.
 
Bäume wie Fackeln strahlen.
Fahnen aus Flammen im Wind.
Tauche schluchzend in Qualen,
die wild und wunderbar sind.

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Brücke der Angst

Zitterst du vor der Brücke,
Schreckt dich ihr düsteres Kleid?
Oder ahnst du die Lücke —?
Stürzest ja doch in ein Leid.
 
Wage jetzt deine Schritte,
klopft auch zum Sterben das Herz.
Bald umfängt dich die Mitte,
ein Abgrund dunkel von Schmerz.


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Schnee

Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
schwebe, sinke —
breit alles in Schweigen
und Vergessenheit!
Gibt es noch Böses,
wo Schnee liegt?
Verhüllt, verfernt er nicht
alles zu Nahe und Harte
mit seiner beschwichtigenden
Weichheit, und dämpft selbst
die Schritte des Lautesten
in Leise?
Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
den Menschen, den Tieren! —
Weißeste Feier
der Abgeschiedenheit.


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Meinem Vater

Vergib, daß ich dich oft
mit meinen Tränen störe,
und meine Schwermut,
meine Kümmernisse zu dir klage.
Ich glaube, Tote
haben keine Tränen.
Und dir gehört das schönste Lächeln
und die hellste Krone
nach deinen langen Leidensjahren.
Schon als du
auf dem Totenbette lagst,
schien alles Leidende
von dir genommen.
Dein Antlitz war so mildversöhnt
und schmerzerhaben,
wie das der Heiligen
in gläsernen Särgen.
Ich küßte dich
auf deine edle Stirn -
und eine Träne fiel
in deine Augenhöhle.
— Hast du sie noch —
die Träne meines frömmsten Schmerzes?
Und darf sie sein,
von deinem seligen Ausdruck
ewig überlächelt?

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Ein Herbstlied


Der Sommer verglüht
in Blutlaub und Traube.
Noch einmal blüht
Sonnenglaube.
 
Fühle, o liebe,
Mensch, Tier und Baum!
Daß alles bliebe,
seufzt es im Traum.
 
Noch flötet Pan
zur uralten Feier.
Einsamer Schwan
im kühlen Weiher.
 
Gleitet und gleitet,
sein schimmerndes Gefieder,
jetzt rosig entbreitet.
— Kommt Leda wieder —?
 
Fühle, o liebe,
Mensch, Tier und Baum!
Daß alles bliebe,
seufzt es im Traum.


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