lifedays-seite

moment in time



Literatur

04.2



Gedichte
Ernst Toller

Sonstige Gedichte





Der Ringende

Mutter, Mutter, Warum bist dus nicht?
 
Kann ich nicht jene Frau,
Die mir mit ihrem Blute
In dunklen Nächten Herzschlag lieh.
Aus frommem Herzen Mutter nennen.
So will ich weite Wege wandern.
Oh, daß ich einst vom Suchen nicht ermüdet.
An stachlichen Ligusterhecken träumend.
Dich, Mutter, fände.
Bin ich nicht selbst mir Mutter?
Du, Frau, gabst stöhnend
Einmal Leben mir.
Ich starb so oft seit jenem Tag,
Ich starb
Gebar mich
Starb
Gebar mich
 
Ich ward mir Mutter.

zurück




Marschlied

Wir Wandrer zum Tode,
Der Erdnot geweiht,
Wir kranzlose Opfer
Zu Letztem bereit.
 
Wir Preis einer Mutter,
Die nie sich erfüllt.
Wir wunschlose Kinder
Von Schmerzen gestillt,
 
Wir Tränen der Frauen,
Wir lichtlose Nacht,
Wir Waisen der Erde
Ziehn stumm in die Schlacht.

zurück




Gang zum Schützengraben

Durch Granattrichter,
Schmutzige Pfützen,
Stapfen sie.
Über Soldaten,
Frierend im Erdloch,
Stolpern sie.
 
Ratten huschen pfeifend übern Weg,
Sturmregen klopft mit Totenfingern
An faulende Türen
Leuchtraketen
Pestlaternen . . .
Zum Graben zum Graben

zurück




Alp

Auf einer Stange morsch und faul
Hockt das Völkergewissen,
Um die Stange tanzen drei Kinderknochen,
Aus dem Leib einer jungen Mutter gebrochen.
Es blökt den Takt das Schaf bäh bäh.

zurück




Geschützwache

Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Käuzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.

zurück




An die Dichter

Anklag ich euch, ihr Dichter,
Verbuhlt in Worte, Worte, Worte!
Ihr wissend nickt mit Greisenköpfen,
Berechnet Wirbelwirkung, lächelnd und erhaben,
Ihr im Papierkorb feig versteckt!
Auf die Tribüne, Angeklagte!
Entsühnt euch!
Sprecht euch Urteil!
Menschkünder ihr!
Und seid . . .?
So sprecht doch! Sprecht!

zurück




Aufrüttelung

Zerbrich den Kelch aus blitzenden Kristallen,
Von dem die Wunder perlentauend fallen.
Wie Blütenstaub aus dunkelroten Tulpen.
 
Wir schritten durch die Dämmerwelt der Wunder,
Verträumte pflückten Märchen wir mit weichen Händen,
Aus Sonnenstrahlen formte Glaube Kathedralen,
Von hochgewölbten Toren fielen Rosenspenden . . .
 
Da! Dissonanzen schrillten: Mord!
 
Wir blickten traumschwer blinzelnd auf
Und hörten neben uns den Menschen schreien!
 
Wir sahen die Gemeinheit in Europa Orgien feiern.
Zu unsern Füßen gurgelte Verzweiflung . . .
 
Es schrie ein Mensch.
 
Ein Bruder, der das große Wissen in sich trug
Um alles Leid und alle Freude,
Um Schein und quälende Verachtung,
Ein Bruder, der den großen Willen in sich trug.
Verzückte Tempel hoher Freude zu erbauen
Und hohem Leid die Tore weit zu öffnen.
Bereit zur Tat.
Der ballte lodernd harten Ruf:
Den Weg!
Den Weg! —
Du Dichter weise.

zurück






weiter






   lifedays-seite - moment in time