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Literatur


04.2


Ausgewählte Gedichte
Emil Verhaeren

in Nachdichtung von Stefan Zweig
Eigenwelt

 



Eigenwelt

- „Ja, ich will meine Qualen in mir nähren,
Wie einst Anachoreten glaubenswütig
Mit unheilvoller Inbrunst sich verzehren.
Die Leiden will ich trinken wie ein Gift
In toller Lebensglut; mit Schrecken will ich
Die Tage mir umgürten, gleichsam wie
Ein Kirchturm sich begeistert, seine Trauer
Weithin den Horizonten zuzuschleudern.
Ein seltsam und geheimes Heldentum
Verlockt mich: selbst den Schmerz mir zu bereiten,
Die Qualen zu entzünden mit Bedacht
Und so das Tier des Schreckens und der Leiden,
Das in uns haust, zu zwingen; ja, ich will
Mich grausam in mich bohren, Sieger sein,
Endlich ein Sieger, nicht mehr matter Träumer,
Nicht mehr Ekstatiker der kühlen Leerheit!“ . . . –

Aus „Dialogue“ (Les débacles).





Die klagenden Lieder

Die alten traurig-süssen Lieder von der Strasse
Mit ihrem schalen Reim und abgebrauchtem Leid,
Mit ihrem Holpern falschgesetzter Silbenmasse
Sind noch viel düstrer Sonntags und zur Abendzeit.
Wenn Licht und Laute sanft verloschen in die Stille. –
Dann schläft die Stadt. Die bangen Abendglocken rufen
Wehmütig ihre Klage, und wie menschlich schrille
Aufschreie stöhnt das Kreischen alter Angelstufen,
Der Riegel und der Scheunen, die geschlossen werden. –
Aus fernem Feld manchmal, aus Hof und Stall erwacht
Ein leiser, leiser Laut, der dumpfe Ruf der Herden,
Dann sinkt auf alles Bangen und die tiefe Nacht.
Kein Mensch! Im Feld die Einsamkeit, hoch aufgerichtet,
Und Nebelwallen, das sich dämmernd bodenwärts
Zu weissen Traumgestalten unzählbar verdichtet.
Und durch der müden Felder dunkelschweren Schmerz
Verklingen sacht die alten Lieder von der Strasse
Mit ihrem schalen Reim und abgebrauchten Leid,
Mit ihrem Holpern falschgesetzter Silbenmasse
Und sterben wie der Sonntag und die Abendzeit.

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Müdigkeit
 
Endlos die Ebene im Nebelmeer verlischt
Und langsam auch der Eschen herbstlich heller Glanz,
Und weit, oh weit verliert sich in den Wiesen ganz
Das Netz der Bäche und ihr perlenbunter Gischt.
 
Aus fernen Abendtiefen klagen arme Melodien,
Manch mattes Liederwort von einem müden Mund;
Landstreicher wandern singend durch die Tale und
Ziehn weiter ihren Weg – wer weiss, wer weiss, wohin?
 
Und Ruderschläge zucken auf und ab, - müd
Hinkend und verklingend – dann noch schwerbeschwingt
Ein Vogelflug, der schwebt und schwebt und fern versinkt
Ins hohe Himmelsgrau, wo fahl der Mond verblüht.

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Die Uhren

In der Nacht, im Schacht unserer Zimmer schleppen
Sich trappende klappernde Krücken entlang
Der Stunden steile, steinerne Treppen. –
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Gang;
 
Einfältiger Glanz aus gläsernem Schreine,
Farblose Zeichen zu Fernem zurück,
Einsamer Gänge mondlichte Scheine –
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Blick;
 
Tückischer Worte feilendes Fallen,
Ersterbende Töne wie klangloses Blei,
Der kleinen Minuten törichtes Lallen –
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Schrei;
 
Versiegelte Särge, in Wände gehämmert,
Versteinerte Knochen der knausernden Zeit,
Eichene Grenzen der Nacht, die verdämmert –
Die Uhren mit iherer Furchbarkeit;
 
Die Uhren,
Die nicht rasten und ruhen,
Ein Wille, der alles wägt und weiss –
Mit polterndem Gang und mit schleichenden Schuhen,
Wie Mägde, der frühesten Kindertage -
Die Uhren, die Uhren, die ich befragte,

Pressen mein Bangen in ihren Kreis.
 
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Gebet

Die Nacht hebt zum Himmel empor ihren silbernen Kelch.
 
Und auch ich hebe mein Herz, mein Herz, das nächtig umhüllte,
Herr, o mein Herz, in deine blasse unendliche Leere
Und weiss doch, dass nichts ihre dunkle Urne erfüllte
Und nichts, das noch Wunsch meines sterbenden Herzens wäre.
Und ich weiss dich Lüge und meine Lippen flehen
Doch auf zu dir. Ich weiß deine Hände verschlossen,
Deine Augen verächtlich, verzweifelten Jammer zu sehen
Und weiss, dass nur ich meinen Traum in die Dinge ergossen.
Und doch sei gnädig, o Herr, dem Törichtesten der Deinen
Und lass mich mein brennendes Leid in deine Stille weinen . . .
 
Die Nacht hebt zum Himmel ihren silbernen Kelch.

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Die Dornenkrone
 
Auch ich will meine rote Dornenkrone Tragen;
Ein Dorn für jeglichen Gedanken in der Stirne,
Bis zu den zarten Wurzelnerven, wo im Hirne
In mir die bösen selbstgeschweissten Träume nagen.
Und diese Krone träum′ ich mir dem Lodern gleich,
Den Flammenmähnen, die die tollen Winde strähnen,
Sie sei das Elfenbein umglutende Gesträuch!
Sie soll mir marternd mein geheimniswirres Sehnen
In seiner Öde, und die jäh geknickten Zärtlichkeiten,
Der Reue Geisselgier, den Kitzel des Entsetzens,
Den Hass und Mörderwahnsinn mit den gierbereiten
Stachligen Dornenkrallen packen und zerfetzen.
Und tiefer soll sie sich noch in das Röcheln bohren,
Das zitternd nach der Leiber goldnen Vliessen schreit,
Soll Frevelfinger foltern, die in Klostertoren
Gesündigt, und der Qualen tiefste Brünstigkeit,
Und alles . . . alles! – O du rote Krone meiner Schmerzen
Und meiner Lüste, die so herrlich herrschend prangt
Ob meinem Haupte, meiner Stirne, meinem Herzen,
Traumkrone du, die meine irre Stirn verlangt,
Lass deinen sonnambulen Irrglanz farbentönig
Mich krönen, deinen tollen und verlachten König.

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Fernab

Jählings diese unverständliche Gier
Das dunkel hieratische Götzentier
Zu sein vor der funkelnden Tempelschwelle
Zu Benares, drohend in köstlicher Helle.
 
Mit gewundenem Maul, krummbleiernen Zähnen,
Und in des gottteuflichen Antlitzes Mitte
Über Augen, die leer vom Mitleid der Tränen
Goldleuchtend in goldener Stirne das dritte.
 
Und nach Benares pilgern fromm die hellen
Bekränzten Kinder, und es kreisen
Die Wollgewande fürchtig auf den Schwellen,
Die marmorschwarz zum Heiligtume weisen.
Und Hände, kleine Hände mit den Blüten
Zwiefach verschlungen, die sie freudig spenden,
Als flehte zweimal Hoffnung um die Güte
Des Gottes aus umblühten Kinderhänden.
 
Es nahn die alten Priester und Propheten,
Von Fasten und Wachen gebleicht und geschwächt,
Mit knickenden Knochen und schwankenden Füssen
Die Stimmen von rauhem Röcheln zerrissen,
Und mit ekstatischen Blicken treten
Sie vor, wie der Gräber fahles Geschlecht,
Um zu Benares vor dem Götterbild zu beten.
 
Jählings diese unverständliche Gier,
Das dunkel hieratische Götzentier
Zu sein vor der funkelnden Tempelschwelle
Zu Benares, drohend in köstlicher Helle!
 
Der Klotz zu sein aus Gold und starrem Erze,
Zu dem sich unermüdlich aus dem Schwarme
Wie tolle Äste tausend Menschenarme
Erheben, Arme des urewigen Schmerzes.
Und Trug sein ihrer Gläubigkeit, die weissen
Herzen zu schlingen ohne zärtelndes Erbarmen,
Den frommen Leib, das Stöhnen und die Tränen
Der ganzen Menschheit beissen und zerreissen,
Die töricht und angstverwirrt
In den Talen der Bangigkeiten irrt;
Sie zu höhnen in ihrer schreienden Qual,
Zu bespein ihren Jammer, der ekel und schal
Und doch nimmer müde wird;
Und sich zu brüsten in den Grausamkeiten:
Ein Klotz aus Elfenbein und Felsgranit gesprengt,
Der steinern starrend zu Unendlichkeiten
Hoch über dieser Menschenwelle hängt,
Die ewig greinend sich tief unten drängt;
Und sie zu hassen und sie zu mitleiden
In ihrer Schwäche, doch nicht hilfsbereit,
Sondern mit Hohn sie zu zerschneiden
Stolzlächelnd in Böswilligkeit.
 
Die Gier, der Gott zu sein, der sie belügt!
 
Es nahen die Verliebten mit so wunderbarem
Geleuchte, wie die Lampen in den späten
Stunden des Abends durch die Gärten glühn.
Voll Abendglanz und Milde treten
Sie in die Hallen in verschlungnen Paaren,
Um zu Benares vor dem Götterbild zu beten.
 
Jählings diese unverständliche Gier
Das dunkel hieratische Götzentier
Zu sein vor der funkelnden Tempelschwelle
Zu Benares, drohend in köstlicher Helle!
 
Und unbewegt, mit Blicken wie von Eisen,
Mit aufgeblähten Nüstern vor sich hinzubrüten
Zu sehen, wie im Sternensaal des Mythen
Auf Wolkenglut und goldgebahnten Gleisen
Siva dahinlenkt mit zornigen Zügeln.
Auf glühenden Achsen in donnerndem Feuer
Bäumen die Hengste vor blutenden Hügeln,
Und fern leuchtet purpurn und ungeheuer
Mit Millionen Augen das schauernde Meer . . . –
 
Und dann vor diesem toten Prunk dem hohlen
Und kleinen Menschen fluchen, der
Noch töricht voll von schaler Hoffnung glutet,
Indessen seine Seele doch in täglichem Symbole
Am Kreuz nach den vier Abendenden sich verblutet. 

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Legenden
 
Die grossen Sonnen, die sonst in den Herbstestagen
Wie Kupfer leuchten, glühen blutigrot.
Mein Herz, wo sind die Helden aus den deutschen Sagen,
Die durch die Wälder bliesen, bliesen nach dem Tod?
 
Durch Stadt und Land und Fels stürmten sie hochgemutet,
Bis sie zerbrachen, und der heisse Bronnen
Der roten Tage und des wunden Leibs verblutet.
 
Doch in den Sagen glühten sie wie grosse Sonnen.
 
Wie weise waren sie: als Abendteurergaul
Ritten das Leben sie in Ungestüm zu Schanden,
Ihr stolzer Zaum zerbrach sein hartes Maul
Und heisser Schenkeldruck hielt es in ihren Banden.
 
So hetzten sie ihr Ross in zornigblindem Feuer
Zu Tod und gaben dem Geschicke selbst Gebot.
O Helden ihr der längstverblichnen Abenteuer,
Die durch die Wälder bliesen, bliesen nach dem Tod!
 
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Die hellen Stunden

I.
 
Der nächtige Himmel hat sich entfaltet.
Und über der Stille, die träumerisch waltet,
Wacht nun ein zärtlicher Mondenglanz.
 
Alles ist rings so hell, so rein,
Alles schweigt sanft in die Nacht hinein,
Und über den Teichen des traulichen Lands,
Welch süsses Erschrecken, wenn taubeschwingt
Ein Tropfen von rosigem Blatte sinkt
Und in das Schweigen der Fluten verklingt!
 
Aber ich habe so ganz deine faltenden Hände,
Deinen sicheren Blick, dessen zärtliche Spende
Mich leise in treulichen Banden hält.
Und ich fühle so tief, alle Dinge sind
Mit mir im Frieden, und nichts in der Welt
Und nicht eines Zweifels beschwingtes Berühren
Kann uns, und nur einen Augenblick,
Das Vertrauen entführen.
 
Dies heilige Glück,
Das in uns ruht wie ein schlafendes Kind.
 
II.
 
Der Frühling, der hell und gütig erschienen
Und unsern Garten mit Schönheit umflicht,
Durchleuchtet auch unsere Worte und Mienen
Und taucht sie tief in sein läuterndes Licht.
Die Lippen der Blätter, das Wiegen der Winde
Schwätzen vertraulich und fügen gelinde
Unsre Silben wie ihre so leuchtend und schlicht.
 
Doch unser bestes hält sich verschwiegen
Und bangt vor den flüsternden Stimmen zurück.
Ein Glück, viel reicher, als Worte es trügen,
Einen wahren Himmel umfängt unser Glück:
Den deiner Seele, auf beiden Knien
Hingeneigt ganz sanft vor der deinen.

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