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04.2
Ausgewählte
Gedichte
Emil
Verhaeren
in
Nachdichtung von Stefan Zweig
Worte
der Einleitung
Ein
harter, ungefügter, fremdartiger Name inmitten der graziösen Gilde
französischer
Dichter: Emilé Verhaeren. Ein seltsames, schwerverständliches Wort, das
immer
einsam bleibt unter den andern. Und so er selbst der „Poète de demain“,
der
herbe gigantische Vlame. Wie Pan, der große Waldgott, schreitet er aus,
aller
Stürme Botschaft und aller Töne Gewalt in seinen nervigen Händen –
fremd diesen
zärtlichen Geländen, die erfüllt sind von sehnsüchtig-leisem
Syrinxspiel und
dem schmachtenden Singen der Nymphen an den silbern spiegelnden
Quellen. Er
aber geht finster, ihn locken nicht die leisen Winde, die wie
Schmetterlinge
mit mildem Schwingenschlag die duftenden Blüten schaukeln, er späht
nach den
schweren drohenden Wolken der Ferne und horcht dem taumelnden Lied der
grossen
Strüme, die aller Dinge Schmerz mit sich gerissen. Und die grossen
Fernen
verschweigen sich ihm nicht. Von den dunklen Heiden des Nordlands, aus
den
keuchenden und rasenden Städten, vom lauten Meere, von brausenden
Wäldern
rauscht ihm die dumpfe und schmerzliche Botschaft in fiebernden und
dunklen
Gesängen entgegen. Und jede Stimme kämpft um ihr Lied in der starken
Flöte des
Pan. –
Emile
Verhaeren ist seit Victor Hugo und vielleicht seit allem Anbeginn der
erste
Lyriker grossen Stiles unter den Franzosen. Er hat ihre Dichtung mit so
heftigen und aufschwellenden Empfindungen erfüllt, dass ihm das
formende Gefäss
– die kristallhelle Form des Parnasses – splitternd unter den Händen
zerbrach.
Aber aus Trümmern schweisste er sich eine neue, wie alle die Starken
vor ihm;
Baudelaire hatte sich seine kühle und eherne Gestalt der Schönheit aus
den
biegsamen Werten der Parnassiens geschaffen. Verlaine eine süsse und
wundersam
tönende Laute gebaut. Mallarmé und Maeterlinck das runde und klare Erz
mit
dunklen und mystischen Gewalten durchfärbt, die magnetisch der ewigen
Gefühle
dumpfe Ahnung anlockten. Verhaeren schmiedete eine Waffe, die er wie
seiner
Blutsgenossen kriegerischer Gott, wie Thor, siegend über die Welt warf.
Und
viel Neuland ist diese Welt, die er sich erschwang, dieses bunte Land,
da vom
Leben grenzlos überrauscht in Unendlichkeit.
Denn auch Verhaeren ist Mystiker, wenn sich ihm auch nicht in
orphischer
Ekstase der Ewigkeiten Nähe kündet; viele Wege führen ja zu den
kosmischen
Gefühlen. In der sinkenden Blüte, die vom Baume stäubt, ist eine
Mahnung der Unendlichkeit,
und in dem ganzen Walde der blühenden Bäume, der wieder weiterläuft in
eine
blühende, ewig werdende Welt ist eine Spiegelung der Unendlichkeit.
Verhaeren
hat im Makrokosmos seinen mystischen Pantheismus gewonnen und damit den
Vorzug,
ihn mit der Realistik modernen Lebens durchfärben zu können; wie Walt
Whitman
hat er statt orphischer Mystik eine vitale empfunden, hat der Ewigkeit
Atem aus
dem brausenden Gewirr der Städte und den irren Trieben geballter
Menschenmassen
gespürt. Und er hat mit fiebernden Blicken in die schäumende Wildnis
dieses
unbegrenzten Lebens geschaut, bis aus den gigantischen Umrissen klare,
reine
Linien wuchsen: die ewigen Gesetze des Lebens.
Wie
bei Dehmel ist dieser Aufschwung ein Ringen „vom Krampf zur Seligkeit“.
Eine unsäglich
schmerzliche, aber organische Entwicklung. Zuerst – in „Les Flamands“.
„Les
Moines“ – ist Verhaeren Naturalist, ein Reproduktiver. Mit ruhiger
kühler Hand
zeichnet er Charakteristika, Land und Leute. Die Form ist dieser
psychischen
Unbewegtheit komplementär – der Naturalist Verhaeren ist Parnassien. In
seiner
trilogischen Dichtung – Les soirs, Les flambeaux noirs, Les debactes –
hat das
Bild ganz gewechselt. Sie bedeutet eine psychologische neurotische
Krise, die
mit einer pathologischen Krise im Leben Verhaerens korrespondiert. Die
Reizbarkeit der Nerven flackert in halluzinatorischen Paroxysmen, die
Selbstbeobachtung steigert ihre Schärfe in flagellantische Gier. Es
sind drei
Bücher eines grandiosen Kranken, dessen exaltierte und visionäre
Gefühle zu
unglaublichen Schmerzen ausarten. Und es ist eine verhangene Welt, die
diesen
Schmerz umwölbt: leere Ebenen, frostkalte Nächte, sturmgepeitschte
Abende und
blutende Dämmerungen, die furchtbare Träume bringen. Eine einsame
Seele, die
sich in perverser Wollust in sich selbst verkrampft, stöhnt stammelnd
in die
grosse, gottleere Öde. Bis endlich die Gefühle übermächtig werden, bis
sich der
Schmerz mit explosiver Wucht in die Welt wirft. Und das ist die
Befreiung. Die
Exaltation der seelischen Gewalten wirft sich aus der Enge einzelnen
Subjektes
in die Fülle der Objekte, die durch sie ein gesteigertes Leben
gewinnen.
Verhaeren wird Gestalter. In seiner zweiten Triologie „Les campagnes
hallucinés, les Villes tentaculaires, les Aubes“ personifizieren sich
die
verheerenden Stimmungsgewalten, die ihn zu ersticken drohten, in
fremden
Geschicken. Aus dem Sehenden, im Sinne von Goethes Lynceus, wird ein
Schauender, aus dem reproduktiven Naturalisten Verhaeren ein
schöpferischer,
allbeseelender Gestalter. Zuerst verbildlicht Verhaeren seine
Exaltationen in
Persönlichkeiten: er erschafft den einsamen Schiffer, der im Sturme
stirbt, den
Glöckner, umlodert vom flammenden Turme, die alte Frau, die mit dem
Tode ringt,
den Abenteurer, den Schrecknisse umkrallen – seine Angst und
Schmerzlichkeit
von einst giesst er in diese verstörten, sinkenden Menschen. Und er
haucht
seine Seele in die Dinge: in den Sturm, der wahnsinnig die Länder
durchstöhnt,
in die Scheunen, die ihre brennenden Hände betend zum Himmel strecken,
in die weiten
verlassenen Ebenen. Und die Horizonte wachsen ins Unendliche.
Unablässig drängt
der Ruf „Multiplie toi dans les foules“ durch das Werk Verhaerens. So
wird die
wundersame Vision der „Campagnes hallucinés“ und der „Villes
tentaculaires“
wach, jener soziale Gedanke der Riesenstädte, die mit ihren
Polypenarmen das
verarmte verlassene Land aussaugen. Alle Gewalten des Lebens verkörpern
sich in
ihnen mit gigantisch verzerrten Linien; Häfen und Märkte, Lupanare und
Theater,
Kaufmannsstuben und Kathedralen, Werkstätten und Börsen, die Kapitole
des
modernen Industriealismus flammen in einem fiebernden Chaos auf wie die
apokalyptische Stunde der sinkenden alten Welt. Verhaeren der Kolorist,
hat aus
diesem Tumulte unübersehbarer wirrlaufender Tätigkeiten einen
einzigartigen
grandiosen fiebernden Traum geschaffen, der die Wirklichkeit in all
ihrer Fülle
noch überleuchtet und erhöht. Er hat sein eigenes Lebend dadurch
unendlicher
Steigerung fähig gemacht und es in die Welt hinein vervielfacht. Und so
wendet
sich sein Glaube: aus dem universellen Pessimismus, aus dem tumultuösen
Schmerze wächst in seinen letzten Büchern – Les visages de la vie, Les
forces
tumultueises – eine schlichte und klare Liebe des Lebens, ein sanfter
und
gütiger Pantheismus. Verhaeren hat wieder seine Stabilität gewonnen:
aus dem
Chaotischen gliedert sich das Symphonische, aus dem Dionysischen das
Apollinische. Die Gewalten des Lebens klären sich, aus dem trunkenen
Taumel
heben sich runde reine Linien, aus der zuckenden Fülle die ewigen
Gesetze. Jene
Kühle, die die letzten Dinge umwittert, beruhigt seine Verse; die edle
Bezwungenheit und sichere Weltweisheit im Bewusstsein einheitlichen
Umschwunges, diese geläuterte poetische Anschauung der Kunst adelt
Verhaerens
Verse aus den letzten Zeiten. Der Sehende wurde zum Neurotiker und
Halluzinativen, um als Schauender endlich des Lebens gesättigte Fülle
zu
begreifen.
Diese
Entwicklung – eine Auswahl kann freilich nur Meilensteine statt des
wechselnden
Weges geben – als dichterisches Geschehnis begreifen zu lassen, müht
sich meine
Nachdichtung. Sie ist in stetem Einverständnisse mit dem Dichter
entstanden und
hat nur ein Ziel gesehen: alle Eigenheiten Verhaerens in deutscher
Sprache
bewusst werden zu lassen und sich so unter Preisgebung
eigenpersönlicher
Gestaltung in dem mächtigen Werke restlos zu lösen.
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