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04.2
Gedichte -
Emil
Verhaeren
Die
Hohen Rhythmen
Das
Paradies
FREUNDLICHE
Haine stehn in strahlendem Schimmer,
Von
lebendem Geschmeid webts im Azur,
Von
Fliederbüschen legt der Weste Spur
Auf
Au und stilles Wasser ein Geflimmer.
Ein
Löwe lagert unter Blütenzweigen,
Der
schnelle Hirsch umäst das Panthertier,
Und
zwischen Phlox und weißen Lilien steigen
Buntfarbne
Pfaun in ihres Schweifes Zier.
Noch
herrscht Gottvater in der Welt allein,
Und
seine Hand lenkt Adams Lebensgang,
Noch
lauscht Jung-Eva sanftem Quellensang,
Ihr
Auge klar vom Weltenmorgenschein.
Ein
stiller Engel ist ihr zugestellt,
Der
abends, wenn im West der Tag verglühte,
Daß
sanft er nächtens ihren Schlummer hüte,
Treu
über sie den hehren Fittich hält.
Die
reine Brust vom Morgentau beronnen,
Erwacht
sie in das erste Frühgeleuchte;
Er
trocknet ihr am Lichtgewand die feuchte
Haarflut,
mit der sie seine Hand umsponnen.
Und
wie die Schatten von den Rosen weichen,
Die
niederhängen noch vom Schlaf beschwert,
Naht
sich das Paar den hehren Lichtbereichen,
Mit
denen der heilige Garten sie verklärt.
Wie
immer ruht und gestern zahm Getier
In
junger Sonne auf den grünen Auen,
Um
sonnige Steine webt der Falter Zier,
Und
fernher spreizen ihre Räder Pfauen.
Auf
zarte Blumen, ohne sie zu knicken,
Der
Tiger seinen roten Rachen legt.
Und
hin zum Rehe sanfte Löwe blicken,
Das
munter sich in Moos und Gräsern regt.
Kein
Schatten trübt den lichten Morgenschimmer.
Derselbe
Rhythmus wunderklar und rein,
Dieselbe
wundersame Ordnung immer,
Und
Gottes immergleich′ Zugegensein.
SO
säumten Jahr und Jahre. Doch die Zeit
Ging
hin, und Evas Überdruß bedachte
Ein
Glück eintönig, zäh und ohne Leid,
Das
niemals Lieb und Leidenschaft entfachte.
Ihr
kam der Wunsch, daß jener Blitzstrahl krachte,
Der,
Gottes Drohgebot, am Himmel stand.
Gleich
regt sich ihr ein starker, süßer Schrecken,
Und
auf das Herz preßt sie die zarte Hand,
Ihn
da noch einmal innigst zu entdecken.
Besorgt
der Cherub ihren Traum befrägt,
Ihr
jäh Erwachen nächtens aus dem Schlummer,
Die
Gesten, die ihr seltsam Leid erregt:
Doch
tief im Innern hehlt sie ihren Kummer.
Umsonst
er Blum′ und Vogel auch befrägt,
Gespielen
ihr am Uferrand der klaren
Geriesel;
auch der Weiher unbewegt,
Kann
ihr Geheimnis ihm nicht offenbaren.
Doch
eines Abends, als mit sanftem Bedacht
Die
Lider er ihr schließen will zur Nacht,
Entschlüpft
sie hurtig seines Fittichs Hut.
O
schicksalstiefer Antrieb, jäh und gut!
Und
eh der Cherub noch begreifen kann,
Ist
Eva schon aus seines Armes Bann,
Gibt
selbstvergessen ihren Leib sie ferne
Der
Hülle bar dem großen Glanz der Sterne.
Wie
dieser Anblick Adams Sinn verwirrte!
Schon
eh, wenn in der Kühle
Des
Abends er, ein einsamer Wandrer, dort irrte,
Sah
er am Quellenrand ihre Spiele,
Mit
beiden Händen ihr Bestreben,
Die
Blasen des fliehenden Wassers zu fangen,
Die
sich vom Grund auf zum Spiegel heben;
Oder
er hatte sie gesehn, wie sie, brennend vor kindlichem
Verlangen,
Auf
dem Rasen sich hurtig mühte,
Zierliche
Kräuter legte
Und
sich freute, wie sichs drin regte
Und
von bunten Käfern glühte.
Damals
war Eva noch ein anmutig Kind, von Harm frei,
Während
ihn, den Mann, schon ein ander, rauher Leben
durchtobt,
Noch
unausgeprobt,
Fern
in waldiger Bergödenei.
Und
Eva wollte Liebe, Adam Wissen.
Er
sieht sie aufgereckt in Sternenpracht:
Und
ihn befällt ein Ahnen, welch Vermissen
Zu
neuem Lebenstrieb in ihr erwacht.
Er
naht mit linker Glut, doch ängstlich lauschend,
Ihn
bangt, jählings zu schrecken ihren Traum.
Die
Terebinthen strömen Duft berauschend,
Und
heiße Würze haucht der weite Raum.
Noch
zaudert er, da faßt wie traumbefangen
Die
Hände ihm das unschuldsreine Weib
Mit
langem, linden Kuß; und ohne Bangen
Schmiegt
ihre Reize sie an seinen Leib.
Es
schauert ihre Glut ihm durch die Glieder
Und
es entflammt sein Mund an ihrem Mund;
Er
nestelt ihre lange Haarflut nieder,
Die
hold umschirmt den jungen Liebesbund.
Es
zwingt sie nieder an den stillen Quellen,
Wo
niemand wacht als ihrer Küsse Glut;
Und
nie gekannte Kräfte jäh aufschwellen
Fühlt
Adam jetzt mit dunkelsüßer Wut.
Ihr
Leib hegt keusch verborgne Heimlichkeiten,
So
zart wie Moos, wie Sommerwind so glau,
Und
willig knickt von ihrem brünstigen Streiten,
Vom
heißen Suchespiel die bunte Au.
Doch
wie der Wonnekrampf die Brust befreite
Und
die Erschöpften Arm in Arm noch ließ,
Kost
sanfter sie die buhlerische Weite,
Und
seltsam üppig liegt das Paradies.
Da!
Jäh
Bäumt
sich ein Schatten in die Höh.
Noch
fern am Horizont, doch schon tiefnächtiges Grausen,
Entfesselt
schon aufschreckend mit wirbelndem Brausen
Die
schwüle Welt.
Hoch
reißt Adam Eva und hält
Schützend
an seine Brust gepreßt die zarte, bleiche, angstvolle.
Und
es naht der Orkan, schwefelgelb und fahl,
Mit
drohendem Donnergerolle.
Und
schon, dicht vor ihnen, in den zerdrückten Boden, zuckt
der
Strahl,
Nieder
auf die Stelle,
Wo
die Blumen noch warm,
Auf
denen er, Leib an Leib, Arm in Arm
Mit
Eva lag,
Zuckt
die grausige Helle,
Zuckt
aus der schrecklichen, nächtigen Wolke
Der
Schlag.
Und
aus der grausen Nacht die Stimme des Herrn sprach.
Feuer
lohten aus nächtigen Büschen und Blüten,
Und
längs der grauenvoll verstummten Pfade glühten
Die
Cherubim, die ihre Flammenschwerter heben.
Zu
den Sternen auf dröhnt der Löwen Gebrüll,
Und
Tod und Unheil künden Adlerschreie schrill,
Und
am Seegestade die hohen Palmen wanken und beben,
Von
demselben Sturm des Zorns umgellt,
Der
auch auf Adam und Eva niederkracht.
Und
es hastet ihr Lauf durch endlose Nacht
Ins
Land der Müh und Arbeit, in die Menschenwelt.
Unordnung
Gottes herrscht nicht fürder mehr,
Und
eine neue Welt entsteigt den Nächten,
Mit
neuem Rhythmus, unstet hin und her
Und
zahllos durcheinander gewirrten Mächten,
Ihr
fühlt sie euch durchkreisen, dämmernde Wälder,
Vom
Sturm durchbraust, benetzt vom stillen Tau;
Und
du, Gebirg, ihr überschneite Felder,
Und
du, des Eispalastes blitzender Bau.
Und
Erdreich, du, mit Flor, Frucht, Ährenwellen;
Mit
eurem sanften Plätscherlied, ihr, Quellen;
In
deinen Grüften, due kaltes Metall;
Du,
kreisend Sternenheer im weiten All;
Ihr,
Flüsse, hin zum Ozean ergossen;
Unendlichkeit
und Raum, ihr, und du Zeit;
Und
unendlich ihr, Urelternhirne, geweiht
Zu
einigen Tods und unermeßnen Lebens Genossen.
Der
Mann fühlt bald die weitgespannte Kraft
Sich
eifervoll auf die Erscheinung richten;
Er
wägt Ursachen, Ziele gilts zu sichten,
Es
preist sein Geist die Welt mit Leidenschaft.
Sein
reines Herz liebt ohne seinen Willen
Die
Erde, hohe Bäume und die Stillen
Gewässer;
Funken auch, des Flintsteins Gabe.
Lockende
Goldfrucht bietet ihm friedliche Kost,
Und
der durchsichtigen Weintraube Most
Erfreut
ihn über Durst mit süßer Labe.
Da
gilt es Kampf und wild Getier bezwingen,
Er
wird mit seines Armes Kraft vertraut,
Und
Stolz leiht seinen starken Trieben Schwingen,
Bis
eines Tags er selbst sein Schicksal baut.
Die
Frau, noch schöner jetzt, da er ihr ganz
Den
Leib geweckt mit wundersamem Schauer,
Lebt
still im Wald, umschwebt von Duft und Glanz,
Zukünftig
Leid in ahnungsvoller Trauer.
Und
so zuerst in ihr die Seele erwachte,
Aus
nie gekannter Angst sie sanft und stark ersproß,
Wie
sie mit liebevoller Glut gedachte
Des
Kindes, das ihr nackter Leib umschloß.
Streckt
sie zur Nacht, wenn letzter Sonnenschein
Entfacht
mit roten Gluten noch den Hain,
Den
weißen Leib auf schimmernder Hügelflanke,
Erfüllt
sie ganz ihr sorgender Gedanke.
Auf
ihre Haut, die klar wie Waldquell blaßte,
Zeichnet
die schön gewölbte Brust zwei Schatten hin;
Lieblich
die Sonne ihre Schwangerschaft beschien,
Die
reifend eine neue Welt umfaßte.
Mit
leidbereitem Ernst war sie tief bedacht,
Wie
nun ihr Leib unzählig Schicksal bindet.
Wie
ihrer Liebe starke Willensmacht
Glorreich
dereinst die Erdengewalten überwindet,
Auch
ihr seid, heilige Schmerzen, vor ihr aufgegangen,
Verzweiflung,
du, und unaussprechlich Leid;
Die
große Menschenmutter doch, vorauf bereit,
Mit
frommem Kusse hat sie euch empfangen.
Doch
Menschengröße auch, und Stolz und Mut
Erhoben
sie und scheuchten jene Leidgefühle;
Und
du auch, hingerissene Begeisterungsglut,
Die
seherisch ihr enthüllte ihres Hochsinns Ziele.
Ihr
stärktet ihre Hoffnung, spürende Gedanken;
Du,
Trieb zum Guten, und du, Lebensdrang,
Und
ließest sie in Freud und Leid nicht wanken;
So
gut war euer Beistand, daß als auf einem Abendgang
Unter
blauem Himmel, schön und froh, auf mossgeschwell-
tem
Pfad
Noch
einmal sie dem Paradies genaht,
Das
vor ihr lockte mit weitoffner Schwelle,
Vor
der, noch immer, wartend, der Cherub stand,
Sie
ohn′ Begehr das Haupt hinweggewandt,
Sich
forthub und niemals kehrte zu der Stelle.
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