lifedays-seite

moment in time



Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Die Hohen Rhythmen
 



Herkules

WIE seinen Ruhm noch mehren?
Ach, und wer zählte
Die Tag und Nächte all, die er sich quälte,
Wer maß die Zeit,
In der er mit Aufruhr und Schreck erfüllt,
Morast, Wald, stilles Gebirg und das Gestade, an dem das
große Meer brüllt,
Mit dem unablässigen, schrecklichen Getöse
Seiner Tatgröße?
 
Noch ist ja stark sein Herz, wie eh‘ sein Rumpf.
Aber wird nicht schon seine Kraft stumpf?
Weiß man nicht schon den leuchtenden Ruhm zu melden
Von jüngeren, regeren Helden?
 
Einsam, immer einsamer sein Schritt ertönt,
Obgleich ihn wieder der ganze Erdball dröhnt.
 
Langsam hob sich die Sonne und war schon dem Zenith
nah;
Und von da bis zur Nacht
Sah der Oeta
Herkules umirren ohne Ziel und Bedacht.
Wie gebannt
Stand
Er vor den Wildpfaden, schritt voran, wandte sich, setzte
sich in Lauf,
Horchte plötzlich starr auf
Wie auf Stimmen,
Und wurde irr.
Was für ein Pfadgewirr!
Durch Walddickicht gewunden, hingezweigt über ebenes
Land!
Und sein Atem schnob von einem bösen Ergimmen.
Krampf zuckt ihm auf in Finger und Hand,
Und mit jähem Sprung dem nächsten Gehölz zugewandt,
Bricht er mit heiser brüllendem Schrei,
Wie ehedem, die Eichen
Und staunt, daß sie dieser irren Kraft seiner Raserei
Noch immer weichen.
 
Doch als seine Wut sich endlich gelegt
Und er plötzlich, wie durch einen Blitz erhellt, sein Leben sah
Und was alles die göttlich schreckliche Kraft seiner Jugend
eh nur so als Spiel gepflegt,
Die Bäume ausriß nur so aus Spielerei:
Ach da
Wurde sein Arm schlaff und schwer wie Blei.
Und bis ins Innerste erlahmt
Hört er, wie rings um ihn her ein tausendfältiges Gelächter
braust,
Das das grausame Echo mit höhnischen Stößen nachsaust
Und das ihm sagt, daß er sich nur noch nachahmt.
 
Die Schmach treibt ihm einen Schweiß aus der Stirn;
Der Wunsch, sein selbst zu spotten, erregt sein wirres Hirn,
Wie ein Tier,
Stumpf und stier,
An sein kindisch irr
Treiben da sich hinzugeben.
Und eh die Sonne, deren letzten Glutlichter noch um die
Berghäupter weben,
Sich ganz geneigt zum Untergang,
Sah man den gewaltigen Herkules, wie er in den Wald ein-
drang
Und zerstampfte den Boden
Und anhub ein furchtbar Roden;
Wie die alten Eichen brachen,
Und er sie rollte und warf vom Berggipfel mit Sprung und
Stoß und schrecklichem Krachen
Hinab ins Flache.
 
Grauenvoll erfüllte das ganze Tal die Wüstenei.
Es sieht der Heros aus den zerspellten Stämmen
Sich im Nachtdunkel ein ganzes Gebirge dämmen,
Und er hört der nestverscheuchten Vögel Geschrei,
Die mit geängstigtem Flügelschlag erfüllen die Nacht.
 
Am Firmament entfacht
Der schwarze Weltraum seiner Sternenpracht
Stille Erhabenheit.
Doch nicht befreit
Herkules ihr heilig weiter Frieden von seines Wahns
unseliger Wut,
Stillt nicht seines traumwandelnden Fußes Unrast und seines
Auges irre Glut.
 
Doch plötzlich rast in ihm ein Neid empor auf jenen hehren
Glast,
Um ungeheuer in seine Grübeln einzudringen
Und ihm den freveltollen Einfall abzuringen,
Anzuzünden dies alles mit Stamm, Rinde, Splint, Laub und
Ast,
Daß unermeßlicher Glanz jener stahlenden Unendlichkeit
Kunde sage,
Wie auch die Erde nun, von ihm, Herkules, ein Gestirn trage.
 
Jäh
Über den ungeheuren Scheiterhaufen
Die Wellen-und Schaumflug über nachtdunkle See
Die Flammen laufen.
Ein dumpfer Rauch sein krauses, schwarzes Gewölk bläht,
Borken rauh von Moos und Flechten überzogen
Und das schwarze Gewirr starrer Reiser flogen
Mit Knistern und Krachen rings in alle Näh und Weite
verweht.
Die Brunst hebt sich, wächst an, wabert und loht,
Und blutrot dehnt sie sich aus mit so rasender Schnelle,
Daß ihre goldgrelle Welle
Herkules bedroht.
 
Der Heros fährt auf, fühlt sich brennen,
Kommt zu sich selbst, beherrscht sich, will nicht weichen,
Und um das Ungetüm mitten in seiner Höhle zu erreichen
Und anzurennen,
Er, wie ehemals, als man ihn als strengen Rächer kannte,
Mitten hinein in die Gluten rannte.
Sicher ist sein Schritt, sein Herz fest und klar,
Und mit einem Sprung ist er oben und beherrscht das
Geschwele.
Behend und stark stellt er seine Seele
Der rasend anstürmenden Gefahr.
Und wie die Lohe mit mächtigem Flügelwehen
Seinen Leib hüllt,
Erkennt er sein Geschick erfüllt,
Und daß kein ander Werk mehr bleibt zu bestehen,
Als zu erobern auf krachender Scheiter, glutumloht,
Den Tod.
 
Und er hebt an sein Totenlied:
 
„Eilender Sturm, hergeneigtes Dunkel, Nacht mit deinem
Sternenlid,
Augenblick mit deiner flüchtigen Sohle, Stunde, die nahend
droht,
Verweilt noch und behaltet dies:
Herkules bin ich, der euch grüßt vor seinem Tod.
 
Um mich loht meines Ruhmes Glorie und Glut:
Des Nemäerlöwen Herzsaft nahm ich auf in mein Blut;
Hydra, Argos Geißel, Typhons Samen,
Kräftigte mit ihrer Behendigkeit und Wut meinen Arm und
Namen;
Übers Land hin bis zum Meer mein starker Laufschritt
dröhnte,
Der mit seinem Rhythmus die Sprünge der Kentauren höhnte;
Berge versetzt ich und trug sie zuhauf,
Elis Flüssen zu richten einen neuen Lauf;
Diese Stirn in hartem Stoß und Harst gegen seine breite
Stirn stieß,
Bis der Kreterstier unter ihr zusammenbrach und mir seine
Kraft ließ;
Stymphalos sah durch meines Bogens Sieg seine Fluten rot,
Als ich seine scheußlichen Vögel schickte in grausen Tod;
Lebend trug ich hervor aus drüstrer Waldödenei
Den goldnen Hirsch mit seinem Erzgeweih;
Um zu erlegen Geryon und davonzuführen seine Rinder-
herde,
Schweift ich bis zum fernsten Nord über die ganze Erde;
Diese Faust mit unausweichbar hartem Ruck und Stoße
Bändigte des finstren Diomedes blutgierige Rosse;
Während Atlas stahl der Hesperiden goldne Frucht,
Drückte meinen Nacken, ohne ihn zu beugen, des ganzen
Weltalls Wucht;
Kraftgürtel, schöner du als eine Krone,
Ich entriß dich der Hüfte der kriegerischen Amazone;
Und ich holte Kerberos bei seinem Feuerhaupt hervor
aus unterirdischem Graun,
Zwang ihn zu der Götter blauem Himmel aufzuschaun.“
 
Plötzlich aus den gesschlängelten, fahlen Bränden erregt,
Sprang unter des Heros Fuß hervor ein greller Schein
Und brannte ihn bis ins innerste Mark hinein;
Doch Herkules sang unbewegt:
 
„Noch fühl ich meine Hand und meines Armes Kraft,
Meinen sehnigen Nacken und mein Mark
Unerschlafft
Und von der Seele meiner Taten stark.
Im langen Lauf der Jahre hat mein unerschöpftes Streben
So ganz in sich aufgenommen alles Leben,
Daß in der Stunde dieses Feuertodes sich in mir eint das All.
Ich bin der Wind im Wald, des Bergorkanes Schall,
Gebrüll wilden Getiers im weiten Land.
Ergossen in mein Herz der Menschen Leidenschaften so
ganz ich mir verband,
Daß sie in mir schwellen
Wie so viel Ströme mit unterirdischen Wellen.
Jole, Megara, Dejanira, Omphale: eures Leibes Pracht
Beugte unter schnöden Knechttums Joch meine stolze Macht.
Doch wie lang auch in die Irre ging mein Schmerz:
Niemals beugte sterblich Schicksal mein göttlich Herz.
Ich leide jetzt, doch sing ich in dieser Gluten Graus,
Und aus meiner Seele tritt hohe Freudigkeit heraus.
Glücklich bin ich, frei und unermeßlich, und ich glänze,
Und an dieser Grenze –
Dieser Scheiter, der mich tötet, mir ein jubelnder Gewinn –
Geb ich freudig hin
Wäldern, Fluren, Fluten, Bergen und der Meerwogen Schwall
Diesen Leib, mit dem sich löst ein Stück vom großen All.“
 
Und die Gluten lohten bis zum Frührotschimmer.
Wechselweise sanken sie, stiegen an,
Bis im Osten hob die Sonne ihre Bahn
Über des breiten Oeta Joch.
Doch der Heros sang noch.
Sang noch immer.


zurück




Perseus

O alte Erdenklage,
Durch die Nächte und Tage
Mit nimmer rastendem Schlage,
Schmerzfrei, anprallend einen rauhen Fels an
tiefeinsamem Meergestade,
Dem nie je ein Fahrzeug nahte!
O alte, ewige Pein!
Arme, matte, traurige, unselige Andromeda an deinem
Stein!
 
Und eine hohe Gestalt
Der rauhklippigen Insel gegenüber auf ödem Ufersand,
Leuchtend seine Stirn, sein Herz mitleidentbrannt,
Perseus.
 
Der Abend wächst. Einziger Zeuge, schaut
Die Sonne her und zaudert
Noch am fernen Meerrand, von dunklem Gewölk übergraut.
Und der Heros schaudert,
Wie er fern durch das Graun der Dämmerung
Die flehende Bewegung des weißen Armes erblickt.
 
Mählich entfachen
Am Himmel sich kaltfunkelnde Gestirne, und ein Glast webt
über den Küstensaum,
Kriecht mit heimlichem Geflimmer in einen Höhlenraum,
In dem sich der schuppige Leib des Drachen
Reckt. Der Brandung donnerndes Grollen, Rollen und
Wühlen,
Und ihre rasenden Güsse, die über den Strand hinspülen.
Wüstes Steingeröll, am Vorgebirg hingezogen.
Rauhe Riffe, starrend aus nächtig dunklen Wogen.
Ein qualmender Feuerberg speit weithin seine Glut,
Alles öd, scharf, verhalten, tückisch und bösgemut,
Nahte ein Schiff:
Mit einem Schlage zerschmetterte es der Sturm zwischen
Klippe und Riff.
 
Doch ob rings von heulendem Tod umstarrt,
Perseus verharrt
Unverzagt. Aber als der Tag kam,
Sah er der Insel einen Adler nahn.
Machtvoll, mit ruhigem Gefieder, nahm
Und zog er in Morgenwind und Äther seine Bahn.
O, sich aufzuschwingen!
Die Erde zu lassen, zu den Wolken emporzudringen!
Gestählt die Arme von noch nie gekannter Kraftwonne
Mit goldiger Schwinge sich zu erheben zur Sonne,
Unter freudetrunknem Schrei, die Brust mitten im Blau von
prurpurnem Äther geschwellt,
Hoch über diesem öden Geklipp, das die schwarze
Brandung umschellt!
Schon lebt Perseus dieses hohen Triumphes Glück.
Da ruft jäh Ikarus Wirbelsturm und Tod sein hartes Zurück!
 
Schwärzer als des Tartaros Tor gähnt
Die Höhle, wo der Drache seinen schleimig schlaffen Leib
dehnt.
Lange, lange Jahre hält er so über Andromeda Wacht,
Und zuweilen entfacht
Sein lau giftiger Atem sich hinauf zu ihres leidgemarterten
Leibes weißer Pracht.
Und der Heros bebt vor ohnmächtigem Grimm.
Vergeblich irrt er am Gestade her und hin
Und späht nach einem Vorsprung,
Nach genug mit seinem kahlen Geröll gegen die Insel
herangezogen,
Daß er mit einem machtvollen Schwung
Hinüberkäme über die Wogen.
Und er fühlt seinen Leib wie eine bleischwere Last.
Seine mächtigen Lenden, seine festen Knie, seine nervigen
Hacken,
Sein kraftgeschwellter schimmernder Nacken,
Sein geschmeidiges Rückrat, seine Hüfte wohlgestreckt,
Und das mächtige Muskelwerk, das seine Brust reckt:
Alles schien träg und traurig und ohne Tugend und Kraft.
O, seine schweren Glieder, die ihm den Dienst weigern!
Ihre gewohnte Schwungkraft: mit welcher Anstrengung oder
List kann er sie noch steigern?
 
Ungestüme Sprünge, mit behendem Anlauf errafft,
Fersen, die den Boden stoßen durch Geröll und Sand,
Gestreckte Beine, zuckend in der Sonne Geglüh,
Ansturm von Riff zu Riff, von Berg zu Berg gewandt,
Erregen nur mehr des Heros hastende Müh
Und tun doch nicht genug,
Ihm zu verleihn des Adlers Schwung und Flug;
Eitles Werk, armer Versuch.
 
Nicht mehr wagt er abends zum Gestade zu gehen;
Weh der Schmach, die ihn drückt!,
Daß es ihn nicht glückt,
In seinem Geist die notwendige schnelle Tat zu ersehen!
Er fühlt nur jede Fiber seines Leibes widerstreben,
Sich, wie es not tut, in die Lüfte zu erheben.
Weit entfernt er sich mit jäher Flucht.
Kehrt wieder und flieht mit fruchtloser Hast,
Von Morgen bis Abend, von Abend bis Morgen sucht er
und sucht,
Hier, dort, fern, nah, überall, ohne Rast,
Nur der heimliche Zufall sein Genoß.
 
Das Flügelroß!
Er überrascht es eines Tages, am Waldrand,
Mit seinem Huf zerdrückend ein karg Gesproß.
Ausstößt der Heros einen Schrei, dann schwand
Ihm die Stimme, und nichts sieht er mehr, als, der Sonne
weit entgegengespannt,
Die Schwingen.
Und schon sieht er den Renner empordringen,
Zuckender Purpur in einem Wirbel von Gold, Funken
und blitzenden Schaum,
Mit lautem Gewieher hoch über die Erde in den lichten
Himmelsraum.
Sich ihm nähern, ihn ergreifen, zähmen: o welch ein Traum!
Blitzschnell seinen strahlenden Aufschwung zu fangen,
Seinen Himmelflug über Meer hin zu lenken und Strand
Hinüber zum Inselrand,
Wohin nur die Vögel gelangen!
 
Es war eines Abends, an einem Weiher im Schlamm,
Wo der Renner das abendglutüberkräuselte Naß trank,
Daß es Perseus auf der Lauer gelang
Und mit rauher Faust er Pegasus nahm.
 
Jäh und steil aufbäumt das empörte Roß seinen Bug;
Und mit tragischem Ansturm befreit sich seine große
Silberschwinge
Aus niedrem Schlamm und trägem Geschlinge,
Und sein Rücken wirft zu Boden seine Last im Flug.
Vergebens krampft Perseus die Hände in sein
Mähnenhaar
Und preßt seine Flanke mit rauhem Knie:
Noch war
Zwischen ihm und dem großten roten Roß keine Harmonie.
 
Er stürzt; doch blitzschnell emporgerafft
Aus hohen Gräsern und dichten Binsen, die im Abendwind
schwanken,
Schreitet er aufrecht, stolz und voll Kraft
Und sucht, sich entfernend, den Gedanken,
Der ihn lehrt, vorerst die Macht
Zu verstehen, die der Zufall ihm in den Weg gebracht,
Und fügsam zu machen ihr bäumend widerspenstiges
 Feuer,
Daß sie gehorcht, wie ein fester Bogen, seinem Steuer.
Und so ließ er, als er eines Tages Pegasus erblickte,
Wie er tief im Wald groß und lässig hingestreckt schlief
unter dichtem Buchengeäste,
Den Arm wieder sinken, der sich schon zuzugreifen
anschickte,
Um in Liebkosung zu wandeln seine rauhe Geste.
 
Ruhig erwacht das schöne Tier
Und fühlt sich gefangen unter tiefhängendem Ast;
Aus dem Schatten aber blitzt Perseus Auge mit funkelndem
Glast,
Doch sanftmütig gemildert seine Eifergier.
Und fast ohne Scheu erhebt sich das Roß,
Schreitet mit dem Heros schon wie ein Genoß;
Und da es sich nicht geritten und gedrückt sieht,
Es, als sich die freie Ebene öffnet, nicht entflieht.
 
Und es geschah an einem tauprangenden Morgen,
Daß Pegasus sich bequemte, Perseus Willen zu gehorchen;
Nachdem zuvor Tage und aber Tage gemach
Der Kraftausstrom ihrer Körper sich erkannt,
Bis endlich ihre widerstreitende Bewegung sich entsprach
Und der Versuch eines Aufstiegs die beiden wirklich
verband.
Behutsam überwachte der Heros, wie er sich bewegte,
Während Pegasus langsam, sanft gehorchte, als Perseus
ihn zäumte,
Zwar noch ins Gebiß schäumte, sich gegen die Zügel regte,
Aber nicht mehr außer sich aufbäumte,
Wenn sich eine Hand auf seinen Bug legte.
Und, langsam noch, noch immer sanft, alsdann,
Mit lindkosender Rede süßem Klang,
Bald murmelnd, zusprechend, oder mit Gesang
Umspann und gewann
Perseus den Pegasus. Durch alle Nerven und Glieder
Schauert das große Flügelroß bei dem zauberhaften Getön
dieser Lieder,
Die, wie es selbst, hinauf zum erhabenen Licht dringen.
Und diesmal, bei Tagesanbruch, als ihn ein Lob
Ertönte, entfaltete die Schwinge und hob
Mit weitausgreifenden Hufen sich der goldne Renner;
Und auf seinem Rücken verließ, mit Triumphgebärde,
Perseus die Erde.


zurück






weiter




   lifedays-seite - moment in time