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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Die Hohen Rhythmen
 



Der Johannes

ALS Joseph von Arimathia vom Kreuz gehoben
Christi Gestalt,
Starr, fahl und kalt,
Und die Wächter und die Menge zerstoben,
Und Himmel und Bergland,
Ebene und Wasserfluten,
Die eben noch von Gewitterorkan und Blitzgeglüh
    gebrannt,
Tiefeinsam wieder ruhten,
Da drückte Johannes einen Kuß auf seines Gottes Herz.
 
Dies Hers stand jetzt still
Mit seiner sanften Geduld,
Mit seiner tiefen Vergebung und klaren Huld!
Doch dies alles will
Johannes jetzt mit diesem Kuß in sich beschließen
Und seine dreifache Liebesglut
Bewahren in treuer Hut,
Daß die drei langen Tage dumpfer Grabeshaft
Nicht dorren ihre göttliche Kraft,
Bis der Herr wieder erwacht.
 
In tiefem Schweigen
Johannes Lippen sich zu diesem hohen Kusse neigen;
Zu der Stelle her,
Wo sich einbohrte der Speer.
 
Und als er dann Maria heimgebracht,
Ein erstes Sternlein seinen Glanz entfacht
Hoch an Judäas Himmel oben;
Johannes sah es, und sein Leuchten war
Im weiten Blau so rein und keusch und klar,
Wie er sich selbst fühlt erleuchtet und gehoben.
 
Nun wohnt in ihm nicht mehr des Bösen Macht,
Verscheucht für immer nun in seine Nacht
Des Hochmutteufels Anstreben.
Her auf sich beschwört er die Heerschar aller Schmach,
Zu wandeln seinem toten Heiland nach
Und sanften Sinnes seinen Feinden zu vergeben.
 
Es wächst aus solcher Demut ihn die Kraft,
Entbindet das große Trostgeheimnis sich seiner Haft
Jener, die das Leben besiegen
Nicht durch starre, überschwenglich schöne Gewalt,
Sondern durch Willensdemut und Enthalt
Und durch sanfter Güte Unterliegen.
 
II
JERUSALEM schlief unten im Tal.
Als Johannes, von Steig zu Steig, hinab seinen
   Schritt stahl,
Im Petrus erbarmt,
Der sicher irgendwo unter freiem Himmel irrte und weinte,
Ob der schweren Schuld in Harm,
Daß er seinen Heiland verneinte.
Nah bei den römischen Palästen mit ihren blinkenden
    Porphyrmassen
Johannes den weinenden und zagenden Petrus fand
Und ergriff seine Hand,
Um sich wortlos seufzend bei ihm niederzulassen.
Doch alles sagt sein Blick, und mild ist sein Gemüt,
Als er plötzlich vor Petrus niederkniet.
Und beschwörend wird seine Stimme laut,
Als ob er dem Himmel seine eigene Schuld vertraut.
Und Petrus umarmt Johannes und fühlt, wie in sein Gemüt
Wieder Ruh und sein alter inbrünstiger Eifer einzieht.
Gleich aber nimmt Johannes seinen Weg hin zu den Schenken,
Barabbas gedenkend.
 
Um die Zisternen tummeln
Sich halbnackte Kinder, und braunhäutige Kameltreiber
   bummeln
Auf gut Glück von Gasse zu Gasse, lungern trunken,
Nach Weibern suchend, deren Liebe so rot wie ihre Lippen,
    in den Spelunken.
Mitten unter ihnen trinkt und grölt der Bandit.
Doch ohne Furcht Johannes mit sanftem Wort zu ihm hintritt.
„Bruder, Jesus von Nazareth schickt mich zu dir.
Nach seinem Wort wandle mit mir.“
Aber Barabbas spricht: „Wahrlich, wenn ich hier gründlich
   den Becher leere,
Geschieht es, damit ich seinen Tod lustig ehre,
Und vor den Weibern ihn verlache.
Mit Räubern und Totschlägern mach ich gemeinsame Sache
Und mit den Mädchen, die sich mir schenken an den
    Straßenecken,
Das Volk aber braucht vor mir nicht zu erschrecken.“
 
Der Apostel tritt näher und will noch weiter in ihn dringen,
Aber schon sieht er den schecklichen Barabbas wild den
   Krug schwingen
Und vernimmt sein drohendes Wort:
„Wer ist denn eigentlich dieser Christus, der in einem Fort
Die Straßen sperrt mit öffentlichen Weibern und halb-
   nackten Tröpfen,
Mit Beterei und wehleidig geduckten Schöpfen?
Ich hab ihn gekannt in Galiläa,
Wo ich ihn sah,
Einen armseligen, schlechten Zimmeregesellen,
Schlechtes Holz hobeln und um des lieben Lebens willen
   die Leute prellen.
 
Nicht mal ein Buch konnt er lesen,
Und macht uns hier nun von Gott ein groß Wesen!
Sich den Propheten des Allerhöchsten heißen,
Ist ein Kniff, den schon seit lange die Charlatane kennen
   und preisen.
Aber ich, Barabbas, ganz befleckt von Südenkot,
Mit Abscheu muß ich dergleichen vor mir weisen;
So tief herabzusinken tut mir nicht not.“
Tief schmerlich durchbohrt des Jüngers Herz solcher Worte
   Graus,
Und mit flehender Gebärde beschwört
Er eins der Weiber, daß es Barabbas solche Lästerrede
   verwehrt.
Aber schon packen ihn rauhe, braune Fäuste und stoßen
   ihn hinaus.
Seufzend entfernt sich Johannes hinein in den bleichen
   nächtlichen Mondglast,
Doch ohne Zorn und Klage, sanft und gefaßt;
Und noch einmal von fern sich wendend zu dem abscheu-
   lichen Spelunkenloch,
Verhüllt er sein Gesicht und flüstert: „Wieder komm ich
   doch.“
 
Schon erglimmt
Von des Morgens kristallner Hand
Der walddunklen Hügel Saum und seht des Tempels
   eherner First in Brand,
Als Johannes, der noch immer durchs Gefild irrt,
Plötzlich vernimmt,
Wie sich am Ölberg ein Geräusch von eilenden Schritten wirrt,
Und ein Frauenruf Gefährten dränt,
Daß da oben ein Mann mit rotem Haar hängt.
Stumm bleibt Johannes Herz, nicht einen Seufzer stößt
   er aus.
Nichts also löschte Judas Sünde aus!
O jener Abend, als er kam
Und mit ihnen allen an der Tafel Platz nahm,
Teilnahm am Gespräch, als ob nicht wäre, und ohne
   Zittern das Brot
Ergriff, das der Heiland ihm darbot!
Doch der schweifende Apostel schloß sich der Menge an.
Der Tote lag am Fuß des Ölbaums und starrte, gleichsam
   noch in ihrem Bann.
Vor sich hin seine eigene Schmach an.
Sein Auge, dunkel, düster, hart, schafft Pein.
Dumpf heult ein Hund in die aufgeregte Menge hinein.
Leute, die vorübergehn,
Schmähn den Leichnam und zeigen,
Um ihr Bangen zu hehlen, sich grausam.
Da fühlt Johannes sein Graun dem Mitleid weichen.
Beiseits steht er und sinnt: wie er ja doch auch einer
   der ihren war,
Und sein Herz ein Apostelherz war drei ganze Jahr;
Wie er oft doch vergab und sein Rachegelüst bannte,
Wie  Jesus Christ ihn liebtem der doch das Zukünftige kannte.
Und ohne zu zaudern, drängt Johannes sich durch die Menge
Und das immer dichtere und erregtere Gezwänge;
Und indem er den Leichnam mit frommem Arm emportzieht,
Schließt er ihm mit lindem Finder das Lid.
Und dann nimmt er ihn auf, um ihn in die Erde zu betten.
Mit einem Gefährten trägt er ihn zu den verlassenen Stätten,
Und wortlos senken sie dort Judas in die Erde hinab.
Solchermaßen, bis zu dem Morgen, da Christus verließ das
   Grab,
War Johannes Seele so tief und zart,
Daß niemand mehr erkannte ihre Art,
Und selbst Maria, als er langsam zu ihrem Heim kam,
Den geliebten Jünger befangen meinte in einem seltsamen
   Irsinn gar.
Doch nicht eine Spur von solch trüber Hefe war
In dem christlichen Gefäß, das schon jetzt sein Herz.
Überwunden waren Furcht, Leidtrübnis und Schmerz,
Und das Naß der Tränen barg Freude nur.
Von all den tausend Wegen folgte er allein der
   heiligen Spur.
Die der Christ schon über den Erdball zu ziehen begann.
Alles Übel und Leid sammelte er zu einem hohen Schatz an;
Und wo sein Pfad ein Dorngestrüpp fand,
Segnend er vor dem düstren Strauch stand,
Dessen Dorn zu aller Menschen Heil, eine Hohnkrone, das
göttliche Haar umwunden
Und die heilige Stirn die geweihten Schläfe zerschunden.
Und er segnet das Eisen und Holz, von dem zu aller
   Menschen Frommen
Lanze, Nägel und Kreuz genommen,
Selbst die blutigen, bleichen Henker sind geweiht
Und jener Abend und Golgatha gebenedeit,
Dessen Rücken da unten düster und rot
Mit all seinen Klippen wie mit so viel Lästerungen droht.
 
III
UND so lange Johannes auf Erden lebte,
Seine Stirn diese hohe Verklärung umwebte,
Und dieser Ruhm,
Daß, als der Heiland noch lag in Grabesnacht,
Zuerst in ihm das hohe Begreifen erwacht
Für jenes hohe, tiefe, stille Heldentum,
Das die menschliche Seele über sich selbst hinausheben
   wird und umwandeln.
Ehrwürdig war er und sanft, ohne Eifern und Hast im Handeln.
Und sein Herz, eine warme, zarte Leuchte, strahlte seinen
   Schein
In jede Zeile seines lauteren Evangeliums hinein.
Er fühlte sich geliebt, wo andre Furcht erwechten.
Und wenn er abends in Asiens Städten die heilige
   Botschaft kündete,
Sein Wort wohl selbst die vorüberstreifenden Abendfülle
   in Liebe entzündete,
Und die Weiber weinten, während sie die Arme zu ihm
   hinreckten.
Er schied von hinnen, wohlbetagt und reich an stiller
   Weisheit,
Zu Ephesus, inmitten der Seinen, zur Morgenzeit.
Und in seinem letzten Augenblick hob sich seine Stimme
   hell und klar:
„Jesus, wenn ich in Demut dein Diener war,
Nach all meinem Vermögen und mit all meiner Seele,
So nimm mich auf und erwähle
Mich in deinem Himmel, wo deine Engel lobpreisen den
   strahlenden Glanz deiner Ewigkeit.
Ich habe deine Glorie in Demut getragen,
Und viele haben sich durch mich ihres alten Wandels
   entschlagen:
Doch vor allem, Herr, gedenke,
Daß zu der Zeit, da du lagst in der schwarzen Grabessenke,
Ich es war, ich allein, der deine Leuchte aufgenommen
   und erkannt,
Und daß ihr Licht Schutz erfuhr durch meine geringe Hand;
So gut, daß jetzt, wo der Todesschweiß meine Stirn netzt,
Dies Herz, das ich dir entgegentrage,
Noch immer das gleiche ist, das auf Erden mit inbrünstigem
   Eifer für drei Tage,
Herr, das deine ersetzt.


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