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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Die Hohen Rhythmen
 



Die Barbaren

IM fernen Zwischenland
Durchzogen von des Don, des Dnjepr und der Wolga Band,
Wo mit rauhem Odem ewig der düstre Nordost sich regt
Und die eisigen Steppen fegt;
Und noch ferner und weiter hinauf,
Wo die riesigen Eisblöcke im hohen Norden
Mit feierlichen Dämmen die Borten
Der skandinavischen Fjords und des Baltischen Meerbusens
säumen;
Und noch immer ferner, weiter hinauf,
Wo Asiens Hochländer mit drohend durcheinander
gewundenen Felsen ihre Wut aufbäumen
Und dem Tag sperren seine Bahn,
Sahen die Barbaren einen seltsamen Wahn
Mit jäher Besessenheit
Seinen Drang
Ergießen auf tausend Straßen im langen Lauf der Zeit
Gen Niedergang.
 
Nach Abenteuern gelüstet, rauh und kühn,
Sagen sie sichs untereinander weiter und erglühn.
Die Verwegensten nehmen es wahr
Und brechen auf mit Wolle, Häuten und Wagen,
Sich über Steppen und Gebirge zu schlagen
Durch unbekannte Gefahr.
Von ihren Rossen herab grüßen sie einander im flüchtigen
Vorbei.
Widerhallt das Echo von ihrem Geschrei
Vieltausendfalt.
Hoch und fest ist ihrer Führer Gestalt.
Und mit ihren roten Leibern und langen, geflochtenen
Haaren
Nennen sie Ur und Wolf ihre Vorfahren.
Die jähen Aufbrüche der wilden Banden
Im Ansturm über den zitternden Erdball her,
Die Wucht der schweifenden Massen, die sich aus
 allen Völkern zusammenfanden,
Das Gedröhn der Pferdehufe durch das Feuermeer
Der verwüsteten Länder; Raubüberfall
In hellen
Gestirnten Mondnächten; und das Gellen
Rohen Gelächters zwischen greuelvollem Gemetzel,
Und plötzlich
All dies Gewimmel und dieser Schwall
Rasenden Aufruhrs, dieser ganze, brausende
Menschenstrom
Her über Rom.
 
Und eines Tags erblicken sies. An beiden Ufern hinge-
streckt, im Abendschein blitzend,
Müd und alt im Schutze seiner Hügel.
Die Sonne aber, bis zu der empor einst sein Ruhm hob
den stolzen Flügel,
Schien seine Dächer in Schilde zu wandeln, so es schützend
Vorm letzten Schicksalsschlag.
Das Kapitol funkelte in dieser Lichtfülle,
Als verharre noch immer sein Wille,
Aufrecht, fest und klar zu stehen im Tag,
Von weitem wies sich das drängende Gewimmel
Den Palast der Cäsaren, wo Augustulus wohnte,
Und über des Janiculus strahlender Fronte
Die hohen Gestalten der Götter, hineinragend in den
lateinischen Himmel.
Angesichts der letzten Entscheidung übermannt sie ein
Zaudern,
Und ihr dem Geheimnisvollen dumpf zugänglicher
Sinn fühlt,
Von einem seltsamen Bangen durchwühlt,
Aus dem uralten, durchbrochenen Mauerwerk einen jähen
Schreck herschaudern.
Über den Häusern tauchen Prodigien auf:
Plötzliche Wolken brausen auf im Wind,
Die wie ein dunkelwirbelnder, aufgescheuchter Schwarm
von Adlern sind,
Nahen vom Horizont her und nehmen zu ihm hin ihren Lauf.
Und als dann schwarze Nacht den Himmel verhängte,
Loderten auf allen Türmen und Terrassen
Feuerbrände auf, den Tag nicht fortzulassen,
Während ihre Sorge sich empor zum Herzen des Herkules
drängte.
Da erlischt in ihren Muskeln die Kraft,
Die sie  hergeführt durch all die wilden Zeitenbrände,
Seit des sie aufzubrechen trieb vom anderen Ende
Der Erde; und starr und stumpf ihr Leib erschlafft.
Umirren sie in Gebirg und stillem Wald,
Im Schutz seines Dickichts zu bergen ihr Erzittern
Und nur von fern im Wind den Duft zu wittern,
Den heiß und machtvoll Rom zu ihnen herballt.
 
Erst Hunger und böse Zeit
Treibt sie hervor aus dieser Waldzurückgezogenheit
Und macht sie zu Herren der Urbestimmungen.
 
Der Sieg ward ohne große Müh errungen.
Doch
Selbst als sie schon die Stadt durchrasen im Feuerschein,
Fühlen sie in tiefster Seele noch
Diesen Schauder, endlich am Ziel zu sein.
 
Erst als sie sich vollgestopft mit rohem Fleisch und süßem
Trank,
Gab der Dunst, der aus den Spelunken der Subarra
aufstank,
Und die von Palast zu Palast lohende Flammenwut
Ihnen den Mut,
Den es bedurfte, Roms tausendjährigen Stolz zu fällen.
 
O Stunde, die eine Ära schließt und frißt,
Und deren Schlag jedes Weltreich vernimmt und ermißt,
Wie er aus der fernen Tiefe der Zeiten immer dumpfer
herrollt!
Plötzlicher Zusammensturz waffenstarrender Zeitwenden!
Durcheinanderströmen von Massen und Wutbränden!
Hammerschläge gegen blutbespritzten Marmor gezückt!
Karniese, mit Ruhmesglorie und Schönheit geschmückt,
Deren Einsturz die Arme ihrer Statuen zerstückt!
Die erbrochenen Truhen und ihr verchleppter Hort.
Fäuste zusammengekrampft unter Notzucht und Mord.
Todesröcheln unter Türen, Wehklagen,
Die geschändeten Jungfraun, übereinanderliegend, noch
warm, wie sie eben erschlagen;
Ihr noch entsetzenstarrer Blick, die roten Hautfetzen
Noch zwischen ihren zusammengekrampften weißen Zähnen,
Das lodernde Hetzen
Der gefäßigen Mordbrände, die plötzlich ihre lohnenden
Brünste in den schwarzen Himmel hineindehnen!

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Der Kreuzzug

EIN Ruf erhebt sich, schwingt sich auf, schlägt ein, um zu
wandern
Von den Ardennen bis Vermandois, von Luzarches bis nach
Flandern.
Banner flattern und Schwertblitz entbrennt,
Wo dieser Ruf hindringt, von Waffen starrt der Okzident.
 
O diese tausende von Schritten auf diesen tausend Straßen!
Dieser taktmäßig wimmelnde, starke Schall,
Von dem die Wasser erzittern, die Gebirge sich erregen
im Widerhall,
Und den selbst die Toten hören unter ihrem Rasen.
Der sich im Wald verliert, im Frein sich wieder zu ent-
fachen,
Der plötzlich ansteigt und wieder zurück
Verebbt, wie wenn ab und zu ein Stück
Von einer Felsenküste sich ablöst und sich ins Meer
vergräbt mit Krachen.
Die Straßen strömen über von den Scharen, und über das
Land hin beginnt ein Verheeren.
Zerstampft liegen die Äcker und zerschrotet die Ähren.
Und wie die Haufen sich folgen, wächst die Not im Land
Über Waldrodung hin und an Weiherrand.
Tragisch entspinnt sich, schnürt die Eingeweide der
Hungerkrampf,
Hier und da ein Kampf
Um einen wertvollen Schatz oder sonst eine Beute.
Ein tatkräftiger, gefürchteter Führer schlichtet dann und
zwingt seine Leute,
Sich seinem Gebot zu fügen.
Abends aber, draußen vor den Stadtwällen
Wo sie in Lager liegen,
Stürzen sie mit rauher Hand über die Weiber her,
Und man hört im Nachtdunkel den Schrei der Notzucht
vergellen.
Am Tag aber geht der Marsch weiter und dröhnt die Erde
von dem zahllosen Heer.
 
Fern
Unter Palästinas Himmelsbrand
Krümmt ein fahlgoldner Halbmond seinen feinen Rand
An jener Stätte, zu der der Stern
Einst die Schritte der Hirten und Weisen gelenkt.
Und auf das Grab nieder, in das man Jesus Christ gesenkt,
Im Triumph ein grünes, goldbefranstes Banner sich bläht
Und dunkle, harte Jahrhunderte hindurch seinen Schatten
drüberhin weht.
 
Im Land von Clermont aber man einen Mönch vernahm:
„Wollt ihr erlöst sein aus eurem Sündenschlamm
Und in eurer Todesstunde dermaleinst eingehn zu Gott,
So befreit das Heilige Land aus seiner Not!
Erbrochen steht das Grab, in dem Jesus Christ drei Tage
lag in Todesstarre,
Und schreit in die Welt hinein aus seine Schmach, daß es
Beistand erharre,
Und daß sein Stein noch raucht von frevlerisch vergossenem
Blut.
O göttlicher Ruf in deiner Langmut!
Bis zu diesen Zeiten hast du nur ein taubes Echo geweckt;
Doch die Stunde ist da, wo einmütige Erhebung sich
aufreckt
Und sich stählt mit einer neuen Kraft!
Hadert nicht
Um den Strohhalm eines Rechts und eine nichtige Pflicht!
Barone, Grafen, Herzöge, Könige: seid bereit,
Brecht nieder das schwarze Geäst eurer Haßsprödigkeit!
Nicht Herren: eurer Länder Kreuzfahrer seid!
Und nur ein einziger Ehrgeiz über dem Abendland glänze,
Allüberall bis zur äußersten Grenze:
Gerüstet zu sein mit unablässiger Eifersglut,
Und im fernen Land zu verspritzen sein Blut,
Damit Europa aller Welt auferlege sein Gebot!
Verlaßt eure Häuser; Gott selbst wird über sie seine Hand
breiten!
Bis nach Judäa hört man euer ehernes Schreiten,
Euren Schritt, der von überall droht
Wie ein mit nächtiger Finsternis aufsteigender Orkan
Auf seiner Bahn
Durch das Deutsche Reich,
Über Donau und rauhen Alpensteig,
Über den Bosporus durch Asia,
Durch Aleppos Damaskus sonnenheißes Gelände,
Und immer weiter, näher, bis eure Fahr am Ende
Und ihr eines Abends euer Lager schlagt unter den Mauern
von Antiochia.
Auf! Dem Sieg entgegen! Gebenedeit eure Glut
Und eures Fiebers heilige Wut!“
 
Als sie aber zwischen Buda und Belgrad zogen
Mit gelockertem Bügel und helmfreiem Haupt, pflogen
Tankred und Bohemund eine vertrauliche Unterhaltung
Über die Rede des Mönchs und ihren so feurigen Schwung.
Nichts hatten sie von den hohen Worten verstanden;
Für sie blieb jeder Ausländer ein Feind in allen Landen;
Hier war der Moslem mit dem räuberischen Angelsachsen
Und dem Deutschen auf einem Strauch gewachsen.
Doch als sie am Sonntag zu Varna das Gotteshaus betreten
Und mit den anderen zu Gott beten,
Wandelt sich plötzlich ihr stolzer Geist
Unter dem hohen, weißen Gewölb der Basilika, als freundlich
nach oben weist,
Und mit gleicher Andacht wie alle nahmen sie das geweihte
Brot,
Das der weiße, ekstatische Priester ihnen darbot;
Und wie sie das gleiche, dargebotene Kreuz küssen im
Verein,
Glauben sie unter diesem fremden Himmel doch in der
Heimat zu sein.
 
Doch als Gottfried betreten asiatisches Land
Und er sich als der erste dem heidnischen Unglauben gegen-
über befand,
Den stolzen Sultanen im edelsteinfunkelnden Seiden-
gewand
Und den Völkern, vom Wüstenwind braungebrannt,
Konnte er an diesen Fremdlingen nichts finden,
Außer blinden
Greuelvollen Mißglauben und blutigen Sündenkot,
Und begriff nichts von der glühenden Klarheit,
Die ihnen ins Herz strahlte eine andere Wahrheit
Und ein ander Gottesgebot.
 
Fern am flachen Horizont
Liegt Zion mit seinen Minaretts vom Abendstrahl besonnt;
Von seiner Höhe herab unerschöpflich lang
Dehnt von Terrasse zu Terrasse der Muezzin seinen Gesang.
Und Gottfried bedenkt fromm empört,
Wie das heilige Licht, des Heilands Grab und Mariä Haus
Täglich dieses frevelnde Gebet hört,
Und wie dieser Mensch die heilige Reinheit dieses Himmels
befleckt mit seinem Graus.
Ein einziger riesiger Ansturm: und die Stadt wäre sein!
Aber seine Krieger liegen erschöpft an den Wegen,
Und gebrochener Mut und Ungeduld erregen
Schon den Aufruhr in ihren Reihn.
Daß doch vom Abendland her schon frische Krieger kämen!
Doch seine Eifersglut muß er noch bezähmen.
Als die ersten kamen
Die von Vexin und die Vlamen.
Und bald war mit gefalteten und flatternden Fahnen
Das ganze stolze Heer beisammen.
Seine Schritte gemahnen
An ein Erdbeben,
Das jeden Augenblick losbrechen will mit gewaltiger Macht.
Die Aquitaner erheben,
Mit ihrem Marschschritt in ruhigem Einklang,
Einen feuerlichen Lobgesang.
Der sich in der Ferne bei den Normannen, Sachsen und
Slaven weiterentfacht.
Ein einziger kribbelnder Schritt scheint die Scharen zu
bewegen,
Und der Glanz des syrischen Himmels
Trifft sie mit schrecklichen Funkellichtern, die sich wie
laufende Wellenspur erregen
Von einem bis zum andren Ende des tosenden Gewimmels.
 Nachtrast und hurtiger Aufbruch im Frührotschein.
Und plötzlich, als es noch einmal getagt,
Vor ihnen sich erhebend im grünen Kranz seiner Hügelreihn
Jerusalem, hoch von Palmen überragt.
So ungeheuer war in Staub und Abenddunkel das Gebrause,
Daß man hätte sagen können: der Boden selber risse
Ihrem Ziel entgegen diese Myriaden Füße.
Die Luft ist im Aufruhr von einem Sturmgesause;
Kräfte entbunden, die sich ins übermenschliche Wundersame
recken.
Vergebens bäumen Zinnen, Balken, Wassergräben,
Sturmeggen,
Felse, Türme, Mauern ihr Hindernis entgegen:
Der ungeheure Wirbel nimmt seinen Lauf,
Brandet mit jähem Ansturm wie ein reißender Strom an der
heiligen Stadt hinauf;
Kreischen das Torgebälk zusammenkracht,
Und es schlagen die Flammen hoch über die Mauer entfacht
Und heben Berg Golgatha mit düstrer Glorie hervor aus
der Nacht.
 
O machtvolle, jähe, junge Siegglorie,
Würdig ihrer Gefahr,
Die eine linke Geste noch , im fernen Dämmer der Historie,
Eines seiner Einheit zugewandten Europa war!


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