|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.2
Gedichte -
Emil
Verhaeren
Die
Hohen Rhythmen
Martin Luther
DIE
Klöster.
Wie hohe, lichte Stirnen
sah man
sie in alten Tagen
Aus Waldtiefe und von
Berghöh her
in das Land hineinragen.
Ihre Türme waren wie
strahlende
Fanale,
Vom Himmel herab,
verklärten die
ewigen Sterne sie mit
ihrem Strahle:
Und so sandten sie von ihrer
Warte nieder zu Tale
Über Seen, Siedelungen
hin und
Au’n
Das unüberwindliche
Dogma und ein
wohlverschanztes
Gottvertraun.
Für alle dachte Rom,
Doch sie waren Roms
Gedanke.
Und so ward von ihnen
gebändigt
der große Menschenstrom,
Der mit wildem Wirbel
dahintreibende, widerspenstige,
schwanke.
Überall, von Burg zu
Burg, von
Stadt zu Stadt, umspann
Die Hirne ihrer
Autorität
gewichtiger Einfluß und Bann.
Alle Völker in Süd und
Norden
Waren der Leib ihres
geheiligten,
schrankenlosen Willens
geworden.
Sie wußten Gott mit frostigen
Syllogismen zu umhüllen
Und die festen Herzen
der Könige
mit Furcht zu erfüllen.
Niemand wagte auf seiner
Seele Altar
Eine Flamme der Andacht
zu
entzünden, die nicht die ihre
war.
Tausend Jahr,
Dank ihrer festen,
wachsamen
Kraft,
Menschliche Leidenschaft
In ihrer Hand wie ein
Schwert in
seiner Scheide war.
Nicht mehr fühlte sich
der Geist
gelüftet und gelichtet
Durch herbe Vernunft,
Tot war die suchende
Frage; man
glaubte verpflichtet
Und nach eingewurzelter
Übereinkunft;
Gehetzt war der frische
Zweifel
von Land zu Land
Wie ein Tier,
Und des Todes war,
wessen
Verstand
Schwang der
Menschenwürde Panier.
O, dieser große geistig
christliche Himmel, despotisch
gespannt
Mit seinen Normen über das
ganze
Abendland!
Wer sollte ihn angehn,
hoch da
oben, über seinen
Alpenzinnen?
Das war ein feuriger Mönch mit
festen Zielen und Sinnen,
Der zwei Willensfäuste
ballte
unterm Ordensgewand
Und vor der Menschheit
aufrichtete ein deutsches Land!
Die kahlen, frostigen
Texte
dünkten ihn ohne Seele,
Sie glaubten sich
ragende Bäume
und waren trockne Pfähle;
Unter dem Buchstaben lag
der
Geist erstickt und matt,
Und der Papst in seiner
fernen
Marmorstadt
Trieb mit dem Himmel
Schacher und
stellte die göttliche
Gnade in Kauf;
Überall hob krauses Geschnörkel
die feste Linie auf
Und verbarg des wahren
Tempels
erhabene Pfeiler,
Die Hände feiler
Pfaffen schien schnöde
Goldklumpen in den Boden der
Christenheit zu sä’n,
Und menschliches Bittgebet
sollte
unter Schutz und Fessel
eines ganzen Volkes von Heiligen stehn;
Der persönliche Notschrei des
Menschen aber hatte keine
Schwingen
Zu Gottes Thron.
Aber ob ihn rings in der
Nacht
des Zeitalters fanatische
Wutfäuste umringen
Und drohend geschwungene
Krummstäbe sich gegen ihn
zücken,
Und alle verschimmelten Dekrete
und Anatheme der Welt
gegen sein Hirn anrücken
Und ihn mit wilder Rachewut
noch
übers Grab hinaus
bedrohn:
Nichts vermochte Martin Luther
zu
verhindern, im
Morgenschein
Des neuen Tags ein Denker von
eigenen Gnaden zu sein.
Um so, indem er selbst
war, alle
zu befrein.
Ein‘ feste Burg aufrecht
sein
Gewissen ragte,
Seinem Herzen nah bei,
Die Bibel ihm nicht Bann
noch
Fessel besagte
Und blöde Textsklaverei:
Ein Garten war sie ihm,
drin
goldne Blüten prangen
Und jedermann nach Trieb
und
Verlangen
Wählt die Blume, die er
liebt,
ißt die Frucht, die er will frei,
Und wo er unter Gottes
Himmel
selber unterscheidet
Den Weg, der ihn auf zu
seinem
Gotte leitet.
Wieder, nach langen
dunklen Läuften,
stand
Das Leben offen einem
gesunden
Glauben, frei zu Gott
entbrannt
Endlich öffnet sich der
Menschheit freie Bahn,
Führt junge
Menschenwürde sie zur
Vollendung hinan.
Es macht nichts mehr,
daß Roms
Bannfluch kracht:
Unterm Wetter hat Luther
seine
Ernte heimgebracht.
Aus seiner germanischen
Seele
seine Kraft ersproß.
In die die ganze Natur
ihren
Schauer ergoß.
Als Mann der freien
Leidenschaft
frei er sich bekannte,
Kelterte aus des
Fleisches
Weinstock frei seinen Wein;
Unablässig das Leben in
ihm
brannte
Und die rauhstarke
Freude, in
Gefahr zu sein.
So heiter wie
schrecklich ist er
von muntrem Humor
Und ein zäh hartnäckiger
Disputator.
Von allen Strömen der
Liebe,
Wildbächen des Hasses
entbrannt,
Hält sein großes Herz ihren
Wirbeln stand,
Ewig rastlos er, selbst
wo er
triumphiert.
Und als der Tod vom
Herzen ihm
ansteigt zum Hirn,
Ist’s als ob die Nacht
mit
schwarzem Fittich rührt
Von Fels zu Fels hinauf
die
Flanke und den Gipfel einer
hohen Firn.
zurück
Michelangelo
ALS
Buonarroti eintritt in die
Sixtinische Kapelle,
Vereilt er an Ort und Stelle
Und erhebt lauschend das
Ohr,
Schickt einen Blick zur
hohen
Wölbung empor
Und mißt dann den Weg
vom Altar
zum Portal,
Merkt auf, wie der
Sonnenstrahl
Zum Fenster eindringt,
und wie er
bändigen und
einstellen muß
Die lichten, feurigen Rosse
seines
Genius;
Und alsdann begibt er
sich fort
und schweift bis zum
Abend im freien Land.
Die Massen des Gebirgs,
der Täler
Band
Bevölkern sein Hirn mit
ihren
machtvollen Konturen.
Er beschleicht in
majestätischen,
knorrigen Baumkronen,
In denen rauhe, raufende
Sturmkräfte wohnen,
Spuren;
Sieht Rücken sich
spannen, Rümpfe
sich runden,
Große exstatische Arme
zum Himmel
emporgewunden;
So sehr, daß in diesen
Augenblicken alle Menschheit –
Geste, Bewegung, Ruhe,
Haltungen,
Stellungen –
Sich erweitert zum
Ausdruck von
aller Dinge Wesenheit.
Und dann begibt er sich
wieder
heim durch die abendlichen
Dämmerungen,
Gleicherweise glorreich erhoben
wie mit sich in Mißklang,
Da es ihm nicht gelang,
Eins von all diesen
hohen
Gesichten
Vor seinem geistigen
Auge zu
einer vollkommenen Gestalt
zu beschwichten.
Am nächsten Nachmittage,
Als sein Mißmut wie eine
schwarze
Traube geschwollen,
Begibt er sich zum Papst
und
erhebt Klage:
„Weshalb wollen,
Daß ich, Michelangelo,
an solch
einen Vertrag gebunden
sei?
Weshalb mich zwingen, auf
hartem
Gipsbrei
An der hohen Wölbung
einer Kirche
eine heilige Legende
anzubringen?
Die Sixtina ist dunkel, ihre
Mauern sind schlecht gerichtet,
Selbst die grellste
Sonne lichtet
Nicht ihr Dunkel! Wie
und wem zur
Erbauung soll es
gelingen?
Solche Schatten bunt zu machen
und solche Finsternis zu
lichten?
Und überdies: Welcher
Holzfäller
sollte die Masse Holz
herrichten,
Die es braucht, so ein riesiges
Gerüst zu errichten?“
Aber der Papst zaudert
nicht zu
sagen:
„Man wird für Euch
meinen höchsten
Wald schlagen.“
Den Menschen, dem Papst
war, aller
Welt gram
Michelangelo, als er
wieder den
Weg nach Hause nahm.
In allen Gängen des
Palastes
fühlt er tausend Feinde im
dunklen Hinterhalt,
Und schon hört er ihr Gespött
über die düstre Gewalt
Und die großzügige
Neuheit des
Kunstwerks, das vor
seinem geistigen Auge ragt.
Selbst sein Schlummer ist nur
noch eine ungeheure
Hetzjagd,
Die sich mit wilden Gesten
gegen
seine Ideen anreckt;
Wenn er abends sich in
seinem
Bett langstreckt;
Glüht und gärt
Alles in ihm bis in den
Schlaf
hinein; in beständiger Auf-
regung ist er wie eine Flesche.
Die ein Loch in eine Mauer
bohrt
und zuckt in der Bresche;
Und daß seine tägliche
Pein sich
noch mehrt,
Ängstigt er sich auch
noch über
die Leiden und Klagen der
Seinen,
Und sein schreckliches Gehirn
scheint nur noch ein Brand
Von verheerenden Gluten
und
lodernden Flammen.
Doch je mehr er litt
Und Groll und Bitterkeit
in sein
Herz einschnitt,
Und je mehr er sich
selbst
Schwierigkeiten erhob
Und den wunderbaren
Augenblick
der Erleuchtung
hinausschob,
Der mit einem Schlage seine
Mühsal klären mußte,
Um so glorreicher
erstand in
seiner Seele, die ihre Kraft
wußte,
Das Werk in düster flammender
Schönheit,
Das ihn erregte mit so
viel
Triumph und Verzagtheit.
Es war in einer
Maifrühe, zur
Zeit der Hora,
Als Michelangelo
wiederkehrte zur
Sixtina,
Sein Hirn ganz erfüllt
mit Kraft.
Er hatte seine Idee gut
zusammengerafft:
Genauere, sichre
Gruppierung
Und machtvoll stolze
Linienführung
Standen vor seinem Geist
in
voller Offenbarheit.
Das Gerüst ragt so fest,
als ob
es das Firmament
Selbst anrennt.
Strahlendes Sonnenlicht
setzt die
Wölbung in Klarheit.
Hurtig stieg
Michelangelo die
Leitern hinauf,
Drei Sprossen mit einmal
nehmend
im Anlauf.
Unter seinem Lid flammte
ein junger
Schein,
Und liebkostend
betasteten da
oben seine Finger
das Gestein,
Dem er jetzt Glorie und
Schönheit
gab.
Dann stieg er eilig
wieder hinab
Und riegelte mit
entschlossener
Hand die Pforte ab.
Und so schloß er sich
ein für Tage,
Monde, Jahre,
Daß er eifersüchtig das
stolze
Mysterium wahre,
Das um seine mühsam
rastlose
Arbeit webt.
Jeden Morgen, wenn die
Sonne sich
erhebt,
Überschreitet er mit
dumpfem
Schritt die Schwelle,
Tritt ein in die Kapelle
Und schafft auf seiner
Leiter
Stumm und verbissen wie
ein
Akkordarbeiter;
Und so lange nur die
Sonne das
Mauerwerk lichtet,
Seine Hand ihr
unsterblich Werk
verrichtet.
Schon füllen
Ihre Hängebögen sechs
Propheten
und fünf Sibyllen
Und suchen den Sinn der
alten
Bücher zu zwingen,
Deren unbewegliche
Buchstaben
Ihnen das Vermögen
gaben,
Sehr bewegte Zukünfte zu
durchdringen.
Ein mit Quadraten
verziertes
Kranzgesims hin
Ziehn
Sich mit frischer
Bewegung schöne
lichte Körper. Die
Gebälke leben
Von der blühenden Fülle und der
goldigen Haut ihrer
Leiber und Rücken;
Gruppen von nackten Putten
bücken
Sich unter Giebeln; und
hier und
da heben
Ihre Gewinde Girlanden;
die lange
eherne Schlange
windet sich aus ihrer Grotte,
Judith trägt ihren Triumph über
Holofernes zur Schau,
Goliath ragt wie ein
monumentaler
Bau,
Und Haman schickt sein
Gebet
empor zu Gotte.
Ohn Fehlgriff und
Geschab, Tag
für Tag, ohne Rast und Ruh
Schritt das Werk seiner
Vollendung zu.
Bald in der Mitte der
Wölbung die
Genesis stand;
Man sieht, wie Gott mit
dem
dunklen Chaos kämpft, mit
Wasserflung und Land;
Und in der neuen, feurig
belebten
Weite
Haben ihren Ort die
Sonne und der
Mond ihr zur Seite.
Jehova schwang sich und
schwebte
hin und her in der Welt,
Von Glanz umstrahlt und
getragen
vom Wind;
Himmel, Meer und Gebirge
sind
Mit ruhig majestätischer
Kraft
jedes an seinen richtigen Ort
gestellt;
In Schönheit prangend befangen,
bebt
Eva und beugt das Knie
und hebt
zu ihrem Schöpfer empor
die zarte Hand;
Achtsam sieht man Gottes Finger
zu Adams Finger
hingewandt
Und wie Adam sich zu großem
Werk erhebt;
Kain und Abel rüsten
ihre
Opferbrände;
Und der versucherische
Dämon,
geworden Weib,
Ziert den ragenden
Lebensbaum mit
seinem üppigen Leib;
Unter goldnen Trauben
auf seinem
Weingelände
Fällt
Der trunkene Noah zu
Boden; und
mit nachtdunklem Flug
Breitet die Sündflut
ihre weiten
Wasserfittiche über die Welt.
Unter diesem Riesenwerk,
das er
ganz allein zwang,
Jehovas Schöpferglut
selbst
Michelangelo durchdrang;
Eine über sich selbst
erhobene
Kunst sprang aus seinem
Hirn hervor,
Diese Wölbung lebte von einer
neuen Rasse, die der
Schöpferwille erkor,
Majestätisch zu sein,
leidenschaftlich und gedankenvoll.
Herb und zuckend sprang
sein
Genius empor
Wie der von Dante und
Savonarol;
Die Lippen, die er
öffnete,
sprachen neue Laute,
Die Augen, die er
lichtete, sahen
ein neues Los,
Hinter den hohen Stirnen
und
Leibern, die er baute,
Raunte und zuckte seine
eigene
Seele tief und groß;
Von neuem schuf er, nach
seinem
Herzenstrieb, Mensch
und Welt,
So glorreich, daß er denen, die
zu der lateinischen Ruhmes-
glorie wallen
In der Sixtina Hallen,
Seine eigene allmächtige
Geste in
der Gottes hingestellt.
An einem kühlen Tage im
späten
Jahr
Vernahm
Man endlich, daß die
Arbeit in
der Kapelle zu Ende kam
Und daß das Werk gut
gelungen
war.
Das Lob erhob sich wie
Meerflutschwall
Mit hitzigen Wogen und
hellem
Schall.
Julius der Zweite aber,
der
Papst, hielt sein Urteil in Hut,
Und sein Schweigen
brannte wie
Feuersglut.
Der Künsler entfloh in
seine
Einsamkeit
Und versenkte sich, wie
in ein
Glück, wieder in sein altes
Leid.
Und seine Wut, sein Stolz, sein
seltsamer Trübsinn schwer
Und der alte, nagende
Zweifelswurm
Wäzten sich wie ein
tragischer
Sturm
Wieder über
Michelangelos Seele
her.
zurück
oben
weiter
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|