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04.2
Gedichte -
Emil
Verhaeren
Die
Hohen Rhythmen
Die Stadt
WÄRS Herr auch der Idee,
Allmächtig wäre Geld;
Doch im langsamen Lauf der Zeit
Hat die Stadt
Im Guten wie mit Aufsässigkeit,
Im machtvollen Fieberbrand wie
mit stiller Tätigkeit
Erhellt
Die Idee.
Zuerst war es bloß
Das Los
Von Philosophemen und Gedichten,
Die Umrisse zu fassen,
Die Linien festzuhalten dann und
das Volbild zu lichten,
Während die Massen
Sie empfingen,
Um sie zu ihrem Leitstern zu
erheben,
Und sich ihr mehr mit ihrem Blut
Zwar als mit ihrem Nachdenken
hinzugeben:
Doch diese Glut
Mit ihrem ungeheuren, freudigen
Erbeben
Mußte die Idee erst mit wahrer
Kraft durchdringen.
O unablässige Arbeit, Stunde für
Stunde, Jahr für Jahr!
Was zuerst nur Gärung und
Traumbild war
In tiefen Geistern,
Sollte bald die ganze Welt
durchhallen und meistern.
Und dann
Warfen die, welche gekrümmten
Nackens in den Minen
die
Erde durchwühlten
Und
ein tausendjähriges Los auf
sich lasten fühlten,
Bürde und Bann
Ab und erhoben den Rücken;
Und die Worte, die plötzlich aus
der Druckerschwärze
So befreiend bestricken,
Gewinnen, wie sie aufblühn in
Hirn und Herze,
Einen Inhalt neu und tief;
Der aber, der sie Feierabends auf
den öffentlichen Plätzen
ausrief,
Erhöhte
noch ihre tragische
Gewalt;
Ihre Silben schienen aus Erz
geballt,
Um die menschliche Hoffnung zu
rüsten und zu wecken,
Und unter Furcht und Schrecken
Zu verbreiten der lebendigen
Wahrheit
Sturmgeläut.
Und eines Tages wurde in den
Gären, die der Pomp der
Könige
errichtet,
Mit
einem Schlag von blutigen
Händen die gefürchtete
Laube
vernichtet,
In
der die Gesetze hängen;
Vergeblich bemühen sich überlebte
Satzung und greises
Dekret,
Die
Erhebung der Gerechtigkeit
ins Dunkel zurückzu-
drängen,
Da
die Revolte auf dem Recht der
Macht steht;
In einem Wirbel von Pulver und
Staub ruckt
Und schleudert sie ihren Blitz,
der plötzlich über die Pforten
der
dunklen Paläste hinzuckt;
Und
hätte sich ihr Aufschwung
nicht zu wild gereckt,
Der ansprang ohne Richtung seiner
Kraft,
Mit einem Schlage hätte sie die
wankende alte Welt dahin-
gerafft,
Wie
einen Baum, dessen Rinde
schon die Lohe leckt.
Schon längst liegt die Revolte
uns im Blut
Und pulst unser Herz heimlich von
ihrer Glut;
Selbst die ihr fluchen, müssen
sie erleiden
Und fühlen sich von ihrer großen
wilden Geste
Herausgeschleudert aus dem warmen
Neste
Ihrer überkommenen Gewohnheiten.
Und so muß sie sich bekunden
Als gute, dauerhafte
Notwendigkeit
Selbst in den Befunden
Der Gelehrten, die den Verlauf
der Zeit
Erforschen, und verbleibt im
alten Abendland
Der Feuerbrand.
Den man so fürchtet wie erwählt,
Und der im feurigen Sturzbach
seiner Brände stählt
Die alte, hinkende, kalt
gewordene, sterbende Gerechtig-
keit.
Kampf und Macht, Haß und Liebe, Rent′ und Arbeit,
Not, Stolz, Ansturm und Rückzug,
Sieg und Niederlage:
Wie fiebern unsre Stunden,
schauern unsre Tage
Von eurem wechselvollen
Widerstreit!
Die Stadt vernimmt euch, lebt von
eurer Glut,
Von ihrem Pflaster bis zu ihren
Firsten fühlt sie von euren
Schauern
Sich
schüttern und erdröhnen; ihr
Jubeln und ihr Trauern
Und ihre Fahnen wallen vom Hauch
eurer Wut.
Sie ist alt, so alt, so oft sah
sie das Leben leiden
An seinem unterdrückten Zorn und
seiner verhaltnen Kraft:
So muß sie jeder noch so dunklen
Geste achten und sie
unterscheiden,
Mit
der ihr euch der Zukunft
entgegenrafft,
Und liebts trotz allem, wär sie
auch selbst bedroht
Und gält es ihren Göttern, ihrem
Ruhm und allem, was sie
war,
Von
Alter zu Alter, daß sie
tragisch loht
Von einer immer neuen, glänzenden
Seele der Gefahr.
zurück
Das Volk
MIT Donnerton
Kündete
sich da unten das Fest
an, seit Morgen schon.
Wie
in einer jähen Revolution
Schmückten
noch mit Silber- und
Goldstaat
Tausend
flinke Hände in fiebernder
Erregung
Selbst
Wagendeichsel und Rad.
In
der Nähe der Umwallung,
Wo
sich in den Alleegängen
Hochgewachsene
Soldaten in
buntscheckigen Tuniken
drängen,
Wiehern
die Pferde gegen das Meer
hin.
Unter
einem Schuppen aus Eisen
und Glas
Entfachen
Sich
die Banner und Flaggen,
Und
die Sonne, die zu den
Fensterscheiben eindringt,
Schwingt
Ihe
Lichtreflexe über die Fahnen
hin.
In
der Ferne aber hissen in Docks
und Hafen
Alle
Schiffe ihre Flaggen
Und
zieren
Ihre
Bords mit Wimpeln; und lind
Klingt
ihr Tauwerk im Wind
Wie
Lyren.
Selbst
im stillen
Kirchspielviertel und in den Sackgassen
Fassen
Die
Häuser sich in muntre Zier.
Auf
Dach arbeitet man und flacher
Erde
Unter
lustigem Gewirr von Wort
und Gebärde
Bei
einem aufmunterndem frischen
Glas Bier;
Alles
war in eifriger, fröhlicher
Tätigkeit;
Weit
und breit
Wimmelte
die Stadt bereits bis zu
ihrer äußersten Grenze
Von
Mutwilligen und Geglänze,
Bevor
noch die eigentliche
Festfreude sich entfacht in der
Runde.
Doch
in selber Stunde
In
seinem Heim
Überlegt
der, für den im Verein
So
viele sanfte, naive, rauhe
Herzen schlagen
Geheim:
Welches
Wort tragen
In
diese tosende, singende,
freudetolle Menge hinein?
Als
er ihr Hort war, ihr Führer
und Rat,
Hatte
er wohl das Wort gefunden
für ernste Stimmungen:
Doch
welche Gebärde hat
Er
für die trunkenen Zuckungen
Ihres
triumphierenden
Aufschwungs?
Hundert
Glocken ließen ihre
Klänge durcheinanderwogen,
Verflogen
In
die flammenden Lüfte hinein,
In
den Donner des Festes bis über
die Wälle hinaus,
Im
Verein
Wechselseitiger
Unterhaltung von
allen Seiten ihr ehernes
Gebraus.
Und
plötzlich kam
Und
ließ in die Länge und Weite
zum Ganzen
Ihren
dumpfdröhnenden Brummbaß
tanzen
Auch
Notre Dame.
Und
nun wogen
Wie
eine einzige mächtige
Umarmung hingezogen,
Über
die Straßenkreuzungen und
hervor aus den Gassen,
Ihren
verwirrten Tribun zu sehn,
Die
ewigen Massen.
Mitten
auf dem Marktplatz,
Wo
von den Giebeln großer
geschmückter Triumphbogen
Zahllose
Oriflammen wehn,
Tritt
ein Chor
Frauen
hervor,
Üppig
von Nacken und breit von
Hüfte;
Mit
ihren Händen heben sie ihre
Kinder vor sich hin, hoch
hinein
in die Lüfte,
Damit
in das festliche Gepränge
Auch
der frische Jubel der
Zukunft mit einklänge.
Von
blauen Arbeitsjacken und
schwarzen Schürzen über-
strömts
von den Bürgersteigen,
Und
die Gitter der Schulen
weichen
Unter
dem muntren Gedränge
Der
frischen, jungen
Gymnasiasten;
Die
Arbeiter von den Docks,
Arsenalen und Werkstätten
hasten
Von
Straße zu Straße in dichter
feuriger Menge.
Und
dies alles stieg an und stieg
an mit seinem Drang
Über
die Gabelungen hin, die Avenueen
entlang,
Daß
es schien, als müßten die
Mauern einfallen
Von
diesem ununterbrochnen,
ungeheuren Wallen.
Fenster,
Balkons und Türen
wimmeln von ausgestreckten
Armen
Und
verfolgen die gewaltige,
schütternde Hatz,
Die
mitten auf dem großen Platz,
Schwall
für Schwall,
Aufstaute
ihren Menschenwall.
Hier
erwartete auf der Terrasse
Die
Masse,
Projekt
auf Projekt in seinem
Geiste wälzend,
Der
Triumphator.
Solange
er wirklich ihr Meister
gewesen,
Hatte
die Stadt und ihre Notlage
sein Wesen
Gehoben;
doch in diesem
Augenblick
Warfen
ihn all diese nie erlebten
Zurufe auf ihn selbst zurück
Und
verwirrten sein Gemüt.
Und
wie die goldflammende
Sommermittagssonne glüht
Über
dieser Masse mit ihrem
aufspringenden Geschrei und
ihren
begeisterten Gebärden,
Da
muß sein Herz versinken in den
Wogen der Freude,
Und
er wird dieses Festes Beute;
Immer
mächtiger und machtvoller
fühlt er es werden;
Selbst
die Türme und Gebäude
Scheinen
sich zu erheben
Und
unter diesem
Begeisterungsfieber selbst die toten Dinge
zu
leben.
In
der Ferne sieht er selbst das weite Meer
Machtvoll
herantreiben mit seinem
flutenden und ebbenden
Hin
und Her,
Um
gleichfalls mit seiner
Brandung, seinem mächtigen
Sturmodem
und seinen grünen Flutenscheinen
Sich
dem Getöse der
freudetrunkenen Menge zu einen.
Zu
karg und matt ist der Stolz in
ihm,
Als
daß sein Leib ertrüge dieser
großen Kraftthythmen
Ungestüm;
Sein
Gedanke weilt nur bei dem öffentlichen
Leid,
Dem
er einst begegnete in der
schlimmen Zeit,
Und
wie damals seufzt er.
Jäh
stockt der Flug seiner
Gedanken;
Seine
Munterkeit fühlt ihre Kraft
wanken;
Und
in diesem Augenblick lockerte
sich das goldne Band,
Das
die Stadt mit ihrem Tribun
verband.
Die
wunderbaren Strudel der
Begeisterung
Berührten
seinen Leib, doch gaben
seiner Seele keinen
Schwung;
Sie
schmerzten wie Wut,
Fanden
in seinem Herzen nur Asche
für Glut;
Ihre
Kraft war ihm nicht klar;
Ach,
er war
Nur
der Mann einer einzigen Idee.
Und
wilder erhob sich der
festliche Braus
Und
schlug mit einem riesigen
Sprung über ihn hinaus.
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