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04.2
Gedichte
Emil
Verhaeren
Hymnen
an das Leben
Vorwort zu Hymnen an das Leben
Stefan
Zweig
Nicht
so sehr eine engere
Auswahl aus dem gesamten poetischen Werke Emile Verhaerens sollen diese
Gedichte geben, sondern einzig das ethische und neureligiöse Resultat
seiner
lyrischen Anspannung, die ein reiches, schmerzlich und beglückt
schaffendes
Leben umfaßt. Nicht Rückblick und Vergangenes, verkürzte
Zusammenfassung einer
Entwicklung wollen sie bieten, sondern Ausblick auf ein stärkstes
zeitgenössisches Empfinden, Botschaft, die nicht mehr an einzelne,
sondern an
eine Generation sich wendet. Die hier ausgewählten Gedichte stammen
alle aus
den letzten zehn Jahren und haben ihre Einheit in der bewußten
Lebensfreudigkeit,
die mit Optimismus zu unkräftig benannt wäre, weil hier die vitale
Beglücktheit
nicht beschaulich als Weltbetrachtung, sondern ekstatisch werbend als
Weltkultus
wirkt. „Hymnen an das Leben“ habe ich mit Verhaerens Einverständnis
diese,
breiteren Kreisen gewidmete letzte Lese genannt, um mit der religiösen
Inbrunst
auch den Gott zu deuten, dem sie dient.
Wer
von diesem Ziele aus
die Wege wissen will, die Verhaeren zu einer so beglückten Einheit des
Weltempfindens emporführten, sei auf meine dreibändige Ausgabe im
Insel-Verlag
verwiesen und im weiteren auf die Nachdichtungen einzelner lyrischer
Werke, die
sie organisch zu ergänzen sich bemühen. Sie werden, wie bei jedem
künstlerischen Werke, dartun, daß bewußte Einheit des Lebensgefühles
immer eine
umbewußte des Welt- und Werkwillens voraussetzt und daß selbst den
Großen ein
erhobenes Weltgefühl nie vom Schicksal geschenkt, sondern immer erst
schmerzhaft dem Leben entrungen wird.
zurück
Gefühl
der Gegenwart
In
diesen Abendstunden, da
des Himmels ferne Weiten
In
Nebel schwinden, müd im
Dunste sich verziehn,
Schreit
ich gelassen, doch
ganz ohne Traurigkeiten,
Über die Erde, voll von Toten, hin.
Stark
laß ich, daß sie′s
hören, meine Schritte klingen,
Damit
im dumpfen Schlaf sie
derer denken, die
Die
Welt aus neuer Glut,
mit reiferem Vollbringen
Nun herrlicher vollenden als einst sie.
Denn
sie, sie wollen nicht,
daß unfruchtbare Klagen
Tränend
hinrauschen über
ihrer stummen Gruft,
Sie
wissen wohl, daß unsrer
Werke stolzres Ragen
Auch unsre Lust und Freude höher stuft.
Ihr
Geist lebt uns
tiefinnen, doch nicht zu veriwrren
Sucht
er uns in der
Labyrinthe dunklem Gang,
Von
ferne reden sie und
sanft wie Bienenschwirren,
Doch uns nur, uns allein, ziemt der
Gesang.
Denn
unser ist die Stunde!
Und das Licht, das schöne,
Die
Erde, Flüsse und die
Kräfte all, die sacht
Mit
surrendem Geschwärm
durchs Weltall tönen,
Sind einzig unsern Werken zugedacht.
Anders
sind unserm Herzen
Götter, Menschen, Zeiten
Als
je dem Einst, anders
Gesetz und Gleichgewicht,
Wir
wurden anders an den
andern Ewigkeiten,
Und neue Kraft stählt unsre Zuversicht.
Auf
denn, irdisch
Vollbringen, irdisch heißes Wollen,
So
hoch empor, als Glut und
Geist euch Schwingen leihn,
Denn
Haß und Liebe, ewig
neue für uns sollen
Sie ob der Erde, voll von Toten, sein!
zurück
Die Freude
O
schöne
Tage, früh schon glutgesäumt!
So
starken Duft haucht
das erwachte Land
Aus
heißer Brust, daß, trunken übermannt,
All
unser Sein sich auf zur Freude bäumt.
Ihr,
meine Augen, laßt euch danken,
Unter
der Stirn, die Alter schon
umwittert,
Noch
hell genug zu sein, das ferne Blinken
Des
Lichtes gierig in euch einzutrinken,
Ihr,
Hände, daß ihr in die Sonne zittert,
Ihr,
Finger, froh, die Früchte zu
liebkosen,
Die,
goldne Ketten, schwisterlich den Rosen
Von
allen Mauern taufeucht niederschwanken!
Dank
dir, mein Leib,
Daß
du stark geblieben, geschickt und
geschwind,
Um
dem Ansprung zu trotzen von Welle und Wind,
Dank
euch, ihr Lungen,
Breitatmende
Brust,
Daß
ich meerwärts und hoch in der Gipfelkühle
Die
Luft, die klar um die Welt sich
geschwungen,
Strahlend
und stark in mich einquellen fühle!
O du
sanfte Schönheit der
festlichen Morgen,
Die
reinen Rosen, vom Frühtau besprengt,
Die
Gärten, in Lichtglanz und Schatten geborgen,
Die
Vögel, wie weiße Verkündigungen
Von
fernher auf unsere Stunden gesenkt!
Ich
liebe euch, glitzernd im Sonnenglaste,
Ihr
Wege, auf denen Sie einstens kam,
Mein
Schicksal in Händen.
Ich
liebe euch, Horste und trübe Moraste,
Und,
Erde, dich bis zu den untersten Enden,
Die
meine Toten aufnahm.
In
allem ist mein Sein, was ringsum bebt;
Ihr
Wiesen, Steige, Eschen, die ihr fernher
funkelt,
Du
klarer Quell, den Schatten selbst nicht
dunkelt,
Ihr
werdet ich, seit ich euch voll erlebt.
Unendlich
ist mein Sein in euch verlängert,
Was
Traum einst schien, schafft nun Erlebnis
mir.
Ihr
schönen Bäume, die ihr goldgeschwängert
Am
Horizonte harrt, mein eigner Stolz seid ihr,
Und
wie sich eure Stämme Ring an Ring
verstärken,
So
stählt mein Wille sich in täglich neuen
Werken.
Und
wenn ihr Rosen der leuchtenden Gärten
Mein
Antlitz umschmeichelt, so spüre ich Funken
Auf
meinen Wangen wie brennenden Kuß.
Alles
ist Schönheit, Gewalt und Genuß!
Und
so trunken
Fühl
ich mich selber vervielfacht werden
In
allem, was flammt und lodert auf Erden,
Daß
mein Herz ekstatisch aufschreien muß.
O
Schauer und Glut, aufzuckender Schwall,
Als
höbe dich eine unfaßbare Schwinge
Aufwärts
ins All!
Und
fühlst du dich teilhaft der ewigen Dinge,
Dann
darfst du in böser Zeit nicht mehr klagen;
Wie
gierig die Qual auch in dich einwühlt,
Mußt
du dir sagen:
Ich
habe in jener letzten Sekunde
Die
große, die einzige Freude gefühlt,
Das
wunderbare Traumbild war mein,
Mein
Herz in den Pulsen der Dinge zu tragen,
Sie
ließ mich es ahnen, die eine Stunde,
Gottgleich
zu sein!
zurück
Rings um mein Haus
Damit
mein Herz klar, rein und beständig
Mit
sich selber im Einklang walte,
Bewundre
ich alles, was ringsum lebendig
In Natur und Menschheit sich
tätig entfaltet.
Der Winter verging,
aus März ward es Mai,
Knabenhaft
froh kommt Frühsommer herbei.
Auf
den Glyzinen, den taufrischen, feuchten,
Glimmern
und leuchten
Im
Sonnenglanz
Die
braunen, die blauen, die grünen und gelbrot
gefleckten
Millionen
Insekten
In
seligem Tanz.
O wie
zauberisch ist ihres Flügels Gewebe,
Ihr Körper wie
Nadeln so niedlich und spitz,
Und
wie zart sie die Fühler, die Füßchen heben,
Wie
wundervoll, wenn sie in Tropfen von Tau
Auf
glitzerndem Grashalm sich strähnen und spiegeln!
Wie
sicher ihr Flug doch ins Ferne flitzt!
Ihr
gläsernes Mieder von buntem Email
Beschämt
des Wassers oft wandelndes Blau.
Dank
meinen Augen, darin sie sich spiegeln,
Fühl
ich selber mich flüchtigen Teil
Ihres
funkelnden Lebens, o, und ich fühle
Ihren
Aufruhr und all ihre Spiele mit ihnen,
Ihr
Schwirren und Irren, ihr liebend Begehren
Und
ihren Kampf um die lila leuchtenden Beeren.
Mein
Herz folgt ihrer vergänglichen Spur,
Wenn
sie dann aufwärts im Lichte verschweben,
Atome
von Feuer, goldene Funken,
Stäubchen
von Schönheit, Splitter vom Leben
Der
wunderbar waltenden Allnatur!
Ich
räume ihnen alles vom Wege,
Was
sie gefährdet, den tückischen Trug
Der
Spinnengewebe, die klebrigen Laken,
Und
verscheuche die Vögel auf ihrem Flug,
Sie
plötzlich zu packen.
Ich
umhege
Mit
Sorgfalt ihre winzigen Werke
Gegen
unerwartete Feindlichkeiten.
Meine
Kunst begeistert
Sich
täglich an den vollkommenen Dingen,
Die
sie erschufen aus Nichtigkeiten.
Ich
bewundre ihr Häuschen, der Flügel Stärke,
Die
sicher und planvoll die Ferne bemeistern,
Ihr
geschicktes Bewegen und wie sie mit kleinen
Schwingen
hingaukeln im Sonnenscheine. -
Und
wenn sie fern sich verlieren im hohen Azur,
So
dünkt mich immer, sie schwanden nur,
Um
mit den klaren Gestirnen sich dort zu
vereinen.
Aber
nun wandert Schatten und Licht über den
Garten,
Durch
die Luft schwirrt zitternder Wespen Tanz.
Längs
der langen und hell verschlungenen Wege
warten
Mohn
und Frührosen mit flackerndem Glanz.
Selbst
nun, da der Sommer erst halb erblüht
In
der Hügelkette schimmerndem Golde
Und
im blinkenden Feld sich gelagert hat,
Scheint
jedes einzelne Blumenblatt
Wie
ein malvenfarbenes Augenlid,
Das
die Sonne mit wärmendem Strahl durchquillt.
Die
kleinste Dolde,
Der
ärmste unter den Blütenfäden
Bietet
so buntgewebtes und holdes,
Feingezeichnetes
Linienbild,
Daß
vor einem jeden
Das
suchende Auge in frohem Genuß
Sich
neigen und selig verweilen muß.
Doch
auch der purpurne Juli lenkt
Weiter
den wandernden Weg des Jahres.
Nun
kommt
Eine
mattere Sonne und mit ihr der Regen,
Der
sanft und fromm
Und
voll Schonung für ihre wunderbaren
Farben
die zarten Blumen umfängt.
Und
so zaghaft wie er
Drücken
Auch
wir, ohne sie abzupflücken,
An
ihre Lippen den zärtlichen Mund.
Und
unserem Herzen ist,
Da es
der Blumen brennende Schönheit küsst,
Der
eine unterirdisch waltende Kraft
So
reine Form und Gewalt gewährte,
Als
küßte es in dieser Sekunde
In
dunkler Wollust und Leidenschaft
Die
leibhaftigen Lippen der Erde.
Die
Insekten, die Blumen, die Zweige durchsetzen
Mit
ihrem winzig verwobenen Sein
Das
Dorf und die Heide. Mit leisen Netzen
Spinnen
sie ringsum mein Häuschen ein.
Nachmittags,
kurz vor dem Dämmern, beginnen
Sie
hinter den Fenstern ihr Schwingen und
Schwärmen
Und
klingen bis auf zu den Giebelrinnen.
Und
wenn dann abends die Sterne verglimmen,
Höre
ich ihre surrenden Stimmen
So
sehr in Fieber und Unrast lärmen,
Daß
ich selbst mich mitten drin im Gewühle
Ihrer
Glut und wilden Erregung fühle.
Dann
umbebt
Mich
der zarten
Blüten
und bunten Insektenarten
Schwirrender
Flug wie Millionen Schwingen
Aus
Wind, Regen und Reinheit gewebt.
Mein
Haus scheint plötzlich durch dieses
Eindringen
Von
blinkenden Dingen ein trauliches Nest,
Ringsum
von Leuchten umflammt und belebt. -
Und
ich bestaune unendlich die ganze Natur,
Wo
sie immer sich liebend erkennen läßt,
Vom
Zwerggewächs bis zur riesigen Sonne.
Das
Kleinste - eine Blüte von Taugold umronnen,
Und
sei es ein Blättchen, ein Körnlein nur -
Ich
berühr es behutsam und ehrfürchtig;
Denn
die Welt und mich,
Ich
kann sie nicht länger mehr unterscheiden,
Ich
bin selber das Laub, das dunkle Geäst,
Die
Erde, auf deren Kieseln ich schreite,
Und
das Gras, in das mich der Überschwang
Schluchzenden
Glückes, selig und bang,
Plötzlich
wie trunken hinstürzen läßt.
zurück
An
meine Augen
O,
alles
wird noch blühen und begeistert prangen,
Nicht
eine Rose fehlen
in des Frührots Gärten,
Kein Stern gelöst
sein von des Himmels
Spangen,
Die
lichten Dinge, o ich weiß es, werden
Verjüngt
erstehn in neuer Herrlichkeit,
Wenn
ihr schon, meine Augen, längst in schwarzer
Erde
Fühllos
geworden und bloß Staub mehr seid.
Und
doch, wie wart ihr sanft und wie voll Licht!
Herbst,
Winter, Lenz, die Antlitze der Jahre,
Ich
konnte sie nur darum im Gedicht
In
all den Prunk der eignen Schönheit kleiden,
Weil
ihr zuvor, ihr Augen, o ihr hellen beiden,
Wald, Wind und
Feld, die ganze wunderbare
Und
namenlose Schönheit dieser Welt geliebt.
Ein
sinnend Leuchten wart ihr, das in seligem
Umkreisen
Den
Dingen nahte, sie beglückt zu spiegeln,
Ihr
lauschtet zärtlich zu, auf wie geheime Weise
Ein Blatt sich
ädert, Knospen sich
entsiegeln.
Ihr
lehrtet meine Seele, fürchtig zu erschauern
Vor
allem, was voll Reinheit, Glut und Leben war,
Efeu
und Rosen schufen
mir die schlichte Mauer
Durch
euch zu Schönheit um und zum Altar.
Zu
den Landleuten, ohne sie zu kennen,
Ging
oft in freudiger Erregung euer Wandern,
Um
aufzuspüren, ob auch unter diesen andern
Wimpern
so heiße Glut wie unter euren brenne.
Ihr
ginget zu den Menschen, die die Stadt
vermauert,
Die
stumm am Werke sind, tragisch
hingebungsvoll,
Die
Welt der Zukunft aus der frühern zu
gestalten.
Da
quoll die Träne euch in rührendem Bedauern,
Und
doch: die Kraft, die dort so glühend
überschwoll
Und
nur im Denken klar vergeistigt wirkt,
Sie
schien für euch ein neues Wunder zu
enthalten,
Darin
sich eine reinre Form des Lebens birgt.
Und
ginget weiter und stiegt auf zur Ferne,
Wenn
eine helle Winternacht den Zauber löste,
Stiegt
auf - Gott weiß durch welche goldnen
Finsternisse
In
jenes Reich der unnahbaren Sterne,
Mit
deren Anblick sich die Erde tröstet,
Und
spähtet dort, in dem geheimnisvollen
Schweben
Nach
dem geringsten Stern in den demantnen
Reihn,
Um
ihm, aus dem Bedürfnis, sich ganz hinzugeben,
Jäh
eure Zärtlichkeit zu weihn.
O
meine Augen, ich Hab euch so sehr
Mit
dem beglückten Bewußtsein geliebt,
Daß
ihr fürchtig und sanft und doch trunken
wart,
Daß
noch in Hunderten Jahren vielleicht
In
Tagen, wenn es schon längst nicht mehr
Kunst
und daran erinnern gibt,
Noch
einer der stürmischen Liebe gedenkt,
Die
ich zeitlebens in euch versenkt.
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