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Literatur


04.2



Gedichte
Emil Verhaeren

Hymnen an das Leben

 

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Die Träume   
 
O, die verlornen Inseln irgendwo im Weltenraum,
Mit ihren seligen Ländern
Und Stranden und Städten,
Deren Bilder im spiegelnden Widerschein
Bis in die Wolken hinein
Prangen,
Und die mit silbernen Ketten
Und weiten, wehenden, goldenen Bändern
An den Nägeln der ewigen Sterne hangen:

Wie oft gedenkt mein Herz, mein Geist ihrer im Traum!

Und sprach mein Herz:
Über ihre Wälder streichen
Die Winde mit viel lindern und weichen
Händen hin als anderwärts,
Der Schatten ist dort voll Glanz und voll Güte
Und durchdüftet sich an der Schwelle mit
Dem Atem der rings gebreiteten Blüten,
Eh er ins Dunkel der Häuser tritt.
Das Licht, das die Sonne ins Meer hinein
Schleudert, zerstiebt dort, ein goldener Reifen,
Und jede Welle trägt Edelgestein.
Keine Klaue von Lärm wagt ins Schweigen zu greifen.
Die Stunden wiegen sich, ohne zu lasten,
Wie Lianen zwischen den schläfernden Bäumen
In weicher Wärme von Frühe zur Nacht,
Und der blauen Wälder versunkenes Träumen
Ergreift auch die funkelnden Heiden sacht.
Der Wind, der Honig den Blüten enttastet,
Streift gedankenlos über das Feld,
Und fernferne Berge zittern vom Rande
Des Himmels, in Gold und Bernstein gewandet,
In den beschwingten Morgen der Welt.

Und sprach mein Geist:
Die schönsten Gelände des Lebens
Sind selig, unter Rosen und Blüten
Die wahrhaft Weisen geruhig zu hüten.
Vergebens
Erweist sich irdisch Bemühn, als glühender Schimmer
Aus irdischer Nacht die Welt zu erhellen
Und zu entflüchten der weißen Zelle,
Die seine eigne Vernunft ihm gezimmert.
Alles ist Schein: Raum, Zeit und die Zwecke,
Und müht sich aus der Geist, seit seinem ersten Regen
Der finstern Stirne der unfaßbar einsamen Natur
Sein schwächlich eignes Denken aufzuprägen,
Sein Weiterschreiten schwankt und führt ins Wesenlose nur.
Noch keine Faust, noch keine Müh vermochten
Der Wahrheit Nägel wegzurühren von dem Flecke,
In die sie einst ein dunkler Wille schlug,
All unser Schaun und Urteil gilt dem Trug,
Und wer dem nachsinnt, der verknäult nur noch den Irrtum mehr.

Die Welt ist tief in Träume eingeflochten,
Und unser bestes Glück stammt von den Lügen her.

So sprach mein Herz und sprach mein Geist
An einem Abend voll Gram und Ermatten,
Als die Sonne nur träge sich
Wie ein greiser und grünlicher Schatten
Um die Ränder der Erde schlich.
Doch mein ganzes Wesen, das plötzlich Kraft,
Den roten Schätzen,
Des irdischen Werts und Vertrauens entrafft,
Ballte sich gegen sie auf und versetzte:

Ich fühle Trunkenheit mich heilig durchrauschen,
Meine Stirn ist zu trotzig, mein Sinn zu verwegen,
Um mein Leben mit dem eines lauen Geschicks,
Eines zweifelnden Sinnes, eines wissenden Glücks
Dort fern auf den seligen Inseln zu tauschen.
Den Kampf will ich, will tausendmal lieber
Seiner brennenden Not, seinem zehrenden Fieber
Dräuend begegnen auf mörderischen Wegen,
Denn mein Lebensgefühl lehrt mich die Zuversicht.
Und denkt der Geist richtig oder denkt er nicht,
Die Lebensgewalt vermengt in ihrer klaren
Und rauschenden Welle alles Falsche und Wahre.

Alles bestehen, Mensch, bedeutet mehr als es verstehn.
Des Lebens Stufe steigt nicht nieder, nein, sie steigt empor,
Ein prunkend Stiegenwerk, das Fackeln stolz umwehn.
Verzweiflung, Schrei, Verbrechen, Angst, der Chor
Von hell und dunklen Dingen schlingen wild und drehn
Sich dort zu gold- und eisernen Gewinden,
Die alles dies in eine finstre Schönheit binden.

Und was besagts, zu leiden, wenn es glückt,
Selbst aus der Qual Begeisterung und Lust zu pressen
Und selbst in martervollen Stunden niemals zu vergessen,
Wie sehr man sich doch liebt und an sich selbst entzückt.

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Die Begeisterung  

Wenn wir einander unentwegt Bewundrung zollen

Aus unsrer Herzen tiefster Glut und Gläubigkeit,
So werdet ihr, die Denker, Dichter, ihr, die Meister,
Die neue Formel finden für die neue Zeit.

Wir bringen, von der Welt und von uns selber trunken,
In das verlebte All ein neues Menschenherz.
Der Götter Bann und Gnade ist für uns versunken,
In uns nur lebt die Kraft, denn in uns war der Schmerz.

Wir lieben unsre Hand, die Augen, unser Fühlen,
Selbst unsern Schmerz, der sich zum Stolz erhöht,
Und ruhen nicht, das Dunkel planvoll zu durchwühlen,
Bis wir das Tor gesprengt, das vor den Rätseln steht.

Und wenn dort auch noch Abgrundtiefen drohend starren,
Vor denen jede Fackel schaudert und verlischt,
Besser - statt sich mit Spuk und mit Schimären narren -
Wir treten fromm zurück. Allein wir irren nicht.

Reinre Unendlichkeiten schlingen und durchdringen
Rings unser Wesen, auf schwebt feurig unser Geist,
Denn wir begeistern uns so sehr an allen Dingen,
Daß jedes sich für unser Fühlen neu erweist.

Lieben ist Rasten, doch bewundern sich Erheben!
O du Gehirn, das königlich ob unsern Taten wacht,
Du bunte Scheibe, die aus Dämmerung das Leben
In ihrem Zauberspiegel wahrhaft strahlend macht,

Nichts ist in Frühe, Mittag, Nacht, das nicht ein Prangen
Von Schönheit und von Gold aus deiner Glut erhält,
Der Raum ringsum wird weit an deinem Überschwange,
Und leuchtend formt an deiner Klarheit sich die Welt.

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Die Menge 
 
In diesen Städten von schwarzem Basalt,
Wo zaubrische Feuer dem Dunkel entlohen,
In diesen Städten, wo mit Donnern und Drohen,
Mit Schrei und mit Träne aus tausend Stimmen
Die Menge sich ballt,
In diesen Städten, die plötzlich sich krümmen,
Wenn die Angst und der Aufstand sie rot überwältigt,
Fühl ich mein Herz vertausendfältigt,
Fühl, wie sichs wandelt und weitet und füllt
Und in jäher Ekstase fast überquillt.

Das Fieber mit seinen zuckenden Händen,
Das Fieber voll Hass und verblendetem Wahn
Faßt mich da an
Und rollt mich wie einen Kieselstein
Mitten hinein.
Alles Besinnen taumelt und fällt,
Das Herz schäumt auf und will gar nicht wissen,
Ob es zu Ruhm oder Untat sich schnellt.
Und nun bin ich mit einemmal, der
Sich dem eigenen Selbst entrissen
Und sich nur mehr der blinden Begehr
Der ureinigen Kräfte gesellt.

Haß, Wahnsinn und Liebe - was immer es war,
Alles wird jetzt wie im Blitzstrahl bewußt,
Alles begreift sich, ist deutlich und klar,
Eh der Pfeil des Gedankens noch traf in die Brust.

Menschen mit Fackeln rennen hin, rennen her,
Am Kirchtor schäumts wie ein gischtendes Meer,
Die Häuser, der Turm und die Bahnhofshalle,
Die Mauern, die Schilde, die Pfosten, die Planken
Scheinen im roten Abende alle
Vor meinen Blicken zu schwirren, zu schwanken.
Die goldnen Behälter voll Licht auf den Plätzen
Spein eine Flamme von Wut und Entsetzen
Verzweifelt zum nächtigen Himmel hinauf.
Hoch am Turme unter dem Knauf
Leuchtet blutfarben das Zifferblatt.
Am Wegkreuz spricht der Tribun der Stadt,
Und ehe man noch ein Wort von ihm hörte,
Glaubt
Ein jeder schon seiner ersten Gebärde.
Mit Raserei
Höhnt man im Bilde ein kaiserlich Haupt
Und zerbricht den Altar,
Wo seit Jahrtausenden irgendein Heiliges war.

Die Nacht ist zerfetzt von Geheul und Gewimmel,
Elektrische Glut glost schwülend zum Himmel,
Die Herzen der Menschen sind vogelfrei
Für jeden, der sie jetzt packt und verführt.
Ihre Seelen sind grausam von Angst umschnürt
Und suchen Befreiung im grundlosen Schrei.
Man fühlt: ein einziger Augenblick
Kann jetzt das neue Schicksal gestalten,
Kann es verhalten, kann es entfalten:
Die ganze Zukunft, das ganze Geschick
Ist nun dem einen anheimgestellt,
Der ohne Schwäche den Donner und Blitz
In seinen ruhigen Händen hält
Und der inmitten von Feuer und Brand
Das neue Gestirn zu entschleiern weiß,
Mit dem er das dumpfe Gefühl seiner Zeit, seiner Welt
In seinen eigenen Willenskreis
Magnetisch bannt.

Fühlst du’s, mein Herz, in dieser Sekunde,
Wie schön sie ist
Diese Stunde,
Wie der Triumph, den sie singt,
Tief aus dem urewigen Weltherz dringt?

Und sage, was gilt,
Mein Herz, dir nun noch das verlebte Gebot
Und sein Glanz, der längst sterbend im Meere verloht,
Da die Stunde der Kraft und der Jugend aufschwillt?
Sie ist da! Sie berauscht wie feuriger Wein
Und lässt dir nichts jemals mehr bitter sein. -

Sieh, neue Hoffnung schwingt sich aus dem Ungeahnten,
Verrückt der Dinge altes Gleichgewicht,
Das wir schon längst als Last und Lug empfanden!
Fühlst du es nicht,
Die ganze Welt
Meißelt nun ihren Ewigkeiten
Ein neues, strahlendes Angesicht!
Alles schwankt, alles stürzt, o, alles fällt,
Die Horizonte selber scheinen fortzuschreiten,
Die Brücken, die Burgen, die Türme, die Kerker
Erzittern tief bis in die Fundamente!
Die Menge mit ihrem gewaltigen Drängen
Muß die überflutenden Städte zersprengen.
Nun ist die Stunde der Wunder und Werke,
Die Stunde des Siegs und des Untergangs,
Von Gold und Blitzen erfunkeln nun Hände
Über den Fernen in mythischem Glanz.

Wie eine Welle im Strom sich verliert,
Eine Schwinge im Äther unsichtbar wird,
So verliere auch du,
O mein Herz, dich in diesen unzählbaren Mengen,
Die die Städte mit Schrei und mit Jubel durchdrängen!
Sieh zu, o, sieh zu,
Wie sich Angst und Triumph und Wahnsinn dort schärfen,
Wie sie sich steigern und jäh sich entladen
In zuckenden Flammen,
Und schmiede die tausend Fibern und Adern,
Die springenden Muskeln, die zuckenden Nerven
Dir dann in e i n e Einheit zusammen!
Vereine, umfasse
Liebend in dir die zerstückelte Masse
Und nimm immer so sehr
Teil an diesem Verändern und Wandeln
Der Menschen und Dinge,
Bis dich dann plötzlich das tiefste Gebot,
Nach dem sie alle ahnungslos handeln,
Jäh wie ein blendender Blitz durchloht!

Laß Einklang walten zwischen deiner Kraft
Und den Geschicken,
Die unbewußt die Menge schafft!
Denn für all das, was morgen erst Geltung erhält,
Hat sie die unbewußt ahnenden Blicke.
Immer fördert die ganze Welt
Mit ihren tausend unnennbaren Einzelzwecken
Den großen Willen, der sich bemüht,
Eine Ahnung der Zukunft für sich zu entdecken,
Die mit tragischem Feuer am Horizonte erglüht.

O, die Zukunft, wie man doch ihre Gewalt
In diesen Städten von dunklem Basalt,
Das Gebälk ihres Kerkers zersprengen hört,
In diesen Städten von dunklem Basalt,
Wo der Brand wie ein Leu mit gesträubtem Haar
Golden und wild das Dunkel durchwallt!
Minuten, da Jahrhunderte beben,
Geheimnis, das erst die Schlachten entknoten,
Stunden, die plötzlich der ganzen Erde
Mit einmal ein neues Angesicht geben,
Da die Gebote,
Die gestern noch galten, unfaßbar werden,
Wo man die Berge des neuen Glaubens erklimmt,
Und der Wahn, der aufschäumt und zornig siedet,
Endlich die neue Wahrheit schmiedet,
Sie mit neuer Macht und Würde bekleidet
Und dem Zwang der alten Gesetze entnimmt
Wie ein Schwert, das zu groß ist für seine Scheide
Und zu schön, als daß mans für den Henker bestimmt.

In diese Städte, die nächtiger Schauer
Und die Flamme der roten Feste ummauert,
Schließe dich ein,
Mein Herz, um groß und gewaltig zu sein!

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Die Arbeit

Ihr Arbeiter, Millionen Fiebernde, Gepreßte,
Die ihr, die Stirn vom Wahn nutzvollen Werks umstrahlt,
Als Sieger aufrecht durch die Zeiten schreitet,
In wieviel Bildern namenlosen Heldentums,
- Gestählter Brust, mit wild und sichern Gesten,
In Ansturm, Qual, Triumph und endlicher Gewalt -
Fühl ich die Zeichen eures ewigen Ruhms
In meinem Innern tragisch aufgemalt!

Ich liebe euch, ihr hellen, frischen Pferdejungen,
Die ihr den lichten Sturm der wiehernden Gespanne
Mit starken Händen stählern niederpreßt,
Und euch, Holzfäller, Einsame im Duft der Tannen,
Und euch, die nur das Feld, die magre Scholle freut,
Ihr Bauersleute, mürb und alt und wetterfest,
Die ihr das Saatkorn mit breitem Schwunge
Immer erst aufwärts streut,
Damit es, bevor es in Erde sinke,
Noch die Luft und vom silbernen Lichte trinke.

Und euch, Matrosen, die, ein simpel Lied
Auf euren Lippen, eines Nachts ins Ferne zieht,
Wenn sich vom süßen Südlandswind die Segel blähen,
Die Maste zittern und das Tauwerk klingt.
Und euch, Lastträger, die auf breiten Rücken
Von all den Schiffen, die durchs Weltall gehen,
Die bunte Last an goldnen Landungsbrücken
Stapfend und stark ans sichre Ufer bringt.

Und euch, ihr Sucher der halluzinierenden Metalle
Hoch dort am Rand der Welt, wo sie in Nacht vereist
Und euch der Frost mit seiner Riesenkralle
Erbarmungslos in seine Fänge reißt,
Und euch, für ewig unter unsre Welt Gesenkte,
Ihr Minengräber in den enggehöhlten Stollen,
Die ihr, die Lampe in den Zähnen festgezwängt,
Die dunkle Ader der verborgnen Kohlen
In einsam unbekannter Müh vom Felsen sprengt.

Und euch, ihr Hämmrer in den heißen Schmieden,
Stirnen von Gold und Tinte, die den Rauch durchblecken,
Gekrümmte Rücken, draus sich Muskeln schaffend recken
Am Ambos und wo rot im Bad das Eisen siedet.
Ihr erzgeschmiedete heroische Gestalten,
Ewig dem Werk gemäß, das immer höher steigt,
O, wie in diesen Städten voll gefährlicher Gewalten
Mein Herz sich heiß und brüderlich hin zu euch neigt!

O, diese Arbeit, wie sie finster, zäh und rastlos wütet,
In Land und Meer und in der Erde Eingeweide,
Das einzige, das unsre Welt, die sich in Länder scheidet,
Noch ehern wie ein Riesenring zusammennietet!
O Mannestaten, viel vergessen, kaum genannt,
Millionen Arme und nie träger Hände,
Und alle sie, vom einen bis zum andern Ende
Zu einem einzigen Willen siegreich angespannt:
Dem alten Weltall nun das Siegel irdischer Gewalten
Feurig und rot auf die besiegte Stirn zu drücken,
Flüsse zu trocknen, Berge zu verrücken
Und alle Ordnung, rings in Meer und Land,
Nach einem neuen Willen zu gestalten.


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Vorwärts   
 
Den Körper zum Fenster vornübergelehnt,
Mit den Nerven, die fiebrig im Lärme mitschwingen,
Horch ich hinaus und fühls in mich dringen,
Wie der Donner der Züge durchs Dunkel hindröhnt.
Wie ein fliehender Brand stürmen sie hin in die Ferne,
Und ihr eisernes Rattern über Brücken und Schienen
Rasselt so laut, daß man meinte, es wäre
Ein speiender Krater, ein Sturz von Lawinen;
Und ich bin noch von ihrem Hinsausen erregt,
Wie schon drüben, im Rätseldunkel der Ferne,
Der rollenden Räder rasend Gelärme
Der goldenen Bahnhöfe Schweigen erweckt.

Und meine Muskeln, die sich anstraffen und schwellen,
In die alles dies fortquillt, bäumen sich auf,
Minute für Minute packen und schnellen
Sie das Gefühl dieser Hast in mein Denken hinauf.
Sie füllen es an mit schauernden Seligkeiten,
Einer wütenden Wollust, berauschter Entzückung,
Und entdecken in diesen neuen Geschwindigkeiten
Zu der alten Schönheit eine neue Entrückung.

- O, ganz der Allwelt Rhythmensturm zu fühlen
In einer Seele, die sich weltgleich schuf,
Die Winde spüren, die sich durch die Wälder wühlen,
Das Meer, das Blühn, der Donner großen Ruf!
Allwelt in seinem Hirne zittern lassen,
Und all die Schauer, die ihr heiß entquellen,
In einen Glutenbilderkranz zu fassen
Und lieben, o, lieben den Blitz und das Tosen
Des Donners, mit dem sich im Grenzenlosen
Die Entdecker der Ferne den Weg erhellen!

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