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Literatur


04.2



Gedichte
Emil Verhaeren

Hymnen an das Leben

 

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Die Tat  
 
Müde der Bücher, müde der Worte,
Die mir den Willen versengten, verdorrten,
Such ich im Grund meiner Selbstbewußtheit
Die Tat, die rettet, die Tat, die befreit.

Das Leben, dort stürmt es, schäumend im Rasen,
Gleich einem galoppierenden Pferde,
Stark und spendend über die Straßen
Der Erde.
Die Starken unter den Menschen wissen
Dort im Staub und Sturm seine Mähne zu fassen,
Und von Wunder zu Wundern hin fortgerissen,
Von ihm sich schwingen und tragen zu lassen,
Und die Berge der Wagnisse trotz aller schlimmen
Winde und Stürme beherzt zu erklimmen.

Die Tat!
Ich weiß von solchen, die in dem verstürmten
Gewitterhimmel sie drohend und grad
Mit blutigen Händen und Wutschreien türmten.

Und solche, die sie sich unfaßlich
Träumen gleich urgründigen Meeren,
Deren Tiefen jedem Senkblei sich
Schweigend verwehren.

Und weiß wieder solche, für die sie kalt,
Aber trotzig und zielbewußt ist
Und mit klaren Ziffern den dunkeln Gehalt
Des schwarzen Schisses Schicksal mißt.

Und solche, denen sie sich mit dem Schweigen,
Das Blumen und Büsten umkleidet, zeigen.

Und weiß von solchen, die allerwegen
Sie finden, wo Zorn und Wahnsinn sich regen.

Und weiß von solchen, deren Unrast noch
Ihr nach durch die Nacht ins Morgenrot hetzt,
Da sie sich längst an die Schwelle doch
Ihres ernsten und ruhigen Stolzes gesetzt.

Das Leben, das leise, das Leben, das wilde,
Das sanfte, und jenes, das allezeit
Mit sich und dem Tode in ewigem Streit,
Das bittere und das vollgefühlte,
Es ist dort, wo am Pol zwischen eisigen Bänken
Der Mensch sich erst mühsam die Wege schafft,
Und ist hier im Hassen und sich Verschenken
Der purpurn schwellenden Leidenschaft,
Ist in Strömen und Meeren, an Stranden verloren,
Deren Schrecknis noch keiner erfuhr, sie zu schildern,
Es ist in den Wäldern, den tropischen Floren,
Die Afrikas Berge und Flüsse umwildern.
Es ist, wo immer, Welle an Welle,
Ein heiliger Wille ins Ewige schäumt,
Es ist, wo das Genie arbeitet,
Die falschen Werte vom Wege räumt
Und mit Klarheit und Wahrheit an ihrer Stelle
Die gewaltigen Wandlungen neu vorbereitet.

Der Bücher müde, der Worte satt,
Such ich in meiner Selbstbewußtheit
Die Tat,
Die Tat, die rettet, die Tat, die befreit.

Ich will, daß sie kraftvoll und trotzig sei,
Wie ein schöner Eisblock durchsichtig und rein,
Ohne Trug, ohne Scheu,
Um aller derer würdig zu sein,
Die irgendwo einsam, ohne der Menschen Wissen,
Sich selber die Flagge des Stolzes hissen.

Ich will sie getauft in einem klaren
Quell umfassendster Menschlichkeit,
Ich will, daß sie allen den restlos wahren
Willen ihrer Aufrichtigkeit weiht
Und alles, was heut noch die Güte beschränkt,
Mit einer äußersten Anstrengung sprengt
Und grenzenlos sie dann an die Welt verschenkt.

O, leben, leben und sich selbst gesteigert
Empfinden mit des Herzens heißerm Takte,
O, klarer leben, wenn ins nie Gewagte
Zum ersten Male unsre Straße weist,
Und stolzer nur, wenn sich das Schicksal weigert
Und unsre Hände von dem Werke reißt.
O, nur helläugig träumen, was an Reinem
Und Großem man in jenen Paradiesen leisten könnte,
Die einst am Ende
Der heiligen Bemühung golden glorreich scheinen.
O, leben und leben, ekstatisch und trunken
In diesen Stunden festlicher Einsamkeit,
Da Geist und Begierde den zündenden Funken
Der tollen Hoffnung ins Leben streut
Und die Flamme des Überirdischen erneut.

Müde der Worte, der Bücher satt,
Such ich die Tat,
Das schneidende Schwert,
Das meine Kraft für den Sieg bewehrt.

Und ich denke so glühend, wie andere beten
An all jene Helden, die göttlichen, milden,
Die an die Spitze der menschlichen Gilde
Führend hintreten.
Funkelnden Regenbogen gleich
Stehen sie über dem armen Reich
Von Neiden und Hassen.
Die Strahlen der Botschaft, die sie uns bringen,
Durchdringen
So leuchtend die Mauern, die Tempelgelasse,
Dass die Masse, gierig den neuen Sinn
Zu erfassen,
Den ihr Wesen den Rätseln des Schicksals umlegt,
Sich ihn
In jener Menschen lebendigen Formen
Einprägt,
Indes noch die Schar der Klugen und Weisen
Mit Wortbeweisen
Über tote Texte, vergeßne Normen
Sich streitet und schlägt.

Dann werden die Worte, die panzerbewehrten,
Hochschweben ob Kämpfen und Heldentum,
Die Stirnen aufglänzen, die Stimmen aufklingen
Und mit goldenen Blitzen der Ruhm
Beflügelt sich in die Ferne schwingen.
Und die ihre Seele am traulichen Herde
Alter Erinnerung wärmen und hegen,
Springen nun auf, greifen zum Schwert
Und stürmen ekstatisch der Zukunft entgegen.

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Die Eroberung  

Vom Meer zu den Meeren eilen die Schiffe,
Die der Winde Fächer ins Weite wehn,
Zu den Ländern des Golds, der Korallenriffe
Und des Marmors hin gleich großen Ideen.

Mit Bergen von Eisen, mit Blöcken von Blei,
Mit der Fracht von Hölzern in geschichteter Reih
- Einem einstigen Wald, verdorrt und gefällt -
Mit Ambra, Kupfer, Naphtha und Zinn
Und der Hoffnung auf Zufall und großen Gewinn
Verfrachten sie kühn die Seele der Welt.

Und die Häfen von Indien und China, die blanken
Städte an Afrikas, Amerikas Flanken:
Buenos Aires, Mogador und Vera Cruz,
Die schwefligen Minen, die früchteschweren
Syrischen Wälder voll seltener Säfte,
Die perlmutternen Küsten, die Golfe von Frost,
Die Klippen, die Strände voll Nacht und Entsetzen,
Norden und Süden, Westen und Ost
Nehmen sie auf, um die eigenen Schätze
In neuen Reichtum sich umzusetzen.

Die ganze Welt ist am Werke und Europa voran,
Europa, das mit seinem Jahrtausende alten
Golde im Grund der Bankhäuser drinnen
Den tätigen Willen all derer gestaltet,
Die Ziffer für Ziffer die großen Gewinne
In den Maschen genauer Berechnung festhalten,
Und wenn auch die allzu belasteten Netze

Manchmal zerreißen, so schadets nicht sehr,
Denn unberührt bleibt das ewige Meer,
Und die Lande verharren reglos am Platze.
Und das Glück hat seine Türen beständig
Offen für den, der kühn eintreten will;
Doch die günstige Stunde hält nie lange still,
Und wer an Tod denkt, der war niemals wahrhaft lebendig.

Die ganze Welt ist heute der Rasse zur Beute,
Die sie erobert bis zu ihrer Sterne Gelände,
Die tausend Gefahren und Tode nicht scheute.
Nur weil sie die gierige Hoffnung beseelte.
Mit ihren alten unnachgiebigen Händen
Endlich einmal den schweigenden Dingen
Das Geheimnis, das Wort und die Kraft zu entringen,
Die das träumende Auge der Zukunft erhellte.

Und nun fahren sie rings auf Schiffen, die Großen,
Deren Seele die neuen Städte erschuf:
London, Rom, Paris und Berlin
- Priester, Gelehrte, Soldaten, Geldleute, Schwindler, Matrosen -

Fürsten der Kühnheit, Meister des Denkens,
Die bis in die fernsten Ziele des Lebens hin
Ihre Pfeile der Kraft und des Willens lenken.

Und wenn sie oft auch die Gerechtigkeit missachten
Und Mord begehn, um Herrscherkronen zu erringen,
Sie scheuens doch, die Hände sich mit Blut zu feuchten,
Und suchen lieber sanftres Recht und trachten,
Auch dies noch stets zu mildern und verbessernd zu erleuchten.
Wo einst Gewalt war, wollen sie nun Ordnung bringen

Und selbst der Erde wundervollste Form bedeuten.
Taten sie unrecht hier, so sühnen sie’s bei andern.
Ob ihrem Haupt rauscht schon der neuen Zeiten
Noch dunkle und verzagte Melodie,
Doch stolz hebt sich zur Zukunft ihre Stirne,
Denn aus der Fülle dieser formt sich das Genie.

O diese hellen Menschen, die wie Götter wandern!
Die ganze Welt wird umgedacht in ihren Hirnen,
Die Erde pressen sie in nie gekannte Bahnen,
Zum Himmel forschen sie, und zwischen Ozeanen
Schlingt ihre Tätigkeit ein neugewonnen Band.
Ein Eisendraht, der dunkle Worte wellt,
Zittert ins Ferne hin - und die Gedanken springen
Von einem bis zum andern Ende der besiegten Welt.
Das Leben mit all seinen Formen, Regeln, Dingen
- Verschlungne Finger einer mächtigen Riesenhand -
Öffnet und ballt sich ganz in eine Faust: die Einheit!

Und die verschäumten Spuren, die von Platz zu Plätzen
Die Schiffe mit dem Kiel ins Gold und Schwarz der Meere malten,
Sind in des Lebens Nervenkreis die feinen Netze,
Die alle Finger dieser Riesenfaust zusammenhalten.

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Die Forschung

O Wissen unsrer Zeit, du schneidendes Skalpell!
- Verzweiflung, Hoffen, Bangen, Angst, Versuch und Leiden -
Ihr Schwerter stolzgereckt, ihr Schwerter totgeknickt,
Erkenntnisse, die ihr bald Leid, bald Jubel schickt,
Mit wie viel stumpfen und geschärften Schneiden,
Ihr Schwerter, zuckt ihr auf in mir!

Von eurem schreckhaft wilden Stoß zerrissen,
Bäumt sich mein Herz empor und fühlt
Mit Grausen und mit Wollust sich durchwühlt.

Ich lebe nur mehr, um zu lernen und zu wissen.

Der Mensch, der denkt, ist ein verschwiegner Held.
Ist seine starke Seele nicht mehr trunken
Vom Himmelsglanze alter Götterwelt,
So sprüht sein Auge der Erkenntnis Wahnsinnsfunken.

O, seine Arbeit, seine fieberhaften Einsamkeiten,
Seine Geduld, die alles Suchen sorgsam schlichtet,
Sein langsam unbeirrtes Vorwärtsschreiten!
Seit dem Jahrhundert hat er an dem Plan
Der Welt gedichtet
Und wundersam
Die Kräfte erforscht und allen und jeden
Gesetze entrafft und die stillen Gewalten,
Die mit geheimen, spinndünnen Fäden
Das Weltall in ihren Fingern halten.
Doch keiner hat je das Geheimnis gefühlt,
Das die Materie mit hämischer Hand
Tief, tief in nächtige Schächte verwühlt.
O Rätsel, das tief im Abgrunde ruht,
Lockend als brennender Sehnsucht Pfand
Und menschlicher Hirne urewige Glut!

Sagt, da hinabzutauchen, um die Scheide ringen,
Die es in ihren rohen Schraubstock zwängt,
Das Wort zu finden, mags wie Wahnwitz klingen,
Das zum verborgnen Wegeziele lenkt,
Wo sich dem Blick, von jähem Licht entzündet,
Die Sehnsucht seines blinden Suchens kündet!
Sagt, helfen, helfen - sei es, wie es sei -
Der Gierde einigwilder Raserei:
Vertrauend suchen, nie gestillten Strebens
Den tiefsten Kern, die Quelle alles Lebens!

O du Gehirn, mein Ruhm und meine Qual,
Meiner Torturen Kerker, meiner Seligkeit Palast,
Daß du des Lebens Deutungen vieltausendmal
Mit ewig neuer Glut erfaßt,

Ich liebe gleich in Größe dich und Schmach,
In Sieger- und in Trauerstunden Gang,
Ob wahrheitstrotzend, ob im Irrtum krank,
Du bleibst mir treu und sicher vor wie nach!

Und umklammerst du so siegend dann
Deine Lust und den Brand deiner Schmerzlichkeiten,
Dann lebst du so groß wie die Großen der Zeiten,
- Und die andern? - was liegt daran!
 
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Das Gebet

Stürmt auch meine Seele mit unbändigen Sinnen
Der Zukunft entgegen,
Mitten im Aufschwung fühl ich doch stets,
Wie einst in den Kindheitstagen, tief innen
Die schlummernden Schwingen des alten Gebets
Heimlich sich regen.

Neu ist sein Sinn, und seine Worte sind neue,
Doch der Rhythmus von einst klingt noch unversehrt
Stark und stählern durch meine Brust hin,
Mich hat ihn das Leben aufs neue gelehrt,
Seit ich mich liebend des Daseins freue
Und meiner in heiterm Stolze bewusst bin.

O heiliger Funke, der jener Flamme entloht,
O neues Gebet, o entzücktes Hingeben!
Zukunft, du machst mich nun so gläubig wie einst Gott!
Auch du beherrschst ja unsre Stunde, unser Handeln,
Du aber wirst dich einst zu Menschen wandeln,
Ihr Fleisch und Blut sein, Fühlen und Erleben.

Und wirst du weniger auch, als mir mein Traum verkündet,
Was tuts,
Wenn nur mein Mut
An dir sich entflammt und funkelnd entzündet.

Schon heute
Fühl ich brüderlich mit euch zusammen,
Juble all eure Ekstasen und Schreie,
Ihr Leute,
Die ihr nach uns die Herren der Erde seid.
Und ich weihe
Aus den Tiefen unserer ehernen Zeit
Eurem heiligen Stolz, eurer Seligkeit
Schon all meine Liebe, diese einsame Flamme.

Denn ich bin keiner von denen,
Deren Seelen sich mit den Vergangenheiten,
Den linden und blinden, fürchtig bescheiden.
Mein Körper strafft sich in Ringen und Leiden
Zu immer wilderen Willen an,
Und ich mag nicht dran denken,
Meine Mühe bloß auf ein Tun zu beschränken,
Das vor uns schon die Toten getan.

Ich liebe, verehre
Die wilde und drohende Atmosphäre,
Darin wir leben mit unserm Geist,
Dies Tasten, Versuchen und Vorwärtsbegehren
Ins Unbekannte hinein,
Wo der Blitz als einziger Feuerschein
Uns Ziele weist.

Denkt, aber Glück zu fühlen, selbst sich so zu steigern
In diesen Stunden Bangens und Ekstase,
Daß hoch die Seele über die gewohnten Maße
Gleichmäßiger Gläubigkeit und lauer Liebe schwillt,
Und dies Vertrauen lieben, sich dem Zweifel weigern,
Zu fürchten bloß, sich auf dem Wege zu verspäten
Und nicht bereit zu sein, wenn es dann gilt
Jubelnd und stark in diesen neuen Stolz zu treten.

Denkt, sein gebietend Wort an alle, alle richten,
Damit es eines Tages den Sinn der Welt bedeute,
Sobald sie seine bittere Schöpferkraft erfaßt,
Göttlichen Sinn so sehr in irdische Leidenschaften gießen,
Daß ihre Knäuel ehern sich zur Kette schließen,
Die das schon überwundne Heute
Und die noch freie Zukunft aneinanderpaßt.

Denkt, nur zu weichen, um dann stärker anzuspringen,
Dem Tod zu spotten, als wär nie ein Ende,
Und doch zugleich es wissen, daß erst spätre Hände
Den Kranz all jenen Siegen um die Stirne schlingen,
Wissen, daß wir nicht unserem Tag die Tat vollenden,
Und doch sie heißen Herzens froh vollbringen.
O, alles lieben, womit Schicksal sich verbindet,
Und für die Tage, da die Dunkel wiederkehren,
Im Innern ein Vertrauen, das nie mehr entschwindet,
Beständig nähren und zum Kampf bewehren.

Und fromm der Stunde harren, da im goldnen Abendlicht
Die Schwingen des stummen Gebets, die schönen, sich regen
Und klingend entfalten,
Um ihren Schwung dem neuen Glauben aufzuprägen,
Der Welt zu Menschheit, Mensch zu Welt gestaltet
Und langsam Wahrheit wird, Gebot und Pflicht.

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