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04.2
Gedichte
Emil
Verhaeren
Hymnen
an das Leben
Das
Wort
O wie
oft wandert mein
trauriger Sinn,
Müde
der Bücher, des Staubs der Folianten,
Zu
jenen Großen von einstens hin,
Die
aus glühender Brust
Im Schrei der
Liebe, im Aufschwall der Lust
Als
allererste die Dinge benannten.
Unbewußt
Entdeckten
sie aus ihrem Überschwang
Die
Worte für Jubel, Schauer und Schmerz.
Sie
verglichen
Selig
erstaunend ein Leben lang
Ihr
junges und unerfahrenes Herz
Ringsum
mit der Welt.
Sie
tranken
Die Augen sich
voll mit den unerhörten
Neuen
Dingen und neuen Gedanken.
Sie
verzehrten
Gierig
wie eine unendliche Beute
Die
Freude,
Sich
in Liebe und Lust
Gänzlich
eins mit der Erde zu wissen,
Und
dies so zu genießen,
Daß
es Schrei ward und aufbrach aus ihrer Brust.
O
diese gefangenen Schreie, die jäh
Aus
den Muskeln und Sehnen zu springen schienen!
Mancher
von ihnen,
Heiß
aus der Nerven schwingendem Band
Von
der Seele wie silberner Pfeil entsandt,
Schmolz
in ein Wort und traf die Idee.
Andere
wieder, die zögernd erschlafften,
Tönten
sich ab zu farbigen Spielen,
Andere
schwankten,
Stürzten
und fielen
Zu
Boden nieder.
Doch
plötzlich wieder
Zu
Wucht und klingender Stärke gestrafft,
Rafften
sie sich, erstaunten und standen
In
jähem Entzücken, jauchzten und dankten
Für
alles, was sie nun plötzlich vor
Den
Früchten, den Blumen, Wald, Wiese und Himmel
Und
der Sterne myriadenhaft buntem Gewimmel
Mit
allen Sinnen, Hand, Auge und Ohr
So
selig empfanden.
Die
Zunge stieß diese ersten Schreie
Kraftvoll
ins Freie,
Dehnte
und baute
Sorgsam
die dumpf verschlungenen Laute
Von
Lust und Leiden, formte sie dann,
Wie
Bildnerhände den lehmigen Brei.
Und
erst, wenn ein Mann
Mit
ihnen sein Fühlen aus sich gesagt,
Wogte
sein Atem frischer und freier.
Sein
wiegender Körper gab ihnen Takt.
Sprach
er sie, wandernd durch Wald und Feld
In
rhythmischem Schreiten,
So
standen dann zwiefach die Wirklichkeiten
Vor
seinem Geiste: in ihnen und dort.
Und
wie geblendet
Stürmte
er weiter und weiter fort
In
dieser neugefundenen Welt,
Die
er selber vollendet:
Im
Wort.
O
denkt dies Dröhnen von Rhythmen im All,
Dies
Blinken von Bildern, diesen ewigen Gang
Plötzlich
in eine Sprache zu fassen!
Gesang
Aus
dem Fall
Stürzender
Wasser aufschäumen zu lassen,
Lebendigen
Klang
In
den wirren Stößen losbrechender Winde,
Im
tobenden Kampfe der Donner zu finden,
Und
Musik
Im
weichen Wallen wandernder Frauen,
In
leidenden Händen, aufleuchtendem Blick,
Im
jähen Grauen
Brennenden
Wahnsinns, im Fieber der Brunst,
In
allem und allem,
Was
sich verbindet, entfacht und entzweit,
Um
dann diese wilde Unendlichkeit
In
heißem Hirne zu fassen, zu halten
Und
sie in der neuen Unendlichkeit
Der
menschlichen Kunst
Zu
ihrer höchsten Form zu gestalten! -
Seit
diesem ersten Stammeln der menschlichen Seele,
O,
wieviel ging hin an Tagen und Jahren!
Geschlechter
und Fürsten, unzählbare Scharen
Haben
seitdem um die Erde gerungen,
Doch
alle, die kamen und gingen und waren,
Haben
in ihren eigenen Zungen
Lust
und Schmerz in die Winde gerufen,
Alle
Völker und Rassen der Erde schufen
Rastlos
die Sprache jahrhundertelang,
Doch
nur in den Dichtern ward sie Gesang.
Nur
in ihnen allein
Glüht
heute noch unvermindert und rein
Jener
heilige Brand,
In
dem zu jenen dämmernden Zeiten
Der
staunende Mensch vor den Herrlichkeiten
Der
Erde stand.
Der
Rhythmus der Welt
Rinnt
ihnen so stark wie einst jenen Fernen
Rauschend,
berauschend durch das Blut und die Brust.
Den
kann keiner aus Büchern erlernen,
Und
nur der
Entdeckt
ihn - selber sich unbewußt -,
Der
so sehr
Die
großen Gedanken, die ihn durchbeben,
Als
lebendig empfindet,
Daß
schon nicht mehr er,
Sondern
sie selber es sind,
Die
den Vers mit Rausch und Rhythmus beschwingen
Und
ins weiche
Wellengleiche
Spiel
des wandelnden Reimes zwingen.
zurück
Zum
Meer hin
Wie
zierliche zitternde Spielzeugdinge
Scheinen
die Schiffe mit goldener Schwinge
Zu
ruhen auf dem urewigen Meer.
In
Küssen wiegt sich die Brise her;
Und
die Flüsterwellen,
Die
im Traum
An
den Planken sanft zerschellen,
Flimmern
weiß wie Flockenschaum.
Sonntagsfeier
glänzt über das Meer!
Wie
Frauen
Wandern
im Blauen
Hoch
oben die schwebenden Wolkenschwäne.
Sonntagsfeier
glänzt über das Meer!
Und
die Ruder der
ziehenden Kähne
Glitzern
wie gläsern von ferne her.
In
Klarheit dieser eigenhellen Stunde,
Die
einer Traube gleich der köstlichsten
Karfunkel
Sich
leuchtend wiegte auf der Wasser Dunkel,
Rief
ich hinaus in die erhellte Runde:
„O Meer der
hellen Pracht, du seiden Blühen,
Auf
dessen feuchten
Geländen
sommerkräftig Leuchten
Und
lichte Milde sanft verglühen!
O
Meer im Festesspiegelglanz,
Wenn
sacht die Winde auf den Wellenhügeln
Der
Wogen irisfarbnem Kranz
Hinreisen
mit den lichtgetränkten Flügeln!
O
Meer der Gluten, wenn die lauten Töne
Des
Lichtes flackern wollen und nicht wagen,
Sich
in dein goldnes Schweigen laut zu tragen!
O
Meer der ersten und der schlichten Schöne,
Meer
jener Tage, die noch Kindheit säumte,
Da
ich von blauenden Gestaden träumte,
Dahin
der Bär, Zentaur und all die Sternennamen
Weit
drüben an des Horizontes Ende
Allabendlich
zum Trunke kamen!
O
Meer, du meiner Schöpferfreude Bild,
Spiegel
der Jugend, die nur vorwärts stürmte,
Wie
deine hochgetürmte
Sturmflut
zum Ungeahnten quillt,
Umfange
mich heute,
Da
deine Wogen klingen im Festtagsgeläute!
Ich
hätte mit wachsender Seele gelebt,
Die
hellen und weisen Gesichte zu ahnen,
Die
Gesichte der Erde,
Die
hinter den Horizonten uns mahnen,
Daß
unsre Kraft zu ihnen sich hebt,
Ich
hätte der Dinge ureiniges Regen
Gefühlt,
Ich
wäre den werdenden Wanderwegen
Gefolgt,
bis sie mich mitgespült,
Ich
hätte die Berge, die Wälder gelebt
Und
die Erde umschlungen,
Meine
Adern mit göttlichem Blute durchwebt
Und
hoch in die wilde Unendlichkeit
Als
rasendes Schwert meinen Willen geschwungen;
Allein
zu deinem letzten Born,
Meer,
kehre ich wieder,
Das
alles erneut und vertausendfältigt,
Kehre
zerrissen und selbstüberwältigt,
Und
jenes Weltall, das ich einst gewesen,
Verstreue
ich in dich als Samenkorn;
Denn
Dunkel umhüllt schon mein innerstes Wesen,
Und
das Alter umengt mich, wie Felder der Dorn.
-
Sehr
selten zeigt mein Speer mehr Blutglanz und
Der
Baum des Stolzes grünes Knospentragen,
Und
schwächer küßt sein Laub der Stürme Mund,
Die
wetternd durch die Menschenwälder jagen. -
Will
ich auch meiner Heiden Labung nicht
verschmähen,
So
will ich dieses letzte Mal nun noch
Zu
dir hingehen,
Mein
Herz zu weiten, zu größen,
Und
daß du den Leib mit Kräften tränkst,
Den
du als Leiche einst empfängst,
Ihn
ganz in deinem Leben aufzulösen.
Dann,
o Meer,
Sollst
du mich ganz versenken
Im
Schwalle fruchtbarer Erneuung,
Und
sollst der Wogen schäumende Entzweiung
Mit
meines Leichnams letztem Staube tränken,
Sollst
meine Trauer und die trüben Schatten
Mit
deiner wandellosen Schönheit gatten. -
Ewiger
Kräfte Wirken wird das Linnen
Der
Toten mir dann heimlich schaffend breiten,
Im
heißen Wirbel ihrer Feindlichkeiten
Wird
dann mein Sein ins All zerrinnen.
Doch
wenn tausend und tausend Jahre verwehen,
Wird
es keusch und göttlich erschauernd
erstehen,
Beseelter
Materie urkleinstes Stück,
Eine
neue Sekunde bewuß0ter Wahrheit,
Eine
neue Flamme leuchtender Klarheit
In
der Ewigkeit reglosem goldenen Blick.“
Wie
Gräber, die feuriges Leuchten erhellt,
Scheinen
von Ferne zu Ferne die goldnen
Gefährte
in die weiten Gewässer gestellt.
In
Küssen wieget sich die Brise her;
Und
die Flüsterwetten,
Die
im Traum
An
den Planken sanft zerschellen,
Flimmern
weiß wie Flockenschaum.
Sonntagsfeier
glänzt über das Meer!
zurück
Der
Baum
Ewig
allein
Im
Winterfrost wie im Sonnenschein,
Begrünten
Stammes und fröstelnd-nackt,
Von
der Stille gekost, vom Wetter gepackt,
Ewig
hält er das niedere Land
Mit
der Größe und Wucht seines Wesens gebannt.
Gleiche Felder sieht
er seit Hunderten Jahren,
Die
gleiche Arbeit, die gleiche Saat,
Die Augen derer,
die einstens waren,
Belauschten
ihn schon und die heimliche Tat,
Wie
langsam Ring an Ring im Stamme schwoll
Und
breite Zweige aus der Rinde grünten.
Ruhig
und hoheitsvoll
Sah
er auf sie, wenn sie der Arbeit dienten.
Klingende
Nester wuchsen auf in seinen Ästen,
Er
barg am Tag des Schattens blaue Flut,
Und
den Verliebten war zu stillen Festen
An
goldnen Abenden sein Dunkel traut und gut.
Nach
seinen Tränen, nach seinem Glanz
Messen
die Bauern das Wetter am Morgen.
Er
weiß alle Wunder und Heimlichkeiten,
Die
in den wilden Wolken verborgen,
Und
kennt die Pfade der Sonne ganz
Als
einsamer Hüter vergangener Zeiten
Und
des traurigen Lands.
Doch
wie diese Erinnerung auch sei,
Die
noch in seinem Holze währt,
Wenn
sich erst Januar zu Ende neigt
Und
junger Saft im Stamme aufwärts gärt,
Dann
reckt er sich hoch und hält den Segen
Seiner
Äste, zitternd und neu,
-
Trunkene Blätter, ekstatische Hände! -
Mit
einem unendlichen Jubelschrei,
Der
Zukunft entgegen.
Dann
flicht
Er
der flirrenden Blätter zartes Gezwirne
Mit
rieselnden Fäden aus Regen und Licht.
Er
preßt seine Knoten, renkt Zweige ein
Und
hebt mit Stolz seine wachsende Stirne
In
den besiegten Himmel hinein.
Sein
Wurzelwerk wühlt sich von Schacht zu Schacht
Und
trinkt den Teich und die Erde trocken,
Daß
er selbst oft erschrocken
Anhält
von der wühlenden Arbeit Macht,
Die
er in der Tiefe schweigend vollbracht,
Allein
- wie viele Kämpfe, hart und ungezählt,
Eh
ihn sein Trotz zu solcher Kraft gestählt!
O,
die Schwerter des Winds, die schweren Gewitter,
Die
seine Krone mit Blitzen durchspellten,
Des
Hagels scharfe, schneidende Splitter
Und
der eisig fressende Rost der Kälte!
Doch
ob auch der Schmerz seine Fasern durchnagte,
Es
war keine Stunde, da er verzagte,
Weil
er treu
Und
hartnäckig wollte,
Daß
er mit jedem Frühling neu
In
doppelter Schönheit aufblühen sollte.
Im
Herbst, als ihn schon helles Gold umglühte,
Ging
ich oft hin zu diesem hohen Stamme
Mit
meinen alten Schritten, die schon müde
Geworden,
wenn sie auch noch rüstig sind,
Und
staunte auf, wie - eine rote Flamme -
Sein
Laubwerk lodernd floss im Wind.
In
seinen Wipfeln schienen Millionen
Von
fremden Seelen leisen Sangs zu wohnen.
Ich
ging zu ihm, die Augen heiß von Feuer,
Ich
rührte ihn mit meinen Fingern und
Erstaunte,
wie sein Schwanken ungeheuer
Verbebte
tief bis in der Erde Grund.
Ich
preßte meine Brust an seinen Schaft
Mit
solcher Liebe an und solcher Glut,
Daß
seine Melodie, sein Sein und seine Kraft
Aufquoll
und tief verströmte in mein Blut.
Da
fühlte ich mich seinem vollen Leben nah,
Ich
drängte mich an ihn wie einer seiner Äste,
Und
ihn belauschend spürt ich da:
Ich
liebte jetzt das Licht, die Wälder mehr,
Die
weiten Flächen und der Wolken Heer,
Dem
Schicksal stemmt ich mich mit neuer Feste;
Ich
sehnte mich, das all an mich zu raffen,
Die
Muskeln fühlt ich wundersam geschwellt
Und
jauchzte auf: „Gott hat die Kraft erschaffen,
Daß
sich der Mensch zu kühner Tat begeistert;
Sie
ist es, die noch Edens Schlüssel hält,
Sie
ist die Faust, die alle Türen meistert!“
Und
glühend küsste ich den harten Stamm;
Und
heimwärts wandernd durch die trauervollen
Gelände
nach der roten Abendflamme,
Fühlte
ich erst, wie heiß aus meiner Brust die tollen
Aufschreie
unsagbaren Glückes quollen.
zurück
In
der Frühe
Den
alten Wegpfad streif ich seit der ersten Frühe,
Der
lässig durch die falbe Feldmark lenkt.
Mein Herz ist
heiter, ohne Angst und
Mühe,
Mein Körper ganz
in loses Licht und Luft getränkt.
Ich
geh - wohin? ich weiß es nicht. Und ich begehre
Nichts
mehr an Glück, ich bin so voller Ruh.
Was
kümmert mich des Lebens Last und Lehre:
Der
Kiesel glänzt und klingt an meinen raschen Schuh.
Voll
Stolz geh ich dahin auf meinem Morgengang,
Die
Luft, das Gras so
wundervoll zu finden,
Und
rings die Welt mit
diesem Überschwang
Elementaren
Lebens selig trunken zu verbinden.
O, so
zu wandern wie die Götter einst
der Mythen!
Hin
werfe ich mich in den Wiesengrund,
Dem
ernste Eichen ihre Schatten bieten,
Und
küsse fromm den Blumen ihren heißen Mund.
Die
Bäche murmeln nah, ihr Arm lockt sanft und frisch,
Dort
rast ich gern und zieh dann neu ins Blaue
Dem
Zufall nach durch waldiges Gebüsch,
Von
dessen Blättern ich ein paar im Schlendern kaue.
Mir
ist, als hätt ich bis zu diesem Augenblick
Dem
Tode nur gelebt und nicht dem Leben.
Wie
viel
versäumten so schon ihr Geschick,
Die
toten Büchern ihre beste Kraft gegeben!
Sagt,
ist es wahr, daß alle diese Dinge hier
Gestern
schon waren, Augen, die verrußt
Und
blind vom Alltag blickten, schon vor mir
Der
Früchte Schmelz geschaut und dieser Rosen Blust?
Mir
ist, als sähe ich zum ersten Mal demanten
Den
Wind hinfunkeln durch der Äste Meer,
Mir
ist, als ob mein Herz erst jetzt erstanden
Und
alles neu und jung unter der Sonne wär.
Ich
liebe mein Haar, die Strähnen, die hell und blond mich
umwehn,
Meine
Brust, meine Hand, meine Haut, meine Arme und Augen,
Und
ich möchte, um meine Kraft noch mehr zu erhöhn,
Die
ganze Runde der Welt in meine Lunge einsaugen.
O,
die frühen Gesänge durch Wälder und Felder, durch Riede
und Rasen,
Wo
das ganze Wesen sich wild und wonnig verwirrt,
Wo es
aufschreit, lodert und lacht und in jähen Ekstasen
Toll
von sich selber berauscht und selig welttrunken wird!
zurück
Hymnus
an den Wind
Sage mir,
Wanderer, der
immerzu
Fest
und aufrecht und ungeleitet
Über
die Straßen der Erde schreitet,
Wanderer,
sag, wohin wanderst du?
Ich
liebe den Wind, die Luft und die Ferne
Und
weiß nicht, wohin mein Wandern geht,
Ich
weiß nur, mein heißes Herz ist gerne,
Wo
die Luft aufblinkt und der Wind hinweht.
Der
Wind, wie spielt er im Sonnengeschmeide,
Der
Wind, wie frischt er den Häusern die Farben,
Der
Wind, er faßt mit funkelnden Händen
Die
roten Blüten, das gelbe Getreide
Und
neigt von einem zum andern Ende
Die
reifenden Garben.
Norden
und Süden und West und Ost
Werfen
bald mit goldener Hand,
Werfen
bald mit Fingern von Frost
Den
wandernden Wind als Spielball ins Land.
Jetzt
kommt er lind von den sizilianischen Küsten,
Deren
Golf das Lächeln der Götter umblaut,
Er
durchwellte wandernd die ewige Wüste,
Wo
der Sand sich sein Land um Oasen gebaut. -
Nun
ist er ermattet, sein Atem ermüdet,
Kaum
regt er das Gras am Wegrande rings,
Und
doch: er streifte an die Stirne der Pyramiden
Und
blickte das steinerne Lächeln der Sphinx.
Dann
naht er - vorbei ist die Jahreszeit -
Mit
Nebel im Haar und im Regenkleid,
Dann
kommt er von nordischen Klippen und Bänken,
Von
England, Irland, Jersey, Bretagne,
Wo
die fahlen November ewig den Schein
Der
starren Sterne in Nebeln ertränken,
Er
zieht ohne Feuer und Freude hinab,
Wie
ein Blinder tappt er über die See,
Und
stößt er an Felsen, streift er ein Kap,
So
heult durch die Nacht sein gigantisches Weh.
Doch
den Lenz, wenn die Felder noch keimend sind,
Festigt
und kräftigt der wandernde Wind.
Dann
kommt er von Moskau, wo mit Dächern von Gold
Der
Kreml die purpurnen Sonnen spiegelt,
Aus
unendlichen Fernen kommt er getollt,
Bäumt
sich und schäumt, zerreißt seine Zügel
Und
beißt in die Steppe. Aus der Ukraine
Stürmt
er nach Deutschland mit schmetterndem Dröhnen
Und
läßt die Burgen und Berge am Rheine
Voll
Angst ihre grausen Legenden stöhnen.
Und
nahen die Winter mit nächtigem Schein,
So
ätzt er sich scharf in die Himmel ein.
Dann
kommt er vom Pol, wo die eisigen Barren
Den
Palast des ewigen Schweigens umblitzen,
Still
und gewaltsam in seinem Beharren
Schärft
er die Felsen zu stechenden Spitzen,
Er
fliegt zum Ural, über die Sunde des Nordens,
Rastet
ein wenig bei d en silbernen Fjorden
Und
streut dann über die unendliche See
In
Millionen Flocken den funkelnden Schnee.
Doch
von wo immer er weht, der Wind,
Immer
bringt er als Angebind
Von
den Flügen und Fahrten durch Dorf und Stadt
Etwas
Klares, Reines, unendlich Gesundes.
Denn
wo immer er um die Erde sich schwang,
Überall
hat
Er
rasch mit seinem goldenen Munde
Die
Freude, den Schmerz von Menschen geküßt.
Jedes
Gelüst,
Das
eine ewige Ahnung der Seele entringt
-
Stolz und Hoffnung und großes Verlangen -,
Hat
er mit seinen vier Flügeln beschwingt.
Er
trägt in sich ein wildheiliges Herz,
Das
jauchzt und weint, sich begeistert und kränkt,
Und
das er - wie’s eben die Stunde bringt -
An
irgendeinen verlorenen Schmerz
Oder
ein rauschendes Glück verschenkt.
Wenn
ich den Wind so voll Überschwang
Liebe,
lobpreise und hymnisch besinge,
Wenn
ich von seinem durchsichtigen Trank
Schlürfe
bis toll in die Trunkenheit,
So
ist es, weil er mir jederzeit
Das
starke Gefühl des Lebens erneuert,
Und
weil er - noch ehe er mich durchdrang
Und
tief in der Brust
Mein
stockendes Blut mit Schnelle befeuert -
Zuvor
schon mit sanft oder drängender Lust
Die
ganze unendliche Erde umschlang.
zurück
Die
letzte Sonne
Vielleicht,
Dereinst
in meiner letzten Stunde,
Vielleicht,
Daß
dann - und wärs nur für eine Sekunde! -
Ein
wenig Sonne, zaghaft und leicht
Über
die dunkelnden Fenster schleicht.
Dann
würden meine Hände, die entfärbten, armen,
Von
ihrer Glut noch einmal golden reifen,
Ihr
letzter leiser Kuß mit ihrer warmen
Begütigung
mir Stirn und Lippen streifen,
Und
meine Augen könnten, eh sie stolz verglühen,
Dankbar
so großes Leuchten widersprühen.
Sonne,
wie hab ich deine helle Kraft geliebt!
All
meine Kunst, die störrische und milde,
Zwang
dich hinein ins heiße Herz meiner Gedichte,
Und
wie ein goldnes Feld, das Sommerwind durchstiebt,
So
feiert dich mein Werk in vielem Ebenbilde.
O Sonne du,
die du entfaltest und befreist,
Gewaltiger
Freund, der du den Stolz entzündest,
Laß
es geschehn, daß in der Stunde, da mein Geist
Sich
noch verwirrt vor der zu neuen Prüfung findet,
Daß
du in jener dunklen und gebieterischen Stunde
Mir
Beistand, Bruder und Begleiter seist.
zurück
oben
weiter
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