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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Lichte Stunden

 



Das Licht, o die Pracht unserer Freude
Goldgewebe in der Lüfte Seide!
 
Siehst du das liebe Haus da auf uns warten?
Siehst du die Obstbaumwiese und den Garten?
 
Auf unsere Bank am Apfelbaum weht
der Lenz seine Blüten, die makellosen,
sacht hernieder in zagem Liebkosen.
Ein Schwarm von leuchtenden Tauben steht
hoch in lichtvollen Himmelsweiten,
Künder kommender Seligkeiten.
 
Zwei Teiche sind da, blau umspannt,
Küsse, die schimmernd vom Himmel fielen;
wildgewachsene Blumen spielen
kinderselig um ihren Rand.
 
O Licht unserer Freude, das auf uns harrt
in dem Garten, der unser Sinnbild ward!
 
Fern, wo Wald und Garten sich vermählen,
seh′ ich Schatten still vorüberstehlen;
sage: sind es dein und meine Seelen?
 
Sind es deiner Augen Wunderblüten,
ach die friedenslichten, golddurchglühten?
Und das Gras, das seiner Halme Schar
faltend eintaucht in die klare Quelle,
ist es nicht dein kühles, glattes Haar?
 
Gewiß, so wundertiefe Wonne hält
kein anderes Haus in dieser weiten Welt;
in keinem Garten geht die Luft so lind
um Menschen, die darin so selig sind.

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Wir sehen ihn vor unsern Augen strahlen,
den Garten, den wir glückesstill durchwallen,
und kennen einen, der noch reicher sprießt,
der klar und freudevoll in unsern Seelen ist.
 
Denn wir leben das tiefe Leben
von den Gräsern, den Blättern, den Blumen allen,
wenn unsere jubelnden Stimmen sich heben,
wenn schwer von Glück unsere Tränen fallen.
 
Denn wir leben des Teiches Strahlenfeier,
aus der, von leuchtender Pracht umblaut,
üppiger Rosen Gold und großer Lilien Feuer,
Mund und Lippen von Sonne, schaut,
 
und die Jubellaute, die voll Entzücken
hell aus des Frühlings Kehle brechen,
wenn wir in seligen Augenblicken
sehende, brennende Worte sprechen.
 
Nicht wahr, in unsern Seelen blüht und brennt
der schönste Garten, den die Erde kennt.

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Dies Säulenkapitάl, wo haßentstellt
Unholde furchtbar miteinander ringen
und sich zu grausenvollem Knoten schlingen
von Blut umströmt, vom Schrei der Wut durchgellt,
das war ich selbst, bevor ich dich erschaute,
o du die Neue, du die Altvertraute,
die zu mir kam vom Ewigkeitsgestade,
in beiden Händen Güte, Inbrunst, Gnade!
 
Ich weiß, daß auch in dir die tiefsten Dinge schlafen,
dieselben, die mein Herz durchrauscht;
und durstend wird Erinnerung wach und lauscht
den Tagen nach, da du und ich uns trafen.
 
Sah nicht dieselbe Stunde unsere Tränen
in ferner Zeit aus Kinderaugen taun,
und sah dasselbe Leid und sah dasselbe Sehnen
und sah dasselbe leuchtende Vertraun?
Denn ich bin dein durch jenes Unbekannte,
das meinen Schritt dereinst in seine Gründe bannte,
mein Leben und sein sturmverirrtes Wehn;
und hätte ich nur besser still gehalten,
ich hätte längst durch seiner Wimper Spalten
dein Auge strahlen sehn.
 
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In Nacht hat der Himmel sich aufgetan,
und der Mond hebt die Wache an
um die schlafende, schweigende Welt.
 
Unendliche Reinheit geht durch die Luft,
bleiche Reinheit in weißem Duft;
und aus des Ufers Schilfrohr fällt
ein zitternder Tropfen zaghaft und bang
in den schlafenden See mit leisem Klang
und versinkt in der Wassergruft.
 
Aber meine Hände
umschließen innig die deinen;
Inbrunst und Güte kann ich ohne Ende
in deinen Augen schaun.
Ich fühle dich so sehr mit allem rings im Reinen,
kein Leid verdunkelt unseres Glückes Saum;
und fern, unendlich fern von Furcht und Zagen
lächelt das tiefe, heilige Vertraun,
das wir in unsern beiden Herzen tragen,
sorglos und selig, wie ein Kind im Traum.

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Zu jeder Stunde, da ich deiner Güte
und deiner tiefen, tiefen Schlichtheit denke,
knieet meine Liebe vor dir im Gebet.
 
Ich sah so spät, sah von so fernen Strecken
erst deinen Blick, der meinem längst bereit,
erst deine Hände, die sich nach mir recken
schon lange durch die Unermeßlichkeit.
 
Und das Vertraun in meinem Herzen klagte,
weil es der Rost mit scharfem Zahn zernagte
voll Grausamkeit.
 
Ich war so elend, ich war so müde,
so alt von Argwohn, den mein Herz gelitten;
ich war so elend, ich war so müde
von den Wegen, die ich umsonst geschritten.
 
Ich war das wunderbare Glück nicht wert,
daß deine Füße meinen Pfad verklärt;
und will ich dir danken, so steigen
Tränen auf und heißen mich schweigen.

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Mir ist so oft die sanfte Anmut eigen,
die in dem morgenstillen Garten ruht,
wenn seine Wege fern in Nebelflut
wie zarte Schwanenhälse sich verneigen.
 
Und manchmal schauerst du lebensvoll
wie der junge Wind, der die Luft durchquert,
der mit Blitzesfingern behend und toll
in die Wellenkronen des Teiches fährt.
 
Wenn deine Hände, die zarten,
mich leise streifen, so rauschen
Blätter die Stirn mir entlang;
lähmt Mittagshitze den Garten,
so wachen die Schatten und lauschen
deiner Stimme glückzitterndem Klang.
 
Der Tag vergeht – kein Augenblick, der nicht
durchflutet war von deiner Liebe Licht.
Und nun die todesblasse Hand der Nacht
dein Leben ganz dir selbst zurückgebracht,
nun deine Lider fallen –
fühlst du den Blick, der still nach deinem späht,
der die geliebten, die verborgenen Strahlen
noch einmal küßt in tiefem Dankgebet?

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O laß sie klopfen, öffne ihr nicht,
der flüchtigen Hand an unserer Tür;
unsere Stunde ist so voll Himmelslicht;
was will die Welt noch von dir und mir?
 
Laß die Freude vorbei; sie lärmt
mit ihren knarrenden Klappern,
und sie macht müd′ und verhärmt.
 
laß das tausendstimmige Plappern,
laß das Lachen steigen und fallen;
es wird tosen und wird verhallen.
 
So schön ist diese Stunde: Licht
macht durch den Garten die Runde;
so einzig ist diese Stunde; Licht
liegt uns zitternd im Herzensgrunde.
 
Laß uns nichts mehr erwarten von denen,
die nahn und vorüberziehn,
müde mit müden Melodien,
müden Armen und müden Sehnen.
 
Und ob die Nacht auch Schattenmauern türmt:
wir wollen ruhig ihrem Bann begegnen,
und wollen den Gedanken, der uns schirmt,
den Lichtgedanken unserer Liebe segnen.
 
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Ich habe dir mein ganzes Herz gebracht,
wie Kinder schenken, froh und unbedacht,
als eine große Blume, die sich dem Tau erschließt,
aus deren zarten Spalten mein Mund, mein Mund
dich küßt.
 
Die Blume brach ich dir auf Feuerblumenflächen;
sagte ihr nichts: Worte sind zufallvoll,
seicht zwischen dir und mir; nur durch das Auge soll
zu einer Seele eine andere sprechen.
 
Die Blume ist mein; die Blume schließt
auch mein Gelübde ein, das deinem Munde
nun anvertraut, wie sie zu jeder Stunde
gütig und schlicht und treu und innig ist,
und wie in jungfräulicher Liebe Glut
man sicher ist – ein Kind in Gottes Hut.
 
Und laß den Geist, der auf Blütengeländen
der Eitelkeit schillernde Schwingen regt;
unsere Liebe ist tief und echt, und sie trägt
unser Herz in kristallenen Händen.
Wie ist das schön, wenn in des Abends Leuchten
zwei Seelen sich ihr tiefstes Leben beichten,
und oben stehn
Diamanten, flammend, unzählig,
Augen, die selig
und stumm in unsere Wonne sehn.

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Der junge, gütige Frühling streut
Schönheit über den Garten
und taucht unsere Stimmen in Seligkeit,
in Seligkeit und Erwarten.
 
Der Wind, der murmelnde, spricht
mit den Blättern leis an den Zweigen;
in uns wie ein lieblicher Reigen
fällt ihrer Silben Licht.
 
Aber das beste in uns flieht zurück,
flieht zurück und scheut die Worte;
ein tiefes und inniges Sehnen trägt
besser, viel besser unser Glück
an seines wahren Paradieses Pforte:
wenn deine Seele, ganz ohne Bangen,
auf ihren Knien liegt vor meiner,
und meine, tief in Liebe gefangen,
und andächtig, knieet vor deiner.

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Komm, laß dich nieder am Blumenbeet,
nun lichtvoll der Abend vorübergeht,
die Blüten schläfernd mit ruhigem Blick;
und laß die große Nacht herein in deine Seele,
ihr Schreckensmeer wird still vor unserer Schwelle,
wird still vor unserem Glück.
 
Schon schimmert oben der Kristall der Sterne;
durchsichtig wird das Firmament und rein.
Wir sehen in des großen Himmels Ferne
klar wie in einen blauen Teich hinein.
 
All die Räder der rätselhaft riesigen Uhr
regen sich um dich her;
alle die Stimmen der ganzen Natur
reden um dich her.
Unsichtbarkeit will mit silbernen Pfeilen
deine glühende Seele ereilen;
doch du fürchtest dich nicht, o du Herz voll Licht,
weil du glaubst, daß die ganze Erde
am Werk deiner Liebe mitgeschafft,
damit des Lebens Geheimnis und Kraft
offenbar in dir werde.
 
Falte die Hände; laß dein Herz, das andachtdurchglühte,
still werden im Gebet;
und sieh, wie oben durch Mitternachtweiten
seltsame Morgenröten sich breiten.
wie ein Hauch von Reinheit und Güte
groß und göttlich über den Himmel geht.

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