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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Lichte Stunden

 



Wie heißt das Sakrament, die Weihe, deren Sieben
durch unser Herz in jenen Stunden rinnt,
da wir so weltenfern, so abgeschieden
von allem, was nicht du und ich ist, sind?
 
Wenn wir die Hände falten,
aber nicht zum Gebet;
wenn wir die Arme gebreitet halten
und kein Schrei über unsere Lippen geht,,
wenn wir schauernd ein Etwas verehren lernen
unendlich rein in unendlichen Fernen,
wenn unser Geist innig, atemlos, rein
versinkt in das Unbekannte hinein!
 
Stunden, da höher das Dasein bebt,
wie man euch liebt, sich in euch vergräbt,
wie die Seele brennt, neue Himmel zu stürmen,
neue Götter darein zu türmen,
O diese Freude, die brennt und peinigt,
und der Hoffnung verwegener Schrei,
daß uns dies schweigende Graun noch steinigt
vielleicht, wenn der Tod vorbei!

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O diese Freude,
so selten, so zart, daß uns beide
oft Furcht überkommen will!
 
Wohl schweigen wir, wohl sind wir still, ganz still,
wohl schließen deines Haares schwere Massen
sich über uns schützend und dicht;
aber Sorge und Angst verlassen
unsere Seelen nicht.
 
Doch unsere Liebe liegt mit banger Frage,
ein Engel, auf den Knien und fleht,
daß alle Wonne dein und meiner Tage
in lichter Zukunft mit lebendigem Schlage
leuchtend und rein durch Anderer Herzen geht,
damit ihr Los nicht unser Los verklage.
 
Und wenn am bösen Tag die großen Dämmerungen
in Himmelsflächen hoch mit ihrem Schmerz gedrungen,
bitten wir leise die Nacht, die sich hebt mit flammender Stirne,
daß sie uns mild sei und nicht unserer Seligkeit zürne.

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Laß unserer Liebe herrlichste Gedanken
unserer Liebe herrlichste Gedanken
so kühn durch unser beider Leben ziehn,
daß sie beseligt ineinander ranken,
in tiefstem Glück, in letzter Inbrunst glühn.
 
Weil tief aus gleichgeformter Seelen Schacht
etwas, das heiliger ist als wir
und besser und reiner, erwacht,
laß die Hände uns falten und seine Macht
anbeten, flutend zwischen dir und mir.
 
Und ob wir auch mit Tränen nur ermessen,
wohin es will und weist,
und ob sein Reiz so mächtig , so erlesen,
daß er fast unser Herz zerreißt,
 
laß weiter uns in dieser Liebe leben,
die untersättlich ist und wild,
auf beiden Knien dem großen Gott ergeben,
der jäh und grausam über uns befiehlt,
der uns so stark umwogt mit seiner Wonne Flut,
daß er uns ängstigt und uns wehe tut.
 
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Wenn mein Mund auf deinem liegt, scheinen
unsere Seelen so lichtentfacht,
als ob von Göttern, die in uns sich einen,
das junge Glück durch unsere Küsse lacht.
 
Wie glüht das Herz, erneut von ihrer Helle,
in dir und mir,
als ständen wir
wie sie in Staunen an der Schöpfung Schwelle.
 
Wir sehn die Freude ganz das All bedecken,
Blume, die rankend über alle Strecken
unübersehbar ihren Glanz gewoben,
wie Schar auf Schar da oben
im hehren Land von Seide, das Segel licht durchwallen,
die Myriaden-Blumen der großen Sterne strahlen.
 
Die große Ordnung sieht mit ihren Flammen
uns blendend an; Alles wird Licht und Schein;
die schlichtesten von unseren Worten rahmen
so Leuchtendes, so Wunderbares ein,
daß wir von Neuem immer sie genießen,
wieder vernehmen, wieder sprechen müssen.
 
Wir überwinden die Ewigkeit,
wir sind ein herrliches Heldenpaar,
das von Stolz nichts weiß und nichts von der kleinen Zeit,
und dessen Liebe schimmert, weil sie von jeher war.

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Daß nun die letzten Wünsche sich erfüllen,
die heilig sind um ihrer Tiefe willen,
und auch, wo Sinne brennen, auf uns in Klarheit warten,
so gehn wir miteinander in deines Leibes Garten.
 
Da, wo sich nach mir deine Hände breiten,
wo deiner Brust geliebtes Wunder ist,
und wo, ein Fund verborgener Kostbarkeiten,
ein Schatz von Liebesworten sich schlicht und keusch erschließt.
 
Ich sehe die Schatten der Zweige, der weißen,
um deine Brust, um dein Antlitz reisen;
und deiner Haare Blütenmassen
liegen wie ein Kranz auf dem Rasen.
 
Die Nacht ist silbern und blau, die Nacht
ist ein Lager, aus Schweigen und Glanz gemacht,
die Nacht ist weich;
von den Lilien, die sehnend das Mondlicht trinken,
läßt sie vergehend die Blätter sinken
zur Erde, müde und bleich.

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Ob der Herbst heut zur Nacht
durch die Weiten geht,
ob er auf Pfade und Waldgelände
schimmernd wie goldumsponnene Hände
langsam die Blätter herniederweht,
ob Sturmesmacht
heute Abend des Herbstes Arm bewehrt,
wenn er von innigen Rosenbüschen
strenge die bleichen, die schwärmerischen
Blütenblätter zur Erde kehrt,
sieh es ruhig, wenn nur dazwischen
von den Blumen keine sich mischen,
die unseren Seelen angehört.
 
Aber laß uns flüchten zusammen
an der Erinnerung goldenen Herd,
dort kauern, - gegen die Flammen
Hände und Knie gekehrt.
 
Uns zu hüten, wenn unser Herz erschrickt,
vor unseren eigenen Dämonen,
laß uns fliehn zu dem Herd, zu dem schutzbereiten,
an dem Erinnrung brennt mit ihren Flammenscheiten.
 
Und fürchte nicht den Herbst, der Teiche, Wald und Flur
mit Dunkel und Sturm belastet,
wenn nur
sein Leiden nicht an jene Gärten tastet,
die hell in uns beiden scheinen,
in denen selig auf des Lichtes Spur
unsere Gedanken still die gleichen Schritte einen.

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Die Körper folgen, willige Trabanten,
den Seelen nach, die sich geeint
und sich, die Ersten zu einander wandten,
bis dir und mir, den Sehnsuchtübermannten,
die Stunde nun vollkommenen Findens scheint.
 
Vor deiner Schönheit lieblich junger Blüte
stehst du nur darum froh und glückerschreckt,
weil du erschauernd damit meiner Bitte
in Gnade und Erbarmen zugedeckt.
 
Und nun ich dein bin, sieht in dich noch feiner,
noch lichtbeseligter mein Blick hinab,
und sieht dich besser und vielleicht noch reiner,
seit dein geliebter Leib sein Fest dem meinen gab.
 
Laß Liebe, Liebe nur uns weise machen,
und laß uns nur zu ihr um Rat und Hilfe schaun,
und laß uns alle Vorsicht froh verlachen
und selig sein und trunken von Vertraun.
   
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War ein Verlangen je, ein Glück, ein Schwur,
ein Gedanke, ein Versprechen nur,
die nicht von dir zu mir, von mir zu dir die Spur gekreuzt?
 
War je im Stillen ein Gebet gesprochen,
von dem wir gegen unseres Herzens Pochen
nicht sacht die Hände gepreßt?
 
War je ein Ruf, war je ein Wille,
ein Gelübbde, wild oder stille,
dem du und ich die Schwingen nicht gelöst?
 
Und Apostel, liebesentbrannt,
haben unsere Herzen sich voll Verlangen
zu den erstarrten, schüchternen, bangen
Herzen der Andern gewandt,
trieben sie um des Gedankens willen,
sich dem unsern verlobt zu fühlen,
in freier Inbrunst Liebe zu erheben,
wie Blumenscharen froh den gleichen Ast umgeben,
der sie hineintaucht in der Sonne Lachen;
und unsere Seele, wachsend im Erwachen,
neigt sich nun selig allen Liebesflammen,
die Liebe preisend in der Liebe Namen,
und liebt in göttlich starkem tollen Sehnen
das Weltall, das wir in uns selbst erkennen

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Der Garten mit den großen Flammenblüten,
der uns ein Sinnbild jenes Gartens war,
den lichtvoll unsere beiden Seelen hüten,
scheint heut zur Nacht in Gold und Frost kristallenklar.
 
Ein weißes Schweigen stieg herab und tront
an der Fernen marmornen Horizont,
dahin zu langem geduldigen Troß
gepaart sich die Bäume begeben,
ihren Schatten, blau und riesengroß
und regelmäßig, daneben.
 
Kein Windhauch geht und kein Atem weht;
die großen Segel der Kälte breiten
einzig sich aus von Weiten zu Weiten
auf die gekreuzten Straßen, auf der Moore silbernen Teich.
 
Es ist, als lebten die Sterne all,
und der Reif blitzt so hell wie Stahl
durch des Raumes schimmerndes, eisiges Reich.
Feine, lichte Metalle stäuben
wie ein endloses Flockentreiben
vom bleichen kupfernen Mondesschild;
alles ist Funkenflimmern in Starrheit eingehüllt.
 
Das ist die hehre Stunde, die dem Geist
gebieterisch der Gottheit Nähe weist,
wenn auf der Menschen wechselvolles Leid,
das irrend durch der Erde Fährnis flüchtet,
gut und barmherzig die Ewigkeit
die reinen, wandellosen Blicke richtet.

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Wenn es geschehn kann,
daß wir, ohne es zu wissen,
um einander in schmerzvollem Wahn
verzweifeln und leiden müssen,
wenn je Ermatten, wenn alltägliches Genießen
den goldenen Bogen der Leidenschaft,
den herrlich gespannten, uns erschlafft,
wenn unseres Liebesgedankens Kristall
unseren Händen entgleitet im Fall,
wenn je trotz allem mein Herz sich schämt,
weil es nicht immer ungehemmt
der göttlichen Unermeßlichkeit
der Güte bereit,
so laß uns einander umfassen wie zwei erhabene Narren,
die unter zerschmetterten Himmeln noch an den Gipfeln
beharren,
und, von Sonne die Seele umloht,
im gleichen Flug verglühen in den Tod!

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