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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Stunden des Nachmittags

 

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Liebe Stunde, da ihre Strahlen
lind die Lampe entzündet;
Alles ist ruhig und trosterhellt,
und das Schweigen so tief, daß einer Feder Fallen
sich kündet.
 
Liebe Stunde, da leise
sich zu mir die Geliebte gesellt,
ganz langsam, ganz zart,ganz leise,
wie Rauch, den die Brise wellt;
so still ist sie neben mir
und schweigt noch – aber ich höre
all ihrer Seele Chöre,
fühle sie quellen und schwellen, die hellen,
und die Augen küsse ich ihr.
 
Liebe Stunde,
lind von der Lampe verklärt,
da aus dem tiefen, aber lichten Grunde
des Herzens die innigsten Worte tagen,
zu sagen,
daß man sich lieb gehabt, so lang der Tag gewährt.
 
Und den schlichtesten Dingen sinnt man nach:
der Frucht, die man im Garten brach,
der Blume, die sich erschloß
zwischen dem grünen Moos,
und dem Gedanken, der jäh erschüttert
im Erinnern an ein Liebeswort war,
das in alter Lade verwelkt, verwittert
lag auf einem Blatt aus vergangenem Jahr.

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Der toten Jahre tote Küsse liegen
wie ein Siegel auf deinem Gesicht;
und des Alters gramvolles Stürmen bricht
manche Rose aus deinen Zügen.
 
Dein Mund und deine großen Augen warten
nicht mehr auf mich, ein junger Festestag;
dein Haupt sinkt nicht mehr, schläfrig, allgemach
in deines Haares schwarzen schweren Garten.
 
Und deine lieben Hände, die so lind
geblieben, - ihre Finger streifen
nicht mehr um meine Stirn wie Lichtesreifen,
ein Morgenglanz, der um das Moos sich spinnt.
 
Dein Körper, jung und schön und frühlingsreich,
den ich mit meinen Träumen einst verbrämte,
verlor die Frische, die den Tau beschämte;
nicht mehr den Blütenästen sind deine Arme gleich.
 
Die Zeit zwingt welkend alles in ihr Grab,
selbst deiner Stimme Ton ist nicht der alte mehr;
vor deines Leibes müdem Schild sinkt schwer
der Jugend strahlender Triumph herab.
 
Aber mein festes heißes Herz, es fühlt
nichts von der Macht, die alles lähmt und kühlt,
weil nichts uns beide jemals aus den Tristen,
in denen unser Wesen wurzelt, drängt,
weil unsere Seelen sich zu sehr vertieften,
als daß an Schönheit ihre Liebe hängt.

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Seit fünfzehn Jahren kling nun unser Denken
im gleichen Klang; sieghafte Liebe ringt
mit der Gewohnheit, die in stählernen Gelenken
die stärkste Sehnsucht langsam niederzwingt.
 
Ich seh dich an und sehe heller immer
in deine Anmut, deinen Stolz hinein;
was deiner Schönheit Stirn entwich an Glanz und
Schimmer
strahlt lauter, licht und golden aus deines Herzens Schrein.

Die Reife nahe dir, und deine Seele
blieb eine junge, eine blanke Wehr;
mit lichten Masten, rasch wie eine Karavelle,
stürmt unser Glück von dannen auf unserer Sehnsucht
Meer.

Und unser Glaube liegt in uns allein gegründet,
in unerschöpfter Güte und nackter Offenheit;
und unser Tun und unser Leben windet
Vertrauen sich in Freude und in Durchsichtigkeit.

Über den finstern Pfad gingst du, das Herz in
Flammen,
unendlich rein und zart, und das war deine Kraft;
und deine Seele strahlt, ob Nach und Nebel kamen,
in ihres Morgens Blumen noch süß und kinderhaft.
 
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Ich glaubte unsere Freude tot, nie mehr
zu erwarmen,

Sonne, die fröstelnd welkte, eh' Dämmrung mit
ihr rang,
an jenem Tag, da rauh mit bleibeschwerten Armen
in seines Grames Sessel mich das Siechtum niederzwang.
Mir war, als ob der Garten, der lichte, trog und
grollte;
mein Auge sah voll Schmerz den weißen Mittag
glühn;
aus meinen beiden müden Händen wollte
schon zitternd unseres Glückes Kleinod fliehn.

Und meine Wünsche wuchsen zuchtlos in Zorn und
Fehde,
wie Disteln stechend, wenn der Wind sie schlägt;
mein Herz verschloß sich jäh, mein Herz war hart
und öde,
ein Wüstenfeld, das nichts als Eis und Asche trägt.

Da gabst, von unerforschter Lieb' gerüstet,
du mir das Wort, das licht mit Trost umhegt,
an dessen Glut mein Leben sich gefristet,
an dem ich nachts mich wärmte, bis sich der Tag
geregt.

Und den verarmten Mann, dem seine Krankheit Schande
sich selbst und Allen schien, du sahst ihn nicht;
du pflücktest Blumen mir vom Fensterrande
und ließest mich gesunden an deiner Zuversicht.

Und du hast mir in deines Kleides Falten
den Wind von Wald und Feld, die freie Luft
gebracht;
was Nacht- und Tagesgraun von Duft und Glanz
enthalten
und Sonne, hat mir tief und rein dein Kuß gesagt.

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Alles, was unter dem weichen zarten
Licht um uns her lebendig ist,
schwankende Äste und Rosen, liebliche Gräserarten,
der Wind, der sie umflattert, der Schatten, der sie küßt,
und die singenden, springenden Vögel,
die tollen in Schwärmen dicht,
Edelsteintraubenkegel,
funkelnd im Sonnenlicht,
was hier im Garten lebt in Pracht und Lichtesstieben,
liebt beide uns kinderfroh,
und wir lieben
es ebenso.

Wir lieben die Lilien, die für uns aufgeblüht;
die hohen Sonnenblumen, so hell wie der Zenit,
Kränze von feinen Flammen um einen dunkeln Kern,
umglühn mit ihren Strahlen auch unseres Wesens Kern.

Die schlichtesten Blumen, Flor und Flieder,
neigen zu unsern Füßen sich nieder
an den Wänden zwischen dem Mauerkraut;
Gräser, die auf dem Rasen sich breiten,
öffnen unbewußt, wo wir schreiten,
ihre Augen, klar und demantbetaut.

So leben wir mit Blumen und Gräsern zusammen,
glühend und innig, rein und schlicht,
wie die Garben im Gold verloren in Liebesflammen,
und horchen, was der schöne Sommer spricht,
und lassen sacht ihn Sinne, Herz und Willen
in seinen Reiz und in sein Silber hüllen.

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Mein Blut, mein Herz, mein Hirn,
mein ganzes Wesen steigen

wie Fackelflammenbrand zu dir empor und neigen
deiner Güte sich, deiner Barmherzigkeit,
die unendlich opferbereit
sich verschwendet und sich erneut;
ich liebe dich und danke dir und preise
dich, die du eines Tages kamst
auf der Treue Pfad und mein Leben leise
in deine wohltätigen Hände nahmst.

O die Liebe, die rein und kristallenklar
mein eigen seit jenem Tage war!
Ich weiß, ich weiß, wie sie taugelind
auf meine beruhigte Seele rinnt;
und wie die Flammen immer wieder dringen
zurück an ihres Kohlenbeckens Glut,
so bin ich dein; mit niegelähmten Schwingen
stürmt zu dir meine Seele und mein Blut.
So lange steigt Erinnerung hernieder
in deines Zaubers tiefe Anmut, daß
mir jäh von Tränen die Lider,
von unvergeßlichen, naß.

Dann kehre ich zu dir, gesammelt, glückerfüllt,
und stolz dir immer der zu sein gewillt,
von dem die besten deiner Freuden stammen.
Sieh um uns her all unsere Liebe flammen;
nach deinem Rufe sich mein ganzes Wesen heben;
die Stunde ist einzig, in Wonne und Feier gereift,

an deiner Schläfe meine Finger beben,
als ob sie von deinen Gedanken die Seele in Blüten
gestreift.

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In den Tagen, die stille Gesundheit erhellt,
wenn schon wie ein Triumph das Leben vorwärts
teuert,
kommt die gute Arbeit heran und gesellt
sich mir wie ein Freund, den man feiert:

kommt aus lindem, strahlenden Land,
Worte, lichter als Tau, zu bringen,
Worte, die wie ein funkelndes Band
unsere Sehnsucht und unsern Traum umschlingen;

ist ein Wirbelsturm, der den Menschen durchloht,
läßt den Geist auf gewaltigen Pfeilern thronen,
gibt ihm das Feuer, aus dem die Sonnen
erstrahlen, und macht ihn jäh zum Gott.

Wenn Schreck ihn erschüttert, ihn Wonnen durchglühn,
ihren Wille hat sie unbeugsam gewählt,
damit jünger der Schönheit Blutwellen sprühn
in den Adern der Welt.

Ich bin eine bebende Beute, die sie herrisch um-
schlungen hält.

Und kehre ich dann, wenn auch schwer und matt,
zurück zu deiner Liebe Ruhestatt,
indes mich noch die Flammen umranken
von meinem weiten und hohen Gedanken,
so scheint - o nur sekundenlang! - es mir,
als ob mein Herz, vom Fluge noch erregt,
mit seinem eigenen Keuchen nun zu dir
den Herzschlag und den Schauer des Weltalls selber trägt.

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Ich bin aus des Schlafes Schattenhain
ein wenig trübe geschritten,
weil fern noch vom lachenden Morgenschein
seine Blattgewinde dich hüten.

Schon schimmern die Flore, schon leuchtet der Rosen
bange Schar;
ich gehe im Garten und mich umschwirren
Gedanken an Verse, die funkelnd klirren
wie Silber und wie Kristall so klar.

Bis jäh mein Schritt mich wieder zu dir führt,
so ungeduldig, bange und verwirrt,
als ob, dich hell und freudig aufzuwecken,
mitten durch dichtbelaubte Schlummerstrecken,
die noch vor dir ihr Dickicht nicht geteilt,
von fern zu dir schon meine Sehnsucht eilt.

Und wenn mich unser kühles Haus empfängt,
von Dunkelheit und Stille noch verhängt,
so klingt von meinen Küssen lebendig jung der Hall
hell wie ein Lied vom Morgen in deiner Schönheit Tal.

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Als ich die Krankheit dumpf und hart
mit meinem Blut, das träge floß,
mir meinem Blut, das wechsellos
immer schwerer und träger floß,
durch meine Adern ihr Blei gekarrt,

als meine Augen auf meinen bleichen
langen Händen die Spur gesucht,
die darauf das tückische Schleichen
des Siechtums gebucht,

als meine Haut welk auf mir lag,
eine dorrende Rinde, als ich zu schwach,
meinen flammenden Mund deinem Herzen zu nahn
und unser Glück zu küssen daran,

als das Heer der Tage vorüberzog,
mein Leben nagend mir Gram und Grillen,
nie hätte ich die Kraft und den Willen
gehabt, mich aufrecht zu recken und hoch,

wenn du nicht - ach, durch wieviel lange Wochen? -
mit linder, lieber, geduldiger Hand
mir das geheime Heldentum gesandt,
das dich beseelte, schlicht und ungebrochen.

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Der lichte Garten ist die Kraft.
Er erschafft
sie in nimmermüdem Verschwenden
immer wieder mit tausend Händen,
mit dem Rauschen und mit dem Fall
seiner Blätter und Zweige all.

Und sein Schatten, in den nach langen Wegen
unsere müden Schritte sich legen,
gießt
in unserer Glieder ermattete Pein
eine Stärke, wohltätig, rein
und lebensvoll wie sein Moos es ist.

Wenn mit Wind und Sonne der Teich sich neckt,
so sieht es aus, als ob versteckt
in seinem Grund ein Purpurherz sich regt
und jung und innig mit den Fluten schlägt;
und die ragenden Lilien, die glühenden Rosen,
die sich regen, glanzvoll und königshaft,
reichen uns, scharlach- und blutumflossen,
Schalen von Gold auf lebendigem Schaft.

Der lichte Garten ist die Kraft.

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Juni schien durch den Garten hin;
unser Tag und unsere Stunde war,
und über die Dinge glitten
unsere Augen so liebesklar,
daß es schien, als ob in den Rosenblüten
ein Schaun, ein Erschließen, ein zärtliches Bitten
um Liebe war.

Der ganze Himmel strahlte wie nie zuvor so rein;
alle Vögel, alle Insekten
flogen froh im Gold, in der Freude
einer Luft, die fein war und zart wie Seide,
und unsere herrlichen Küsse weckten
die Vögel und die Sonne zu immer hellerm Schein.

Es war ein Glück, das jäh sich zu entfalten
begehrte, wie der Himmel weit und blau;
das ganze Leben drang durch seine Spalten
weiternd und läuternd licht in unseres Wesens Bau.

Und wir fanden nichts als beschwörende Schreie
und Gebete, herrisch und ungestüm
und die Sehnsucht, dem Himmel aufs neue
Götter zu schaffen, um dann zu ihm
hinaufzusehn in junger Glaubensweihe,

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Zur höchsten Höhe will dein Flug
sich wagen,
bis in der Liebe fernsten Himmelsstrich;
und deine Inbrunst kennt kein Stocken, kein Versagen,
du gibst dich nicht allein, nein, du verschwendest dich.

O deines Herzens wunderbare Weihe!
Ein Blick, ein Händedruck macht dich so glutverklärt,
daß ich oft deinen Mund und deine Augen scheue,
weil du mich zu sehr liebst und weil ich dein nicht wert.

O Seligkeiten, die es fast zerbrechen,
das arme Menschenherz, das eurem Sturm sich neigt,
und das die Reue tränkt, das Schuld und Fehler stechen,
das eurem Glanze hilflos nur Tränen, Tränen zeigt!


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Sommergarten, wo nichts mehr
sich regen will!
Nur da unten im Strahlenteich
mitten auf seinem Lichtbereich
feuerzungengleich
roter Fische Spiel.

Das sind Erinnerungen, die ranken
um unsere stillen, stillen Gedanken,
die wie dies Wasser leuchten und blaun
klar in Ruhe und in Vertraun.

Und die Sonne brennt jäh und brennt wunderbar,
und das Wasser scheint und die Fische fliegen
zwischen dem grünen Ginster, der Muscheln
schimmernder Schar,
den Goldkreisen, die reglos liegen
um die Ufer, purpurklar.

Und selig sehn wir sie nahn und scheiden,
in der Lieblichkeit, in den Strahlen,
die um sie wallen,
ganz ohne Furcht, daß uns beiden
aus dem Grund an das Flächengefild
andere Reue als flüchtige Reue quillt.


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Die Stunde, die verwünscht,
die Stunde voller Grillen
hielten vor uns so wie vor andern still,
und ließen unser Herz ihr schwarzes Siegel fühlen;
aber nie, auch wenn die Nacht
über dem bösesten Tage fiel,
haben von Hader verhärtet unsere Herzen einander

verklagt.

Aufrichtigkeit war da für unsere Seelen
wie ein Gewässer voller Wunderkraft
und klärte mit den großen Flammenwellen
all ihren Gram, all ihre Leidenschaft.

Und wie am Rosenkranz die schmerzenvollen
und bittern Perlen nach einander rollen,
haben all unsere ärmste Armseligkeit
wir Glied für Glied uns schluchzend aufgereiht
und vor der Liebe Antlitz sie verbüßt
und scheu und zart und ungeduldig schneller
auf Lippen, die sie laut geschmäht, die Fehler,
mit denen wir uns weh getan, geküßt.

Das war
die Waffe, die sich kühn und gerade wehrte,
daß nie ein Streich je unser Glück versehrte,
lag in der Welt, lag in uns selbst Gefahr;
so sahn wir unsere Seele neu erstrahlen,
wie, wenn der Regen tief sich ausgeweint,
die Reinheit eines Fensters jung, kristallen
unter der Sonne Trost und Wärme scheint.


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