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Literatur


04.2




Politische Gedichte

Allgemein




Schleswig-holsteinische Gräber

Nicht Kreuz, noch Kranz; das Unkraut wuchert tief!
Denn die der Tod bei Idstedt einst entboten,
Hier schlafen sie; und Deutschlands Ehre schlief
Hier dreizehn Jahre lang bei diesen Todten.

Und dreizehn Jahre litten Jung und Alt,
Was leben blieb, des kleinen Feindes Tücken,
Und konnten nichts, als stumm die Faust geballt
Den Schrei des Zorns in ihrer Brust ersticken.

Die Schmach ist aus! Der ehrne Würfel fällt;
Jetzt oder nie! Erfüllet sind die Zeiten;
Des Dänenkönigs Todtenglocke gellt;
Mir klinget es wie Osterglockenläuten.

Die Erde dröhnt; von Deutschland weht es her;
Mir ist, ich hör’ ein Lied im Winde klingen,
Es kommt heran schon wie ein brausend Meer,
Um endlich alle Schande zu verschlingen! –

Thörichter Traum! Es klingt kein deutsches Lied,
Kein „Vorwärts!“ schallt von deutschen Bataillonen;
Wohl dröhnt der Grund, wohl naht es Glied an Glied;
Doch sind’s die Reiter dänischer Schwadronen.

Sie kommen nicht! Das Londoner Papier,
Es wiegt zu schwer; sie wagen’s nicht zu heben
Die Stunde drängt. – So helft, ihr Todten hier!
Ich rufe euch, und hoffe nichts vom Leben.

Wacht auf, ihr Reiter! Schüttelt ab den Sand,
Besteigt noch einmal die gestürzten Renner!
Blast, blast, ihr Jäger! Für das Vaterland
Noch einen Strauß! Wir Brauchen Männer, Männer!

Tambour, hervor aus Deinem schwarzen Schrein!
Noch einmal gilt’s das Trommelfell zu schlagen.
Soll euer Grab in deutscher Erde sein,
So müßt ihr noch ein zweites Leben wagen!

Ich ruf umsonst. Ihr ruht auf ewig aus;
Ihr wurdet eine duldsame Gemeinde.
Ich aber schrei es in die Welt hinaus:
„Die deutschen Gräber sind ein Spott der Feinde!“

Heiligenstadt, 2. December 1863.
Theodor Storm




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