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Literatur


04.2



Politische Gedichte

Karl Frohme
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"Wilde"

Schmäht doch nicht so auf die „Wilden“ und verhöhnt
sie nicht,
Sie sind in gar manchen wicht‘gen Dingen ganz bedeutend
klug gesinnt.
Beispielsweis die Karaiben fern in Südamerika;
Höret, wie sie sich verhalten in dem Punkt: pro patria.
Wer bei ihnen um die Würde des Kaziken kandidiert,
Muß beweisen, daß ihn echte Karaibentugend ziert:
Ausdauer und Selbstbeherrschung, Unerschrockenheit
und Mut
In den allerschlimmsten Lagen, kost' es Leben, Gut
und Blut!
Volle fünfzig Tag' und Nächte muß er strenge fasten bei
Einer äußerst knapp bemess'nen Portion dünnem
Hirsebrei.
Mit der Palmbaumwurzelpeitsche man ihn täglich
zweimal haut,
Ohne daß er äußern dürfte den geringsten Schmerzens-
laut.
An zwei Bäume festgebunden wird er dann, auf daß
der Rauch
Unter ihm geschürten Feuers kämpf‘' mit seines Mundes
Hauch,
Während alle Stammesbrüder — zu erhöhen seine 
Pein —
Um ihn singend, rauchend, schmausend, Branntwein
trinkend sich erfreun.
Und zuletzt wird ihm ein Halsband voll' Ameisen 
umgelegt,
Die ihn fürchterlich Zerbeißen, wie er sich auch stellt
und regt.
Dann ist's mit der Qual zu Ende; doch noch muß der
arme Mann
Zeigen, daß er Hütt' und Kanoe ganz allein sich bauen
kann.
Erst wenn alle diese Proben — und noch andre leicht'rer
Art —
Der Examinand bestanden, dann erst wird geoffenbart,
Daß nach allem, was man mit ihm wochenlang sich hat
erlaubt,
Er befähigt sei, zu werden seines Stammes Oberhaupt. —
Roh zwar ist solch ein Examen — wenigstens was die
Tortur
Anbetrifft — jedoch entspricht es karaibischer Natur.
Können keinen Schlemmer brauchen, jene „Wilden",
keinen Held
Mit dem Maule, keinen Schwächling, der gegeb'nes Wort
nicht hält;
Sie verachten all und jede Sinekurentheorie
Mit der Faulheit stink'gem Lohne und der noblen
Perfidie!
„Unser Oberhaupt" - so sagen sich die Karaiben klug -
„Muß uns Vorbild sein im Hungern, wenn's nicht
Nahrung gibt genug:
Muß uns Vorbild sein im Ringen mit Gefahren, Drangsal,
Not,
Und durch eig'nes Schaffen sorgen für sich Unterkunft
und Brot."
Diese Karaiben wissen also auch was gut und recht;
Ist die Praxis gleich barbarisch, die Idee ist gar nicht
schlecht.
Bei zivilisierten Völkern ist es leider nicht ganz so,
Da hat man oft Aemterträger, dümmer noch wie
Bohnenstroh,
Faul und feige, hochmutsnärrisch, prahlend mit
Erhabenheit,
Aber doch Repräsentanten gottgewollter Obrigkeit.
Jämmerliche Kreaturen, welche der Vernunft zum
Hohn
Ihr Amt der Gewalt verdanken oder hoher Protektion.
Drum: schmäht nicht so auf die "Wilden" und verhöhnt
sie nicht, sie sind
In gar manchen wicht'gen Dingen klug und auch gerecht
gesinnt!

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Der Teufel am Bau

In vielen Sagen ist es zu lesen,
Die auf uns gekommen aus früherer Zeit,
Wie Satan mit bösem Schabernackwesen
Den Menschen bereitet hat Schaden und Leid.
Wo irgend ein Bau, lag er auf der Lauer,
Und wenn die Rüstung zusammenfiel,
Oder dumpfkrachend einstürzte die Mauer,
So hatte er sicher die Hände im Spiel;
Er rückte die Balken und löste die Pflöcke,
Den Kalk verdarb er — das fördernde Seil
Zermürbte, daß die gewaltigen Blöcke
Herniedersausten in tödlicher Eil'.
Bei all den infamen teuflischen Streichen
Bezahlten die Werkleute schweren Tribut,
Es wurden viele zu Krüppeln und Leichen,
Benetzend den Mörtel mit ihrem Blut.
Doch wenn der Meister kecklich verschrieben
Die eigene Seel' für des Satans Gunst,
So ist von Unheil verschont geblieben
Der Bau, er gedieh durch teuflische Kunst.

Heut' spottet man solcher grausiger Sagen,
Der mythische Teufel wird lustig verlacht —
Doch übt noch mitunter in unsern Tagen
Ein a n d e r e r  Teufel am Bau seine Macht.
Es schaffen voll Eifer viel fleißige Hände,
Die rastlos sich mühen ums tägliche Brot;
Hier wachsen empor die gewaltigen Wände,
Der massige Turm dort, der riesige Schlot —
Da wirkt er, um blinkendes Gold zu erwerben,
Der Kunst und der Menschlichkeit schnöde zum Hohn,
Wie früher sein Ahnherr, so streut er Verderben,
Der Teufel P r o f i t s u c h t, der schlimme Patron.


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Neujahrsgruß
1887

Aus vollem Herzen guten Gruß
Zum hohen Fest der Jahreswende,
Euch allen, Freunde, einen Kuß
Und Glückeswünsche ohne Ende!
Ach könnt' ich, was ich wünsche, geben,
Fürwahr —
Ihr solltet allesamt erleben
Ein reiches, hochbeglücktes Jahr
Und mehr: all eure Lebenstage,
Sie würden heiter, still und rein,
Ganz ungetrübt von Not und Plage,
Des wahren Menschtums würdig sein.
In allen Landen aller Zonen
Würd' in der lichtsten Herrlichkeit
Im Bunde mit der Wahrheit thronen
Die ewige Gerechtigkeit.
Am Arm des Friedens würde schreiten
Die wahre Liebe durch die Welt
Und ihre Hände segnend breiten,
Wo Mensch zum Menschen sich gesellt.
Frei, stark in Recht und groß in Tugend,

Erlöst aus finstern Geistes Bann,
Zu blühn in immer neuer Jugend,
Schlöss' Volk an Volk sich liebend an;
Vorüber wär' das grimme Streiten
Und 's Betteln um das liebe Brot
Und ausgetilgt für alle Zeiten
Der tausendfache Fluch der Not.
Des Elends Herrschaft wär' gewendet,
Die jetzt auf Millionen ruht,
Wenn jeglichem das Seine spendet
Der Arbeit heil'ge Segensflut. —

Das alles schließt mein Wünschen ein.
Wird's dermaleinst wohl Wahrheit werden?
Bricht wohl einmal die Zeit herein
Solch hehren Glückes auf der Erden?

O, zweifelt nicht, die Zeit wird kommen,
Wir haben längst ihr Unterpfand;
Schon ist ihr Morgenrot erglommen,
Hellstrahlend über allem Land.
Wir ahnen froh der Zukunft Segen,
Erfüllt von mächt'gem Schaffensdrang,
Und ringen mutig ihr entgegen
Und grüßen sie mit Hymnensang.

So kling hinaus wie Frühlingswetter,
Das neu begrünt das öde Feld,
Den kranken Herzen ein Erretter;
Der Sang der Hoffnung durch die Welt
Sei der Erzeuger neuen Lebens,
Dem keine Macht die Kraft mehr nimmt,
Wo noch ein Funke edlen Strebens
Fürs Menschenwohl im Busen glimmt!
Du, heil'ger Geist des Menschtums, leite
Uns wie seither treu, stark und wahr
Und trag uns dein Panier zum Streite
Hochflatternd vor im neuen Jahr!
Leih deinen Kämpfern neue Stärke
Und schenk all denen deine Gunst,
Die treu sich müh'n am großen Werke
In Arbeit, Wissenschaft und Kunst!


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Ein sommerlicher Neujahrsgruß
1906

Ferienrast hab’ ich gemacht.
Noch mischt der süße Duft der Rosen
Sich mit der linden Lüfte Kosen,
Noch steht der Wald in grüner Pracht,
Der Sommer ist noch weit vom Ende,
Da mahnt mich der Kalendermann
Um ein Poem zur Jahreswende,
Daß er sein Werk vollenden kann.
 
Fürwahr, der Freund tut seine Pflicht!
Ich habe ja vor vielen Wochen
Schon ihm solch ein Poem versprochen;
Die Muse, meint er, feiert nicht;
Da hat er recht. Wer ihr ergeben,
Der singt in Sommerherrlichkeit,
Wenn über ihm die Lerchen schweben,
Ein Lied auch für die Winterzeit.
 
Im Sonnenglanz, am Meeresstrand,
Die blaue Flut zu meinen Füßen,
Drängt mich’s, euch inniglich zu grüßen,
Ihr Freunde all im Vaterland.
Und wie die Wellen rauschend ziehen
Daher, dahin in raschem Lauf,
Erklingen Feiermelodien
Mir aus der tiefsten Seele auf.
 
Sie tönen jenem Geist, der frei
Die Menschheit fort und fort entsündigt
Und ihr stets neues Heil verkündigt,
Wie tief im Unheil sie auch sei.
Dem Geist, der zu gewalt’gem Streben
Dich, Volk der Arbeit, flammend mahnt
Und dir zu einem neuen Leben
Trotz jedem Feind die Wege bahnt.
 
O, möge dieses Geistes Kraft
Zu opferschwerem, hartem Ringen
Dich ganz erfassen, dich durchdringen
Mit heil’ger Menschtumsleidenschaft,
Die endlich sicher dich entwindet
Der Knechtschaft Fluch, des Elends Schoß,
Die zwingt, was dich bedrückt und bindet
An ein unwürdig niedrig Los!
 
Mach’ deine Seele frei vom Zwang,
Vom Drucke sklavenhafter Bürde,
Daß das Bewußtsein deiner Würde
Dir gibt den echten Kampfesdrang,
Und daß du sonder Furcht und Bangen
Dich scharst ums Banner deines Rechts
Mit deinem Hoffen und Verlangen
Zum Heil des kommenden Geschlechts!
 
Mit diesem Wunsch, der rein und klar
Wie Meerflut nimmt den Weg ins Weite,
Geb ich euch, Freunde, das Geleite
Zu neuem Kampf im neuen Jahr.
Nicht ruh’n, nicht rasten, nimmer zagen,
Mit allen Guten im Verein
Stets mutig, siegesfreudig wagen,
Soll allzeit unsere Losung sein.


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