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Literatur


04.2


Politische Gedichte

Kurt Tucholsky




Der Geschlechtslose

Ich habe keine Zeugungsglieder.
Ich bin kein Mann – das steht mal fest.
Mir ist der Umsturz sehr zuwider –
ich hasse Lenin wie die Pest.

Was auch geschieht, ich respektiere
die Uniform voll Bürgersinn.
Und treten mich die Unteroffziere,
so schmerzt mich nur, dass ich es bin.

Mich zieren keine runden Brüste.
Ich bin kein Weib – das ist mal klar.
Wer mich im Kompromiss auch küsste:
noch nie geschahs, dass ich gebar.

An alle hab ich mich verloren,
ich gab mich allen einmal hin.
Wie kommts, dass die zum Sieg erkoren,
und dass ich stets der Dumme bin?

Was ist es nur –? Ich seh mein Leibchen
im Spiegel an, und in der Tat:
Ich bin kein Männchen und kein Weibchen –

ich bin ein deutscher Demokrat








_________________________________
Textgrundlage:  "Der Geschlechtslose" Kurt Tucholsky,
aus: Mit 5 PS, S. 361, Auflage 10-14. Tausend,
1928, Verlag Ernst Rowohlt, Berlin

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Logo 125: "Alte Mühle", Egon Schiele,
Entstehung: 1916, Aufbewahrung: Wien,
Niederösterreichises Landesmuseum, gemeinfrei

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