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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Die Kaiserin



Der Wanderer auf nachtumhüllter Bahn
Stieg einen Feuerberg hinan,
Und starrte nieder in die Schwefelmündung.
Dumpf donnerte der Berg in seinem tiefen Schoos;
Die Stimme schrecklicher Verkündung
Brach grollend aus dem Abgrund los.
Von schwarzen Wolken wälzte sich ein Schwall
Empor, es dröhnte Knall auf Knall,
Und Blitze zuckten roth und fahl
Durch jene Schleier, bis mit einemmal
Ein tausendfacher Donner kracht, der Boden bebt,
Und eine Riesenfeuersäule sich erhebt,
Hoch, unermesslich hoch, wie ein Kometenschweif,
So steht der flammenrothe Feuerstreif,
Wirft Felsenmassen himmelan,
Und glühroth bricht ein Lavastrom sich Bahn,
Und glühnde Asche deckt auf weite Strecken
Das Land, die Menschheit bangt in unnennbarem Schrecken,
Im Jammer und Gebet thut sich ihr Zagen kund,
Doch schliesst sich nicht der fürchterliche Schlund.
 
Der Wanderer stand ruhig, nachtumhüllt,
Von Donnertosen des Vulkans umbrüllt,
Und sah die Feuerwogen niederziehn,
Die Blitze hell durch Aschenwolken sprühn,
Sah Wälder brennen, Städte schwinden,
Und rief den Flammen und den Winden:
„Verheert!“ und fürchterlich ward das Gebot vollbracht;
Dann schwang er sich empor und schwebte durch die Nacht
Wie Meteoresleuchten, flog durch Wolken bleich,
Und stand im deutschen Reich. –
 
Dort wo die Kaiserpfalz sich prangend hob,
Mit stolzen Zinnen, kühngewölbten Bogen,
Da kam die Kaiserin gezogen,
Um deren Antlitz Jugend Anmuth wob.
Sie schritt einher, ein stilles Götterbild;
Jungfraun voran mit zücht’gem Schritte,
Den Blick gesenkt, schuldlos und blühend mild,
Viel Dienerinnen nach voll Ernst und Sitte;
Da trat der Wandrer ihr als alte Trute nah,
Die Herrin bebt vor dem, was jetzt ihr Auge sah.
 
Vor ihren Füssen thut ein offnes Grab sich auf,
Als woll‘ es ewig hemmen ihren Lauf.
Und wie sie zögernd steht, mit rückgebognem Leib,
Da fasst sie grausig an das alte Weib,
Und zeigt aufs Grab, und spricht, zu ihr gewandt:
„Zwei Briefe hast Du fortgesandt,
Unselige, verfluche Deinen Boten,
Der jeden gab in eine falsche Hand;
Dich zählt man morgen zu den Todten!“
Ihr dunkelt’s vor dem Blick,
und Weib und Grab verschwand.
 
Wohl ward erfüllt das traurige Gesicht,
Denn der Gemahl erschien beim nächsten Morgenlicht,
Von Eifersucht erfüllt, der Sinne fast beraubt
Und fürchterlich in seinem Zorne flammend,
Auf schändlichen Verdacht, und ungehört verdammend,
Und unterm Henkerbeil, ach, sank ihr schönes Haupt. –
 
Ach, Eifersucht ist ein wildtobender Vulkan,
Er donnert, flammt, und hört der Unschuld Fleh’n nicht an. –
 
Der Wandrer aber stand und sprach am Hochgericht:
„Mein seid ihr Alle, schuldlos oder nicht!
Ob sich ein Kronenreif um eure Stirnen zieht,
Ob nur ein Blumenkranz in euren Locken blüht.
Ihr Staubgebornen, bebt vor meiner Macht,
Ich bin des Tags Tyrann, und der Tyrann der Nacht!
Hüllt euch in Purpur – meine Hand
Zerreisst euch das Gewand!
Schliesst euch in Mauern, panzert euch in Stahl,
Mit mir zu wandeln bleibt euch keine Wahl!
Kniet vor dem Hochaltar, ich find‘ euch dort, wie hier,
Denn keine Freistatt gibt’s vor mir!
Ich bin ein König über Meer und Land,
Wer ist so kühn, und leistet Widerstand?
Wer ist so mannlich, und so hochgestellt,
Dass meine Sichel ihn nicht fällt?
Wie Halmen sinken, die der Schnitter mäht,
Wie Herbstwind welk vom Baum die Blätter weht,
Wie Thau in Blumenkronen perlend glüht,
Dann spurlos schwindet und sein Thron verblüht,
So schimmert, blühet, reift das Menschenkind,
Und wird hinweggeführt, wie Laub im Wind! –„


oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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