lifedays-seite

moment in time



 
Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

__________________________________


Der Graf



Voll trüben Dunst der Himmel hing;
Ein Mann im Regenmantel ging
Übers düstre Feld, übers öde Feld;
Graf Hugo war’s, ein stolzer Held.
Sein gutes Schwert war oft erprobt,
Sein kühner Muth ward oft belobt;
Er war ein Mann in voller Kraft,
Er hiess der Stolz der Ritterschaft.
 
Schon sank das Leben rings in Schlaf,
Noch immer wandelte der Graf.
Und nächtiger würd‘ es, immer nächtiger.
Des Grafen Herz klopft‘ immer mächtiger.
Erfühlt sich wunderbar beklommen,
Vom Weg ist er ganz abgekommen.
Doch – von Entsetzen übermannt,
hat plötzlich er den Ort erkannt,
An dem er war, von dem er weiss,
Es überläuft ihn kalt, wie Eis;
Er starret mit verwirrtem Sinn
Nach einem alten Eichstamm hin.
Ach, dort war ein verrufner Ort,
Nicht Gras noch Kräuter wuchsen dort,
Davon die Sage schauerlich
Umher im Mund des Volkes schlich:
 
Als jener Baum noch Äste trug,
Ein Bruder dort den Bruder erschlug,
Um eines schönen Weibes Willen;
Darauf er ihn verscharrt im Stillen.
Des Himmels Feuer fuhr herab
Frass des Baumes Gezweig‘ und Äst‘ ihm ab;
Und rund umher ist seit der Zeit,
Der Boden kahl und vermaledeit. –
 
Der Graf steht still, sein Angesicht
Wird bleich; aus trüben Wolken bricht
Vom Mond‘ ein Strahlenschimmer schnell,
Und macht die düstre Gegend hell.
Dort steht der Baum, vom Mond beglänzt,
„Nein – nein – kein Baum – ‘s ein Gespenst!
Es wallt – es winkt – es ist ein Weib!
Es dehnet riesenhaft den Leib!
Es kommt – nein, nein, es ist vom Baum
Der Rest – mich äfft ein böser Traum!“ –
 
„Ha!“ schreit er wieder mit sträubendem Haare;
„Eine Bahre, eine Todtenbahre
Steigt aus dem Boden – dort – dort – dort!
Neckt mich die Hölle? Schafft sie fort! –„
 
„Weh!“ kreischt er jetzt mit irrem Blick,
Und zieht das Schwert, und will zurück:
Die Sinne wollen ihm vergehn,
Er sieht – den Bruder vor sich stehn,
Den Bruder, den er hier erschlug,
Und dort die Bahr‘ und das Leichentuch.
 
Der Bruder streckt aus die Knochenhand,
Und hält ihn fest an seinem Gewand.
„Lass ab, lass ab, o Bruder mein!
Geh‘ wieder in Dein Grab hinein!“
Der Bruder packt ihn im Genick,
Er könnt‘ es brechen im Augenblick,
„Lass ab, lass ab, o Bruder von mir!
Hundert Seelenmessen bestell‘ ich Dir!“
Der Bruder stellt ihm das Knochenbein,
Nun soll den Grafen sein Schwert befrei’n.
 
„Lass ab, Du Hund, Du Höllenmacht!“
Und er schlägt ihn, dass es schallt und kracht!
Der Bruder ihn zu Boden ringt,
Dass ihm das Herz in der Brust zerspringt.
Und Bahr‘ und Stundenglas verschwand,
Der stolze Graf lag todt im Sand. –
 
Der bleiche Rächer sprach: „Vernichtet
Sei Dein Gedächtnis, und verflucht!
Dich finde Keiner, der Dich sucht!
Vergelter, hab‘ ich recht gerichtet? –„
 
Der Nachtsturm hob die dunklen Flügel,
Und überfuhr die stillen Hügel,
Und überwehte den neuen Raub
Mit leichtem Kies, mit Sand und Staub. –
 
Spurlos verschollen blieb der Graf,
Den hier die Rache fand und traf.
In Sand gebettet, fest und tief
Schlief er nun, wo sein Bruder schlieft.

oben

_________________________________



______________________

Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

   lifedays-seite - moment in time