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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Der Papst



Ein düstrer Wolkenschleier hing
Tief über Zion, wo kein Auge wacht.
Ein hoher, stiller Wandrer ging
Betrachtend durch die Mitternacht.
Er blieb auf einem Berge stehen,
Und unnennbare Schauer wehen
Um ihn und vor ihm her, der stille Mann
Stand ernst auf Golgatha, und sann – und sann.
 
„Hier war es, hier, wo Du mich niederwarfst,
Der meinen Sieger Du Dich nennen darfst!
Erhabner, hast Du mich getödtet?
Ich beugte mich vor Deiner Majestät!
Du hast für Millionen Glück gesä’t,
Von meinem Hauche wird die Welt verödet! –„
 
So sprach der Wandrer tief in sich hinein,
Und seufzt‘, als fass‘ ihn grimme Pein.
 
„Du thatest viel für diese Menschenbrut;
Du stiegst vom Himmelsthron, und wurdes ihres Gleichen,
Da lechzten sie nach Deinem heil’gen Blut,
Und führten unter Geiselstreichen
Dich auf den Marterberg –„ der Wandrer unterbrach
Sein trübes Selbstgespräch durch einen wilden Ruf:
Wie nächt’gen Donner rollten ihn die Berge nach:
„Sie sind doch mein, ob sie der Herr zum Leben schuf!
Vom ersten Anbeginn in meine Hand gegeben!
Ihr liebstes Theil ist mein, ich mag nach Mehr nicht streben! –
Will auch gleich Dir, in Knechtgestalt mich kleiden,
Will zu den Hirten gehen, die Deine Heerden weiden,
Will sehen, ob sie mehr Dich fürchten, oder mich!
Du Milder freilich bist nicht fürchterlich!“ –
 
Der Wandrer schwieg. Wie graue Nebelschleier
So flatterte sein Mantel um ihn her;
Und aus dem Mantel hob sein nacktes Haupt sich freier,
Sah es ein Sterblicher, dann athmet‘ er nicht mehr.
Er schritt hinweg, der Boden bebte leise
Von seinem Tritt – er ging auf wunderliche Weise;
Bald rasch und unaufhaltsam eilend,
Bald langsam, zögernd, und verweilend,
Wie uns der letzte Tag bald langsam überschleicht,
Bald uns im Sturmwindflug erreicht. –
 
Der Schattenpilger stand im Vatikan;
Er hatte sich gar würdig angethan,
Er trug den Stab des Kreuzes in der Hand,
Und eines Kardinals Gewand;
Dazu den Purpurhut mit seinen Doppelquasten,
Und sah nur etwas bleich, vielleicht von langem Fasten.
 
Da sass der Knecht der Gottesknechte,
Der Fürst der Christenheit auf einem hohen Thron,
Der unfehlbaren Kirche frommer Sohn,
Zum Schemel dienten ihm der Menschheit heil’ge Rechte.
Es waren ihm – im übermüth’gen Wahn –
Der Himmel, Erd‘ und Hölle unterthan,
Drum zierten auch das stolze Haupt drei Kronen,
Der Hölle dient‘ er selbst, beschwur Dämonen,
Und übte jeden Frevel frei;
Er hatte ja die Macht zu lösen und zu binden,
Und wälzte sich mit seiner Klerisei
In einem Pfuhl von gottverfluchten Sünden. –
 
Versammelt war die heil’ge Kuria,
Die Kardinäle standen da
Mit Erzbischöffen, mit Legaten, Diakonen,
Gar grossem Schauspiel beizuwohnen.
Ein freier Herrscher trat herein
Im Kaiserschmuck, mit kummervollen Zügen,
Dann sah man ihn dem Papst zu Füssen liegen,
Und küssen seinen Fuss. – Der stille Wandrer sprach:
„O ewigunerhörte, bittre Schmach!
Thut solches wohl ein Hund im deutschen Reich
Dem deutschen Kaiser gleich? –„
 
Der Pontifex gebot dem Kaiser aufzustehn,
Krönt‘ ihn, und mit dem apostolischen Segen
Gab er sein freies Reich ihm väterlich – zu Lehn.
Hoch prangten überm Purpurthrone
Der Unschuld Lilien, wie zum Hohne.
Ein Dämon schwirrte mit des Bannes Strahlen
Durch das Gemach und trug die falschen Dekretalen.
Der Wandrer aber trat dem Papste schrecklich nah,
Warf ihn herab vom Stuhl – entseelet lag er da.
Schon lange lauerte der Hölle Fürst darauf,
Und fing den Geist des Knechts der Knechte Gottes auf. –


oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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