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04.2
Der Todtentanz - Ein Gedicht
Ludwig
Bechstein
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Der Wandrer, der die weite Welt
durchzog,
Der Alpen überschritt
und Meere überflog,
Der mit dem Leben ewig
kriegte,
Das sich, so oft er’s
auch besiegte,
In tausend Formen wieder
neu gebar,
Ein Phönix oft, und oft
ein Proteus war,
Der Wanderer, der
ruhelose, stand
Vom Donnersturm umweht,
einsam am Meeresstrand
Die Wogen gingen hoch,
der Wasserlöwe brüllte
Nach Raub, und schlug
mit seinem Schweif das Land,
Das Grabesfinsterniss
umhüllte.
Der Wandrer streckte
weit die Langhand übers Meer,
Und rief den Wogen zu:
„Kommt her!
Ihr Diener meines
Grimms,
Ihr meines Zornes
Knechte,
Und bringet Weh dem
sterblichen Geschlechte!“
Da donnerten die Wogen
übern Strand,
Es brach der Damm, sie
brachen ein ins flache Land.
O grausenvoller Anblick
zum Erbarmen!
Zum Himmel gellt der
Hülferuf der Armen
Die schon die
Wasserfluth umbrüllt,
In ihre Hütten bricht,
um ihre Leiber schwillt,
Und von der Mutter
Flehen ungerührt,
Die Kinder in den Wiegen
mit sich führt.
Der Sturmwind stürzt
sich auf die Wellen,
Dass sie noch
fürchterlicher rauschen, schwellen;
Der Thürme Glocken
heulen Sturm,
Da schlingt die Fluth
hinunter Glock‘ und Thurm;
Und alles Leben sinkt,
es naht kein Rettungskahn,
Und wo der Pflug sonst
ging, wogt jetzt der Ozean.
Der stille Wandrer,
riesengross
Durchwatet ernst den
Fluthenschoos,
Und hebt sich hoch, und
dehnt sich weit
Im ungeheuren
Nebelkleid,
Schwebt überm Wasser
bleich und fahl,
Und schwindet hin im
Morgenstrahl.
Es war ein Jammer sonder
Gleichen;
Dort schwamm ein Bett,
dort wälzte sich ein Haus;
Als sich die Sonn‘
emporhob aus dem bleichen
Gewölk, schien sie auf
Tausende von Leichen;
Und weitumher war nichts
als Trümmer, Fluth und Graus. –
Der König sass beim
reichen Mahl,
Auf hohem Schloss im
stolzen Saal.
Wohl hört er fern die
Wogen rollen,
Doch retten schien er
nicht zu wollen;
Sein Schloss lag hoch
und unbedroht,
Was kümmert ihn des
Landes Noth?
Er wollte keine Klagen
hören.
„Man soll uns nicht bei
Tafel stören!
Fort mit dem Volk!“ Die
Schergen trieben
Die Boten fort mit
Geiselhieben.
Der König schmauste
ruhig weiter
Am übervollen Tisch, und
heiter.
Da trat der Wandrer als
des Königs Schenk herein.
„Willkommen Schenk!
Kredenze mir den Wein!“
Der Schenk war ein
gebeugter Greis,
Sein Haupt war kahl,
seine Haut war weiss.
Er schlich der Tafel
zitternd nah,
Und goss, dass es der
König sah,
Aus seinem Krug den Wein
zum Mahle
In eine goldgetriebne
Schale.
Der König trank, und zog
in Falten
Die Stirn, und rief ihm
zu, dem Alten:
„Der Wein ist sauer!“ Da
sprach der Greis.
„Es ist Deiner
Unterthanen Schweiss.“
Und es ward todtenstill
im Saal;
Der König trank zum
andernmal.
„Der Wein ist bitter!“
und es scholl:
„Der Kelch ist von
Thränen des Landes voll!“
Den König überlief es
kalt,
Es packt‘ ihn an mit
dumpfer Gewalt.
Und wieder füllte der
Schenk den Becher,
Und mit Entsetzen trank
der Zecher.
„Der Wein brennt mich,
wie Höllenglut!“
„Es ist Deiner
Unterthanen Blut!“
„Ha!“ schrie der König:
„Frecher Hund!
„Trabanten! Greift mir
den Schenken – und –„
Mehr sprach er nicht –
ward leichenfahl
Und starb – der
Schenk schwand aus dem Saal. –
oben
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Textgrundlage und
Bilder: Der
Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig
Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach Hans Holbein. Leipzig,
herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld
Düsseldorf,
Universitäts- und
Landesbibliothek
Online-Ausgabe
Bilder: Holbein d.J. und W.
Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org
Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt
Notke,
gemeinfrei
wikimedia
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