Engelgeschichten

Alfred Landmesser

Der alte Ludwig war bettlägerig. Er war fünfundachtzig Jahre alt, hatte mehrere Schlaganfälle hinter sich, aber seinen Humor hatte er nicht verloren.

Als der Pfarrer wieder einmal wie jeden Freitag bei ihm vorbeikam, beschwerte er sich, dass sich immer nur seine  inzwischen auch schon achtzigjährige Schwester um ihn kümmere. Es würde ihm sicherlich gut tun, wenn mal eine jüngere Frau bei ihm vorbeikäme.

Er jammerte und jammerte bis es dem Pfarrer zu bunt wurde, und er sagte zu ihm: „Pass auf, Ludwig, ich werde dir helfen. Ich werde dir einen Engel vorbeischicken.“

„Einen Engel??!“ Da war der Ludwig doch sehr erstaunt. Aber es hörte sich gut an, und so sagte er augenzwinkernd zum Pfarrer: „Hochwürden, das ist eine prächtige Idee! Schicken sie mir einen Engel, der sich um mich kümmern soll!“

Am nächsten Tag wurde die Korridortür aufgeschlossen, es ging jemand durch den Flur, und ins Zimmer herein kam nicht seine alte Schwester, sondern eine attraktive, blond gelockte Frau von etwa vierzig Jahren.

Ludwig strahlte über alle Backen, wollte gleich ein Schwätzchen  halten aber die liebliche Frau tat ihm den Gefallen nicht.

„Dafür ist keine Zeit“, sagte sie, wischte ihm übers Gesicht, dann über den Tisch und den Fußboden und öffnete schließlich eine Dose mit Linsensuppe.

„Essen kannst du wohl selbst“, meinte sie. Er konnte es nicht.

Aber das half ihm auch nicht, denn sie nahm das Telefon und telefonierte mit ihrem Erhard. Nach einer halben Stunde legte sie auf und sagte: „Bis morgen dann. Und sei schön brav!“

Aber am nächsten Tag kam nicht sie, sondern wieder seine alte Schwester. Sie lächelte ihn an, strich über sein Haar, brachte ihm etwas zu Trinken, kochte ihm was Leckeres, fütterte ihn, hielt mit ihm ein Schwätzchen, spülte und putzte.

Als sie noch dabei war, kam der Pfarrer herein. „Na, Ludwig“, fragte er listig, „was war mit dem Engel?“

„Was soll gewesen sein? Sehen sie sich nur um! Er ist ja da.“