Der einsame Engel

Als sein Schützling, den er viele Jahre hindurch mit großer Fürsorge überschüttet hatte, gestorben war, begab sich der Schutzengel Eriel mit ihm in den Himmel.

Dort wollte er dann auch erfahren, wem er in den folgenden Jahren zur Seite stehen solle.

Aber man hatte keinen Auftrag für ihn. „Du bist ein für Deutschland zuständigerer Engel“, erklärte ihm der Erzengel Raphael, „und dort ist es zur Zeit leider so, dass mehr Menschen sterben, als geboren werden, und das hat zur Folge, dass nicht jeder Schutzengel wieder einen neuen Auftrag bekommen kann.“

Da war Eriel sehr betrübt. Er hielt sich längere Zeit im Himmel auf, aber es tat sich nichts, und da fühlte er sich sehr einsam.

Schließlich begab er sich zurück auf die Erde und versuchte auf eigene Faust einen neuen Schützling zu finden.

Er suchte lange. Bei vielen jungen Ehepaaren belauschte er Gespräche, auf Parkbänken und vor Kindergärten. Eigentlich überall, wo er junge Frauen aufspüren konnte. Aber niemand sprach von einem zu erwartenden Kind.

Als er wieder einmal durch eine kleine Straße ging, hörte er eine junge Frau weinen. Das betrübt jeden Engel, und so eilte er in ihr Zimmer.

Die junge Frau telefonierte. „Mama“, rief sie am Telefon, „Mama, er hat seine Sachen genommen, sie in sein Auto gepackt und ist davongefahren. Ich bin schwanger, und er möchte das Kind nicht!
Mama, was soll ich tun?!“

Ab diesem Augenblick wich Eriel nicht von ihrer Seite. Er kämpfte für die junge Frau, und er kämpfte für den zu erwartenden Erdenbürger. Er suchte Menschen, die helfen konnten, und er führte die junge Frau dorthin. Und das wunderbare daran war, dass sie es erkannte, sie erkannte, dass sie von einem Engel geführt wurde, denn diese Menschen schienen auf ihr Kommen vorbereitet.

Und als dann das Mädchen geboren wurde, war er der erste der gratulierte. Sie hat es nicht gehört, aber gespürt, gespürt hat sie es und ihm gedankt. Und sie hätte sich sicherlich keinen besseren Schutzengel für ihr kleines Mädchen wünschen können, und für sich, denn er begleitet beide bis auf den heutigen Tag.