Das
höllische Automobil
Der
Riese Rumbo konnte die Menschen nicht leiden, weil sie neben ihm so
lächerlich klein erschienen, aber doch klüger waren als er, und weil es
ihm,
wegen seiner unmäßigen Größe und Ungeschlachtheit, nicht möglich war,
mit ihnen
zusammen zu wohnen, — was er doch von wegen Kartenspiel und
anderer Lustbarkeiten, die
man nicht allein besorgen kann, ganz gerne gemocht hätte. Wie hätte er
aber mit
jemandem Skat spielen oder sonst etwas Vertrauliches treiben sollen, da
er so
groß war, daß er selbst die größten Häuser der benachbarten
Residenzstadt nicht
einmal zu Leibstühlen benützen könnte, weil sie dazu zu niedrig gewesen
wären?
Daraus
könnt ihr euch wohl ungefähr ein
Bild machen, wie über alle Maßstäbe und Begriffe ausgedehnt dieser Kerl
war.
Mein
Onkel, der doch auch ein Mann von
gutem Gardemaße und überdies Pfarrer, also gewöhnt
war, seinen Blick immer aufs Höchste zu richten hat mir mehr als einmal
beteuert, daß Rumbo alle seine Begriffe von Länge und Breite
übertroffen habe.
Übrigens ist es dieser mein Onkel, der mir diese Geschichte erzählt
hat, was zu
bemerken ich nicht zu ermangeln will, weil man sonst denken könnte, sie
hätte
keine Moral. Die Wahrheit ist, daß sie mehr Moral hat, als selbst der
aufmerksamste Zuhörer beim ersten Male merken kann. Man muß sie sich
also ein
paarmal erzählen lassen. Es verlohnt sich.
Ich
selbst habe sie sehr
oft gehört, nämlich immer, wenn mein Onkel meinen Vater zu besuchen
kam, um,
wie er sagte, ”nach dem
Rechten zu sehen.“ Es scheint aber, daß das Rechte sich bei uns im
Keller aufhielt. Denn dorthin begaben sich bei solcher
Gelegenheit die beiden Brüder sogleich, wenn der ältere beim jüngeren
zu Besuch
angekommen war. — Dies nebenbei und ohne eigentliche
Beziehung zu Rumbo.
Der
war also nach der Überlieferung
meines Onkels ein übergewaltiger Geselle. —
Ich
wünschte sehr, seine Größe in Metern angeben zu können, aber in dieser
Hinsicht
hat es mein Onkel an Exaktheit fehlen lassen. Statt einfach zu sagen:
so und soviel Meter oder meinetwegen
bayerische Ruten war er lang, liebte er es, die Ausdehnung des Riesen
durch
Vergleiche oder Bilder anzudeuten, wobei es mir nicht entging, daß
dabei nicht
immer das gleiche herauskam.
Machte
ich ihn darauf aufmerksam, so
pflegte er zu
sagen: ”Mein lieber Junge, bei
ganz großen Gegenständen irrt sich selbst die Bibel. Für das, was das
gewohnte
Maß maßlos überschreitet, haben wir Menschen nicht einmal die
Fähigkeit, in
Bildern ordentliche Maßstäbe zu finden. Kehre dich nicht daran, wenn
ich dir einmal
sage: Rumbos Beine waren so dick und lang wie die Türme der
Frauenkirche zu
München, und ein andermal: Rumbos Nasenlöcher waren so breit und
lang wie der Tunnel durch den St. Gotthard. Das stimmt freilich nicht;
aber
aufs Stimmen kommts auch nicht an, wo sichs um Riesen handelt. Sei
froh, zu
wissen, und laß es dir genügen, daß Rumbo auf alle Fälle
erstaunlich groß war; — wenn du Lust hast, seiner Größe noch
ein paar Kilometer
hinzuzusetzen, so tu dir keinen Zwang an. Meinetwegen kannst du ihn dir
auch
ein bißchen kleiner vorstellen, wenn er dir dadurch näher kommt, aber,
versteht
sich, immer noch so riesig, daß du dich selber darüber wundern
mußt. — Darauf
kommt es an.“
Ich
empfehle euch, es auch so zu halten.
Da
Rumbo nicht unter
Menschen wohnen konnte, lebte er ständig auf dem Lande, und zwar in der
Nähe
der Stadt Knödelimkraut, die sich einer sehr waldigen Umgebung erfreut.
Dort war aber auch wirklich ein Mordstrum von einem Walde, der für ihn
paßte, als wenn er ihm angemessen worden wäre. Tannen wuchsen darin, so
dick,
daß ein Mensch, der um eine hätte herumgehen wollen, dazu eine gute
Stunde
gebraucht haben würde. (Wirklich wahr!) Er hätte aber gar nicht drum
herumgehen
können, weil die Wurzeln dieser Bäume wie Gebirge über die Erde
hervorstanden,
und weil das Moos, das auf ihnen wuchs, selber wieder so hoch und dicht
war,
wie das Gebüsch in einem gewöhnlichen Walde.
Für
Rumbo aber war der Wald
eben darum gerade recht; und er
verließ ihn nur einmal in der Woche, nämlich am Sonnabend, wo er sich
seine
Mahlzeit holen mußte. Denn er aß nur
einmal in der Woche, am Sonntag. Das kam daher, weil für ihn eine Woche
so viel
war, wie für uns ein Tag. (Inwiefern? — das wußte sogar mein
Onkel nicht
zu erklären, dem doch selbst in der Offenbarung Johannis keine Zeile
dunkel
war. — Ihr tut also
gut, euch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was zu unterlassen
übrigens
auch anderen Problemen gegenüber ratsam erscheint, da ein Kopf, auch
wenn er
hohl ist, nicht eigentlich die Bestimmung hat, zerbrochen zu werden.
Und eure
Köpfe, meine Lieben, sind überdies nicht hohl, — wie würdet
ihr sonst meine Zuhörer sein?)
In
der Hauptsache bestand
seine Mahlzeit aus Gemüse. Birkenbäume waren
für ihn Spargel, Eichenbäume Spinat, aus jungen Tannen machte er sich
Sauerampferbrei. Kuchen und andere süße Speisen konnte er sich nicht
verschaffen, außer wenn er gerade einmal bei einem Bienenzüchter
vorbeikam. Da fraß er dann gleich
sämtliche Bienenstöcke mit dem Honig, aber auch mit den Bienen auf, und
wenn
ihn die Bienen im Munde und im Magen stachen, sagte er:
”Ei,
das
prickelt recht angenehm.“ Sonst bestand seine Nachspeise
immer aus einem Menschen, und er meinte, das
Menschenblut sei süßer als aller Honig; nur schade, daß man nicht viel
davon
vertragen könne, weil es dusselig mache. Soviel von seiner Speisekarte.
Da
Rumbo dumm war, war er auch faul, und
so kam es, daß er meistens der Länge lang auf dem Boden lag und
schlief.
Wie
er nun einmal so da lümmelte, fühlte
er ein Jucken in seiner Nase und mußte niesen; — hatzi! flog
ein Mensch aus seinem
Nasenloch und mitten auf die ganz mit zottigen Haaren bedeckte Brust.
”Hahaha!“
lachte der Mensch; ”da bin ich aber mal schön
weich gefallen.“
”Was!
Du lachst noch?“ brüllte Rumbo, ”dich werde ich
übermorgen fressen.“
”Mich?“
rief der Mensch, — ”dazu bist du ja
viel zu dumm. Ehe du mich ergreifst, bin ich schon ganz wo anders.“
Und
richtig, wie Rumbo nach ihm fassen
wollte, saß der Mensch schon
in seinem linken Ohre und schrie hinein: ”Du
großer Esel!“
Rumbo
begriff, daß das eine
Majestätsbeleidigung war und wollte ihn sich mit seinem kleinen Finger
(Klein! — Du lieber
Gott! Er hatte die Ausdehnung von Frau Klara Ziegler!) aus dem Ohre
trillern,
aber da war der Mensch schon lange weg. Und wo saß er? Im Winkel des
linken
Auges und kitzelte den Riesen.
”Geh
weg!“ schrie Rumbo, ”das kann ich nicht leiden.“ (Es war ihm, wie wenn
uns eine Mück ins Auge gekommen ist.)
Der
Mensch aber sagte: ”Nicht eher, als bis du mir versprichst, mich in
Ruhe zu lassen.“
”Ja
doch, ja doch,“ brüllte der Riese, ”mach nur, daß du aus meinem
Auge 'rauskommst. Das ist zu widerwärtig.“
”Siehst
du wohl?“ sagte der Mensch, ”was Kleines kann auch
unangenehm werden“, und er setzte sich auf eine Warze, die sich wie ein
mit
Gras bewachsener Hügel, über und über mit Haaren bedeckt, auf des
Riesen
Nasenspitze erhob.
”Das
ist ein angenehmer Aussichtspunkt,“
sagte er, wie er dort saß, indem er
vergnüglich mit den Beinen baumelte und sich eine Zigarre anzündete.
”Ich habe zwei Seen
vor mir, die von Tannen umgeben sind, und dahinter ist ein Gebirge mit
vielen
Schluchten, und hoch oben ein Wald von roten Bäumen. Diese Landschaft
verdient
einen Stern im Bädeker; ich werde hier ein Aktienhotel gründen.“
”Na
ja: Meine Augen, meine Stirne und mein roter Haarschopf,“ sagte der
Riese geschmeichelt; ”aber was ist dir
denn eingefallen, daß du in meine Nase gekrochen bist? Dort zieht es
doch?!“
”Eben
darum, es ist infam heiß heute und ich dachte es mir gleich, daß
in diesem Blasebalgfang ein guter Wind ginge“,
antwortete der Mensch.
”Ja,
hast du denn keine Furcht?“
”Vor
wem denn?“
”Na,
vor mir!“
”Vor
dir? Dazu bist du mir zu dumm.“
Da
merkte der Riese, daß dieser Mensch,
wenn nicht gar ein Genie,
so doch ganz gewiß ein brauchbares Talent war, und er sprach:
”Du
gefällst mir, Mensch, du kannst als Gehilfe bei mir eintreten. Wie
heißt du denn?“
”Frechdachs,“
antwortete der Mensch.
”Das
ist ein schöner und passender Name für einen Menschen von dieser
Begabung,“ meinte der Riese; ”also, willst du?“
”Meinetwegen,“
sagte Frechdachs, ”wenn es nur was Ordentliches
zu tun gibt und nicht so gewöhnliche Hantierungen wie in der Stadt.
Dort haben
sie nichts mit mir anfangen können und wollten mich deshalb ins
Gefängnis
sperren. Ich bin aber ausgerissen.“
”Na,
dann paßt du ja famos zu mir, Frechdachs!“ sagte Rumbo. ”Du
sollst dich nicht zu beklagen haben. Bei mir gibt's
nur solche Sachen zu tun, die in der Stadt verboten sind.“
”Das
kann ich mir denken,“ sagte Frechdachs, ”denn du selber
würdest in der Stadt verboten werden, wenn sie dich verbieten
könnten. — Aber sag mal, wozu brauchst du
denn einen Gehilfen, du großer Schuft und Schlagtot? Ein Kerl, wie du,
braucht
ja bloß irgendwo hinzufallen, und gleich liegt rechts und links von
ihm, was er
braucht.“
”Das
verstehst du nicht,“ sagte Rumbo. ”Ich bin zu
groß. Erstens werd' ich zu schnell bemerkt; dann sind meine Bewegungen
zu
langsam; und schließlich kann ich so kleines Zeug, wie ihr Menschen
seid, nicht
gut anfassen. Entweder zerquetsche ich so eine Made, oder sie rutscht
mir durch
eine Fingergelenksfalte weg. Ich sage dir: ich müßte verhungern, wenn
ich mich
von euch Marschiermücken nähren müßte. Zum Glück brauche ich das
zweibeinige
Milbenvolk nur als eine Art süßer Verdauungspillen. Aber dazu seid ihr
Zappelgemüse mir unbedingt nötig. Und deshalb ist es mir sehr angenehm,
einen
Menschen als Gehilfen zu haben, denn niemand kann einen Menschen besser
fangen,
als ein Mensch. Im Grunde könnt ihr ja auch nichts, als
das. — Ich habe
darum von jeher und immer Menschen als Gehilfen gehabt, aber leider,
leider
waren es regelmäßig unvorsichtige Burschen, die allzubald auf
irgendeine
Weise bei mir zugrunde gingen.
Der eine fiel mir
ins Ohr und brach das Genick auf meinem Trommelfell; der andere verlief
sich im
Dickicht meiner Haare und verhungerte; ein dritter ertrank in einem
Schweißtropfen von mir; ein vierter, der Korpsstudent gewesen war und
sich das
Trinken nicht abgewöhnen konnte, hielt in der Betrunkenheit, als ich
einmal
gähnte, meinen Mund für einen Weinkeller, lief hinein und erstickte,
wie ich
den Mund zugemacht hatte, in einem hohlen Zahn; — und so
weiter, und so weiter. Du
siehst also, daß du gut aufpassen mußt.“
”Mir
passiert so was nicht; verlaß dich darauf,“ meinte Frechdachs; ”ich bin
daran gewöhnt, aufzupassen, wie ein Luchs, denn ich gehöre zu den
Vogelfreien, die auch unter
Menschen immer auf der Hut sein müssen. Bloß die Käfigmenschen, die
Mastgimpelnaturen, die den Freßkober stets bei sich am Halse tragen,
dürfen es
sich erlauben, ohne besondere Aufmerksamkeit ihrem Tagwerke
nachzugehen. Wir,
die wir nicht so tugendhaft und stäte sind, sondern immer tapfer und
resolut
auf Taten ausziehen,
für die man früher geadelt wurde, jetzt aber ins Kittchen gesperrt
wird — wir müssen
immer die Ohren steif und die Augen offen halten. Meinetwegen kannst du
also
ganz ruhig sein. — Aber: Was krieg' ich denn als Lohn?“
”Was?
Lohn willst du auch noch?“
brüllte Rumbo, der in seinem
Souveränitätsgefühle beleidigt war. ”Sei froh, daß ich dich nicht
zum Nachtisch einnehme. Nein, mein Lieber, Lohn
gibt's nicht. Höchstens einen Titel. Wie willst du lieber heißen:
General oder
Hofmarschall?“
”Gar
nichts will ich heißen,“ sagte Frechdachs; ”Lohn will ich
haben.“
”Also,
wie viel denn?“ fragte Rumbo.
”Kein
Geld,“ antwortete Frechdachs, ”das kann ich mir stehlen;
du sollst mich zu einem Riesen machen, wie du selber einer bist.“
”Das
kann ich nicht,“ sagte Rumbo.
”Doch
kannst du's,“ erwiderte Frechdachs, ”mach keine Flausen;
ich bin nicht so dumm, wie du aussiehst, und weiß ganz gut, daß du's
kannst.
Aber du willst nicht, weil
du Angst hast, daß ich dich dann totschlage, du Feigling.“
”Na,
also gut, Frechdachs,“ sagte Rumbo, dem bei so viel Intelligenz angst
und bange wurde, ”ich mache dich zu
einem Riesen, aber erst, wenn du mir hundert Menschen gebracht hast.“
(’Nach dem Neunundneunzigsten freß ich ihn auf,‘
dachte er sich.)
”Abgemacht,“
sagte Frechdachs. ”Und was soll ich zuerst tun?“
”Hm,
ja, warte mal,“ überlegte der Riese eine Weile; ”da ist drüben in der
Wassermühle der junge Müller Bartel Klippklapp, der ist
weiß wie sein Mehl vor lauter Fett und muß allerliebst nach Korn
schmecken. Den
hol mir! Aber er ist schlau, weißt du. Du mußt es klug anstellen.“
”Wenn's
weiter nichts ist,“ sagte Frechdachs, rief seinen Rappen, der in der
Nähe weidete, schwang sich in den
Sattel und ritt davon.
Schon
nach fünf Stunden kam er wieder und
schleppte den jungen Müller an einem Stricke erwürgt hinter sich her.
”Sieh
mal an!“ lachte der Riese, ”da hast du
ja den Bartel Klippklapp, der so schlau war. Bist wohl noch schlauer
gewesen?“
Frechdachs
antwortete: ”Dazu hat nicht viel gehört. Der dumme Kerl stand gerade in
seinem Garten und las Raupen vom Kohl.
’Du, Bartl,‘ rief ich, ’was machst du denn da?‘ ’Raupen lesen,‘ sagte
Bartl. ’Was machst du denn mit den Raupen,‘ fragte
ich. — ’Was soll ich denn damit machen?‘
antwortete er; ’tot machen tu' ich sie; sie fressen mir sonst meinen
Kohl.‘ — ’Na, höre mal,‘
sagte ich, ’das ist aber lieblos; die armen Tierchen wollen doch auch
leben.‘ — ’Bist du so ein Esel,‘ erwiderte Bartel, ’daß du
dir deinen Kohl von Raupen fressen läßt?‘ — ’Nein,‘
sagte ich, ’ich
habe gar keinen Kohl, aber Hunger. Gib mir
einen Kohlkopf, Bartel.‘ — ’Hast du Geld?‘ fragte der
Müller. — ’Nein,‘ sagte ich, ’du sollst mir ihn
schenken.‘ — ’Du kannst meine Rückseite bewundern,‘
rief er da, lachte und drehte sich um. — ’Wart,‘ dachte ich, ’alter
Geizkragen, für meinen Meister Rumbo sollst du auch bald eine Raupe
sein,‘ warf ihm die Schlinge meines Strickes um den Hals, zog sie fest
an, und ritt hui, hussa, hop, galopp mit dem Anhängsel davon. Da hast
du den
Mehlwurm!“
Der
Riese war sehr zufrieden mit dieser
Leistung und lobte seinen Gehilfen, fand aber, daß der Müller zu mehlig
schmeckte. — ”Bring mir was Pikanteres das nächstemal,“
befahl er.