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Literatur


04.3



Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Das höllische Automobil

Ein Märchen
für sämtliche Alters- und Rangklassen nach einer Idee Alf Bachmanns



Das höllische Automobil
Seite 2


Frechdachs machte sich auf und überlegte: ’Wen soll ich bringen? Pikant, das ist leicht gesagt, aber wo gibt es heutzutage Menschen von pikantem Geschmack, die noch genießbar sind? Wenn ich den Doktor Schwalbendreck erwischte, dem vor Brotneid das Blut sauer geworden ist und der infolge seiner krankhaften Begierde, üble Gerüchte zu verbreiten, einen netten kleinen Herzkrebs von zweifellos schwefligem Geschmacke acquiriert hat, so wäre das ja am Ende ein gefundenes Fressen für meinen Herrn und Meister, der überdies, so viel ich weiß, noch keinen Dramatiker gegessen hat, aber erstens wird es schwer sein, dieses Herren habhaft zu werden, der sehr vorsichtig geworden ist, seitdem ihm jemand von ferne eine Pistole gezeigt hat, und dann fürchte ich, daß er schließlich zu penetrant schmeckt. Vergiften darf ich meinen verehrten Giganten doch auch nicht gleich. Sonst brauchte ich ihm ja nur ein Gänseweißsauer von verleumderischen Klatschbasen zu servieren, deren ich einige in der Stadt Knödelimkraut recht gut kenne.… Halt! Wie wärs mit dem dicken Literaten, der früher Pastor war!? In ihm vereinigt sich ein Restchen pfäffischer Heimtücke mit journalistischer Giftdrüsenhypertrophie, — eine angenehme Mischung, sollte ich meinen. . .   Aber diese Art Leute sind schwer zu fassen. Es gibt keinen Strick, aus dem sie sich nicht zu winden vermöchten. Ich spare ihn mir für ein andermal auf!‘ — So ritt Frechdachs in ziemlicher Verlegenheit durch Flur und Auen. Da begegnete ihm in seiner Kutsche der Doktor Rasso Schneidebein, der zu einer armen alten Frau gerufen worden war.
 
”He, Herr Doktor, Herr Doktor!“ rief Frechdachs, ”bitte, kommen Sie doch gleich zu meinem Meister, der sich übergessen und Bauchkneipen hat, und geben Sie ihm was ein.“

”Hat dein Meister Geld?“ fragte Doktor Schneidebein.

”Na, ich danke,“ sagte Frechdachs, ”Geld wie Heu! Sie kriegen zehn Taler.“

”Zehn Taler?“ dachte sich der Doktor, ”das ist ein hübsches Stück Geld, und von der Alten krieg' ich bloß ein Vergeltsgott. Mag sie meinetwegen ohne mich sterben!“

”Also schön,“ sagte er, ”ich komme mit; es muß aber auch etwas Ordentliches zu essen geben.“

”Einen fetten Braten,“ sagte Frechdachs und sah dabei den Doktor an, der in der Tat sehr fett war.

Als sie in die Nähe des Waldes kamen, wo der Riese wohnte, wurde es dem Doktor unheimlich zumute.

”Das ist ja der wilde Wald, wo der Menschenfresser haust,“ rief er; ”bist du wahnsinnig, daß du mich dorthin führst?“

”Wieso denn,“ sagte Frechdachs, ”es ist ja der Menschenfresser, dem Sie etwas eingeben sollen, weil er Bauchweh hat.“

”Um Gottes willen,“ schrie der Doktor, ”was soll ich denn dem Riesen eingeben?“

”Sich selber sollen Sie ihm eingeben, denn Sie stecken ja voll von Medizin,“ sagte Frechdachs.

”Nein, nein, nein, das will ich nicht,“ rief der Doktor; ”ich muß zu einer alten Frau, die im Sterben liegt. Umkehren, Kutscher, umkehren!“

”Das hättest du früher sagen sollen, alter Schuft,“ rief Frechdachs, schlug dem Doktor den Schädel ein, legte ihn quer vor sich auf den Sattel und galoppierte davon, ehe der Kutscher seinem Herrn hätte zu Hilfe kommen können.

Auch mit dieser Leistung war Rumbo sehr zufrieden, zumal der Doktor in der Tat sehr pikant nach Karbol, Jodoform und anderen Medizinen schmeckte.

”Du bist ein verflixter Kerl, Frechdachs,“ sagte er, ”und verstehst Abwechslung in meinen Nachtisch zu bringen. — Was gibt's denn nächsten Sonntag?“
 
”Einen Pfarrer,“ antwortete Frechdachs.

”Ah,“ schmunzelte Rumbo, ”einen Pfarrer! Das ist eine ganz herrliche Idee! Such aber einen recht fetten aus, ja?“

”Ich weiß schon einen,“ sagte Frechdachs, und dachte an den, der ihm in der Christenlehre immer so heftig ins Gewissen geredet hatte, weshalb er ihn aufrichtig haßte. Ging also zu ihm und sprach: ”Lieber Herr Pfarrer, ich soll Euch zu einer Gastmahlzeit bei meinem Herrn, dem reichen Gutsbesitzer Jörg Maulvoll, einladen für nächsten Sonntag. Mein Herr würde glücklich sein, einen so heiligen Mann nach Verdienst mit den herrlichsten Speisen und Weinen zu bewirten.“

Und fügte noch viele grobe Schmeicheleien und Erzählungen hinzu, was für schöne und gute Dinge es geben werde.

Der Pfarrer war aber wirklich ein frommer Mann und sprach: ”Am Sonntag habe ich keine Zeit, viel zu essen und zu trinken, da muß ich meine Predigt halten. Komm du in meine Predigt, Bursche, und dein Herr auch, das ist meine Einladung. Leb wohl!“

’Au weh,‘ dachte sich Frechdachs, ’bei dem bin ich schief angekommen. Wenn die Pfarrer alle so sind, kann sich Rumbo den Mund wischen.‘

Es waren aber nicht alle so. Schon beim nächsten glückte es.

”So,“ sagte der, ”gefüllten Truthahn, eingemachte Hammelnieren, Erdbeeren mit Schlagrahm, Apfelsinentorte und Muskatwein? Hm, hm! Und Herr Maulvoll ist ein Mann, der einen heiligen Lebenswandel schätzt? Gut. Gut. Ich komme. Ich komme gleich mit.“

Während er sich reisefertig machte, kam ein Bote und meldete, daß ein armer Taglöhner am Sterben sei und gerne noch mit dem Herrn Pfarrer beten wolle.

”Ich habe eine wichtige Abhaltung,“ sagte der Pfarrer; ”so schnell stirbt sich's nicht; er soll bis morgen warten.“

’Du wirst gleich sehen, wie schnell sich's stirbt,‘ dachte sich Frechdachs, half dem dicken Pfarrer in die Kutsche, setzte sich auf den Bock und fuhr los. Die Pferde liefen wie der Wind, die Kutsche sprang und tanzte nur so über Stock und Stein.

”Nicht so schnell, nicht so schnell,“ rief der Pfarrer; ”das Essen wird mir nicht bekommen, wenn ich so durchgerüttelt werde.“

”Aber mürbe wirst du werden!“ rief Frechdachs.

”Mürbe? Wieso? Was heißt das?“ keuchte der Pfarrer.
 
”Das heißt, daß du ein zäher Heuchler bist. Hü! Rappen! Hü! Rumbo hat Hunger.“

”O Gott! O Gott! O Gott!“ stöhnte der Pfarrer. ”Der Teufel sitzt auf dem Bocke.“

”Nein, des Teufels Küster sitzt in der Kutsche,“ sagte Frechdachs, kehrte die Peitsche um und schlug mit dem dicken Ende den schlechten Pfarrer tot.

Wie Rumbo diesen dicken Mann sah, lief ihm das Wasser im Munde zusammen, und er wollte sich gleich über ihn hermachen.

”Nein, Meister Rumbo, damit wollen wir noch ein bißchen warten,“ sagte Frechdachs. ”Ich habe mir einen herrlichen Spaß ausgedacht. Den Pfarrer soll der Teufel verspeisen, Ihr aber den Teufel!“

”Du bist selber des Teufels!“ rief Rumbo. ”Wo denkst du hin! Der Teufel ist stärker als ich.“

”Ja, wenn er keinen Pfarrer im Leibe hat. Von dem da aber kriegt er das Bauchgrimmen von wegen der Geweihtheit, und dann werden wir seiner fix Herr.“

”Hm. Das läßt sich hören. Wie willst du aber den Teufel herbekommen?“
 
”Das laßt nur meine Sorge sein!“

Frechdachs, wie ihr wohl schon bemerkt habt, verstand sich auf Teufeleien, und so ist es kein Wunder, daß er sich auch auf den Charakter des Teufels und seiner Großmutter verstand.
Er ging zu einer Felsenspalte, wo, wie er wußte, der Teufel oft herauskam, Kienäpfel zu suchen, die er zur Heizung der Hölle brauchte.

”He,“ rief er da, ”Herr Baron! Herr Baron!“

”We…we…wer ruft denn da?“ meckerte es aus der Felsenspalte. ”Mein Enkel hat keine Zeit. Er macht sich eine Klaviatur aus Geizhalsknochen.“

”Ah,“ rief Frechdachs, ”hochwohlgeboren die Frau Teufelin-Großmutter! Nein, was für eine schöne Stimme! Sie sollten die Königin der Nacht singen! Ich hab' mein Lebtag keinen solchen Sopran gehört.“

Des Teufels Großmutter hatte ein Gefühl, als würde sie mit altem Dachsfett eingerieben, so angenehm fuhr ihr diese Schmeichelei über die runzelige Haut. Sie erschien sofort in der Spalte.

Jeder andere Mensch würde vor ihrer Häßlichkeit in Ohnmacht gesunken sein. — Ihre Nase war ein Schweinsrüssel; ihr Mund eine grüne gezackte Furche, die von Ohr zu Ohr reichte; ihre Ohren aber waren zwei alte, feuchte graugelbe Waschlappen. Von Zähnen hatte sie nur zweie, die aber standen wie die Hauer einer Wildsau krumm empor, ganz braun, und der eine wackelte. Ihre Augen saßen wie Krebsaugen an Stielen und waren gelb und fransig wie Pfifferlinge. Anstatt Haaren hatte sie graugrüne Tannenflechten, die mit schmutzigem Harz verklebt waren. Zwei gräßliche braune, mit gelben Adern überzogene Kröpfe baumelten ihr wie große Flaschenkürbisse am Halse. Als Kleidung trug sie lederne Hosen und eine Jacke aus demselben Stoffe, beides Stücke der Ausrüstung eines eben in der Hölle angekommenen Automobilisten, der als Klecks an einer Gartenmauer geendet hatte, nachdem unter seinem Mordwagen zwanzig Menschen umgekommen waren. Auch die Lärmtrompete dieses Straßenmörders trug sie am Gürtel, und es machte ihr Spaß, zuweilen auf den Gummiball zu drücken, daß es nur so tutete.
 
”Frau Baronin beherrschen auch noch dieses modernste aller Musikinstrumente?“ rief Frechdachs, den ihre Erscheinung durchaus nicht außer Fassung gebracht hatte. ”Nein, wie talentvoll Sie sind! Und wie Sie aussehen! Wie Sie aussehen! Die ewige Jugend! Wirklich, es ist ein Verbrechen, daß Sie sich der Bühne entziehen!“

Des Teufels Großmutter wand sich vor Entzücken, daß alle ihre Knochen knackten, und sprach: ”Sie haben viel Lebensart, mein Herr, und ich hoffe, Sie bald bei uns begrüßen zu können. Aber was wünschen Sie eigentlich?“

”Ach,“ antwortete Frechdachs, ”eine Kleinigkeit. Mein Meister, der berühmte Rumbo, möchte eine Menschendörrmaschine anlegen, weil er das rohe Fleisch nicht mehr verträgt, und da es dafür keine Installateure gibt, möchte er den Herrn Baron Ihren Enkel, bitten, die Anlage zu übernehmen. Über den Preis werden sich der Herr Baron und mein Meister schon einigen.“

”Gewiß, gewiß, mein Herr. Mein Enkel arbeitet zwar sonst seit den Zeiten der Inquisition nicht mehr außer Hause, mit Ausnahme der Automobilbranche, aber er wird mir zuliebe schon eine Ausnahme machen. Was krieg' ich denn für meine Fürsprache?“

”Einen Kuß!“ sagte Frechdachs, machte ohne Zaudern einen Schritt vorwärts und küßte die Alte auf ihre grüne Furche.

Darauf mußte er, wieder zu Hause angekommen, sich zum erstenmal in seinem Leben die Zähne putzen.

Ihr könnt euch denken, was für Augen Rumbo machte, als er hörte, daß der Teufel selber ihn besuchen wollte. Er war außer sich vor Freude darüber, denn er zweifelte gar nicht mehr daran, daß es ihm gelingen werde, den Teufel zu verspeisen.

”Denke dir bloß,“ sagte er zu Frechdachs, indem er sich fortwährend die wulstigen Lippen mit seiner breiten Zunge ableckte, ”ich werde den Teufel als Nachtisch genießen, als Pille einnehmen, als Bonbon schlucken! Das wird nicht bloß ein großes Vergnügen für mich, sondern das erste Verdienst sein, das ich mir um die Menschheit erwerbe. Paß auf, sie werden mir in einer schönen Hurrah-Allee neben lauter Kaisern, Königen, Herzogen, Prinzen, Generalen und Diplomaten ein zuckerblankes Denkmal setzen und darauf schreiben: ’Ihrem großen Wohltäter Rumbo, der den Teufel gefressen hat, die hochachtungsvoll dankbare und ganz ergebene Menschheit.‘ — Ha, und wie er nach Pech und Schwefel schmecken und wie heiß sein Blut sein wird! Wahrhaftig, Frechdachs, du bist ein Hauptkerl! Komm her, ich muß dir einen Kuß geben!“

”Lieber nicht!“ sagte Frechdachs, ”es könnte leicht passieren, daß du mir vor lauter Zärtlichkeit dabei den Kopf abbeisst, und ich habe mir sagen lassen, daß das ein unangenehmes Gefühl ist. Wir wollen uns lieber darüber einigen, wie hoch du mir den Teufel anrechnest. Denn das ist doch wohl klar, daß er mehr gilt als ein Mensch.“

”Das versteht sich,“ sagte Rumbo, ”alles, was recht ist: Der Teufel muß mehr gelten, als ein Mensch. Darüber sind sich die Gelehrten einig.“

”Na, das freut mich, daß du das einsiehst, obwohl du viel dümmer bist als lang und breit,“ meinte Frechdachs, den seine Erfolge noch unverschämter gemacht hatten als er von Natur schon war, ”aber nun wollen wir mal sehen, ob du dir auch einen Begriff machen kannst, um wie viel der Teufel mehr gelten muß als der Mensch.“

”Ich glaube,“ sagte Rumbo nach einigem Nachdenken, ”wir können ihn für fünf Menschen rechnen.“

”Warum gerade für fünf?“ fragte Frechdachs.

”Wenn fünf Menschen ihren Verstand zusammentun,“ antwortete Rumbo, ”sind sie imstande den Teufel zu betrügen.“

”Das ist richtig,“ sagte Frechdachs, ”aber der Verstand ist auch des Teufels schwächste Seite. Du mußt mehr sagen, Rumbo!“

”Hm,“ sann der nach, ”hm, warte mal: Sagen wir zehn!“

”Warum zehn?“ fragte Frechdachs.

”Wenn zehn Menschen,“ antworte Rumbo, ”ihre Bosheit zusammentun, ist es so viel Bosheit, wie der Teufel allein besitzt.“

”O,“ meinte Frechdachs, ”da irrst du dich. Wenn es auf die Bosheit ankäme, brauchten wir den Teufel nicht höher zu berechnen als einen Menschen, denn ein Mensch hat für sich allein mehr Bosheit im Leibe als der Teufel und seine Großmutter zusammen. Trotzdem ist aber zehn eine zu niedere Zahl; du mußt schon noch was drauf legen.“

”Hör mal,“ sagte Rumbo, ”du bist doch wirklich ein Frechdachs. Du tust gerade so, als wenn ich ein kleiner Junge wäre, und ich säße bei dir in der Rechenstunde. Sage mir lieber gleich, wie hoch ich dir den Teufel anrechnen soll.“

”Du sollst ihn mir,“ sagte Frechdachs, ”für hundert Menschen anrechnen, denn der Teufel ist hundertmal ehrlicher als ein Mensch.“

”Ich denke, er ist der Vater der Lüge?“ meinte Rumbo.

”Das schon,“ erwiderte Frechdachs, ”aber er leugnet das auch gar nicht. Er lügt immer und ewig, nur in einem nicht. Er sagt nicht: ’Ich bin die Wahrheit,‘ wie er auch nicht sagt, ’ich bin die Liebe,‘ oder: ’ich bin die Güte.‘ Nein, der Teufel ist die Lüge, der Haß, die Bosheit, aber das bekennt er auch, während die Menschen sich immer besser stellen, als sie sind, und keiner treffgenau das ist, was er scheinen möchte. — Aber, um das zu kapieren, bist du wirklich zu dumm, Rumbo, denn nicht einmal die Menschen, die doch im allgemeinen klüger sind, als du, wollen das einsehen. Gib dir weiter keine Mühe, das Rechenexempel zu fassen, und nimm es einfach für richtig an. So hast du am wenigsten Schererei und darfst dabei die angenehme Empfindung haben, an eine große Wahrheit wenigstens zu glauben, wenn du sie auch nicht begreifst.“


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