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Literatur


04.3


Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Die Mondmarie


Die Mondmarie

Der Doktor, der Amtsrichter, der Redakteur und der Major saßen beieinander in ihrem „abonnierten Zimmer“. Es war der „Tag ohne den Pastor“, der Sonnabend.
 
„Einmal in der Woche, schwerebrett, muß man doch ein vernünftiges Wort reden dürfen“, hatte der Doktor gesagt, und so hatte man den „Tag ohne den Pastor“ eingerichtet. Während Hochwürden Ewald drüben in seinem Zimmer auf und ab memorierte (man sah zuweilen seinen Schatten hinter dem grünen Rouleau), saßen hier im „goldenen Fässel“, dem Honoratiorengasthaus der schlesischen Kreisstadt F., seine bösen Freunde und sprachen von der Welt und ihrer Lust. Aber nicht im Tone des Wüstenpredigers.
 
Gestatten Sie, verehrteste Leserin, daß ich Ihnen die Herrschaften vorstelle.
 
Hier Herr Doktor Rudolf Windler. Sehr viel Frauenpraxis. Viel angeschwemmte Höflichkeit, aber ein böses Maul im engeren Kreise. Er reitet gerne auf dem Borstenthiere in's Reich der eindeutigsten Zweideutigkeit.
 
Daneben Herr Dr. Georg Holinger, Amtsrichter. Jurist wider Willen, daher ein saures Hirn. Aber ein freier, scharfer Kopf und eine vornehme Seele. Er hört mehr zu, als daß er selber spricht.
 
Drüben Major Wendsattel. Ein kleiner, fester Kerl, soldatisch stramm äußerlich und innerlich. Aber er hält es nicht für Officierspflicht, in allen nicht militärischen Dingen borniert zu sein. Er ist sogar Abonnement einer literarischen Zeitschrift, weshalb die Lieutenants im Stillen „Witze“ über ihn machen. Und neben ihm schließlich: Herr Redakteur Gerwender. Nicht einmal Doktor. Ja, gesteh ich's nur offen: nicht einmal Redakteur. Man nennt ihn nur so, damit er wenigstens eine Art von Titel habe. In Wahrheit ist er blos – Dichter. Schreibt Romane. Der Teufel weiß, was für welche. Lebt in der guten Stadt F. wie ein Fremdling. Der Herr Amtsrichter hat ihn als ehemaligen Universitätskameraden am „akademischen Tische“ eingeführt, aber nur für den „Tag ohne den Pastor“. Denn Gerwender ist ein böser Christ, der nicht einmal pro forma in die Kirche geht. Zur Literatur von F. kann er nicht gerechnet werden, denn er schreibt weder am „Kreisblatt“ mit, das von einem Buchbinder redigiert wird, noch gehört er dem „poetischen Kränzchen“ an, das unter der Leitung des Herrn Schulrektors „ausgewählte Stücke der besten Classiker mit vertheilten Rollen“ liest.
 
Also diese Herrschaften saßen im „goldenen Fässel“ beieinander, tranken dickes Kulmbacher Bier und rauchten Zigarren. Der geizige Doktor Windler so schauderhafte, daß selbst die gupferne Germania mit dem drohend erhobenen Schwerte ein Gesicht schnitt. Vielleicht schnitt sie's auch ohne diese Zigarren, gleichviel, aber es sah gräßlich aus, wie sie die Oberlippe rümpfte.
 
Der Amtsrichter, der für die Kreisstadt F. vielzuviel Geschmack hatte, wollte schon längst diese Gypsheroin abschaffen lassen, aber das hätte einen unpatriotischen Eindruck gemacht. Auch hätte dann das Pendant zu dem großen Bierkruge gefehlt, der die Form des Niederwalddenkmals hatte, weshalb man nicht aus ihm trinken konnte.

Der „Redakteur“ litt besonders unter des sparsamen Mediziners Kreisstadtzigarren. Er bot ihm also eine der seinen an. Dabei sagte er: „S' ist eine Oestreicher, Regalia Favorita heißt sie feierlich und offiziell. Ich nenne sie „Mond-Marie“.
 
„Mond . . . wie?“ fragte der Amtsrichter.
 
„Mond-Marie, – ja. So'n Einfall. Zur Erinnerung an eine merkwürdige Geschichte, die ich mal erlebt habe. Oder auch nicht merkwürdig. Nur eigen. Ganz eigen. Wenigstens für mich.“
 
„Also dann los mit der Geschichte!“ kommandierte der Major.
 
„Ja, wenn es Sie nicht langweilt? Mir machts schon Spaß, sie zu erzählen. Ich wühle gerne in alten Schatullen. Es war in Salzburg.“
 
„Oh, Peterskeller!“ himmelte der Doktor, und auf seiner dicken Unterlippe lagerte es wie ein öliger Glanz tokayriger Erinnerung.
 
„In der That: Peterskeller! Dort hub's an. Ich war von Wien gekommen. Eine Ferienreise. Irgend jemand muß mir damals Geld gepumpt haben. Ich war nämlich noch Student.“
 
Der Amtsrichter grinste.
 
„Du nicht, Verehrtester. – Also ich war in Wien gewesen, wo mir die oberste Gallerie des Burgtheaters außerordentlich gut gefallen hatte. Da waren nämlich so saubere Hascherln von Mädeln. . .“
 
„Bitte keine realistische Lyrik, Hermann!“ rächte sich der Amtsrichter.
 
„Fällt mir nicht ein. Aber ich muß doch erzählen, wieso ich nach Salzburg kam, aus welchem Milieu und in welchem Stimmungszustande.“
 
Der Major: „Ganz recht. Sie hätten das von Wien ruhig ausmalen können.“
 
„Nein, nein. Wehe dem, der Misogynen Aergerniß gibt! Ich fange also mit Salzburg an. Denken Sie: es regnete nicht! Drei Tage lang. Ich war selig dort!“

„Im Peterskeller?“ witzelte der Mediziner.

 
„Nein, auf dem Gaisberge, bei den Kapuzinern und auf dem Festungsberge. Nichts Schöneres habe ich noch gesehen als von da oben, nicht weit von der Feste Salzburg, von einem Aussichtspunkte herunter; ich weiß nimmer, wie er heißt. Es ist mir nur ein Vers in der Erinnerung geblieben, der dort irgendwo angeschrieben stand:  Die Kellnerin, die gute Seel', Tränkt wie Rebekka die Kameel.«

„Es ist nämlich eine Restauration dabei, und ich erinnere mich eines österreichischen Feldwebels, der dort mit Stolz erklärte, in der „blauen Gans“ geboren zu sein, worüber alle lachten.“
 
„Zur Sache, wenn's beliebt“, rief der Amtsrichter.
 
„Ja doch! Aber ich komme nicht los von da oben, wenn ich daran denke. Links sieht man da den Gaisberg mit seiner vasallisch zu ihm aufblickenden Umgebung, und die Salzach silbert an seinen Füßen und wirft ihre Wellen in dies Sonnengold und es ist ein Glänzen in der Schönheit der Natur. Und gleich, nahe daran, die alte Stadt, ein paar Dutzend goldener Kreuze aufreckend aus ihrem Gassendunkel in den strahlenden Himmel, schattengeborgen im Schutze der alten erzbischöflichen Zwingfeste mit ihren Türmen, Giebeln, Erkern, Thoren, Zinnen. Wie ein grauer, breiter Mauerschild hebt sich diese Bergfeste aus dem Gewinkel des zusammengebrochenen Ortes. Aber grün umbucht von unten auf, und dahinter, über ihr, weit, wunderherrlich weit, im weißblauen Schimmer, schroffig, zackenscharf das Gebirg. Rechts aber, über durchleuchtetem Baumgrün nähere Berge, und wendet man sich um, geht der Blick in hügelwelliges Land, das flach sich in Ebene dehnt. . . Aber das läßt sich ja nicht schildern.“
 
Der Amtsrichter: „So schildere es auch nicht.“
 
Der Doktor: „Ja, und wann kommen Sie eigentlich in den Peterskeller?“
 
Der Major: „Den Herren Zivilisten scheint es schlechterdings unmöglich zu sein, ihren Zungen mal auf ein paar Minuten „Stillgestanden“ zu kommandieren. Lassen Sie unserm Dichter nur seinen Stimmungsanlauf nehmen.“
 
Der Doktor: „Ja aber die Mondmarie? Die Zigarre ist übrigens gut.“
 
„Ja. . . die Mondmarie. . . Also kurz! Aber fast. . . ich weiß nicht. . . Sie dürfen sich auf nichts spannendes gefaßt machen. Es ist ein ganz simples Abenteuer. Ein bischen abenteuerlich schon. Aber ich weiß nicht, ob ich das so herausbringen kann, denn vielleicht ist das Abenteuerliche in der Geschichte blos für mich enthalten. Wissen Sie: persönliche Stimmungssache.
 
Ich sagte schon, daß ich damals noch Student war. Dreiundzwanzig Jahre. Keine Sorgen auf dem Buckel. Alleweit fidel. Ich konnte stundenlang unterm blauen Himmel wandern und nichts thun; nichts, nichts, als an ein paar Reimen lecken, die mir durch den Sinn flogen und mir süßer schienen als aller Honig des Hymettos, den uns ehedem unser Conrektor so verzückt gepriesen, als hätte er ihn selbst gekostet. Ich dichtete den ganzen Tag und schrieb kein Wort. Ich sah in den Himmel und guckte dabei in mein Herz. Ich konnte mein Gesicht in die Halme der Juliwiese vergraben und den Erdboden küssen und dabei rufen: Ich liebe Dich! Liebe Dich! Liebe Dich!“
 
„Wen denn?“ fragte der Doktor.
 
„Ein bloßer Mädchenname machte mich innerlich stammeln vor Seligkeit, und ich habe damals viele Bäume umarmt. Ach, und in die Sonne war ich verliebt! Du! Du! Du!!! habe ich zu ihr hinauf geschrieen. He, Du Goldene Du!. . . Ach! – Aber wenn es regnete, ging ich gerne trinken. Dann guckte ich ins Glas und war ganz stille. Nur die Verse rumorten. Und dann schrieb ich mir auf, was hängen geblieben war aus den goldenen Tagen. Es stieg aus mir heraus und ließ sich nochmals genießen, indem es geboren wurde zum Gedicht.“
 
„Poesie ist also gleich Genußwiederkäuen?“ fragte der Amtsrichter.
 
„Wenn Du es rauhbeinig ausdrücken willst: ja. Bei mir wenigstens. Aber. . . also. . . Ja so denn! Es war so ein Regentag gekommen. Um fünf Uhr nachmittags hatte es angefangen. Ganz leise. In Spritzern wie von ungefähr. Dann waren seidene Fäden draus geworden. Dann schleierte es hellgrau herunter. Und ich ging in den Peterskeller. Der Doktor mag erzählen, wie heimlich schön es da unten ist. Nein? Sie wollen nicht?“
 
Und der Doktor: „Nee. Erzählen Sie nur weiter.“
 
„Gut. Aber vom Peterskeller kann ich nicht viel sagen. Ich saß und saß und trank und trank. Ruster Ausbruch. Er ist dort nicht so medizinal, so dick und rekonvaleszentenweinmäßig, sondern schier leicht und linde. Mir kam er ganz ungefährlich vor, wie ein biederes Weinchen, in dessen Seele keine Fallen liegen. Ich gab mich seiner Liebenswürdigkeit furchtlos und treu hin. Gell, du bist nicht schlimm, sagte ich zu ihm. Und er erwiderte: „I bewahre, nimm mich nur Bruder, nimm mich an Dein Herz. Ich kenne keine Tücken.“ Und ich nahm ihn an mein Herz, ach, so häufig und, ach, so andauernd. Es war ein Seelenbund.“
 
„Verflucht“, sagte der Major, „und wir müssen Culmbacher trinken.“
 
„Aber der Bursche war perfid. Gemütlich war er in mich hineingekrochen, ließ sichs wohl sein in traulichem Gespräche mit meiner Seele, karessierte sie, wie ein Student seine Sonntagnachmittagsliebste, und schau da: hopp, hopp, puff – mit einem Male hatte er sie unter und war Herr und Gebieter, zügellos, brutal. Sie sagte nicht mehr maff.
 
In diesem Zustande befand ich mich, als ich vor dem Peterskeller stand. Weiß nicht, wie ich herausgekommen bin. Weiß auch weiterhin fast nichts mehr. Nur dies: ganz dunkel war die Nacht, wie feuchter schwarzer Sammet. Das Wasser lief kluckernd mir zu Füßen in tausend Rinnsalen. Ich fühlte vorübergehend Lust, mich direkt in eine Pfütze zu legen. Dann sah ich ein Licht. Da oben, links Gaslaterne? hin! Es war ein Weg zwischen zwei Gartenmauern. Ich lehnte mich an eine und griff in dichtes Rankenwerk. Da streift etwas an mir vorbei, schiebt mich fast auf die Seite. Na? Es kommt zurück, und eine Hand faßt die meine. Und nun: schwarz, schwarz, schwarz alles. Ein Schlund hat mich verschluckt. Ich weiß nichts mehr. Gar. . . nichts.“
 
Der Major, der Amtsrichter unisono: „Na?. . . und?. . . was?“
 
„Der Ruster war auf meiner Seele zum Teufel geritten, und der Teufel nur weiß, was mit ihr geschehen.“
 
Der Amtsrichter: „Halt uns nicht zum Narren! Was war's!?“
 
„Weiß ichs?! Am nächsten Morgen, nein: am nächsten Nachmittag, so etwa um vier Uhr erwachte ich. Bei Gott: in einem Bette. Aber wo denn? Wo? Was ist das für ein Zimmer? Was sind das für grüne Vorhänge da? Ja, . . . ich. . . was ist denn eigentlich. . . alle Wetter, habe ich denn den Verstand verloren? Was war denn gestern. ..  Gestern?. . . Da klimpert mich das Salzburger Glockenspiel ins Bewußtsein. Richtig! Salzburg! Ja freilich! Das ist ja mein Zimmer im europäischen Hof. Aber gestern, gestern? Was war denn? Ich blicke um mich: mein Gott! Da liegen meine Sachen, wie aus einer Lehmgrube gezogen, dick bedreckt, wirr in der Stube herum. Wenn ich nur wüßte, was gestern. . . Mein Kopf ist leer und dumpf. Ich klingle den Hausknecht herauf. Er kommt und lächelt ganz sonderbar.

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