Die
Mondmarie
Der
Doktor, der Amtsrichter, der Redakteur und der
Major saßen beieinander in ihrem „abonnierten Zimmer“. Es war der „Tag
ohne den
Pastor“, der Sonnabend.
„Einmal
in der Woche, schwerebrett, muß man doch
ein vernünftiges Wort reden dürfen“, hatte der Doktor gesagt, und so
hatte man
den „Tag ohne den Pastor“ eingerichtet. Während Hochwürden Ewald drüben
in
seinem Zimmer auf und ab memorierte (man sah zuweilen seinen Schatten
hinter
dem grünen Rouleau), saßen hier im „goldenen Fässel“, dem
Honoratiorengasthaus
der schlesischen Kreisstadt F., seine bösen Freunde und sprachen
von der
Welt und ihrer Lust. Aber nicht im Tone des Wüstenpredigers.
Gestatten
Sie, verehrteste Leserin, daß ich Ihnen
die Herrschaften vorstelle.
Hier
Herr Doktor Rudolf Windler. Sehr viel
Frauenpraxis. Viel angeschwemmte Höflichkeit, aber ein böses Maul im
engeren
Kreise. Er reitet gerne auf dem Borstenthiere in's Reich der
eindeutigsten
Zweideutigkeit.
Daneben
Herr Dr. Georg Holinger, Amtsrichter.
Jurist wider Willen, daher ein saures Hirn. Aber ein freier, scharfer
Kopf und
eine vornehme Seele. Er hört mehr zu, als daß er selber spricht.
Drüben
Major Wendsattel. Ein kleiner, fester Kerl,
soldatisch stramm äußerlich und innerlich. Aber er hält es nicht für
Officierspflicht, in allen nicht militärischen Dingen borniert zu sein.
Er ist
sogar Abonnement einer literarischen Zeitschrift, weshalb die
Lieutenants im
Stillen „Witze“ über ihn machen. Und neben ihm schließlich: Herr
Redakteur
Gerwender. Nicht einmal Doktor. Ja, gesteh ich's nur offen: nicht
einmal
Redakteur. Man nennt ihn nur so, damit er wenigstens eine Art von Titel
habe.
In Wahrheit ist er blos – Dichter. Schreibt Romane. Der Teufel weiß,
was für
welche. Lebt in der guten Stadt F. wie ein Fremdling. Der Herr
Amtsrichter hat
ihn als ehemaligen Universitätskameraden am „akademischen Tische“
eingeführt,
aber nur für den „Tag ohne den Pastor“. Denn Gerwender ist ein böser
Christ,
der nicht einmal pro forma in die Kirche geht. Zur Literatur
von F. kann er nicht gerechnet werden, denn er schreibt weder am
„Kreisblatt“
mit, das von einem Buchbinder redigiert wird, noch gehört er dem
„poetischen
Kränzchen“ an, das unter der Leitung des Herrn Schulrektors
„ausgewählte Stücke
der besten Classiker mit vertheilten Rollen“ liest.
Also
diese Herrschaften saßen im „goldenen Fässel“
beieinander, tranken dickes Kulmbacher Bier und rauchten Zigarren. Der
geizige
Doktor Windler so schauderhafte, daß selbst die gupferne Germania mit
dem
drohend erhobenen Schwerte ein Gesicht schnitt. Vielleicht schnitt
sie's auch
ohne diese Zigarren, gleichviel, aber es sah gräßlich aus, wie sie die
Oberlippe rümpfte.
Der
Amtsrichter, der für die Kreisstadt F.
vielzuviel Geschmack hatte, wollte schon längst diese Gypsheroin
abschaffen
lassen, aber das hätte einen unpatriotischen Eindruck gemacht. Auch
hätte dann
das Pendant zu dem großen Bierkruge gefehlt, der die Form des
Niederwalddenkmals hatte, weshalb man nicht aus ihm trinken konnte.
Der
„Redakteur“ litt besonders unter des sparsamen
Mediziners Kreisstadtzigarren. Er bot ihm also eine der seinen an.
Dabei sagte
er: „S' ist eine Oestreicher, Regalia Favorita heißt sie feierlich und
offiziell. Ich nenne sie „Mond-Marie“.
„Mond
. . . wie?“ fragte der Amtsrichter.
„Mond-Marie,
– ja. So'n Einfall. Zur Erinnerung an
eine merkwürdige Geschichte, die ich mal erlebt habe. Oder auch nicht
merkwürdig. Nur eigen. Ganz eigen. Wenigstens für mich.“
„Also
dann los mit der Geschichte!“ kommandierte
der Major.
„Ja,
wenn es Sie nicht langweilt? Mir machts schon
Spaß, sie zu erzählen. Ich wühle gerne in alten Schatullen. Es war in
Salzburg.“
„Oh,
Peterskeller!“ himmelte der Doktor, und auf
seiner dicken Unterlippe lagerte es wie ein öliger Glanz tokayriger
Erinnerung.
„In
der That: Peterskeller! Dort hub's an. Ich war
von Wien gekommen. Eine Ferienreise. Irgend jemand muß mir damals Geld
gepumpt
haben. Ich war nämlich noch Student.“
Der
Amtsrichter grinste.
„Du
nicht, Verehrtester. – Also ich war in Wien
gewesen, wo mir die oberste Gallerie des Burgtheaters außerordentlich
gut gefallen hatte. Da waren nämlich so saubere Hascherln von Mädeln. .
.“
„Bitte
keine realistische Lyrik, Hermann!“ rächte
sich der Amtsrichter.
„Fällt
mir nicht ein. Aber ich muß doch erzählen,
wieso ich nach Salzburg kam, aus welchem Milieu und in welchem
Stimmungszustande.“
Der
Major: „Ganz recht. Sie hätten das von Wien
ruhig ausmalen können.“
„Nein,
nein. Wehe dem, der Misogynen Aergerniß
gibt! Ich fange also mit Salzburg an. Denken Sie: es regnete nicht!
Drei Tage lang. Ich war selig dort!“
„Im
Peterskeller?“ witzelte der Mediziner.
„Nein,
auf dem Gaisberge, bei den Kapuzinern und
auf dem Festungsberge. Nichts Schöneres habe ich noch gesehen als von
da oben, nicht weit von der Feste Salzburg, von einem Aussichtspunkte
herunter;
ich weiß
nimmer, wie er heißt. Es ist mir nur ein Vers in der Erinnerung
geblieben, der
dort irgendwo angeschrieben stand: Die
Kellnerin, die gute Seel',
Tränkt wie Rebekka die Kameel.«
„Es
ist nämlich eine Restauration dabei, und ich
erinnere mich eines österreichischen Feldwebels, der dort mit Stolz
erklärte, in der „blauen Gans“ geboren zu sein, worüber alle lachten.“
„Zur
Sache, wenn's beliebt“, rief der Amtsrichter.
„Ja
doch! Aber ich komme nicht los von da oben,
wenn ich daran denke. Links sieht man da den Gaisberg mit seiner
vasallisch zu ihm aufblickenden Umgebung, und die Salzach silbert an
seinen Füßen und
wirft ihre Wellen in dies Sonnengold und es ist ein Glänzen in der
Schönheit
der Natur. Und gleich, nahe daran, die alte Stadt, ein paar Dutzend
goldener Kreuze aufreckend aus ihrem Gassendunkel in den strahlenden
Himmel,
schattengeborgen im Schutze der alten erzbischöflichen Zwingfeste mit
ihren Türmen,
Giebeln, Erkern, Thoren, Zinnen. Wie ein grauer, breiter Mauerschild
hebt sich
diese Bergfeste aus dem Gewinkel des zusammengebrochenen Ortes. Aber
grün
umbucht von unten auf, und dahinter, über ihr, weit, wunderherrlich
weit, im
weißblauen Schimmer, schroffig, zackenscharf das Gebirg. Rechts aber,
über
durchleuchtetem Baumgrün nähere Berge, und wendet man sich um, geht der
Blick in
hügelwelliges Land, das flach sich in Ebene dehnt. . . Aber das läßt
sich ja nicht
schildern.“
Der
Amtsrichter: „So schildere es auch nicht.“
Der
Doktor: „Ja, und wann kommen Sie eigentlich in
den Peterskeller?“
Der
Major: „Den Herren Zivilisten scheint es
schlechterdings unmöglich zu sein, ihren Zungen mal auf ein paar
Minuten
„Stillgestanden“ zu kommandieren. Lassen Sie unserm Dichter nur seinen
Stimmungsanlauf nehmen.“
Der
Doktor: „Ja aber die Mondmarie? Die Zigarre ist
übrigens gut.“
„Ja.
. . die Mondmarie. . . Also kurz! Aber fast. .
. ich weiß nicht. . . Sie dürfen sich auf nichts spannendes gefaßt
machen. Es
ist ein ganz simples Abenteuer. Ein bischen abenteuerlich schon. Aber
ich weiß
nicht, ob ich das so herausbringen kann, denn vielleicht ist das
Abenteuerliche
in der Geschichte blos für mich enthalten. Wissen Sie: persönliche
Stimmungssache.
Ich
sagte schon, daß ich damals noch Student war.
Dreiundzwanzig Jahre. Keine Sorgen auf dem Buckel. Alleweit fidel. Ich
konnte
stundenlang unterm blauen Himmel wandern und nichts thun; nichts,
nichts, als
an ein paar Reimen lecken, die mir durch den Sinn flogen und mir süßer
schienen
als aller Honig des Hymettos, den uns ehedem unser Conrektor so
verzückt
gepriesen, als hätte er ihn selbst gekostet. Ich dichtete den ganzen
Tag und
schrieb kein Wort. Ich sah in den Himmel und guckte dabei in mein Herz.
Ich
konnte mein Gesicht in die Halme der Juliwiese vergraben und den
Erdboden
küssen und dabei rufen: Ich liebe Dich! Liebe Dich! Liebe Dich!“
„Wen
denn?“ fragte der Doktor.
„Ein
bloßer Mädchenname machte mich innerlich
stammeln vor Seligkeit, und ich habe damals viele Bäume umarmt. Ach,
und in die
Sonne war ich verliebt! Du! Du! Du!!! habe ich zu ihr hinauf
geschrieen. He, Du
Goldene Du!. . . Ach! – Aber wenn es regnete, ging ich gerne trinken.
Dann
guckte ich ins Glas und war ganz stille. Nur die Verse rumorten. Und
dann
schrieb ich mir auf, was hängen geblieben war aus den goldenen Tagen.
Es stieg
aus mir heraus und ließ sich nochmals genießen, indem es geboren wurde
zum
Gedicht.“
„Poesie
ist also gleich Genußwiederkäuen?“ fragte
der Amtsrichter.
„Wenn
Du es rauhbeinig ausdrücken willst: ja. Bei
mir wenigstens. Aber. . . also. . . Ja so denn! Es war so ein Regentag
gekommen. Um fünf Uhr nachmittags hatte es angefangen. Ganz leise. In
Spritzern
wie von ungefähr. Dann waren seidene Fäden draus geworden. Dann
schleierte es
hellgrau herunter. Und ich ging in den Peterskeller. Der Doktor mag
erzählen,
wie heimlich schön es da unten ist. Nein? Sie wollen nicht?“
Und
der Doktor: „Nee. Erzählen Sie nur weiter.“
„Gut.
Aber vom Peterskeller kann ich nicht viel
sagen. Ich saß und saß und trank und trank. Ruster Ausbruch. Er ist
dort nicht
so medizinal, so dick und rekonvaleszentenweinmäßig, sondern schier
leicht und
linde. Mir kam er ganz ungefährlich vor, wie ein biederes Weinchen, in
dessen
Seele keine Fallen liegen. Ich gab mich seiner Liebenswürdigkeit
furchtlos und
treu hin. Gell, du bist nicht schlimm, sagte ich zu ihm. Und er
erwiderte: „I
bewahre, nimm mich nur Bruder, nimm mich an Dein Herz. Ich kenne keine
Tücken.“
Und ich nahm ihn an mein Herz, ach, so häufig und, ach, so andauernd.
Es war
ein Seelenbund.“
„Verflucht“,
sagte der Major, „und wir müssen
Culmbacher trinken.“
„Aber
der Bursche war perfid. Gemütlich war er in
mich hineingekrochen, ließ sichs wohl sein in traulichem Gespräche mit
meiner
Seele, karessierte sie, wie ein Student seine
Sonntagnachmittagsliebste, und
schau da: hopp, hopp, puff – mit einem Male hatte er sie unter und war
Herr und
Gebieter, zügellos, brutal. Sie sagte nicht mehr maff.
In
diesem Zustande befand ich mich, als ich vor dem
Peterskeller stand. Weiß nicht, wie ich herausgekommen bin. Weiß auch
weiterhin
fast nichts mehr. Nur dies: ganz dunkel war die Nacht, wie feuchter
schwarzer
Sammet. Das Wasser lief kluckernd mir zu Füßen in tausend Rinnsalen.
Ich fühlte
vorübergehend Lust, mich direkt in eine Pfütze zu legen. Dann sah ich
ein
Licht. Da oben, links Gaslaterne? hin! Es war ein Weg zwischen zwei
Gartenmauern. Ich lehnte mich an eine und griff in dichtes Rankenwerk.
Da
streift etwas an mir vorbei, schiebt mich fast auf die Seite. Na? Es
kommt
zurück, und eine Hand faßt die meine. Und nun: schwarz, schwarz,
schwarz alles.
Ein Schlund hat mich verschluckt. Ich weiß nichts mehr. Gar. . .
nichts.“
Der
Major, der Amtsrichter unisono:
„Na?. . . und?. . . was?“
„Der
Ruster war auf meiner Seele zum Teufel
geritten, und der Teufel nur weiß, was mit ihr geschehen.“
Der
Amtsrichter: „Halt uns nicht zum Narren! Was
war's!?“
„Weiß
ichs?! Am nächsten Morgen, nein: am nächsten Nachmittag, so etwa
um vier Uhr erwachte ich. Bei Gott: in einem Bette. Aber wo denn? Wo?
Was ist
das für ein Zimmer? Was sind das für grüne Vorhänge da? Ja, . . . ich.
. . was
ist denn eigentlich. . . alle Wetter, habe ich denn den Verstand
verloren? Was
war denn gestern. .. Gestern?. . . Da
klimpert mich das Salzburger Glockenspiel ins Bewußtsein. Richtig!
Salzburg! Ja
freilich! Das ist ja mein Zimmer im europäischen Hof. Aber gestern,
gestern?
Was war denn? Ich blicke um mich: mein Gott! Da liegen meine
Sachen, wie aus einer Lehmgrube gezogen, dick bedreckt, wirr in der
Stube
herum. Wenn ich nur wüßte, was gestern. . . Mein Kopf ist leer und
dumpf. Ich
klingle den Hausknecht herauf. Er kommt und lächelt ganz sonderbar.