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Literatur


04.3


Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Der Negerkomiker


Der Negerkomiker

Wie van Staanen nach Leipzig kam, war er ein kleines hübsches Kerlchen von zwanzig Jahren, hatte rote Bäckchen wie ein Backfisch, lebhafte blaue Augen, die mit einer ruhigen Vergnügtheit von Ding zu Ding und Mensch zu Mensch blitzten, – sonderbar unschuldig. Er war weder geistreich, noch dumm, hatte einen großen Wechsel, ging in naturwissenschaftliche Collegs, besuchte die Gewandhauskonzerte, fehlte auch nicht im Theater, wenn es eine Premiere gab. Ein Berufsstudium hatte er nicht, er hielt sich „studierenshalber zum Vergnügen“ in Leipzig auf.
 
Sein Vater war ein steinreicher amerikanischer Bankier, der ihn in Deutschland das Gymnasium hatte absolvieren lassen und der ihm nun, so schrieb er ihm nach der in einer kleinen westphälischen Stadt bestandenen Maturitätsprüfung, „vier Jahre Freiheit“ gab. „Du sollst ein deutscher Student sein, so fröhlich wie nur irgend Einer, und ein „Bursch“ werden, wie sie dort sagen. Denke an Deinen Onkel, meinen Bruder Franz! Was war das für ein lustiger Junge! So knapp er's hatte auf der Universität, er war immer fidel. Ich habe ihn oft beneidet, wenn er so aus Leipzig schrieb von seinen „Suiten“ und Fröhlichkeiten, ich Drehsesselhocker damals in Hamburg. Daß er so bald sterben mußte!“
 
Dieser Bruder Franz schwebte dem alten van Staanen, der schon Anfang der sechziger Jahre nach Amerika gegangen war, als der Typus des deutschen Studenten vor: die zerknitterte blaue Mütze auf dem Kopfe mit den langen blonden Haaren, die Pfeife im Munde, flott und ungezwungen, voll übermütiger Lieder. Nach seiner Meinung wimmelten die deutschen Universitäten noch heute von solchen „Burschen“, und so einer sollte sein Karl auch werden. Es ärgerte ihn daher, wenn dieser von seinem Leben schrieb, von Konzerten, Theatern und Bildersammlungen. „Nein, nein, Karl! Das spare Dir auf später. In den ersten Semestern will ich davon nichts hören! Werde ein Bursch!“
 
Der kleine van Staanen, der sich ohnehin zu langweilen anfing, da sein Interesse für Konzerte, Theater und Bildergalerien in der That nicht gerade tief war, und der überdies seinem Vater aufs Wort gehorchte, meldete sich also bei der alten Verbindung, der ehemals sein Onkel angehört hatte.
 
Er wurde mit offenen Armen aufgenommen und entwickelte sich sehr schnell zum Renommierfuchs erster Güte. Man konnte offenbar aus ihm machen, was man wollte. Sein Wechsel war gut, sein Magen war gut, sein Handgelenk war gut. So ward er ein in jeder Hinsicht brauchbarer Couleurbruder: als „Geldschwinger“, als Trinker und als Schläger.
 
Schon nach einem halben Jahre war er kaum wieder zu erkennen. Er hatte ein paar dicke weiße Backen, seine Augen waren etwas wässerig geworden und blickten schneidig arrogant, wenn auch im Grunde kindliche Gutmütigkeit in ihnen lag; er machte seinen „grimmschen Bummel“ so selbstbewußt gravitätisch wie nur irgend Einer. Sogar „äh-bäh!“ konnte er sagen.
 
Nach und nach schlug er seine Mensuren und paukte sich zum Burschen heraus. Dieses Ereignis wurde dem Alten hinübergekabelt, der sofort gleichfalls per Kabel seiner Freude Ausdruck und dem Bankier Anweisung gab, Karls Monatswechsel zu erhöhen.
 
„Hol mich der Teufel, so 'n Alter ist noch nicht dagewesen, so lange die Welt steht“, sagte Karls Leibbursch bei diesem „Familienereignis“, „– wir werden ihm das Ehrenseil geben müssen.“
 
Kein Wunder, daß der kleine van Staanen bald zu den führenden Geistern der Verbindung gehörte. Als Fechter war er zwar etwas zu phlegmatisch, „biß nicht viel heraus“, aber er stand wie ein „Baum“. Manchmal schien es fast, als wenn es ihm Vergnügen bereitete, von allen Seiten mit „Blutigen“ zugedeckt zu werden. „Er stopselt heute wieder mal aus Prinzip“, sagten dann seine Couleurbrüder. Der „kleine Amerikaner“ aber lächelte und that nach dem Gebote der Schrift: hatte er auf die Linke eine Quart erhalten, hielt er die Rechte hin und kassierte eine Terz ein. „Ich finde das ganz nett“, pflegte er zu sagen.
 
Es war übrigens gut, daß er hier und da Blut verlor, denn er fing an, auffällig massig zu werden.
 
Merkwürdig war, daß er sich um die „Weiber“ gar nicht kümmerte. Die „kleine Anna“ hatte ihn schon ein paar mal kontrahieren wollen, aber sie gelangte zu nichts weiter, als zu der Ueberzeugung, daß er ein „Stumpfhuhn“ sei. „Und dabei so 'n Wechsel! S' is zu bleedsinnig!“ „Na wart' nur“, entgegnete ihr der „dicke Otto“, ein erotisches Kraftgenie von einem Mädel, „laß'n nur mal an 'ne richtige gomm', denn sitzte 'r mit eenem Male bide drinne, aber feste!“ Der dicke Otto hatte nämlich Erfahrung. . . Und richtig! Mit einemmale saß er dicke drinne. Und feste.

Das kam so:
 

Das Wintersemester war vorbei – (ich meine das Couleursemester, denn die kalendarischen Einschnitte in der Collegordnung hatten keinen Einfluß auf die persönliche Zeitrechnung des kleinen Amerikaners) –: man ging nicht mehr in Couleur sondern in „Bummel“, die offiziellen und offiziösen Frühschoppen und Kneipabende waren sistiert, es herrschte die unakademische Freiheit. Van Staanen pflegte sich in solchen Zeitläufen furchtbar zu langweilen, denn er hatte sich an des Trinkens und Fechtens ewig gleichgestellte Uhr so gewöhnt, daß er durchaus nicht wußte, was er mit seiner Zeit anfangen sollte, wenn der Couleur Stundenplan fehlte. Der „stille Suff“ war noch die einzige Rettung, oder die zwanglosen Frühschoppen mit ein paar anderen gleichfalls in Leipzig über die Ferien gebliebenen Couleurbrüdern, Frühschoppen, die von 11 Uhr vormittags bis 12 Uhr nachts und länger dauerten und fruchtbar waren für Erfindung neuer Knobeltouren mit meist scheußlichen Bezeichnungen und für die Dichtung neuer „Wirtinverse“: „Frau Wirtin hat auch einen“. . . u.s.w.
 
Aber im Grunde mopste man sich dabei doch schauderös. Da fehlte der und der und der, und da gab es nichts aktuelles von der letzten Mensur, und da fehlten alle die brillanten Renommieranlässe, wie die letzte große „Besäuftheit“ und dergleichen. Auch der Skat verlor schließlich mal seinen Reiz, wenn man den Lachs fortwährend mit den gleichen Leuten fangen mußte. „Uaah!“ war der Laut, der immer und immer wieder von des kleinen Amerikaners Lippen kam.
 
„Uaah! Verfluchte Ödigkeit! Der Stumpfsinn! Buh!“
 
„Ja, was sitzte denn egal hier, Kleener? Reiß Dich doch mal raus aus dem Biersumpf!? Komm doch mal mit,irgendwohin!? De mußt ja versimpeln!?“
 
„Na Gott, wohin denn?! Ist ja nichts los in dem Neste! Wohin du kommst: Häringsbändiger. Ekelhaft!“
 
„Was gehn Dich denn de Häringsbänd'ger an! Luft! Man sieht se einfach nich!“

„A! Eklig! Zu stumpf! Ich werde mich in den Korb legen.“

 
„Unsinn! Sei mal vernünftig! Komm doch mal mit, ins 'Pologne' meintwegen. Was soll denn überhaupt dei Vater sagen, wenn de nach Amerika kommst und bist noch in keen' Tingeltangel gewesen? So 'ne Unbildung.“
 
„Meinetwegen! Gehn wir! Ich komme ja um hier!“
 
Und sie gingen.
 
Es war schon halb zehn Uhr, wie sie in den Tunnel des „Hotel de Pologne“ kamen. Eine angefettete Chansonette sang eben: „Hab' ich nur Deine Liebe.“
 
„Pfui Teufel! Ich kehre um“, sagte der kleine Amerikaner.
 
„Unsinn! Da bleibste! Nee, gucke doch da! Da unten sitzt ja Stilpe!? Natürlich! Also komm! Er hat auch noch Platz.“
 
Stilpe, ein inaktiver Bursch der Verbindung genannt der Mulatte, weil er in der That mit einem Indogermanen wenig Ähnlichkeit hatte, saß direkt an der Rampe, wie immer. „Ich liebe in solchen Dingen die Froschperspektive“ pflegte er zu sagen, um diese Angewohnheit zu erklären. „Der Blick ist intimer so.“ Als sie zu ihm nach vorn kamen, hatte die Fette (Trudi Muff hieß sie auf dem Programmzettel) eben ihr Lied beendet, und Stilpe rollte ihr als Zeichen seines Beifalls eine Konservenbüchse mit Cornedbeef hinter die Koulissen. „Närrisches Luderchen!“ sagte zum Danke das dicke Mädchen. Er hatte übrigens noch eine ganze Reihe von derartigem „praktischen Lorber“ vor sich stehen.
 
„Ja, Stilpe!?“
 
„Mann?! Sogar Jankeedudelchen kommt in diese Höhle der wilden Europäerinnen? Oh Sternenbanner! Sternenbanner! Geh Halbmast, Du Fahne Columbiens!“
 
Stilpe war nämlich der Troniker in der Coleur, ein interessant verbummelter Kerl. Niemand pumpte den kleinen van Staanen so an, wie er.
 
„So! hier an meine Seite, Mann aus dem wilden Westen! Aber bitte mit der Brieftaschenseite an mich heran, denn diese marinierten Lorbern mit Anchovis Portemo nee is noch immer kee Portemo ja. Versteht mich dieser Naturbursche?“
 
„Mach keine faulen! Brauchst Du was, so rede deutsch!“
 
„Jetzt haben sogar die Bankierserzeuglinge schlechte Laune! Ich wähle Bebel! Gieb mir fufzig Mark, und ich lehre Dich das Pologne kennen, innerlich und äußerlich. Ho! Da klafünft der Kerl schon wieder. Bravoooo!“
 
Entrüstetes Zischen im ganzen Raume. Eine außerordentlich dürre Sängerin war aufgetreten und begann wie ein Gassenjunge zu kreischen:
 
„Kann ich dafür? Kann ich dafür?“
 
„Nischt kannste dafür, mei' Mädchen!“
 
„Pst! Ruhe! Pst!“
 
Stilpe mußte wirklich den Mund halten.
 
Fräulein Grete Köner war nämlich der Liebling dieses Publikums, das für Hauutgount nicht ohne Sinn war. Trotz ihrer fast skelettartigen Dürre hatte sie einen ganz eigenen Reiz. Eben den der Fäule, aber Edelfäule konnte man das schon nicht mehr nennen. Es war etwas sonderbar Lockendes in ihrem Wesen; wenn man ihre grünlichen Augen sah, die sie immer wie im Fieber weit offen hatte, so konnte man meinen, auf ihrem Grunde müsse etwas Tiefschmerzliches und Tiefböses und Tiefschönes liegen, jedenfalls etwas, das zu schauen und zu heben es sich verlohnte. Etwas Furchtbares hatten diese Augen für jeden, der ihnen einmal nahegekommen war und die Unglücksgabe der Phantasie besaß. Sonst war alles eher abstoßend als anziehend an ihr. Nur noch die freche Lüsternheit ihrer Bewegungen, deren keine bedeutungslos schien, wirkte auf viele. Die Männer saßen immer athemlos, wenn sie sang. Ja, und auch das war es noch: im Tone ihrer schrillen Stimme lag etwas Aufregendes, das anfangs beleidigte und ärgerte, aber nicht abließ, in die Nerven zu stechen und ein Gefühl, halb Schmerz, halb Wollust zu bereiten.
 
Der kleine van Staanen saß wie gebannt und starrte sie an. Auch als sie unter dröhnendem Beifall abgetreten war und Stilpe eben hinter ihr her ein Fäßchen mit Hummer rollte, starrte er auf den Fleck, wo sie gestanden hatte. Sie kam nicht wieder vor, sondern steckte ihren Kopf nur aus der Kulisse und schnitt eine Grimasse.
 
„Du, Wild-West-Mann, was is mich denn mit Dich, mein Kind? Doch nich Greteken? Grundgütiger Himmel von Texas und den anderen Jagdgebieten der verschimmelten Adlerfeder! De wirst doch nich?“
 
Der kleine Amerikaner starrte noch immer. Dann sagt er: „Das ist doch 'n merkwürdiges Frauenzimmer!“
 
„Merkwürdig?! O ja! Sehr. Man kann auch sagen: gefährlich. Eine niederträchtige Sorte Eva. Sie frißt nicht blos den Apfel, sondern auch den Mann. Die Schlange hat sie schon als Vorspeise genossen. Hüt' Du Dich! Hüt Du Dich! wie jener Lyriker so schön sagt. Nicht in die la main, mein Freund! Jedenfalls pump mir die fufzig Meter Silberdraht vorher!“
 
Der andere Couleurbruder brummte ärgerlich dazwischen: „So 'n Skelett! So 'ne Latte von 'nem Weib! Die reene Wegamüsiertheit! Gefällt Dir die etwa, Jankee?“
 
„Gefallen? Ich weiß nicht, aber sie hat was.“
 
„Hört! hört! In der That! Jankeedudelchen produziert sich als Menschenkenner, ohne allen Apparat, blos aus dem Handgelenk. Oh Du abgefeimter Sohn der Wildniß! Übrigens, wenn Du genauer seh'n willst, was se hat, brauchste's blos zu sagen. Blos zu sagen. Se is nich genierlich. Willste?“
 
„Ja, wie denn?“
 
„Das Lamm! Das Lamm! Wie denn?“ fragt dieser Knabe Karl, der fürchterlich zu werden anfängt. „Wie denn?“ Kostbar! Höre, mein Jüngling mit dem goldenen Kandelaber, hebe die Lappen Deiner zierlichen Ohren: ich werde sie einladen. Und ich schwöre Dir: wenn sie noch unbesetzt ist, wird sie uns die Ehre geben, viele Löffel Suppe mit uns zu essen. Siehst Du: so wird die Sache gedeichselt, paß auf! Ich brauche nur den schamlosen Betaster dieses Blüthnerbastards heranzuwinken. So ungefähr: Sie, da, Onkel Musikdirektor! Na so kommen Se hoch, Sie Lisztling! Na endlich! Is Grete schon besetzt? Nee? Na dann sagen Sie ihr, daß ich 'nen Amerikaner bei mir habe, der eigens herübergegondelt ist, um sich von ihren Knochen aufspießen zu lassen. Nee doch! Scherz ohne! Er soll in's Hinterzimmer komm', aber fix ä bisl!“
 
Die drei Couleurbrüder bezahlten und gingen in's Hinterzimmer. So nannte sich ein Teil der Gaststube, der von dem übrigen Raume durch eine Rollwand geschieden war.
 
Stilpe entwickelte sofort eine fachkundige und energische Thätigkeit in kritischer Weinkartenprüfung, nachdem er gefragt hatte: „Wie stehen die Amerikaner? Gut? Also all right! Orgie nimm deinen Lauf! Schorsch: Schleppen Sie die Mousseuxkübel heran! Die Witwe aus Frankreich werde aktiv! Sie verstehen mich, Schorsch? Mein Gott, was die heutige Kellnerjugend ungebildet ist! Cli!? He? Na: Cli!!? Cli?!!!? Keene Spur hat er, 'n Rindvieh is er! Also Cliquot; Dämelak! Huit! Fort! allez! Das Kompakte mag der gütige Gastgeber selber bestimmen, aber ich bitte, nicht zu vergessen, daß ich mich in Caviar baden möchte.“

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