Der
Negerkomiker - 2
Van
Staanen ließ anfahren,
„daß die Welt wackeln mußte“,
wie Stilpe sagte. „Onkel Polognerich wird ekligen Respekt bekommen.“
Nach
einer halben Stunde etwa
kam das „schlanke
Mädchen“. Stilpe stellte sie mit feierlichen Zeremonien vor, für die
sie als
Antwort ein geringschätziges Lippenschürzen hatte.
„Die
Muff wartet draußen!“
sagte sie dann.
„Natürlich,
'rin ins
Vergnügen!“ entschied Stilpe, und
der Couleurbruder, der eine Schwäche für corpulente Weiblichkeit hatte,
sprang
hinaus und holte die dicke Folie für Gretchens ätherische Schönheit.
„Was
bleibt für mich?“ fragte
Stilpe, – „wieder blos
Tugend und Caviar. Das hat man davon, wenn man Ethiker ist. Ich bin
nämlich der
einzige anständige Mensch hier, müssen Sie wissen, Greteken. Aber Sie
brauchen
sich deswegen nicht genieren. Dem Reinen ist alles rein, und für mich
seid ihr
alle Lilien. Ihr säet nicht, ihr erntet nicht, aber der gütige
Amerikaner nährt
euch doch. Er hat's nämlich, und Sie brauchen blos aktiv zu
werden, und ihn hat's noch!“
Sonderbar:
der kleine
Amerikaner fand keinen Spaß an
diesen Späßen. Er verbat sie sich sogar.
„Herrgott,
es hat Dich doch
nicht etwa jetzt schon?
Nee aber so fix! Ich sags ja: diese Amerikaner! Lauter Edisöhne.
Riechen blos
am Speck, und sie sitzen schon in der Falle. Dabei hat die
Ätherische gar keenen Speck. Ganz förchterlich!“
Auch
der Ätherischen behagten
die Späße durchaus
nicht. Es war ihr alles klar: mit diesem Kleinen, der so sonderbar
höflich war,
konnte sich leicht was „entwickeln lassen“. Schüchtern in Worten,
verschlang er
sie mit seinen Blicken, in denen Staunen und Begierde
war. Wie ihn
fesseln!? Gleich mit allen Hunden los oder leise die Netze gezogen?
Die
Muff war natürlich wieder
schrecklich gewöhnlich.
Schon nach der ersten Cliquot war sie beim „Knutschen“, und Stilpe,
natürlich,
kommentierte alle Vorgänge, sowohl die auf, als die unter dem Tische.
Gretchen
Köner entschied sich
in guter
Contrastberechnung für das leichtere Geschütz, in dem freilich
überhaupt ihre
Kraft war, sie „wirkte“ mit den Augen. Schiefe, fragende Blicke
begannen,
Blicke voll unsicheren Winken, als wisse sie selbst noch nicht, wohin,
– wie
tief. Dann herumirrende Blicke, als wenn ein Leid in ihnen wäre, das
fliehen
wollte in ferne Verborgenheiten. Mitten hinein plötzlich dann ein
großes
Aufthun der grünen Tiefe, lange, starr, – und nun die Augen schmerzlich
zu,
indeß sie lauerte. Schließlich die schwerste von ihren Künsten: das
Umarmen mit
den Augen, als ob sie innerlich tiefstes Glück genösse, selig
selbstvergessen.
Übrigens:
der kleine
Amerikaner hatte wirklich einen
gewissen Reiz für sie. Ein kräftiger Junge! Und unschuldig, – das war
doch
klar. Das las sich doch aus seinen blauen Stauneaugen. So Einer, der
mit einem Male
gewonnen wird auf lange Zeit, – vielleicht für immer. Für immer, – das
kann
freilich fatal werden. Denn man wird solche Herrn nicht los, selbst
wenn man
will. Indeß: die Brieftasche! Tiefe ganz unstudentische Art,
mit echtem
Sekt zu operieren!
Grete
Köners Nuance waren
nämlich zumeist ältere
Herren. Auf „junge Esel mit schwachen Mitteln“ ließ sie sich sonst
nicht ein.
Aber
der da!? Wie gesagt, sie
hielt ihn der schwersten
ihrer Künste für würdig.
Diese
schlugen vollkommen an.
Sie konnte es bald
merken, daß sie ihn hatte. Es war ihr eigentlich so noch nie passiert;
die
reine Explosion, denn, man denke! – Während der vierten Flasche schon,
„wo man
doch wahrhaftig noch ruhig ist“, preßte er ihre Hände in die seinen und
gab
sich ihren Blicken in ganz brünstiger Andacht hin. Wenn sie nur allein
wären!
Er war entbrannt! Jeder seiner Bewegungen sah sie es an, wenn er auch
wenig
sagte.
Wenn
sie nur allein wären!
Der
Freund der dicken Muff
war bald betrunken, und die
dicke Muff ditto, – aber Stilpe! Diese verdammte Dreckschleuder! Wollte
er denn
durchaus die ganze Geschichte verpfuschen?
Als
der kleine Amerikaner
einmal hinausging, nahm sie
sich den „Esel“ vor. Aber richtig! „Was er sich denn eigentlich
dächte!? Ob das
nicht eine Gemeinheit wäre, fortwährend schnodderige Bemerkungen zu
machen, wo
doch der Kleine so anständig wäre? Das sei eine nette
Couleurbruderschaft,
unschuldige junge Leute zu verderben, und von Stilpe hätte sie
eigentlich mehr
Anstand erwartet. Aber nein: pfui Teufel!“
„Aber
Gretchen!? Gretchen!?
Du bist doch keine
Seriöse?! Was ist denn in Deinen Alabasterbusen gefahren? Du wirst mir
doch
nicht ernstlich den kleinen Jankee...? Oho, mein süßes Skeletteken, so
hab'n
wir nicht gewettet! An die Kette willst Du den kleinen
Amerikaner legen? Gucke da! Wo das Mädel den Geschmack her
hat! Gucke da! Das große Portemonnaie will sie in Monopolpacht nehmen!
Aber da
kennt ihr den kleinen Amerikaner schief, holdes Gerippe! Der ist, –
aber wart,
er solls uns selber sagen! Du, Jankeedoodle, sag mal, was ist! Gretchen
meint,
Du möchtest aus ihren Tanzstiefeln trinken. He? Wahr?“
Aber
Jankeedoodle wurde wild.
„Kümmere Dich nicht um
mich, Stilpe, und laß mich ungeschoren! Du langweilst mich mit Deinen
Witzen.
Drisch sie vor, wem Du Lust hast! Sie sind gräßlich überflüssig.“
Stilpe
erkannte schnell, daß
das Ernst war, und er
hatte den Instinkt der auf Andere angewiesenen Spaßmacher, im rechten
Augenblick aufzuhören. Nur eine Bemerkung konnte er sich
nicht
verkneifen: „Also jut! Die Sache macht sich! Wieder eine Unschuld
weniger!
Daher der Name grüne Schoten! Aber bitte: wenn sie dürre sind und
rascheln, –
ich bin nicht schuld! Der gute Rath hat seine Schuldigkeit
gethan, der gute Rath kann gehn! Also geh ich und wasche die la
main in
Unschuld, wie der alte Herr Pontius zu sagen pflegte. Siehe Markus oder
Matthäus oder alle Zweee! Aber bitte vorher die fufzig Mark! In
Geldsachen ist
Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige.“
Van
Staanen gab sie ihm mit
Vergnügen, bezahlte auch
gleich die Zeche, ließ die „paar Müffe“ sitzen und ging mit Grete.
Von
da an begann eine
sichtliche Veränderung mit dem
kleinen Amerikaner.
Er
wurde „interesselos“, wie
die Couleurbrüder sagten.
Fehlte bald auf dem Fechtboden, bald auf dem Frühschoppen, schwänzte
sogar
zuweilen die offiziellen Kneipabende.
Man
suchte ihn behutsam auf
die Bahn der Tugend
zurückzuführen.
Erst
der Leibbursch. Wirklich
eine rednerische
Leistung: „Das geht nicht,
Leibfuchs! Wirklich nich!
Man kann nicht zween Heeren dienen, zumal wenn der eene 'n
Frauenzimmer is! Des Couleurstudenten Geliebte muß seine
Verbindung
sein!“
Aber
unglaublich: Selbst
solche Maximen halfen nicht!
Folgten
also die „offiziellen
Rüffel“ – half nichts!
Dimissionsdrohungen – half nichts!
Der
Burschenkonvent wurde
sehr traurig. Wenn es
wenigstens intern geblieben wäre! Aber der kleine Amerikaner war ja
verrückt!
Ließ
das Mensch in den
Verbindungsfarben auftreten. „Vivat,
crescat, floreat. . . a!“ riefen die anwesenden Studenten, wenn sie
auftrat. Der reine Skandal!
Man
mußte ihn also wirklich
auf vier Wochen „hinaushängen!“
Aber,
Du lieber Gott, das
machte die Sache nur
schlimmer! So sumpfte er sich immer mehr hinein. Nach den vier Wochen
fiel es
ihm gar nicht ein, sich sehen zu lassen.
Man
suchte ihn. Keine Spur!
Nicht zu finden! Auf
seiner Bude die Auskunft: Seine Sachen seien da, er aber käme nur alle
8, 10
Tage einmal vor, um Briefe zu holen.
Der
kleine van Staanen wohnte
nämlich mittlerweile bei
Grete Köner und dachte gar nicht mehr an irgend was anderes als an sie.
Es
war ein ganz miserables
Leben, das er führte, ein
Leben im schmutzigsten Sumpfe, – man mußte erschrecken, wenn man den
kleinen
Amerikaner sah, so heruntergekommen sah er aus. Das fiel noch am
wenigsten auf,
daß die Zeichen wüstester Ausschweifung an ihm waren, daß er bleich und
abgefallen war, müde Augen hatte und einen schleppenden Gang, –
schlimmer war
die Wandlung in seinem Wesen: diese Unsicherheit des Auftretens, wie
wenn er
etwas verbergen müßte, etwas ganz unsagbar Häßliches; diese
Aengstlichkeit vor
fremdem Blicke, der ihm wehe zu thun schien; dieses stumpfe
Vorsichhinbrüten,
aus dem er zuweilen emporschrak, obgleich nichts dazu Anlaß zu geben
schien.
Er
war der Chansonette
willenslos unterworfen,
sklavisch, hündisch. Sie maltraitirte ihn auf jede Weise, selbst in
Gegenwart
Anderer; sie legte sich nicht einmal Zwang an, wenn ihr Gelüsten nach
einem
anderen Manne kam: Van Staanen ließ sich Alles gefallen. Er schien gar
kein
Selbstgefühl mehr zu haben, – innerhalb weniger Wochen war er durch das
Weib
vollkommen an Seele und Leib zu Grunde gerichtet.
Die
Verbindung ahnte gar
nicht, wie weit es schon
gekommen war, bis Stilpe einmal auf der Kneipe erschien und erzählte,
was er
aus „bester Quelle“, nämlich von der dicken Muff und dann aus
persönlicher „Beaugapfelung“
erfahren. Seine Rede lautete so: „Laßt fahren dahin! Der Yankee ist in
sein
Verderben gedudelt, und kein Bierseil reißt ihn mehr heraus. So lange
Krieg ist
zwischen Nan und Nü, aber das versteht ihr zweifelhaft gebildeten
Mitteleuropäer
ja nicht, ich kommentiere also mein Bild aus dem Reiche der Mitte: so
lange
Mann und Weib sich befehden auf diesem ekelerregenden Globus, id
est:
seitdem Adam und Eva vom Appelboome verbotene Südfrüchte gegessen
haben, is so
was noch nich passiert! Der gute Knabe mit dem großen Portemonnaie is
futsch,
futscher, am futschesten! Er sieht aus wie ein Backpflaumenmann, so
zusammengeschrumpelt und beenebezüglich schlotterig. Er ist chronisch
vertattert an Leib und Seele und ganz und gar versimpelt. Er wichst ihr
die
Stiefel. Ja wohl. Er wischt ihr die Stiefel. Er macht ihren Laufjungen.
Er ist
ihr Clown. Sie steckt ihren Zeigefinger in's Bier, hält'n ihm hin und
sagt: „Lutsch
'mal, Karlemannchen“, und Karlemannchen lutscht.
„Unglaublich!
Donnerwetter
nee! Aber is das denn die
Menschenmeeglichkeet!“ im Chorus.
„Ja,
und wenn man der Muffin
glauben darf, –
Himmelherrgott noch 'mal: das is schon
das Allerunglaublichste!
Aber das kann ich vor den Füchsen nich erzählen. Das is
überhaupt nur für die allerältesten Semester, und
selber die können
Schaden an ihrer Seele nehmen, wenn sie nich zufällig Mediziner sind.
Theologen
würden augenblicklich sterbe;, wenn sies hörten. 'S
is schau-er-lich!!“
„Na
also schieß los!“
„Fällt m'r
ja gar nich
ein! Heechstens bei
der Exkneipe, und ooch da blos theilweise. – 'S schlimmste is, daß
er heidenmäßig viel Geld braucht und ooch nich im Geringsten dran
denkt,
von dem Weibsbilde zu lassen. – Ich habe mit ihm gesprochen,
– väterlich
versteht sich.“
„Na??!“
„Nu,
er war sehr zerknirscht
und ganz ekelhaft
demietig, aber 's ginge nich, sagte er, 's ginge absolut nich, und m'r
sollt'n
'n in Ruhe lassen.“
Am
nächsten Tage großer
Burschenkonvent. Sollte man
ihn gleich in perpetuum hinausthun? Sollte man noch einen
Versuch zu seiner Rettung machen?
Dies
wurde beschlossen.
Aber
es war zu spät. Auf
seiner Wohnung die Kunde:
Herr van Staanen ist nach Amerika; hat alles bezahlt, seine Sachen fast
alle
dagelassen, zumal alle Bücher und alle Couleursachen, wird aber nicht
wiederkommen, – sein Vater hat ihn geholt.
„Eingeheimst
worden?“ Die
Sache klang plausibel. Der
Alte wird's erfahren und kurzen Prozeß gemacht haben. Aber daß „der
Kleine“ gar
keinen Abschied genommen? Man hätte ihn ja rehabilitieren können
vorher. . .
Immerhin: besser so, als daß man ihn etwa hätte ganz dimittieren
müssen. Er
wird schon wieder vernünftig werden drüben, und vielleicht kommt er
sogar
wieder. Beschluß: ein offizieller Brief des Burschenkonvents wird ihm
nach
Amerika nachgeschickt, die zeitweilige Demission wird zurückgenommen,
van
Staanen bis auf Weiteres als aktiv betrachtet, bis genaueres zu Wissen
des
Convents komme.