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Literatur


04.3


Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Der Negerkomiker



Der Negerkomiker - 2

Van Staanen ließ anfahren, „daß die Welt wackeln mußte“, wie Stilpe sagte. „Onkel Polognerich wird ekligen Respekt bekommen.“
 
Nach einer halben Stunde etwa kam das „schlanke Mädchen“. Stilpe stellte sie mit feierlichen Zeremonien vor, für die sie als Antwort ein geringschätziges Lippenschürzen hatte.
 
„Die Muff wartet draußen!“ sagte sie dann.
 
„Natürlich, 'rin ins Vergnügen!“ entschied Stilpe, und der Couleurbruder, der eine Schwäche für corpulente Weiblichkeit hatte, sprang hinaus und holte die dicke Folie für Gretchens ätherische Schönheit.
 
„Was bleibt für mich?“ fragte Stilpe, – „wieder blos Tugend und Caviar. Das hat man davon, wenn man Ethiker ist. Ich bin nämlich der einzige anständige Mensch hier, müssen Sie wissen, Greteken. Aber Sie brauchen sich deswegen nicht genieren. Dem Reinen ist alles rein, und für mich seid ihr alle Lilien. Ihr säet nicht, ihr erntet nicht, aber der gütige Amerikaner nährt euch doch. Er hat's nämlich, und Sie brauchen blos aktiv zu werden, und ihn hat's noch!“
 
Sonderbar: der kleine Amerikaner fand keinen Spaß an diesen Späßen. Er verbat sie sich sogar.
 
„Herrgott, es hat Dich doch nicht etwa jetzt schon? Nee aber so fix! Ich sags ja: diese Amerikaner! Lauter Edisöhne. Riechen blos am Speck, und sie sitzen schon in der Falle. Dabei hat die Ätherische gar keenen Speck. Ganz förchterlich!“
 
Auch der Ätherischen behagten die Späße durchaus nicht. Es war ihr alles klar: mit diesem Kleinen, der so sonderbar höflich war, konnte sich leicht was „entwickeln lassen“. Schüchtern in Worten, verschlang er sie mit seinen Blicken, in denen Staunen und Begierde war. Wie ihn fesseln!? Gleich mit allen Hunden los oder leise die Netze gezogen?
 
Die Muff war natürlich wieder schrecklich gewöhnlich. Schon nach der ersten Cliquot war sie beim „Knutschen“, und Stilpe, natürlich, kommentierte alle Vorgänge, sowohl die auf, als die unter dem Tische.
 
Gretchen Köner entschied sich in guter Contrastberechnung für das leichtere Geschütz, in dem freilich überhaupt ihre Kraft war, sie „wirkte“ mit den Augen. Schiefe, fragende Blicke begannen, Blicke voll unsicheren Winken, als wisse sie selbst noch nicht, wohin, – wie tief. Dann herumirrende Blicke, als wenn ein Leid in ihnen wäre, das fliehen wollte in ferne Verborgenheiten. Mitten hinein plötzlich dann ein großes Aufthun der grünen Tiefe, lange, starr, – und nun die Augen schmerzlich zu, indeß sie lauerte. Schließlich die schwerste von ihren Künsten: das Umarmen mit den Augen, als ob sie innerlich tiefstes Glück genösse, selig selbstvergessen.
 
Übrigens: der kleine Amerikaner hatte wirklich einen gewissen Reiz für sie. Ein kräftiger Junge! Und unschuldig, – das war doch klar. Das las sich doch aus seinen blauen Stauneaugen. So Einer, der mit einem Male gewonnen wird auf lange Zeit, – vielleicht für immer. Für immer, – das kann freilich fatal werden. Denn man wird solche Herrn nicht los, selbst wenn man will. Indeß: die Brieftasche! Tiefe ganz unstudentische Art, mit echtem Sekt zu operieren!
 
Grete Köners Nuance waren nämlich zumeist ältere Herren. Auf „junge Esel mit schwachen Mitteln“ ließ sie sich sonst nicht ein.
 
Aber der da!? Wie gesagt, sie hielt ihn der schwersten ihrer Künste für würdig.
 
Diese schlugen vollkommen an. Sie konnte es bald merken, daß sie ihn hatte. Es war ihr eigentlich so noch nie passiert; die reine Explosion, denn, man denke! – Während der vierten Flasche schon, „wo man doch wahrhaftig noch ruhig ist“, preßte er ihre Hände in die seinen und gab sich ihren Blicken in ganz brünstiger Andacht hin. Wenn sie nur allein wären! Er war entbrannt! Jeder seiner Bewegungen sah sie es an, wenn er auch wenig sagte.
 
Wenn sie nur allein wären!
 
Der Freund der dicken Muff war bald betrunken, und die dicke Muff ditto, – aber Stilpe! Diese verdammte Dreckschleuder! Wollte er denn durchaus die ganze Geschichte verpfuschen?
 
Als der kleine Amerikaner einmal hinausging, nahm sie sich den „Esel“ vor. Aber richtig! „Was er sich denn eigentlich dächte!? Ob das nicht eine Gemeinheit wäre, fortwährend schnodderige Bemerkungen zu machen, wo doch der Kleine so anständig wäre? Das sei eine nette Couleurbruderschaft, unschuldige junge Leute zu verderben, und von Stilpe hätte sie eigentlich mehr Anstand erwartet. Aber nein: pfui Teufel!“
 
„Aber Gretchen!? Gretchen!? Du bist doch keine Seriöse?! Was ist denn in Deinen Alabasterbusen gefahren? Du wirst mir doch nicht ernstlich den kleinen Jankee...? Oho, mein süßes Skeletteken, so hab'n wir nicht gewettet! An die Kette willst Du den kleinen Amerikaner legen? Gucke da! Wo das Mädel den Geschmack her hat! Gucke da! Das große Portemonnaie will sie in Monopolpacht nehmen! Aber da kennt ihr den kleinen Amerikaner schief, holdes Gerippe! Der ist, – aber wart, er solls uns selber sagen! Du, Jankeedoodle, sag mal, was ist! Gretchen meint, Du möchtest aus ihren Tanzstiefeln trinken. He? Wahr?“
 
Aber Jankeedoodle wurde wild. „Kümmere Dich nicht um mich, Stilpe, und laß mich ungeschoren! Du langweilst mich mit Deinen Witzen. Drisch sie vor, wem Du Lust hast! Sie sind gräßlich überflüssig.“
 
Stilpe erkannte schnell, daß das Ernst war, und er hatte den Instinkt der auf Andere angewiesenen Spaßmacher, im rechten Augenblick aufzuhören. Nur eine Bemerkung konnte er sich nicht verkneifen: „Also jut! Die Sache macht sich! Wieder eine Unschuld weniger! Daher der Name grüne Schoten! Aber bitte: wenn sie dürre sind und rascheln, – ich bin nicht schuld! Der gute Rath hat seine Schuldigkeit gethan, der gute Rath kann gehn! Also geh ich und wasche die la main in Unschuld, wie der alte Herr Pontius zu sagen pflegte. Siehe Markus oder Matthäus oder alle Zweee! Aber bitte vorher die fufzig Mark! In Geldsachen ist Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige.“
 
Van Staanen gab sie ihm mit Vergnügen, bezahlte auch gleich die Zeche, ließ die „paar Müffe“ sitzen und ging mit Grete.
 
Von da an begann eine sichtliche Veränderung mit dem kleinen Amerikaner.
 
Er wurde „interesselos“, wie die Couleurbrüder sagten. Fehlte bald auf dem Fechtboden, bald auf dem Frühschoppen, schwänzte sogar zuweilen die offiziellen Kneipabende.
 
Man suchte ihn behutsam auf die Bahn der Tugend zurückzuführen.
 
Erst der Leibbursch. Wirklich eine rednerische Leistung: „Das geht nicht, Leibfuchs! Wirklich nich! Man kann nicht zween Heeren dienen, zumal wenn der eene 'n Frauenzimmer is! Des Couleurstudenten Geliebte muß seine Verbindung sein!“
 
Aber unglaublich: Selbst solche Maximen halfen nicht!
 
Folgten also die „offiziellen Rüffel“ – half nichts! Dimissionsdrohungen – half nichts!
 
Der Burschenkonvent wurde sehr traurig. Wenn es wenigstens intern geblieben wäre! Aber der kleine Amerikaner war ja verrückt!
 
Ließ das Mensch in den Verbindungsfarben auftreten. „Vivat, crescat, floreat. . . a!“ riefen die anwesenden Studenten, wenn sie auftrat. Der reine Skandal!
 
Man mußte ihn also wirklich auf vier Wochen „hinaushängen!“
 
Aber, Du lieber Gott, das machte die Sache nur schlimmer! So sumpfte er sich immer mehr hinein. Nach den vier Wochen fiel es ihm gar nicht ein, sich sehen zu lassen.
 
Man suchte ihn. Keine Spur! Nicht zu finden! Auf seiner Bude die Auskunft: Seine Sachen seien da, er aber käme nur alle 8, 10 Tage einmal vor, um Briefe zu holen.
 
Der kleine van Staanen wohnte nämlich mittlerweile bei Grete Köner und dachte gar nicht mehr an irgend was anderes als an sie.
 
Es war ein ganz miserables Leben, das er führte, ein Leben im schmutzigsten Sumpfe, – man mußte erschrecken, wenn man den kleinen Amerikaner sah, so heruntergekommen sah er aus. Das fiel noch am wenigsten auf, daß die Zeichen wüstester Ausschweifung an ihm waren, daß er bleich und abgefallen war, müde Augen hatte und einen schleppenden Gang, – schlimmer war die Wandlung in seinem Wesen: diese Unsicherheit des Auftretens, wie wenn er etwas verbergen müßte, etwas ganz unsagbar Häßliches; diese Aengstlichkeit vor fremdem Blicke, der ihm wehe zu thun schien; dieses stumpfe Vorsichhinbrüten, aus dem er zuweilen emporschrak, obgleich nichts dazu Anlaß zu geben schien.
 
Er war der Chansonette willenslos unterworfen, sklavisch, hündisch. Sie maltraitirte ihn auf jede Weise, selbst in Gegenwart Anderer; sie legte sich nicht einmal Zwang an, wenn ihr Gelüsten nach einem anderen Manne kam: Van Staanen ließ sich Alles gefallen. Er schien gar kein Selbstgefühl mehr zu haben, – innerhalb weniger Wochen war er durch das Weib vollkommen an Seele und Leib zu Grunde gerichtet.
 
Die Verbindung ahnte gar nicht, wie weit es schon gekommen war, bis Stilpe einmal auf der Kneipe erschien und erzählte, was er aus „bester Quelle“, nämlich von der dicken Muff und dann aus persönlicher „Beaugapfelung“ erfahren. Seine Rede lautete so: „Laßt fahren dahin! Der Yankee ist in sein Verderben gedudelt, und kein Bierseil reißt ihn mehr heraus. So lange Krieg ist zwischen Nan und Nü, aber das versteht ihr zweifelhaft gebildeten Mitteleuropäer ja nicht, ich kommentiere also mein Bild aus dem Reiche der Mitte: so lange Mann und Weib sich befehden auf diesem ekelerregenden Globus, id est: seitdem Adam und Eva vom Appelboome verbotene Südfrüchte gegessen haben, is so was noch nich passiert! Der gute Knabe mit dem großen Portemonnaie is futsch, futscher, am futschesten! Er sieht aus wie ein Backpflaumenmann, so zusammengeschrumpelt und beenebezüglich schlotterig. Er ist chronisch vertattert an Leib und Seele und ganz und gar versimpelt. Er wichst ihr die Stiefel. Ja wohl. Er wischt ihr die Stiefel. Er macht ihren Laufjungen. Er ist ihr Clown. Sie steckt ihren Zeigefinger in's Bier, hält'n ihm hin und sagt: „Lutsch 'mal, Karlemannchen“, und Karlemannchen lutscht.
 
„Unglaublich! Donnerwetter nee! Aber is das denn die Menschenmeeglichkeet!“ im Chorus.
 
„Ja, und wenn man der Muffin glauben darf, – Himmelherrgott noch 'mal: das is schon das Allerunglaublichste! Aber das kann ich vor den Füchsen nich erzählen. Das is überhaupt nur für die allerältesten Semester, und selber die können Schaden an ihrer Seele nehmen, wenn sie nich zufällig Mediziner sind. Theologen würden augenblicklich sterbe;, wenn sies hörten. 'S is schau-er-lich!!“
 
„Na also schieß los!“
 
„Fällt m'r ja gar nich ein! Heechstens bei der Exkneipe, und ooch da blos theilweise. – 'S schlimmste is, daß er heidenmäßig viel Geld braucht und ooch nich im Geringsten dran denkt, von dem Weibsbilde zu lassen. – Ich habe mit ihm gesprochen, – väterlich versteht sich.“
 
„Na??!“
 
„Nu, er war sehr zerknirscht und ganz ekelhaft demietig, aber 's ginge nich, sagte er, 's ginge absolut nich, und m'r sollt'n 'n in Ruhe lassen.“
 
Am nächsten Tage großer Burschenkonvent. Sollte man ihn gleich in perpetuum hinausthun? Sollte man noch einen Versuch zu seiner Rettung machen?
 
Dies wurde beschlossen.
 
Aber es war zu spät. Auf seiner Wohnung die Kunde: Herr van Staanen ist nach Amerika; hat alles bezahlt, seine Sachen fast alle dagelassen, zumal alle Bücher und alle Couleursachen, wird aber nicht wiederkommen, – sein Vater hat ihn geholt.
 
„Eingeheimst worden?“ Die Sache klang plausibel. Der Alte wird's erfahren und kurzen Prozeß gemacht haben. Aber daß „der Kleine“ gar keinen Abschied genommen? Man hätte ihn ja rehabilitieren können vorher. . . Immerhin: besser so, als daß man ihn etwa hätte ganz dimittieren müssen. Er wird schon wieder vernünftig werden drüben, und vielleicht kommt er sogar wieder. Beschluß: ein offizieller Brief des Burschenkonvents wird ihm nach Amerika nachgeschickt, die zeitweilige Demission wird zurückgenommen, van Staanen bis auf Weiteres als aktiv betrachtet, bis genaueres zu Wissen des Convents komme.

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