Der
mutige Revierförster
König
Leberecht, der schon
in vorgerückten Jahren
befindliche, aber immer noch recht rüstige Beherrscher eines angenehm
im
Gebiete der mittleren Zone gelegenen Landes, liebte es, die Büchse im
Arm, auf
hohe Berge zu steigen und dort all das Wild zu erlegen, das man mit
viel Mühe
und Kunst in die unmittelbare Nähe seines Feuerrohres brachte.
Auf
diesen Jagdzügen
begleitete ihn, der gerne Menschen um sich hatte, weil er wohl wußte,
daß es
für Fürsten nicht gut ist, allein zu sein, nicht nur eine Schar
bevorzugter
Männer des Hof- und Staatsdienstes, sondern auch eine wohlausgewählte
Mustergarnitur solcher Leute, die sich durch sachgemäße Überdeckung
größerer
Leinwandflächen mit Farbe oder durch andere Hantierungen von
gewissermaßen
künstlerischem Charakter in der Leute Mund gebracht und überdies durch
die
Annahme des Titels von Professoren bewiesen hatten, daß sie, obwohl
keiner
ernsthaften Beschäftigung obliegend,
doch Sinn für das bürgerlich Reputierliche besaßen.
Es
war, und dessen war sich
ein jeder in des Königs Jagdgefolge wohl bewußt, eine große Ehre, mit
Seiner
Majestät durch die Felder und die Auen zu streifen, sowie auf schmalen
Pfaden
die erhabenen Gipfel der Bergwelt zu erklimmen, die wie wenig anderes
dazu
angetan erscheint, dem Menschen einen Begriff davon zu geben, wie
großartig die
Welt ist. Indessen, wie die meisten Ehren, so war auch diese mit
Anstrengungen
und Unbequemlichkeiten verbunden. Schon das Klettern allein erschien
den
älteren Ministern, vortragenden Räten, Kammerherren und
Kunstprofessoren als
eine im Grunde nicht ganz erfreuliche Muskelübung.
Denn,
abgesehen davon, daß
der königliche Bergsteiger schon an und für sich in seiner Eigenschaft
als
Fürst jenen elastischen und lebhaften Gang hatte, von dem wir immer in
den
Zeitungen lesen, wenn von einem in Bewegung befindlichen Landesvater
die Rede
ist, war König Leberecht auch noch besonders auf diesen Sport
trainiert, da er
Zeit seines Lebens die meisten freien Stunden, die ihm die
Regierungsgeschäfte
ließen, hauptsächlich dazu
verwandt hatte, sich in der ebenso gesunden wie vornehmen Kunst des
Kletterns
auszubilden. Er wäre, wenn ihm die Schicksalsgöttinnen statt einer
Krone einen
Gamsbarthut und statt des Zepters einen Bergstock in die Wiege gelegt
hätten,
zweifellos ein ebenso vortrefflicher Bergführer geworden, wie er nun in
Wirklichkeit ein scharmanter König geworden war.
Aber
die böse
Notwendigkeit, mit den untrainierten Beinen des Untertanen den
trainierten
Beinen des Souveräns in gleichem Schritt und Tritt zu folgen, war noch
nicht
einmal die fatalste Begleiterscheinung jener ehrenvollen Jagdpartien.
Das
Unangenehmste waren die kalten Bäder, die die höchst badelustige
Majestät auf
luftigster Höhe im schneekühlen Gewässer munterer Gebirgsbäche zu
nehmen
liebte, und von denen sich keiner ihrer Begleiter ausschließen konnte,
da sich
der Wasserscheue sonst dem Verdachte ausgesetzt hätte, daß er nicht
unter allen
Umständen gesonnen sei, seinem höchsten Herrn überallhin zu folgen.
Wie
viele ministerielle,
geheimrätliche, kammerherrliche
kunstprofessorale Schnupfen die Erfüllung dieser harten
Untertanenpflicht im
Laufe der Jahre zur Folge hatte, darüber besteht keine Statistik, doch
darf
ruhig angenommen werden, daß ihrer viele und die meisten davon
hartnäckiger
Natur waren. Denn nicht jeder verträgt zehn Grad Reaumur im Wasser. Die
Loyalität ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Nach
einem solchen Bade in
der Höhe von 1500 Metern bei entsprechender Wassertemperatur begab es
sich nun
einmal, daß der König, dem von der genossenen Wasserkühle selber die
Finger
etwas klamm geworden waren, seine Toilette (mit gebotener Delikatesse
zu
sprechen) nicht ganz zu Ende führte. Anfangs bemerkte niemand diesen
Umstand,
da ein jeder nur von dem einen Wunsche beseelt war, die eigene
gesunkene
Blutwärme durch allseitig luftdichten Verschluß der Kleider wieder in
die Höhe
zu bringen. Als sich aber später die königliche Jagdgesellschaft auf
einem
angenehmen Wiesenplane zur Rast niedergelassen hatte, nahm man den
kleinen,
aber durch seine Örtlichkeit fatal auffälligen Mangel wahr.
Nun
ist eine solche
Wahrnehmung selbst unter
gewöhnlichen
Menschen, wenn der eine nicht gerade die Frau des anderen ist, mit
einer gewissen Peinlichkeit verbunden. Denn es handelt sich hier, wenn
man der
Sache auf den Grund geht, um einen Umstand, der geeignet ist, das
sittliche
Gefühl zu verletzen, um einen dolus eventualis auf dem besonders
heiklen
Gebiete der Erbsünde sozusagen. Indessen, schließlich gibt sich doch
immer
einer den gewissen Ruck, nimmt den Betreffenden (in den meisten Fällen
ist es
ein alter Professor oder ein Dichter) beiseite und flüstert (wenn er
das Wort ”geradezu“ im Wappen führt): ’Sie, Ihr Hosentürl ist offen,‘
oder
(wenn er delikater ist) mit einem schnellen orientierenden Blicke: ’Es
ist etwas bei Ihnen nicht in Ordnung.‘ Ja, es
gibt sogar Leute, die selbst bei so
peinlichen Gelegenheiten zu frivolen Scherzen aufgelegt sind und etwa
die
Bemerkung machen: ’Sie, verlier'n S' sei' nix!‘
Kann
man aber so etwas
einem Fürsten, einem Könige sagen? Nein: Man kann nicht! Der höfische
Stil versagt
hier vollkommen. Es gibt durchaus
keine Redewendung in der Phraseologie des Umganges mit Majestäten, die
es
ermöglichte, derlei vor ein allerhöchstes Ohr zu bringen, als über
welchem bei
feierlichen Anlässen nur durch ein paar Zentimeter getrennt eine Krone
zu
sitzen kommt. Nicht einmal der mit allen Essenzen höfischer Eleganz und
Wortbiegungskunst gewaschene Zeremonienmeister Baron von Belodeur, der
doch
eine anerkannte Autorität auf dem Gebiete höfischer Linguistik ist, und
von dem
man hoffte, er werde die schwierige Mission übernehmen und so seinem
dichten
Lorbeerkranze als königlicher Hausdiplomat ein neues leuchtendes Blatt
einverleiben, erklärte, dies überschreite seine Fähigkeiten, dieser
Fall sei
von einer Heikligkeit, daß man seine Lösung nicht einer Menschenzunge,
sondern
der Vorsehung selber überlassen müsse, die übrigens, so fügte er mit
anmutiger
Zuversicht hinzu, noch immer bewiesen habe, daß sie über das königliche
Haus
mit besonderer Aufmerksamkeit wache. Sohin (er liebte dieses kuriale
Wort)
werde ihr auch dieser Umstand nicht entgehen, und sie werde zweifellos
Mittel
und Wege finden, ihn zu
beheben, ohne daß sich ein schwacher Mensch den Mund zu verbrennen
brauche.
—
”Das ist
alles sehr schön und sehr gut, und ich bin schon von Ressorts wegen der
letzte, der an der Vorsehung zu
zweifeln wagt,“ bemerkte der Kultusminister, dem es trotz eines kaum
überstandenen Schüttelfrostes
jetzt sehr heiß zumute wurde, ”aber sie müßte äußerst
schnell eingreifen. Bedenken Sie, lieber Baron, daß uns am Fuße dieses
Berges
eine Deputation der ländlichen Bevölkerung erwartet, darunter vier
weißgekleidete Jungfrauen, von denen die jüngste ein Huldigungsgedicht
auswendig gelernt hat. Ich wette meinen Kopf, daß die Jungfrau aus dem
Konzept
kommt, wenn ihr Blick zufällig auf die derangierte Gegend fällt, und
diese
infamen Bauernlackel werden dem höchsten Herrn sämtlich, ich sage
Ihnen: sämtlich nicht
ins Gesicht sehen,
sondern — ebendorthin.
Mein
Gott, mein Gott: Die Situation ist von einer märchenhaften
Scheußlichkeit. Wir
können uns, so gern wir sonst dazu bereit sind, hier nicht auf höhere
Mächte
verlassen; wir müssen selber handeln. Wozu
sind Sie denn
Zeremonienmeister, wenn Sie sofort versagen, wo es einmal
gilt, die durch einen tückischen Zufall bedrohte Würde des Königtums zu
retten!
Hic Rhodus! Hic salta! Walten Sie Ihres Amtes!“
Der
Zeremonienmeister, der
es bisher immer zu vermeiden gewußt hatte, in Anwesenheit des Königs
Schweiß
abzusondern, war nicht imstande, die plebejische Feuchtigkeit
zurückzudrängen,
die ihm angesichts dieser grauenerregenden Perspektive auf die Stirne
trat. Er
fühlte die ganze furchtbare Verantwortung, die ihm diese entsetzliche
Situation
aufbürdete. Er sah das Ansehen des Hofes in Gefahr, die Regierung
wanken, den
Staat konvulsivischen Zuckungen preisgegeben. Vor seinem inneren Auge
jagten
sich Feuer, Pulverdampf und blutigrote Wogen der Rebellion. Vor allem
aber
bebte sein ganzes Gemüt und schoß molkig zusammen wie Milch, wenn's
wittert,
bei dem Gedanken, daß seine Stellung auf dem Spiele stand. Denn in der
Tat,
dieser Toilettenmangel gehörte in sein Ressort, da kein Kammerdiener
zugegen
war.
Sollte
er vielleicht doch?. . . Sollte er
nicht doch
vielleicht mit dem Anstand, den er hatte, diskret sich in den Hüften
wiegend,
an den König heran treten und mit delikatem Augenniederschlag lispeln:
’Majestät haben allerhöchst geruht, zu vergessen, sich
die . . .‘
Aber
bei allen Heiligen und
Nothelfern, das geht
ja doch nicht! Niemals noch, so lange es Zeremonienmeister gibt, haben
Zeremonienmeisterlippen derartiges zu einem König zu sagen sich erkühnt.
In
seiner fassungslosen
Verwirrung überfiel ihn die phantastische Idee, zu den Mitteln der
Mimik zu
greifen und, sich dicht vor Seine Majestät postierend, an sich selbst,
gewissermaßen wie an einem Lehrphantom, scheinbar die Handlung
vorzunehmen, die der
König an seiner Kleidung tatsächlich unterlassen hatte.
Aber
das war ja grotesk,
skurril, Wahnsinn! Ebenso hätte er direkt hingehen und, an das
respektive
Kleidungsstück der allerhöchsten Person Hand anlegend, den Mangel brevi
manu
reparieren können, — eine Vorstellung, bei
der er fast in Tränen der Verzweiflung ausgebrochen wäre.
Aber
Verzweiflung ist ein
zu gelindes Wort, um
auszudrücken, in
welchem Zustande sich das zeremonienmeisterliche Gemüt befand. Er war
der
Auflösung nahe. Schon konnte er kaum mehr seine Augen regieren, die
immer nur
den einen, sich zu einem ungeheuren Schlund und Abgrund klaffend
erweiternden
Punkt suchten, der die schauderhafte Quelle dieser unsäglich grausamen
Prüfung
für ihn war. Gewaltsam mußte er seine Blicke von dort wegwenden, um sie
ziellos
im Kreise herumirren zu lassen. —
Ob
denn nicht doch
irgendeiner der Anwesenden es wagen würde?
An
die Staats- und
Hoffunktionäre sich zu wenden, war ganz aussichtslos, das fühlte er mit
der
Gewißheit des Erfahrenen. Aber vielleicht einer dieser
Kunstprofessoren?! Unter
ihnen, die ja auch sonst zu seinem Entsetzen oft genug gegen den
höfischen Ton
verstießen, mußte doch einer zu finden sein, der, wenn man ihm einen
Orden oder
einen Auftrag oder schließlich den persönlichen Adel versprach, das
unerhörte,
kaum auszudenkende Wagstück unternahm.
Er
zog jeden einzelnen
beiseite, bat, flehte, rang die
Hände, versprach schließlich den gebührenfreien Freiherrntitel und die
Erblichkeit der Professur in der Familie, eingeschlossen die weibliche
Nachkommenschaft, — nichts half. Alle
erklärten, lieber täglich eine Literflasche Mastixfirnis auf das Wohl
des
erhabenen Landesherrn leeren zu wollen.
Der
Zeremonienmeister hatte
das absolut sichere Gefühl, daß der jüngste Tag herangebrochen sei; in
seinen
Ohren dröhnten deutlich die Posaunen. Da fiel sein Blick auf den
Revierförster
Meier, der hinter einem Baum saß und mit Mißmut konstatierte, daß sein
Enzianschnaps zu Ende war.
Ein
letzter Hoffnungsstrahl
flackerte, aber nur ganz schwach, im Ingenium des halbtoten Hofmanns
auf. Der
Meister des höfischen Parketts trat zum Meister des gebirgigen Forstes
und entwickelte
ihm, indem er sich bemühte, durch leise Dialektfärbung seiner
Sprechweise etwas
Volkstümliches zu verleihen, den ganzen Komplex der verhängnisvollen
Verlegenheit, hinzufügend, daß er, der biedere Mann aus dem Volke,
allein
befähigt und
berufen sei, den
Hof, die Regierung, den Staat zu retten, indem er den König auf jenen
Punkt
aufmerksam machte, auf jenen Punkt . . .
”Das
Hosentürl? Wenn's
weiter nix is?!“ meinte Meier.
”Aber
Sie dürfen natürlich
nicht so geradezu, lieber Meier,“ flüsterte der Zeremonienmeister, dem
doch etwas bange wurde bei dieser schnellen Entschlossenheit des
offenbar ganz ungeleckten Bären . . . ”Sie müssen durch die Blume
gewissermaßen . . . von hinten herum sozusagen . . . abstrakt . .
.“ Er fand durchaus nicht die populären Akzente.
Das lag zu weit weg von seinem Ressort.
”Versteh
schon! Natürlich!
Ich kenn' mich aus. Von der Schleichseite heranpürschen muß ich mich.
Nicht
gleich mit dem Hosentürl ins Haus fallen. Beileib! Beileib! Fein
andrehn muß
man so was. So, in der
Art, daß der König meinen könnt', es wär' einem andern sein Hosentürl!…
Schwer is schon. Aber ich hab' schon andere Füchse
gefangen.“
Nach
diesen Worten
überzeugte sich der Revierförster nochmals,
daß seine Flasche vollkommen leer war, schob sie resigniert in seinen
Rucksack und stand mit der Miene eines Mannes auf, der heftig nachdenkt
und zu
allem entschlossen ist.