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04.3
Geschichten - Wilhelm Busch
Der
Schmetterling
Der
Schmetterling 10
Diese
Herrlichkeit zwischen den beiden mochte wohl so
acht Tage gedauert haben, als ein unterwarteter Besuch kam: der alte
Schlumann
nämlich. In aller Stille hatte er draußen seinen Esel angebunden und
trat nun
unbefangen in die Küche, wie ein wohlbekannter Hausfreund, mit der
Begrüßungsfrage: " Wie schaut's, Licinde?"
"Ah, der Onkel!" rief sie. "Ah, der Goldonkel. Wie herrlich,
dass du kommst. Du bist doch der Beste von allen!" Er musste Platz
nehmen
im Lehnsessel. Sie warf sich ihm auf den Schoß, sie knöpfte ihm den
Rock auf,
sie schnallte ihm die Geldkatze ab und lief hin und entleerte sie
klirrend in
ihre Truhe. Er schmuzelte dazu.
Indes hatte der Nazi ein Gesicht gezeigt, blassgelb wie Ziegenkäs.
Plötzlich
sprang er auf und schrie, die Sach wär ihm zu dumm, und er wollt's
nicht
leiden, und raus müsst der Kerl, und wenn's der Teufel wär. Und damit
zog er
den Hirschfänger und fuchtelte grausam in der Luft herum. Der alte
Schlumann
rührte sich nicht; aber die Hex, flink wie der Blitz, hatte zwischen
den
Knöcheln ihres Mittel- und Zeigefingers dem Nazi seine Nasenspitze
eingeklemmt
und drehte eine schmerzreiche Spirale daraus.
Der
Hirschfänger entfiel seiner Hand. Plärrend, wie
ein Kalb, ließ er sich willenlos wegführen. Ich riss ihm noch ein
tüchtiges
Stück aus seiner neuen Hose; dann wurde die Tür hinter ihm zugeriegelt.
Draußen
tobte er fürchterlich und drohte, das sollte sich schon zeigen, ob
eigentlich
das Hexen noch erlaubt sei in einem christlichen Reiche deutscher
Nation. Auf
einmal schwieg er still.
Der
Goldonkel und die Nichte legten sich ins Fenster;
ich stellte mich auf die Hinterbeine und sah gleichfalls hinaus.
Was
den Nazi so plötzlich zum Schweigen veranlasst hatte, war der Esel, dem
er
jetzt näher trat, um ihn zweckentsprechend zu behandeln. Er strich ihm
dreimal
über den Rücken und wiederholte dreimal die Worte:
"Tata,
Tata! Mach Pumperlala!"
"Nur
gut!" schmunzelte Schlumann, "dass ich heut den echten zu
Hause ließ."
Der
Esel, durch das Streicheln angeregt, hob wirklich den Schwanz auf. Der
Nazi
hielt den Hut unter; aber es erfolgte nichts Wunderbares, sondern nur
das, was
in solchen Fällen bei gewöhnlichen Eseln allgemein üblich ist.
"Armer
Nazi!" rief lachend die Hexe. "Es ist ja der Rechte
nicht! Hehe!"
Wütend
schlenkerte der Nazi seinen Hut aus und verschwand im Gebüsch.
Übrigens
war dieser Schlumann auch mir recht zuwider; die fortgesetzten
Liebkosungen zwischen Onkel und Nichte machten mich eifersüchtig, wie
Hunde
sind; als daher dieser Verhasste, bedeckt mit den zärtlichen
Abschiedsküssen
eines schönen Morgens wieder wegritt auf seinem Esel, vollführte ich
vor lauter
Vergnügen, trotz meiner Magerkeit, ringsrum im Hof einen lustigen
Dauerlauf.
Ich war allmählich in meinen Manieren ganz Hund geworden. Ich gähnte
ungeniert
in Gegenwart der Herrin, ich kratzte mich, ich wälzte mich schamlos auf
dem
Rücken, ich drehte mich stets dreimal herum, ehe ich mich niederlegte
zum
Schlummern, ich bellte, um mich wichtig zu machen, wenn auch nichts los
war,
und wo ich einen alten Strumpf oder Schuh fand, nagte ich daran herum.
Meine
Behandlung, obgleich ich mich der äußersten Demut befliss und meine
schöne Tyrannin beständig im Auge hatte, wurde nicht besser. Ich musste
mich
damit begnügen, von weitem zu wedeln und hündisch zu lächeln, was ich
jedes Mal
tat, wenn sie zufällig mal hersah. In die Nähe wagte ich mich nicht,
denn meine
Rippen mussten in beständiger Furcht sein vor spitzen Absätzen der
zierlichen
Pantoffeln. Endlich, zur Verzweiflung getrieben vor Hunger und Kummer,
brannt
ich durch.
Ich
lief bis zum nächsten Städtchen, wo mich eine alte Jungfer vermittels
Zucker und zärtlichen Zungenschnalzens zu sich hereinlockte. Hier lebt
ich in
Überfluss. Sie wusch und kämmte mich, sie knüpfte mir ein rosa Bändchen
um, sie
häkelte mir einen himmelblauen Paletot, sie nannte mich unter tausend
Küssen
ihren süßen, einzigen Herzensfreund. Den ganzen Tag lag ich auf dem
Kanapee,
und des Nachts durft ich sogar als Wärmflasche zu ihren jungfräulichen
Füßen
liegen. Bald war ich so faul und wurde so fett, dass die Verdauung
stockte. Statt froh
und dankbar zu sein, zeigt ich mich grämlich und unzufrieden und kurz
und gut,
als meine Wohltäterin, deren Zärtlichkeit mir auch nicht recht passen
wollte,
mal wieder, wie gewöhnlich zur Frühmesse ging, schlich ich mich fort,
immer
dicht an den Häusern hin, und drückte mich schließluch in die erste
Tür, die
offen stand. Ich war in die Apotheke geraten.
"Ha!"
rief der Provisor. "Delikat! Das gibt Hundsfett, um die
Bauern damit anzuschmieren. Sehr ergiebig für den Handverkauf."
Er
bot mir eine Pille an. Sie roch verdächtig, mein Instinkt warnte mich,
sie
anzunehmen. Ich fletschte die Zähne, knurrte, machte kehrt und rannte
und
rannte bis draußen vors Tor; denn mein Fett, so lästig mir's war, wolle
ich
doch auf diese Art nicht gern los werden.
Nicht
weit vor der Stadt fing mich ein Milchmann ein, der grad einen Zughund
brauchte. Dies war die richtige Kur für mich, schon nach wenigen Tagen
fühlte
ich mich leichter. Nur etwas war peinlich dabei. Die fremden Hunde,
wenn ich
den Karren zog, nachdem sie mich prüfend berochen hatten, bellten mich
an und
bissen mich fürchterlich, ich biss sie wieder, wodurch denn der Verlauf
des
Geschäfts allerlei bedenkliche Störungen erlitt. Geistig angeregt durch
diese
Verdrießlichkeiten machte mein Herr eine praktische Erfindung. Er
brachte
unterhalb des Fuhrwerks einen nur nach unten offenen Kasten an, worin
ich
angespannt wurde und ziehen musste, er selbst brauchte nur die Deichsel
zu
regieren.
So
war ich allerdings einerseits wohl geschützt gegen alle Versuchungen
und
Anfechtungen der Außenwelt, indes andererseits, je mehr ich Muße hatte,
mich
inwendig zu besehn, um so deutlicher trat nun wieder das Bildnis der
zuerst
verlassenen Herrin, so bös sie auch war, vor die untertänigst ergebene
Sklavenseele.
Ich
wurde abends im Hof angebunden vor der Hundshütte. Ich häute den Strick
entzwei und eilte so rasch wie möglich, dem Walde zu, um wieder in der
Nähe
derjenigen zu sein, die mich so grausam behandelt hatte; ich kratzte an
der Tür
und sogleich wurde aufgemacht. Ungewohnt liebenswürdig wurd ich
empfangen; ich
gabs Pfötchen; sie kraulte mir Kopf und Rücken. So selig und zufrieden
war ich
noch nie.
"Grad
kommst recht!" sagte sie schmeichelnd. "Gleich geht der
Vollmond auf. Da wird's gemütlich!".
Hierauf
machte sie ein lustiges Feuer an und schürte es mit der Zange, die sie,
wie ich arglos bemerkte, drin liegen ließ, und dann holte sie aus dem
Schrank
ein gebratenes Vögelchen, das nach meinem damaligen Geschmack grad so
recht
angenehm anrüchig war, hielt es mir unter die Nase, warf es in die
neben dem
Herd stehende offene Truhe und forderte mich auf, es zu suchen. Freudig
wedelnd
mit dem Klapperschwanz, an dessen Geräusch ich mich längst gewöhnt
hatte,
taucht ich mit Kopf und Vorderbeinen in die Tiefe des Kastens, um mir
den
leckeren Bissen zu Gemüte zu führen.
Einer
der peinlichsten Augenblicke meines Lebens war gekommen
Im Nu
schnappte die Hexe den Deckel zu. Und jetzt,
plötzlich, ungefähr da, wo einst die Frackschöße ihren gemeinsamen
Ursprung
nahmen, ein Kniff, ein Schmerz, unsäglich brennend, ein Scharren mit
allen
vieren, ein gräßlicher Klageton, dumpf widerhallend in der Höhlung des
Koffers,
ein krampfhaftes Zucken - ich machte mich los, ich erlebte mich.
Wahrhaftig,
ich stand wieder aufrecht da auf meinen menschlichen Hinterfüßen.
Mein
erster Griff war nach hinten; der Frack war zur Jacke geworden. Ein
brenzliger Geruch erfüllte die Küche; die Feuerzange lag noch dampfend
am
Boden, ein Frackzipfel daneben, den andern hielt die Hex in der Hand
und
schüttelte lachend ihr goldenes Haarband heraus.
"Hol
dich der Satan auf der Ofengabel, verwünschte Zauberin!" rief
ich wütend. "Mich siehst nimmer!" Ich griff nach der Türklinke; aber
eh ich noch draußen war, hatte das boshafte Geschöpf schon den
Blasebalg vom
Herde genommen und blies mir damit eiskalt ins Genick. Von diesem
"Hexenschuss" steht mir noch heute der Kopf so schief, dass Leute,
die mich nicht kennen, oft schon gemeint haben, ich müsste ein rechter
Scheinheiliger und Heuchler sein.
In
hohen Sprüngen, obgleich mir bei jeder Erschütterung ein Stich durchs
Genick
fuhr, verließ ich den Wald, und erst lange nachher ging ich langsamer
und
sammelte mich und zupfte meine Krawatte zurecht, bei welcher
Gelegenheit ich
eine überraschende Entdeckung machte. Mein Medaillon war wieder da; bei
der
aufgeregten Strampelei in der Truhe musste es sich mir um den Hals
geschlungen
haben. Sofort viel mir die Heimat ein; das stille Gehöft, der getreue
Vater,
das hübsche Kathrinchen, der biedere Gottlieb, an die ich solange nicht
gedacht, die ich so leichtfertig verlassen hatte. Was hatte ich
gefunden
heraußen in dieser verlockenden Welt, als Schmerz und Enttäuschung, wie
tief,
durch meine unsteten Begierden war ich gesunken! Ein Streuner war ich
geworden,
ein Faulenzer, ein Gauner beinah, und schließlich ein Pudel, ein
kriechender
Hund mit einem Pelz voller Flöhe, der verächtliche Sklave einer
geldgierigen,
ruchlosen Hexe.
Der
Himmel hatte sich in Wolken gehüllt, ich stand ratlos da in völliger
Düsterheit. Indem, so fächelte mir was, wie mit unsichtbarem
Flügelschlage um
die Nase und Ohren herum, und auf einmal fing es an aufzuleuchten. Er
war's. Im
eigenen Lichtglanz seines grün juwelenhaft funkelnden Hinterteils
schwebte er
dicht vor mir her, mein alter Schmetterling, dem ich niemals zugetraut
hätte,
dass er solch eine schöne Laterne besaß. Die Jagdlust regte sich
wieder. Ich
zog den Hut, ich haschte vergebens. Immer schneller musst ich laufen;
ich
stolperte über kleine Erhöhungen des Bodens; ich kam zu Fall. Das Licht
erlosch.
Als
ich mich aufgerappelt hatte, brach grad der Mond durch die Wolken,
erhellte
flüchtig eine Kirche mit spitzem Turm und versteckte sich wieder. Ich
saß auf
dem einen Ende eines Grabhügels; mir gegenüber auf dem andern Ende saß
ein
Geist, nebelhaft weiß, gleichsam nur ein faltiges Bettlaken in
menschlicher
Gestalt.
Er
sah ungemein betrübt aus und sprach hohl und schaurig, indem er rings
um
sich her blickte:
"Kein
Monument! Noch immer kein Monument! Fünfhundert Gulden ausgesetzt,
und doch kein Monument. Wann, oh wann krieg ich ein Monument?"
"Aha!"
sag ich. "Ihr seid gewiß dem Nazi sein Vetter! Diesen
Nazi kenn ich. Die Sach ist erledigt, das Geld verputzt, und auf Euer
Denkmal
könnt Ihr gefälligst lauern, bis Ihr schwarz werdet."
Der
Geist, als er dies vernahm, legte sich in tiefe Querfalten und stöhnte
fürchterlich.
"Ich
muss mich wirklich über Euch wundern!" fuhr ich fort.
"Längst tot und doch noch eitel? Schämt Euch, Alter, und legt Euch
ruhig
aufs Ohr, wie's guten Geistern geziemt."
Mit
dieser wohlgemeinten Ermahnung hatt' ich, wie man zu sagen pflegt, das
Kalb
ins Auge geschlagen; nie hätt' ich geglaubt, dass ein Geist sich so
ärgern
könnte.
Das
Gespenst machte sich lang, schwebte eilig herüber
zu mir, saß mir am Buckel, nahm mich beim Kragen, schleifte mich
dreimal um die
Kirche und hob sich dann in die Luft mit mir, so hoch wie die Spitze
des
Kirchtums. Bum! Da schlug es eins. Der Geist ließ mich los. Ich fiel
und fiel -
und ich fiel ...
Schon
nach drei Sekunden befand ich mich in einem Zustande der tiefsten
Unwissenheit. Ein närrischer Zustand, das! Wenn's kein Wieso? mehr gibt
und
kein Aha! Wenn Gulden und Kreuzer, wenn Vetter und Base, wenn Onkel und
Tante,
wenn Butter und Käse gleich Wurst und ganz egal und ein und dasselbe
sind,
wenn's einem auf ein paar tausend Jahre mehr oder weniger nicht
ankommt;
wenn - doch genug darüber! Am gescheitesten wird's sein, man macht es
wie die
eigentlich Sachverständigen, denen es grad passiert. Sie sitzen, liegen
oder
hängen da in verständiger Schweigsamkeit.
Was
ich zunächst nur sagen möchte, obgleich's auch überflüssig wäre, ist
dies:
Ich erwachte wieder; ich besann mich wieder auf mein Vorhandensein als
lebendiger Teil dieses sogenannten Weltsystems, dessen Übersicht im
Ganzen ja
schwierig ist.
oben
__________________________
Textgrundlage:
"Der
Schmetterling"
Wilhelm Busch.
Werke:
Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I - IV,
Band 4, Hamburg 1959 -
gemeinfrei
Quelle: zeno.org
Logo 119: "Inachis
io"
Urheber: Che,
Lizenz: CC,2.5
US-amerikanisch
wikimedia
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