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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Ballnacht

Violinenjubel schwingt sich hoch auf über trunkene, taumlige Lust. Rings buntes Wogen und Gleißen und Treiben. Duftige Spitzen und Glanz der Seide, weiße Nacken, blitzende Zähne. Aus dem Gewirr taucht schweres, schwarzes Haar, ein sehnsüchtiges Augenpaar, das Schimmern eines Diadems im Sprühen der Lichter, Feuerseide in starren
Falten, duftige Blumen, schwerer Duft, ein schlichtes, weißes Kleid um einen jungen Mädchenleib, rote, begehrliche Lippen – und alles ist wieder verhuscht, verschlungen, verschwunden in dem Winden und Wogen und Drehen des Tanzes.

»Er hat mich geküßt, er liebt mich!«

Wie sie sich an ihn preßt, wie sie rast, wie ihr Blut stürmt und pocht. Flammen zucken und lohen in ihrem Leib, Flammen brechen aus den Augen; schwingen, fliegen, sausen möchte sie durch die Luft und schreien in unbändiger Lust. Immer so weiter mit dem glühenden Wind im Antlitz, mit pochendem Herzen, im Rausch, im Rausch, weiter, nur weiter!

Immer zu! Getragen werden von ihm, seine Hand um ihren Leib, ihren schlanken Leib, fest, fester –

»Elfenkind!« – seine Stimme hört sie wieder, halb verloren im Wirbel des Tanzes. Näher preßt sie sich an ihn, enger in seine Arme, ihre Augen schließen sich, die Stirne sinkt auf seine Schulter, die Lippen zucken, sehnen sich –
 

Schneller, schneller!

Kreischt ihr Violinen, rast ihr Bässe, zuckt und flammt ihr Lichter nur weiter! in brennender Seligkeit.

Ihr Mund irrt nach seinen Lippen, o Taumel, o Rausch! fliegt sie, wird sie getragen? und schwebt höher und höher?
 

Zu hoch! Das Feuer sengt sie im Herzen, im Kopf, wie es glüht, wie es lodert! Und es qualmt und nimmt ihr den Atem, sie erstickt! er hält sie zu fest! Sie will sich lockern aus seinem Arm, aber er rast weiter im Tanze, sie will ihn von sich drängen, sie kann nicht, schwer und bleiern sind die Glieder. Die Lichter werden zu Sonnen, drehen und wirbeln sausend um sie, sie fallen von der Decke, schießen von den Wänden, krümmen sich vor ihr höhnisch am Boden, zischen auf wie Schlangen, schlagen Räder wie Pfauen, sausen auf zur Decke und stürzen rot fauchend zurück. Ungetüme werden sie, die mit giftigen Blicken auf sie zurasen, mit sprühenden Augen sie umdrohen –

Immer schneller wird der rasende Wirbel um sie, blaue, gelbe, rote, grüne Schillerstreifen schlingen sich ihr um Arme und Brust. –

Und die Paare, sie stehen auf dem Kopf! Sie kreischen und lachen, sie werfen höhnend ihre Köpfe von sich, hoch – hoch bis zur Decke. Dort kreisen und rasen sie mit weit offenem Maule und rollenden Augen, zwischen den aufzischenden Lichtschlangen durch. Und die Lichtschlangen schießen plötzlich alle auf sie zu, bohren sich in ihre Brust, die flirrenden Sonnen umkreisen sie enger, die bunten Streifen umschnüren sie – Luft! Luft!

Es wird grau, es wird dunkler, Asche fällt von der Decke, hüllt sie ein, Nacht wird's, Nacht! Nur ein fahlgelber Schein sticht durch das Dunkel. Über sie neigt sich ein weißer Schädel, haarlos, mit toten Augenhöhlen, eine knöcherne Hand faßt die ihre. Es ist zu Ende. Mit einer kleinen Schwenkung des Chapeau claque und einer tadellosen Verbeugung vor ihr dankt er für den letzten Galopp.





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