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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Weiße Rosen


Mittagsschwüle liegt über dem See, träg schlagen die Wellen ans Ufer. Eine schwere Wolkenwand hängt ohne Regung an den Spitzen der Berge, und drüber weg wirft die Sonne mattblitzende Speere über das tiefe Graublau des Wassers. Einsam schaukelt ein Kahn im Röhricht, in dem große Wasservögel schläfrig sitzen.
 

Weiß und hell schimmert das Klostergebäude am Gestade aus dem Kranz der Linden, und das Kirchlein ist fast untergetaucht unter die hohen Wipfel. Still und kühl ist's in seinem Frieden, sacht klirren die Fenster, wenn der Wind vom See her weht. Dann stiehlt sich auch ein feiner Duft durch die offenen Scheiben, denn draußen wiegt sich ein weißer Rosenstrauch hin und her. Blasse Sonnenlichter schlüpfen durch das Blätterwerk des Strauches, tanzen langsam auf den Fliesen des Kreuzganges in dem grauen, kühlen Frieden.
 

Vor dem Bild des Erlösers, in einem der hohen Stühle sitzt eine Nonne, das friedliche Runzelgesicht tiefgebeugt; in ihrem Schoß ruht ein Strauß weißer Rosen, über die sie die Hände zum Gebet gefaltet hat – sie schläft. Der Duft der weißen Rosen! Sie ist wieder im Vaterhaus, in dem kleinen düstern Garten unter dem Rosenstrauch, der über die Mauer des Nachbargartens hängt, sie steht auf den Fußspitzen und will nach den Blüten greifen. Aber immer wieder schnellt der Zweig zurück, und immer wieder streckt sie sich danach und kann ihn nicht fassen. Vor Eifer kriegt sie glührote Backen, Nachbars Rosen muß sie haben, sie sind zu schön! Da sieht sie plötzlich ein lachendes Knabengesicht zwischen den Zweigen. »Diebin! Diebin! Na wart' du nur!« Vor Schrecken vergißt sie davonzulaufen, steht und errötet.– Oh, da fliegt ein Strauß Rosen über die Mauer, ihr gerade ins Gesicht, von dem lachenden Buben sieht sie nichts mehr. –

Der Tanz der blassen Sonnenflecken im Kreuzgang wird eifriger, wird bunter. Ein knisterndes Rauschen geht durch den Strauch, der Wind fährt über den See, bläst gegen die Fenster, daß sie klirren, und schüttelt die Rosen – Welle um Welle pocht ans Ufer, die alte Nonne träumt weiter.

Sie geht mit ihrer Schulmappe sittsam an den Häusern hin und schaut nicht links und rechts, ganz wie es Mutter haben will, aber sie weiß, daß er hinter ihr geht. Ihr kleines Herz klopft unruhig, ihre Schritte werden immer schneller, da ist sie ja an ihrer Gartenpforte und Nachbars Tür daneben steht offen. –

Wie sie da hineinkommt, weiß sie selbst nicht, aber sie steht auf dem Kiesweg und ein Strauß weißer Rosen fliegt über ihren Kopf weg vor ihr nieder. Schnell will sie sich danach bücken, aber da sieht sie vor sich das lachende Gesicht des jungen Studenten – vier Wangen glühen, vier Augen leuchten, Mund preßt sich an Mund, der Rosenstrauß liegt vergessen am Boden.

Die blassen Sonnenflecken verwischen sich, Wolken ziehen über das Licht, in der Kirche wird es dunkel, und die schwere Wand rückt näher. Ganz schwarz wird der See und zitternde Schauer jagen über seinen Rücken, unstäte Wellen schickt er ans Ufer, die Kette des Kahnes klirrt, und mit schrillem Schrei fahren die Wasservögel auf.

Das Wetter kommt. Ein johlender Ton ist in den Bergschluchten erwacht und gellt über den See. Hoch bäumt er sich auf und sinkt zurück und bäumt sich wieder auf. Die schwere Wolke kommt ihm entgegen, tief und tiefer, es ist, als mischten sich Wellen und Wolke.

Da birst sie. Wie ein Zischen fährt der Blitz durch das Wettergrau, und der Donner läuft rollend an den Felswänden hin. Die Nonne träumt weiter.

Sie steht unter dem Rosenstrauch und hat eine weiße Rose in der Hand. Er hält sie im Arm und küßt ihr lachend die Tränen weg.

»Wer wird denn weinen? Übers Jahr komme ich wieder und hole dich. Nimm die weiße Rose, sie muß sich röten, wenn ich wiederkehre, denn dann wirst du mein Weib.«

Der Sturm rast um die Mauern und braust in den Kronen der alten Linden, Blitz um Blitz zischt nieder und wirft hastige Lichter in das Dunkel des Kreuzganges, Donner und Widerhall reichen sich die Hände, verschlingen ihre Stimmen; die alte Nonne träumt weiter.

Die Wellen dröhnen ans Ufer, der Schaum sprüht und zerstäubt im Sturm, Hagel prasselt. Ein Blitz – die ganze kleine Kirche strahlt vor Helle – sie erwacht. Alles glänzt von Licht und Schönheit, einen ganzen Regen weißer Rosenblätter wirft der Sturm über sie, die Rosen blühen!

Es ist Sommerszeit, wie die Sonne flammt! Da zuckt's wieder auf, die Rosen in ihrem Schoße glühen.

Er kommt! Er kommt! Da steht er in strahlender Jugend! Sie breitet ihre Arme aus, die Augen muß sie schließen vor Helle, ihr Haupt sinkt auf die Brust – so gleitet sie langsam zur Erde.

Wie die Rosen duften!

Und der Sturm johlt sein Lied weiter, der Donner kracht, und von dem Dach der kleinen Kirche weht eine lodernde Flamme in die Nacht des Unwetters.





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