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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Erntezeit


Endlos ziehen sich die Getreidefelder auf der fruchtbaren Ebene hin; rotgolden leuchten die schweren Halme, die im Morgenwind schwanken.

Erste Lerchenstimmen erwachen; zag noch und scheu, werden sie lauter und lauter, je höher die Glut im Osten die Frühwolken erklimmt. Die letzten zarten, seidnen Nebel zerflattern vor den Strahlen der Sonne.

In der Krankenstube erlischt das Nachtlämpchen, furchtsam, wie geängstigt von der Fülle von Licht, das durch die hohen Fenster dringt. Die Wärterin schläft zusammengekauert in ihrem großen Lehnstuhl.
 

Aufrecht sitzt der Kranke und schaut in den trunkenen Sonnenmorgen hinaus.
 

Blitzende Sensen ziehen übers Feld, und Mädchenlachen tönt in den Lerchenjubel, der sich höher und mächtiger hebt.
 

Draußen herrscht der Sommer und streut glühende Farben über die Welt. Sieghaft leuchtet er in die Krankenstube.

O Leben, o Wonne!

Die müden Augen des Kranken schauen mit hastiger, banger Sehnsucht auf das Blühen und Reifen draußen, mit matter Gier lauscht er auf die Töne des Lebens, sein Herz zittert bang und schwer.

Einmal, einmal noch!

Er beugt sich vor, er will sie in sich saugen, all die Schönheit, will die Wärme trinken, will gesunden. Weinend streckt er seine Arme dem Licht entgegen – dort! – dort wo die Fruchtzweige des Baumes vor seinem Fenster im warmen Winde schauern – seine Arme strecken sich abwehrend aus, werden starr und starrer, er schreit auf, wie ein Schrei um Erbarmen ist's. Dann fällt sein Kopfruckweise zurück, seine Augen sind weit aufgerissen im lähmenden Entsetzen – durch die Scheiben grinst der Tod; hinter ihm flammt der glühende Tag, und eine Mädchenstimme singt fern ein Erntelied.




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