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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Finale

Tausende von Lichtern sprühen über der bunten Menge in dem prächtigen Theater. Kleine Sonnen funkeln aus den Kristallrosetten des Lüsters, aus dem Gold der Verzierungen, die sich leuchtend von dem tiefen Rot des Hintergrundes abheben. Kleine Sonnen funkeln im Geschmeide auf Haar und Nacken der Damen, funkeln in der
Stickerei der Uniformen, funkeln in Hunderten von Augen. Das glitzert und sprüht zwischen dem Schwarz der Fracks. Kopf an Kopf drängt sich bis unter die Decke des Hauses.
 
Zwischenakt. Wie eine Welle, mächtig anschwellend, sinkend und wieder schwellend zieht ein gedämpftes Gemurmel durch den Raum; Fächer neigen sich zum Gruße, Stühle rücken, Seide rauscht – es ist ein heimliches Geflüster, ein Grüßen und Winken, ein Ineinanderwogen bunter, strahlender, siegreicher Farben, ein Sich-Wiegen, Sich-Strecken, Sich-Baden im Licht, in Fülle und Glanz, ein Reigen des Lebens, ein Finden, ein Lieben, ein Hassen, ein Genießen. Wie ein Triumph ist es über Nacht und Grauen und Tod.
 
Über den Tod.
 
Niemand denkt an ihn, niemand weiß von ihm, niemand sieht ihn, wie er hinter den Kulissen steht, wartend und lächelnd!
 
Er wartet auf die ersten Töne der Musik. Leise verlischt der Glanz, und alles ist im Dämmer. Eine süße, sehnsüchtige Weise stiehlt sich aus den Akkorden, sie schwillt an, wird eindringlicher, hebt sich zur Bitte, zum Flehen. Immer lauter wird sie, wächst im Zürnen und Begehren, im Werben und Fordern, tönt und glüht in Leidenschaft. Ein kurzes Verstummen, ein kurzes Warten – ein ausbrechender, glänzender Jubel, und nun schwingt sich ein Siegerlied empor, ein Lied des Lebens.
 
Dann wird's still. Langsam hebt sich der Vorhang, die zarte Melodie setzt wieder ein. Im blühenden Garten ein Menschenpaar in Sonne und Frühling. Frühling und Liebe, Liebe und Leben. – Niemand sieht, wie er eintritt – schon leuchtet seine Fackel! Ein Aufzucken, ein Lodern, ein Schrei! – schon stürzt er über die Bühne und schwingt den Feuerbrand über sich.
 
Hoch hebt er ihn, wie mit einem Zepter gebietet er seinen Opfern. Von Entsetzen gepackt fliehen sie, stürzen sie, sinken sie. Er schreitet lachend weiter, er holt sie doch! Riesengroß steht er und winkt. Wie sein rotgelber Flattermantel weht! In quirlenden, sprühenden, glühenden Falten fliegt er hinter ihm drein, bauscht sich weit im Eilen und Hasten. Sein langes, graues Haar knistert, sein Atem haucht Glut aus.
 
Höher schleudert er die Fackel, immer höher, und fängt sie jauchzend wieder auf. Weiter und weiter wird sein Mantel, breitet sich aus und hüllt alles Leben ein.
 

Unter ihm ersticken die Bitten, verstummt das Röcheln, erstirbt der letzte Schrei.
 

Nur ein schwarzes, wirres, wildes Chaos bleibt, an dem er die letzte Glut seiner Fackel löscht.





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