Langsam
und ein wenig trübselig stiegen die drei Burschen den Paß hinauf. Der
Abschied
hat sie traurig gemacht, wenn auch nicht viel Worte gemacht wurden
dabei, und
wenn's auch nicht allzulang dauert, bis sie wieder von den Bergen
heruntersteigen dürfen in ihr Tal – sie
haben ihr Dorf, ihre Heimat in all ihrer
engen
Heimlichkeit hinter
sich lassen und wieder in die Fremde wandern müssen, ins noch immer
Ungewohnte.
Freilich ist sie eng, diese Heimat, ist ein weltverlassener,
verlorener,
förmlich verschämter Winkel, aber es ist ihrer Väter, ihrer Mütter
Heimat und
nichts geht ihnen darüber . . . Nicht die große Stadt, nicht die neuen
Kameraden drinnen, nicht das, was sie dort an Seltenem, Erstaunlichem
gelernt
und erfahren, von dem sie in ihrem Hochgebirgsdorf nichts geahnt, nach
dem sie
sich gesehnt, freilich, und das ihnen teuer und wertvoll ist. Aber dort
unten
hat sie die Mutter geboren, dort ist alles vertraut und warm und
umschließt sie
und spricht zu ihnen mit tausend Stimmen und hat zu ihnen gesprochen
aus den
Blüten der Halde und dem Donnern der Lawinen, aus dem Brausen des Föhns
und den
grollenden Hochgewittern, seit sie denken. – – – Von dem kleinen
Fenster aus
schaut ihnen die Mutter gewiß jetzt nach, wie sie den Pfad zum Joch
emporklimmen, der sie über Schnee und Eis ins Weite führt. Schnee,
Schnee und
wieder Schnee haben ihnen die Osterferien zu Hause gebracht. Sie waren
wie
verloren hinter den weißen Mauern, es gab keine Stadt, keine Schule,
keine
Unruhe mehr: wie weggelöscht war auch, was sich auf der Schulbank in
ihre
Herzen gefressen, was sie zagend und lebensbang gemacht hatte. Warfen
sie nicht
stets alles von sich und lebten ein Leben ohne Zeit, wenn sie vom Joch
niederstiegen und in der Ruhe und dem Frieden ihres Heimattales
untertauchten?
Und sie waren wohlbehütet in der Güte und stillen Fröhlichkeit rings um
sie,
sie ließen sich wieder treiben von dem sachten linden Strom, ohne
Nachdenken,
in einem leisen Dämmern, ganz wie Kinder, die alles an Liebe nur so
hinnehmen,
wie wenn's ihnen gebühre.
Wenn
sie aber mit ihren Ränzeln oben auf dem Joch standen, da fiel's ihnen
aufs
Herz, da kam das Heimweh, da wachten sie auf und konnten nicht lange
genug
zurückschauen.
Schüchtern,
dünn stieg ein bläulicher Rauch aus den Kaminen und beugte sich gleich
wieder
demütig nieder. So klein, so unscheinbar waren die Häuser, arm und
verlassen
und geduckt, wie von einem herrischen Wind gegen die Felsen
geschleudert und
noch immer zitternd und verängstigt; so erschien das Dörfchen den
Dreien
doppelt armselig, wo neben ihnen die Gletscher anstiegen in ihrer
Starrheit und
Größe.
Das
Mittagsgeläute der kleinen Kapelle dünkte ihnen zaghaft und bettelnd,
es
überkam sie ein Gefühl halb der Sehnsucht, hinabzusteigen und halb des
Mitleids
mit den armen Hütten drunten und denen, die drin wohnten, arm und
gedrückt und
unwissend.
Arm,
ja. Man ließ sie ja die weiten Wege und die steilen Pfade über die
Berge
steigen und ließ sie die Straße viele Stunden weit laufen neben den
Schienen
her und neben der Post, wie die ärmsten Handwerksburschen.
Die
Eisenbahn und die Post waren für die Söhne reicher Leute, nicht für die
armer
Lehrer, oder alter Gebirgsärzte, oder kranker Wittfrauen.
Arm,
ja, und auch gedrückt waren sie. Wenn sie nur erst aus den Schulbänken
heraus
waren und die Nacken aufrichten durften wie die andern und nicht
gebückt und
gedemütigt gehn mußten in ihren verspotteten, alten, engen
Dorfkleidern,
belächelt von den Mitschülern! Wenn sie sich erst rühren konnten – – –
wie weit
würde da die Welt, so weit und licht und schimmernd wie die, die sie
vom Paß
aus sahen hüben und drüben.
Oh, noch viel reicher,
viel farbiger, viel mächtiger
würde sie sein als diese weiße Winterwelt, und sie wurde reich durch
sie, durch
ihr Wissen, durch das, was sie hintrugen und aus ihr herausholen
konnten für
die andern, für die in dem engen Tal drunten. – – – Davon sprachen sie
jetzt.
Und davon, daß sie zum letztenmal über den Paß steigen würden im
Hochsommer,
wenn der Himmel wie eine feuchtblaue Kugel über den gesprenkelten
Schneefeldern
stehen, wenn das Grün ihrer Matten heraufleuchten wird, wenn sie das
feine
Geläut der weidenden Kühe wieder hören durften, die zerstreut an den
Hängen
grasten, wenn sie in die niedern Häuser die Botschaft bringen konnten,
daß sie
nun frei und das große Leben für sie beginnen sollte!
Beinahe wie Erlöser
kamen sie sich vor, und es war
Triumph in ihren Blicken und Mitleid mit der Dumpfheit da unten, als
sie zum
letztenmal zurückschauten. Sie hatten sich bei der Hand gefaßt und ihre
Augen
glänzten, während sie auf das Dorf blickten.
Eine leichte
Nebelschicht schwebte über den Dächern;
diese begannen zu verschwimmen, waren auf einmal wieder nah und gleich
wieder
verschwunden.
Der Wind blies
feucht über den Schnee auf der Paßhöhe,
von Tausenden von kleinen Tröpfchen prickelte die Haut, und die
höchsten Gipfel
begannen sich zu verschleiern.
– »Der Föhn kommt, es
gibt Wetterumschlag!« meinte
einer, »wir müssen eilen.« – Aber
sie blieben trotzdem stehn, gebannt und
wehmutsvoll, und sahen noch immer hinunter ins Tal, das allmählich
näher
rückte, ganz in violettblaue glänzende Farben getaucht, wie sie der
Schirokko
anzuzaubern versteht. Sie hielten sich noch immer bei den Händen und
hörten
nicht auf den Ton, der drohend über ihnen erwacht war, hoch oben.
Wie das ferne, dumpfe
Brüllen eines riesenhaften,
furchtbaren Tieres klang es, und näher und näher kam es, in wilder Eile
zuletzt, und da war's ein Dröhnen und Gebrause, ein Donnern und
Stürzen. – – –
Droben war's losgebrochen und kam sausend herunter, ein wirres, wildes,
weißes
Chaos, mit zersplitterten Bäumen durchsetzt, Geröll und Trümmer mit
sich
führend.
»Die Lahn!« schrie der
eine entsetzt!
»Mei Muatterl«, der
andere.
Der Dritte sagte nichts
mehr, denn die Lahn war schon
über sie weggebraust und hatte mit fortgerissen, verschüttet, begraben,
was an
ragenden Hoffnungen, an stolzem Schauen ins Leben und an Heimgefühl
hier oben
geatmet.
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