Der
Föhn stöhnt in den dämmrigen Straßen, eine dunkle
Abendglut kauert am westlichen Himmel; in ihrem Widerschein glimmen die
Wasserpfützen, trüb vom zergangenen Schnee, wie Blutlachen, und
leuchten im
Dunkel fast tückisch auf.
In der Ferne, über den
Dächern, biegen sich ein paar
hohe Bäume vor dem Sturm und wehren sich gegen ihn. Prachtvoll, wie sie
in die
Höhe schnellen, jäh, dann kerzengerade stehen, sich wie in Wut
schütteln und
doch wieder beugen müssen, um sich, wild und zerzaust, dennoch aufs
neue
aufzurichten. Wolkenhunde, eine dichte, schwarzgraue Meute, jagen am
Himmel
hin; immer toller wird die Jagd, immer noch mehrt sich die Schar und
wird
dunkler und dichter, bis sie sich im wirren Knäuel überhastet und
endlich in
schwarze Finsternis stürzt.
Wie gehetzt stürmt ein
blasser Mond durch die düstere
Schar, scheint einen Augenblick wie erstarrt still zu stehen, um
alsbald in
jäher Flucht wieder weiterzujagen.
Die Stadt liegt förmlich
geduckt in ihrem Kessel und
lauert und lauscht auf den Tumult über ihrem Haupte und blinzelt mit
unruhigen
Lichteraugen empor.
In der Vorstadt, die
höher liegt, knattern die
Fenster, wenn sich der Föhn einen Anlauf nimmt und gegen sie stürmt,
die Läden
rattern unter seinem ungestümen Griff, das Lied der Kamine wird wach
und johlt
und schreit und stöhnt in die Nacht. –
Die Menschen horchen auf
und werden furchtsam vor dem
hohen Lied des Werdens und Vernichtens, vor dem Gesang der Kraft
und der
Zerstörung, und möchten schreien vor Überschwang, und sind doch bang
und zag im
Herzen.
Zuhöchst oben in einem
hohen Hause, wo der Föhn am
ausgelassensten tobt, liegt ein Zimmer, das weit hinaussieht über
Vorstadtgassen und Vorstadtdächer, bis zu den Bäumen hin, die sich so
zornig
wehren, bis über sie weg, ins Hügelland, wo zwischen Feldern und
Wiesen, der
Fluß in weiten Windungen beschaulich zieht.
In dem Zimmer oben
brennt kein Licht, nur die
Mondstreifen schnellen sich über den Fußboden.
Die im Bett liegt, das
fiebernde Weib, kennt die Stadt
und die Straßen und die Felder und Wiesen und die Hügel. Aber Felder
und Wiesen
und Hügel hat das Weib längst vergessen, es trottet in den Straßen und
hält
unter den Laternen und lacht und zeigt sich und spricht süße und rohe
Worte. Fühlt
Männerhände, heiße und kalte, schweißige und brutale in den ihren, wenn
es die
alten knarrenden Treppen hinaufsteigt. Es kennt jeden Ton der Treppen,
es haßt
ihr Stöhnen und Ächzen, es bespeit die Stufen, wenn sie knarren und
sich
widerwillig treten lassen, es haßt die ausgetretene Schwelle, über die
die
vielen Männerfüße schreiten, es haßt das enge Zimmer so hoch da oben.
Heute stöhnt der Wind
dem Weib in die Ohren; es wendet
sich ohne Ruhe herum, ein Wehren, eine Empörung ist in ihm, wie in den
Bäumen
da draußen, die sich wehren und dennoch hin- und hergerissen
werden, die
sich beugen müssen und sich doch immer wieder aufrecken. So reckt sich
das Weib
auf, und so reißt es ihren Körper nieder, und schnellt ihn wieder hoch.
Wie die
zögernden Wolkenhunde oben, jagen sich bei ihm auf einmal die Gedanken,
die
Bilder, die Erinnerungen.
Da sind plötzlich die
Felder, die Wiesen, die Hügel,
da ist ein Haus, über den Hügeln; ein Haus wie ein anderes, klein,
weiß, mit
einem spitzen Giebel und einem Höfchen, auf dem die Hühner scharren.
Und Kinder
spielen und beißen in rotbackige Äpfel, eines nimmt sie an der Hand:
»Du, bleib
nicht immer stehn, komm mit.« – –
Nun sind sie in den
Wiesen, in den Feldern, an den
Hügeln, im Wald. Dunkel und kühl ist es dort. Dunkel und kühl. – Das
Weib wirft
den Kopf hin und her. Der Wald – was ist es mit dem Wald? Dunkel und
kühl? –
Heiß ist es, heiß zum Ersticken im Wald.
Der Himmel ist schwarz
und die Wolken fallen in die
Bäume, eine Hand reißt die ihre an sich, ein wilder Griff, der sie in
die
schwüle Dunkelheit drängt. – – –
Leise und hämisch lacht
das Weib. Das war der Erste.
Dann kam die Stadt, der Zweite, der Dritte, der Fünfte – Männer,
Männer,
Männer. Große und Kleine, Alte und Junge, Häßliche und Schöne, Harte
und Zarte
– pfui Teufel! sie bespeit sie, wie sie die Treppenstufen draußen
bespeit. Was?
Rüttelt heute wieder einer an ihrer Tür?
Sie lacht höhnisch. »Ja,
ja, du! Bleib du nur draußen,
heut kommt keiner herein.
Rüttel du nur zu, bis du
umfällst. Ruhe will ich
haben, Ruhe – hörst du? Da drinnen brennt's. – So? – was? Ich darf
keine
Ruhe haben? – Verflucht, du Hund! Scher dich zum Henker! – Bist du
fort? – Seid
ihr fort, ihr alle da draußen? – Packt euch und steht mir nicht die
Treppe
herauf! Die Stufen knarren doch, hört ihr das nicht? – – »Fort sollt
ihr!«
schreit das Weib auf, »fort!« Es sitzt nun aufrecht, mit vorgestrecktem
Leib
horchend – »ja sie ist zu, sie bleibt zu, und nicht mach ich auf heut!«
– »Äh!«
ein schadenfrohes, heiseres Meckern, das Weib streckt die Zunge heraus,
nach
der Tür hin.
Immer schriller und
dünner wird das Lachen, plötzlich
liegt der Körper wie hingeworfen zurück und liegt still, eine lange,
lange
Zeit. –
Was? geht da nicht doch
die Türe? Tritt nicht doch
einer sacht herein? Ein Großer, Hagerer, Dunkler? –
Sie sieht ihn und sieht
ihn nicht. Warum gleitet er
hinter ihr Bett? – Sie streckt abwehrend die Hand aus, setzt sich auf
und will
mit ihm reden, doch schon sinkt sie wieder in sich zusammen. Ist er da
– ist er
fort? Sie weiß es nicht.
Das Dorf, die Felder,
die Wiesen, die Kinder, die
rotbackigen Äpfel, – wie das alles an ihr vorüberfliegt! Die Kinder,
der Wald,
der Liebste –
Nun rührt er sie an.
»Nein,« schreit sie
heiser, »nicht heut! Geh fort.«
Ist er nun fort?
Die Kinder, der Wald,
der Liebste. – Oh, nun rüttelt
er an der Türe! Nun packt er sie an!
Nein, ihr Liebster
ist's!
Wie heiß! Wie dunkel!
Jetzt fallen die Wolken
herunter! Es blitzt!
O nein, das ist die
Sonne in dem kleinen, weißen Haus.
Nun weiß sie's wieder, die Sonne in den niedern Stuben, und da sitzt
jemand am
Fenster bei den Blumen, eine alte Frau –
Er hält ihre Hände, er
zieht sie in die Höhe!
»Mutter!« schreit sie
auf, »Mutter!« und versucht ihn
im letzten Wehren von sich zu stoßen.
Aber er reißt sie an
seine Brust und hält sie fest.
Ganz klein wird sie,
ganz, ganz klein.
Auf einmal streckt sie
sich und ergibt sich ihm mit
einem Wehschrei, der schrill und kurz und hart endet.
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