Wie
der Föhn weht durch die Nacht! Über die Berge weht
er, über die Weiten. Über den Schnee streicht er, über den feuchten
Grund.
Wasser sickert in die Erde, in die dunkle, schwere Erde.
Naß ist dein Bett und
kalt, mein Kind. O du, daß du
schläfst! Daß du schläfst beim Wehen des Windes, beim Tropfenfall des
Wassers,
das an dein enges Bett klopft.
Wach auf! Deine Mutter
ruft. Meine Arme warten auf
dich, wollen dich tragen, wollen dich wärmen. Wach auf, meine Brust
sehnt sich
nach dir, will dich nähren, will dich betten.
Hörst du mich nicht?
Horch nicht auf das Wehen des
Windes, auf den Tropfenfall des Wassers, horch, deine Mutter ruft!
Meine Lippen wissen
Liebesworte, die sie dir nie
sagen, wissen Küsse, die sie nie küssen konnten. Wie sie mich pressen,
die
Worte, wie sie mich brennen, die Küsse! Mehr, o viel mehr als die
Tränen, die
ich um dich geweint.
O du, daß du von mir
gehen konntest! Daß du schlafen
kannst, wenn ich dich rufe! Hörst du nicht meine Stimme in der Nacht,
fühlst du
nicht meine Tränen durch den Schnee, durch die Erde?
Komm, o komm zu mir!
Ich weiß ein stilles
Zimmer. Der Schnee flockt draußen
nieder, Dächer und Giebel sind weiß verschneit, aber ein kleiner Krokus
blüht
am Fenster, mit vielen, vielen Knospen wartet er, mit vielen, vielen
hellgrünen
Blätterspitzen streckt er sich aus dem feucht-warmen, dunklen Grund ans
Licht. Siehst
du ihn?
Schau, wie die Flocken
draußen tanzen! Und herinnen tanzt das
Feuerlein, Feuerlein im Ofen. Es will spielen mit dir! Fangen sollst
du's. Wie
es hüpft! Hin und her mit dem roten hurtigen Zünglein, da – dort, da –
dort.
Husch ist's im Ofen, husch wieder bei dir, krabbelt dir über die
Finger,
zwinkert dir ins Auge, und weg ist's wieder. – –
Und
nun wird's Frühling. Ich führ' dich in einen großen Garten mit uralten
Bäumen;
drin blühen hochköpfige Blumen in bunten Reihen, und Schmetterlinge
fliegen
lustig drüber in der Sonne. Und du spielst und lachst und tollst mit
vielen
Kindern, die dich jubelnd umringen.
Weg
auf, Weg ab jagt ihr. Und es ist ein Springen und Singen und Tanzen den
langen,
langen Tag. Ich stehe und warte, bis du müde bist. Meine Arme breite
ich aus, und
du kommst zu mir, hältst dich fest: »Mütterlein.« Deine großen Augen
schließen
sich, und ich sage dir von roten Beeren im Wald, von rotbackigen Äpfeln
und von
gelben Birnen. Die holen wir, du und ich. Wir wollen über Berg und Tal
springen,
wir zwei, wir wollen uns haschen auf der Blumenwiese und uns Märchen
erzählen
im kühlen Grund. Der Bach schwätzt vorbei, die Bachstelze wippt, die
Mücken
summen: »Es war einmal.«
Es
ist heller, lichter Sonnentag, und du wirst ausziehen mit den andern.
Wie eure
Fahnen sich bauschen im Wind! Wie ihr frohlockt und singt! Und weit,
weit zieht
euer Sang in die Ferne. Und das Leben winkt, und die Zukunft glüht, und
das Herz ist dir schwer und voll. Drück an die Brust den Freund,
daß er
fühle die Lust, das Weh, die scheue Sehnsucht deiner jungen Tage. – –
Es
will Sommer werden. Breiter wird dein Weg, und blühende Bäume neigen
sich am
Rand. Menschen kommen dir entgegen, grüßen dich, und ziehen mit. Blüte
um Blüte
pflückst du, Kränze umwinden dich.
Bist
du müde? Die Sonne sprüht, das Ährenmeer schwillt, und hoher Wald steht
fern.
Noch
fällt kein Blatt, noch zieht keine Wolke, noch siehst du den Weg.
Da
dunkelt der Forst, und du läßt deinen Pfad. Schleier wehen, weiße
Ruhebänke
schimmern, und eine Stimme singt in der Ferne ein süßes Sehnsuchtslied.
Arme
breiten sich aus nach dir, doch es sind nicht meine Arme, Augen brennen
nach
deinen, nicht meine Augen sind's, Worte schmeicheln sich um dich, aber
es sind
nicht meine Worte, Lippen finden deine Lippen – aber es ist nicht
deiner Mutter
Kuß.
Das
Lied schweigt.
Wilde
Blumen umblühen dich, schwere Schwüle hüllt dich ein, schwere Schwüle
drückt
dich nieder.
Ist
es Nacht, ist es Tag?
Der
Wald schauert. Nieder brütet die Wolkenwand über den Wipfeln. Sahst du
den
Blitz? Der Regen stürzt nieder; krachender Donner, Wildwasser tosen, es
dröhnt
der Forst.
Komm,
o komm! Flieh das Drohen des Waldes, brich aus dem Nebel, fürchte dich!
Bist
du's? Bist du's wirklich? Du kehrst zurück, traurig und verlassen? Ich
nehme
dein Haupt in meinen Schoß und lege meine Hand auf dein Herz. Sei
still. Ich
halte dich.
Alles
will ich dir geben, damit du wieder lachen kannst. Fröhlich will ich
dich
machen und stolz. Hohe Berge will ich dir zeigen, schroff und
titanisch, und
brausende Ströme, die Lasten tragen. Die Eisberge sollst du erklimmen
und
droben über die Welt sehen, auf großen, wilden Meeren wirst du fahren
und dem
Sturm trotzen.
Was
willst du mehr? Was soll ich dir noch geben?
Schlafende
Paläste sollst du sehen in lichten Nächten, und heitere Schlösser im
Festglanz.
Schlanke, tanzende Mädchen sollen dir zulächeln und ernste Frauen sich
dir
neigen.
Willst
du noch mehr?
Ich
höre Schwerter klingen und höre Trompetengetön. Ich höre wilde Rosse
stampfen
und höre dumpfes Getöse. Rufen höre ich und Beten und Stammeln und
Fluchen; und
Jagen und Gedröhn und irre Schreie.
Verzweiflung
weint und Liebe weint und stille Sehnsucht und dunkle Trauer. Höre
mich! –
Hab'
ich dich verloren? Läßt du mich einsam stehn im grauen Regen? Mein
Schluchzen
tönt von den Felsen wieder.
Am
schwarzen Himmel flammt hoch ein schwefelgelbes Licht auf und
zeigt mir
einen endlosen Pfad. Stumme dunkle Wasser branden mir zur Seite und
wirre Bäume
starren in der Ferne. Weinen und Wimmern neben mir. Weint wer mit mir
um dich?
Kehr
zurück!
War
das dein Lachen? – Was willst du? – Ich kann dir nichts mehr schenken!
Gab ich
dir nicht meine schönen Kleider, meine zierlichen Schuhe? Hast du nicht
mein
Geschmeide, meine blitzenden Ringe?
Ich
will dir mein Haar geben, mein langes, schwarzes Haar; und meine Jugend
will
ich dir geben, meine Liebe, mein Leben, alles, alles.
Sieh,
ich bettle hier vor dir, o komm zurück! Kennst du mich nicht? Ich bin
alt
geworden, alt und grau. Meine Hände zittern, meine Augen sehen dich
nicht mehr.
Meine Hände können dich nicht fassen, mein Mund kann nicht mehr die
Worte
sagen, die sonst kein Mund für dich gewußt, ich kann dir meine Jugend
nimmer
schenken und nicht meine Liebe. Nur mein Leben, nur mein Leben.
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