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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Kindergrab

Wie der Föhn weht durch die Nacht! Über die Berge weht er, über die Weiten. Über den Schnee streicht er, über den feuchten Grund. Wasser sickert in die Erde, in die dunkle, schwere Erde.

Naß ist dein Bett und kalt, mein Kind. O du, daß du schläfst! Daß du schläfst beim Wehen des Windes, beim Tropfenfall des Wassers, das an dein enges Bett klopft.
 
Wach auf! Deine Mutter ruft. Meine Arme warten auf dich, wollen dich tragen, wollen dich wärmen. Wach auf, meine Brust sehnt sich nach dir, will dich nähren, will dich betten.
 
Hörst du mich nicht? Horch nicht auf das Wehen des Windes, auf den Tropfenfall des Wassers, horch, deine Mutter ruft!
 
Meine Lippen wissen Liebesworte, die sie dir nie sagen, wissen Küsse, die sie nie küssen konnten. Wie sie mich pressen, die Worte, wie sie mich brennen, die Küsse! Mehr, o viel mehr als die Tränen, die ich um dich geweint.
 
O du, daß du von mir gehen konntest! Daß du schlafen kannst, wenn ich dich rufe! Hörst du nicht meine Stimme in der Nacht, fühlst du nicht meine Tränen durch den Schnee, durch die Erde?
 
Komm, o komm zu mir!
 
Ich weiß ein stilles Zimmer. Der Schnee flockt draußen nieder, Dächer und Giebel sind weiß verschneit, aber ein kleiner Krokus blüht am Fenster, mit vielen, vielen Knospen wartet er, mit vielen, vielen hellgrünen Blätterspitzen streckt er sich aus dem feucht-warmen, dunklen Grund ans Licht. Siehst du ihn?
 
Schau, wie die Flocken draußen tanzen! Und herinnen tanzt das Feuerlein, Feuerlein im Ofen. Es will spielen mit dir! Fangen sollst du's. Wie es hüpft! Hin und her mit dem roten hurtigen Zünglein, da – dort, da – dort. Husch ist's im Ofen, husch wieder bei dir, krabbelt dir über die Finger, zwinkert dir ins Auge, und weg ist's wieder. – –
 
Und nun wird's Frühling. Ich führ' dich in einen großen Garten mit uralten Bäumen; drin blühen hochköpfige Blumen in bunten Reihen, und Schmetterlinge fliegen lustig drüber in der Sonne. Und du spielst und lachst und tollst mit vielen Kindern, die dich jubelnd umringen.
 
Weg auf, Weg ab jagt ihr. Und es ist ein Springen und Singen und Tanzen den langen, langen Tag. Ich stehe und warte, bis du müde bist. Meine Arme breite ich aus, und du kommst zu mir, hältst dich fest: »Mütterlein.« Deine großen Augen schließen sich, und ich sage dir von roten Beeren im Wald, von rotbackigen Äpfeln und von gelben Birnen. Die holen wir, du und ich. Wir wollen über Berg und Tal springen, wir zwei, wir wollen uns haschen auf der Blumenwiese und uns Märchen erzählen im kühlen Grund. Der Bach schwätzt vorbei, die Bachstelze wippt, die Mücken summen: »Es war einmal.«
 
Es ist heller, lichter Sonnentag, und du wirst ausziehen mit den andern. Wie eure Fahnen sich bauschen im Wind! Wie ihr frohlockt und singt! Und weit, weit zieht euer Sang in die Ferne. Und das Leben winkt, und die Zukunft glüht, und das Herz ist dir schwer und voll. Drück an die Brust den Freund, daß er fühle die Lust, das Weh, die scheue Sehnsucht deiner jungen Tage. – –
 
Es will Sommer werden. Breiter wird dein Weg, und blühende Bäume neigen sich am Rand. Menschen kommen dir entgegen, grüßen dich, und ziehen mit. Blüte um Blüte pflückst du, Kränze umwinden dich.
 
Bist du müde? Die Sonne sprüht, das Ährenmeer schwillt, und hoher Wald steht fern.
 
Noch fällt kein Blatt, noch zieht keine Wolke, noch siehst du den Weg.
 
Da dunkelt der Forst, und du läßt deinen Pfad. Schleier wehen, weiße Ruhebänke schimmern, und eine Stimme singt in der Ferne ein süßes Sehnsuchtslied.
 
Arme breiten sich aus nach dir, doch es sind nicht meine Arme, Augen brennen nach deinen, nicht meine Augen sind's, Worte schmeicheln sich um dich, aber es sind nicht meine Worte, Lippen finden deine Lippen – aber es ist nicht deiner Mutter Kuß.
 
Das Lied schweigt.
 
Wilde Blumen umblühen dich, schwere Schwüle hüllt dich ein, schwere Schwüle drückt dich nieder.
 
Ist es Nacht, ist es Tag?
 
Der Wald schauert. Nieder brütet die Wolkenwand über den Wipfeln. Sahst du den Blitz? Der Regen stürzt nieder; krachender Donner, Wildwasser tosen, es dröhnt der Forst.
 
Komm, o komm! Flieh das Drohen des Waldes, brich aus dem Nebel, fürchte dich!
 
Bist du's? Bist du's wirklich? Du kehrst zurück, traurig und verlassen? Ich nehme dein Haupt in meinen Schoß und lege meine Hand auf dein Herz. Sei still. Ich halte dich.
 
Alles will ich dir geben, damit du wieder lachen kannst. Fröhlich will ich dich machen und stolz. Hohe Berge will ich dir zeigen, schroff und titanisch, und brausende Ströme, die Lasten tragen. Die Eisberge sollst du erklimmen und droben über die Welt sehen, auf großen, wilden Meeren wirst du fahren und dem Sturm trotzen.
 
Was willst du mehr? Was soll ich dir noch geben?
 
Schlafende Paläste sollst du sehen in lichten Nächten, und heitere Schlösser im Festglanz. Schlanke, tanzende Mädchen sollen dir zulächeln und ernste Frauen sich dir neigen.
 
Willst du noch mehr?
 
Ich höre Schwerter klingen und höre Trompetengetön. Ich höre wilde Rosse stampfen und höre dumpfes Getöse. Rufen höre ich und Beten und Stammeln und Fluchen; und Jagen und Gedröhn und irre Schreie.
 
Verzweiflung weint und Liebe weint und stille Sehnsucht und dunkle Trauer. Höre mich! –
 
Hab' ich dich verloren? Läßt du mich einsam stehn im grauen Regen? Mein Schluchzen tönt von den Felsen wieder.
 
Am schwarzen Himmel flammt hoch ein schwefelgelbes Licht auf und zeigt mir einen endlosen Pfad. Stumme dunkle Wasser branden mir zur Seite und wirre Bäume starren in der Ferne. Weinen und Wimmern neben mir. Weint wer mit mir um dich?
 
Kehr zurück!
 
War das dein Lachen? – Was willst du? – Ich kann dir nichts mehr schenken! Gab ich dir nicht meine schönen Kleider, meine zierlichen Schuhe? Hast du nicht mein Geschmeide, meine blitzenden Ringe?
 
Ich will dir mein Haar geben, mein langes, schwarzes Haar; und meine Jugend will ich dir geben, meine Liebe, mein Leben, alles, alles.
 
Sieh, ich bettle hier vor dir, o komm zurück! Kennst du mich nicht? Ich bin alt geworden, alt und grau. Meine Hände zittern, meine Augen sehen dich nicht mehr. Meine Hände können dich nicht fassen, mein Mund kann nicht mehr die Worte sagen, die sonst kein Mund für dich gewußt, ich kann dir meine Jugend nimmer schenken und nicht meine Liebe. Nur mein Leben, nur mein Leben.




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