Grauweißer
Schnee zergeht in den Straßen, fällt faul vom Nachthimmel und klebt
sich an die
Fenster der Kellerwohnung. Ein schläfriger Lichtstreifen aus der
Laterne
gegenüber kriecht durch die Scheiben; wie wenn er sich wieder
fortstehlen
wollte, schleicht er an der Mauer des feuchten Loches hin. Nur manchmal
zuckt
er widerwillig
auf, wenn der Wind draußen an der Flamme zerrt.
Auf Bündeln alter
Lumpen, mit Lumpen bekleidet, mit
Lumpen zugedeckt, liegen zwei Kinder in der Ecke, eng
aneinandergedrückt, die
mageren Körper von Frost geschüttelt. Im einzigen Bett schnarcht der
Vater und
schlägt im Branntweinrausch um sich und murmelt und flucht und drängt
die
kranke Frau neben sich bis zur Bettkante. Sie sitzt aufrecht, sie
zittert im
Fieber und in Angst, ihre glühenden Augen stieren in den
Laternenschein. Denn
dort sitzt er. Dort hinter dem verblichenen Vorhang, wo der Schimmer
die Mauer
hinabgleitet, dem Boden zu. Dort sitzt er und wartet, regungslos. Wie
lang
schon! Sind's Stunden, Tage, Jahre?
Sie weiß es nicht, sie
sieht ihn dort sitzen, immer,
immer. Er lauert auf sie, oh! sie weiß es schon lange. Sie hat ihn ja
gerufen
an den Tagen, wo sie der Mann, sinnlos vom Rausch, getreten und
geschlagen, in
den elenden Nächten ihrer Krankheit; sie hat ihn gerufen, die siechen
Kinder im
Arm – aber da sitzt er und grinst und wartet und kommt nicht. Nur den
einen Fuß
kann sie sehen, und wie die beinernen Zehen baumeln, und wenn er
manchmal
den Kopf vorstreckt, dann grinst er und winkt mit den weißen
Knochenfingern und
schlägt sein Gebiß knackend aufeinander. Aber er steht nicht auf. Weit
lehnt
sie sich vor, ihre Finger verkrampfen sich in die Decke, heiser schreit
sie,
die Arme weit nach ihm ausgebreitet: »Hol' mich!«
Er steht ganz auf, sie
hört's, wie die Gelenke
klappern und krachen, er zuckt die Achseln, daß die langen Arme
schlottern, er
bleibt vor dem Vorhang stehen und sieht sich um. Langsam, bedächtig.
Den
trunkenen Mann sieht er sich an, die Kinder, die in der Ecke kauern.
Nicht sie,
nicht sie.
»Hol' mich!« kreischt
sie.
Da kommt er näher, immer
näher. Wie sein weißer
Schädel leuchtet! Wie Eis geht's von ihm aus, ihr Atem erstarrt, ihr
Herz steht
still, sie muß nun wie gelähmt nach ihm starren – er hält etwas
verborgen
hinter dem Rücken! – »Nein, nein! laß mich noch!« bettelt sie und
verkriecht
sich unter die Decke, sie tastet nach dem Manne neben sich, sie
umklammert ihn
mit starren Fingern: »nein, nein!« Aber er ist da, sie sieht ihn, er
steht
neben ihr, er wartet, und sie kann nimmer rufen, nimmer betteln, ihre
Stimme
ist heiser, sie wimmert nur noch, sie winselt, ihre gieren Augen hängen
an ihm.
»Noch ein bißl, oh! noch
ein bißl – die Kinder! oh!
oh! –« rührt er sich? Ganz langsam zieht er ein schwarzes Tuch vor,
pustet in
die Hände und reibt sie. Dann hält er das schwarze Tuch ausgebreitet
vor sie
hin. Das kleine viereckige Stück Zeug ist zwischen ihr und dem
Licht,
zwischen ihr und den Kindern, zwischen ihr und ihm. Sie will es wegschieben, es kommt ihrem Gesicht
immer
näher, es nimmt ihr den Atem, ruckweise sinkt sie zurück, aber das
weiche,
schwarze Tuch klebt sich an sie, enger, dichter, wärmer – so heiß! – so
eng! –
–
Nun ist es eine schwüle
Sommernacht, und sie liegt im
Heu, matt und schwer, und gebiert ihr erstes Kind. Der Brunnen rauscht,
und die
Kühe brüllen im Stall unter ihr – und da, da schreit das Kind – –
Sie will auf, ein paar
zuckende Griffe –
»Sakrament!« flucht's
neben ihr schlaftrunken im
Bette.
Der andre steht und
gähnt und wartet. Das Tuch bläht
sich leicht und wird dann straffer, immer straffer –
Der Lichtschein ist
erloschen, der fahle Frühmorgen
steht vor den Fenstern, da geht er schlenkernd über die Dielen, seine
Hand
streift die Kinder, er sieht noch einmal nach dem Mann zurück –
Das schwarze Tuch liegt
ruhig.
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