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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Die Kornmutter

Bewegungslos stehen die Wipfel der großen Lindenbäume in der Sonne, und doch ist ein Flimmern und Glitzern um ihre Blätter, wie wenn sie von Glas wären, ein Flimmern auch um das weiße Haus dahinter, das die Hitze förmlich aussprüht, wo es der Schatten der hohen Bäume nicht deckt. Der Kies auf dem Weg erglüht; man meint, die Bänke
des Gartens müßten rauchen vor Hitze, und die Mauer, die ihn umschließt, Risse kriegen, so liegt die Sonne seit dem frühesten Morgen dort.
 
Auch die Ebene, die sich weit hinter der Gartenmauer hinzieht, starrt regungslos, Feld an Feld, ein gelbes, schimmerndes Ährenmeer, das weit in der Ferne mit dem Horizont eins zu werden scheint. Dort unten ist der Himmel weißlich, milchig, wird allmählich hellblau, wölbt sich höher in immer dunklerer Farbe, wird wieder blasser dem Rand zu und setzt sich mit gelbweißem Strich auf das dunkle Moor am andern Ende, eine immense glitzernde Glaskugel.
 
In dieser ungeheuren Glaskugel siedet und quillt die Hitze, als wolle sie alles zersprengen, als müsse das zitternde Glas bersten. Ein blasser Duft zieht von dem schwarzen Moor über das Feld; wie wenn dünne Schleier zwischen all dem Gold wehten, sieht sich's an, wie wenn sie durch das Korn huschten. Wie um keinen zu wecken. Denn alles schläft, selbst die Vögel sitzen schlaftrunken auf den Ästen, nur ein Flug zankender Sperlinge rumort im Gatten, ist wie geschleudert – husch – über die Mauer weg und in den Feldern versunken.
 
Alles schläft den Schlaf der Ermattung an diesem quälend heißen Sonnenmittag.

Nur ein kleines Mädchen ist wach. Es steht am Fenster der Kinderstube und schaut mit brennenden Backen in die Ebene. Die Wärterin, die seinen Fieberschlaf bewachen sollte, nickt im Lehnstuhl.
 
Dort unten in der Ebene, dort unten in den Feldern ist das, wonach sich das kranke Kind die ganze Zeit im Bettchen quält, wonach es sich sehnt, woran es immer denken muß. Dort unten ist ja ihr Reich, das Moor und die goldenen Kornbreiten gehören ihr. Das Moor, braunviolett und geheimnisvoll, wo im Dunkel die Irrlichter tanzen, hohe, blaue wandernde Flammen, die näher und näher kommen – ja die hat das Kind schon gesehen. Aber in das Feld gehen seine Träume, das weitgedehnt und goldig ruht, und zwischen dessen Ähren nun ein heimliches Leben beginnt. – Oh, sie weiß wohl, wer nun durch das hohe Korn wandern wird. Die Kornmutter! Ihr Gewand ist eitel Gold und voller Geglitzer und schleierumweht, wie ein grauweißer glitzriger Schatten sieht sie aus, sagt die alte Kinderfrau, aber nur Sonntagskinder können sie sehen, die mit unsichtbaren Krönlein zur Welt gekommen sind, oder die, denen Unheil droht. Und sie ist ein Sonntagskind. Warum hat sie die Kornmutter nie gesehen? So lange sehnt sie sich schon danach! Mit Unruhe und Furcht, ja mit einer rastlosen Gier. Ihre Fieberträume sind erfüllt von der geheimnisvollen Frau, die segnend durch die Fluren wandelt, und vor deren Schritten sich die Ähren tief beugen. Hat sie nicht oft mit scheuer Ehrfurcht die schmalen, fast unmerklichen Pfade, mit den tiefgebeugten Ähren gesehen, die Pfade, die sie gewandert, die Kornmutter mit dem goldenen Haar und den Augen, die wie Kornblumen blau sind?

An solch heißen, stillen, brütenden Sonnenmittagen geht sie durchs Korn.

Dort, wo der große Eichbaum steht, der sich ganz allein über die Ebene erhebt, hat sie einmal ein Eckchen ihres Kleides gesehen, aber gleich war alles in den Kornwellen verschwunden.
 
Und eben? – Jetzt?
 
Tauchte nicht ein Schleier zwischen den Halmen auf, tauchte unter und wieder auf?

Der kleine fiebernde Kopf glüht, und das Herz pocht vor neugieriger, sehnender Furcht. Mit nackten Füßen im langen Hemd läuft das kleine Mädchen über die Gänge, die Treppe hinab, auf deren Steinstufen grüne Lichter ruhen, die durch die Linden fallen – alles schläft. Es läuft durch den Garten in das blanke, blinkende Licht hinaus, in die heiße, dampfende Ebene, die wie gekauert, wie abwartend liegt.

Immer größere Hast kommt in das Trippeln des Kindes, wie verloren jagt die kleine weiße Gestalt auf der endlosen Ebene zwischen den starrenden Getreideähren dahin. Endlich hält sie, und in der unerbittlichen Hitze des Mittags kommt ein Schauern über das fiebernde Kind, ein plötzliches Frostgefühl, Angst und Sehnen und Furcht und Begierde – denn dort kommt sie.
 
Ganz nahe ist sie schon. So groß und so voll Glanzes, die Goldhaare wie ein leuchtender Schein ums Haupt. Sie beugt sich nieder zu dem kranken Kind, das langsam in die Knie sinkt, langsam vornüber, schlotternd im Fieber, aber die Augen immer noch emporrichten will in die grelle, scharfe Helle, bis sie müde werden, immer müder und der kleine weiße Körper im Korn versinkt.





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