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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Industria


Dicker, schwarzer Qualm zeigt stundenweit die Stelle, wo die große Fabrikstadt liegt. Drohend, wie eine gewitterschwangere Wolke, hängt der Rauch der unzähligen Kamine über den Dächern. Man sieht nicht Haus, nicht Baum, nicht Feld. Weithin pfaucht der Atem  des Riesenungeheuers Industrie, das die Stadt unter seinen
Krallen geknechtet hält. Sein giftiger Atem versengt die Knospen, kein Baum trägt Früchte, keine Blume entfaltet sich ganz, verkrüppelt und halb welk hängt sie am Stengel. Unter der Sommersonne ballt sich der Dunst und verhängt den blauen Himmel mit Grau. Und in das Grau hinein wehen die Schlote mit langen, weichen, schwarzen Fahnen.

Der Sand der Ebene glüht; aus den heißen, engen Straßen, aus den schmutzigen Arbeitervierteln, den Riesenbauten der Fabriken, steigt träg und faulig ein Dunst der Verwesung in die Höhe.

Matt und unlustig sind die Menschen in der großen Arbeiterstadt, ihre Farbe ist bleich, und ihre Augen sind trüb.

Ein Hämmern und Pochen, ein Knarren und Rasseln, ein Pfeifen und Stampfen und Dröhnen, ein Pfauchen und Pusten und Zischen erfüllt die Luft, aus den Tiefen der Fabriken grollt gebieterisch eine unerbittliche Gewalt, die herrscht, und die die Nacken beugt.

Ruhig fließt der mächtige Strom in der Sonnenglut. Das leichte Gegitter der Brücke scheint in der erhitzten Luft zu zittern. Kein Baum und kein Strauch säumt das Ufer. Schwarze Schienengeleise laufen nebenher, an den mächtigen Quaderbauten der Kais vorbei, vorbei an den plumpen Lagerhäusern, die faul und breit hingestreckt daliegen. Schwere Frachtschiffe und dunkle, große Nachen liegen fest verankert davor; den ganzen Strom hinunter streckt sich zu beiden Seiten das wirre Gerippe großer und kleinerer Masten in die Höhe. Ein kleines Schiff mit weißem Segel kreuzt in der Ferne, die Kähne der großen Schiffe, die im Hafen schlafen, schaukeln leise. Mächtige Dampfer kommen angefahren, majestätisch wie Riesenwasservögel; die Wellen steigen hoch auf mit weißem Gischt an ihrer stolzen weißen Brust. Im weiten Bogen ziehen sie übers Wasser und legen sich still nieder, lautlos, wie Wasservögel sich ins Röhricht legen.

Mit bläulichen elektrischen Sonnen schmückt der Abend die Ufer. Hunderte von zitternden, schimmernden Lichtstreifen glänzen im Strom, der dunkel fließt, träg und schwer wie geschmolzenes Blei. Tausende von hellen Vierecken unregelmäßig, launisch durcheinandergeworfen, so tupfen die Fenster der hohen Häuserkomplexe das Dunkel.

Das Ungeheuer schläft; nur noch leise pfaucht sein Hauch, nur gedämpft klingt noch sein Rasseln und Stöhnen.

Wie leichte Herbstnebel zieht der Rauch über die Ebene, tot stehen die vielen Kamine, nur eine große, wilde, braunrote Flamme lodert aus dem hohen Dach eines Fabrikgebäudes wie eine Drohung in die Nacht.

Die Arbeiter in den niederen, hallenartigen Räumen sind in Schweiß gebadet. Den ganzen Tag hat die Sonne auf dem Dach gebrütet und sie schlaff gemacht, nun in der schwülen Nacht schleppen sie sich stumpf hin unter der Bürde schlafloser Stunden in der erdrückenden Luft. Maschine reiht sich an Maschine. Es ist ein dumpfes Stampfen, ein hastiges Schieben und Keuchen, ein immerwährendes Auf und Nieder der schweren Kolben ringsum; die Räder drehen sich mit leisem Pfeifen, und kleine Lichter hüpfen und sprühen aus den blinkenden Metallzylindern und Stangen im Widerschein der elektrischen Lampen. Von der Decke tönt das wirre Gesumm der vielen kleinen Räder, der ganze Raum ist erfüllt von dem Sausen der Transmissionen, dem Surren der Riemen.

Müde und schwer stehen die Arbeiter auf ihrem Posten.

Riesenhafte, graue Schatten hüpfen an den Wänden hin, huschen über die Decke, winden sich durch das Gewirr der Seile und Bänder.

Wie huschende Gespenster sehen sie aus, wenn eine der großen Lampen jäh aufzuckt. Sie verkriechen sich, sie springen über den Boden, sie tanzen auf dem sausenden Schwungrad der Dampfmaschine, das mit zurückgehaltenem Getöse seine mächtigen Speichen dreht, sie schnellen sich hoch hinauf und wirbeln an den Wänden wieder herab.

Wird nicht plötzlich das Stampfen der Maschine eiliger? Rennen nicht die Riemen, sich immer mehr überhastend? Sieht es keiner? Müd und schwer stehen die Arbeiter auf ihrem Posten.

Droben zwischen den Riemen der großen Dampfmaschine verschwindet ein Schatten. Jetzt taucht er wieder auf. Dort über dem großen Rad. Unbeweglich hält er dort, lauernd. Langt nicht eine Hand blitzschnell in das Getriebe?

Schneller, immer schneller drehen sich die Räder, lauter, immer lauter knirscht das gequälte Metall, wilder, immer wilder rasen die Riemen im verrückten, wahnsinnigen Hin und Her. Das Sausen und Zischen und Grollen in der Halle wächst zum Getöse, Feuerregen stieben aus dem wütenden Stahl. Ein Angstgeschrei erwacht und erstirbt im starren Entsetzen, das alle lähmt. Bewegungslos stieren sie nach dem Hexentanze, der immer gräßlicher wird. Das sind keine Maschinen mehr, keine toten Massen, lebende, wildgewordene, blutdürstige Geschöpfe sind's, die brüllend und stöhnend und keuchend sich freizumachen suchen, um denen Vernichtung zu bringen, die sie knechteten.

Sie zerreißen ihre Fesseln, sie werden frei, sie kommen!

Droben in dem Riemenwerk kichert's und grinst's. Ein Hohnschrei gellt in das Stöhnen der wütenden Bestien. Einer der starren Menschen stürzt vorwärts, stürzt zu dem großen, sausenden Schwungrad – will retten – eine knöcherne Hand schießt blitzschnell herunter, faßt ihn, ein Ruck – hoch fliegt er im Bogen gegen das Gebälk der Decke, zurück, und wieder wird er aufgefangen von den Knochenarmen und wieder in die Höhe geschleudert, wieder geborgen und wieder gegen die Eisenrippen des Daches geschnellt. Dann sinkt die unförmliche Masse mit dumpfem Klatschen zur Erde. Der droben biegt sich vor, sieht noch einmal grinsend in den Hexensabbat, nickt und gibt dem mächtigen Rad einen Fußtritt – ein Krach! alles steht still. Wie ein Spuk ist's verflogen, mit einem tiefen Seufzer haucht die Dampfmaschine den letzten, hastig hervorgestoßenen Atem aus. Totenstille – die kleinen Bestien kuschen sich vor ihrem Herrn und Meister.





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