Im
Tal kommt die Helle des Frühmorgens zögernd, sacht,
mit leisen Spähblicken unter der Dunstdecke durch. Über den Nebeln aber
hat
sich die Sonne schon breit gemacht und lungert auf Berglehnen und über
Wäldern. Der Tag wird mattglänzend,
spröde und glasig. Einer jener matten Frühsommertage, die blank-weiß
aufstehen, die
eine Zeitlang zaudern,
kleine Wolken über den Himmel ausschicken und mit heulendem Sturm,
Schauer und
Blitzen enden.
Schon wird die
Luft
schwerer, und der Mann, der über
die Felsen gestiegen kommt, vom Tal herauf, schnauft hastig und wischt
sich den
Schweiß. Und doch ist die Sonne nicht grell; dünn, verschwommen in den
Umrissen
liegen die Schatten der Sträucher und Bäume auf dem hellen Fels, und
unten in
der Schlucht ruht langgestreckt der Nebel, wie eine Schlange durchs Tal
geringelt.
Der Mann steht still auf
der Höhe und sucht sein Dorf,
sein Haus.
Überall Nebel, ein
träges Meer. Nur das goldne Kreuz
des Kirchturms sticht durch und gleißt und schillert über dem Grau.
Heute kommt
er nicht mehr heim, er hat noch einen weiten Weg übers Joch und muß
wieder
nieder ins Tal, und er schleppt eine schwere Last auf dem Rücken. Daß
sie ihn
heute gar so drückt! Daß er so vorsichtig steigen muß, und ihn der
Schwindel
packt, wenn er dem Rande nahe kommt! Dann steigt's ihm gleich zum
Herzen, und
der Atem will ausbleiben – besorgt sieht er zu dem dichten,
milchweißen,
schweren Himmel auf. Am Rand hocken kleine, graulich-gelbe Wolken,
sollte ein
Wetter drohen? Er schüttelt den Kopf. Er ist doch sonst nicht so
furchtsam.
Sicher steigt er sonst
über Platten und Geröll, scharf
ist sein Auge und fest sein Tritt. Er kennt die kürzesten Steige,
wenn's auch
die waghalsigsten sind, nie ein Fehltritt, niemals Schwindel, nur heute
engt's
ihm den Atem, zaudert der Fuß und schreckt er zurück vor dem Abgrund.
Aber er
muß höher, immer höher. An der wilden Schlucht vorbei, zur Rechten
starrende
Felsen; dann hören auch die auf, und stundenlang zieht sich der nackte,
kahle
Grat hin.
Dort hält er und
schaut hinab. Von tief drunten hört
er das Rauschen des Baches, schwarz starrt der Nadelwald aus dem Nebel;
auch
das Kreuz seiner Kirche sieht er nicht mehr, nur ein dünner verwehter
Glockenton kommt zu ihm. Jetzt spielen wohl seine Kinder ums Haus und
hetzen
die weiße Katze. Wie sie setzt! Über die Balken, über den Zaun, über
die Wiese,
am Apfelbaum hinauf! Und dort kauert sie, und die Blondköpfe stehen mit
roten
Backen und schauen hinauf und rufen und trippeln vor Ungeduld. Und der
Herd
raucht, und die Hennen gackern, am Haus rinnt der eilige Bach vorbei –
rinnt –
rinnt – immerzu.
Er springt auf.
Ob er wohl geschlafen hat? Sein Kopf
ist wirr und taumelig, und er muß doch weiter, weiter.
Er schaut auf.
Über ihm steht eine kleine dunkle Wolke
unbeweglich. Wie ein phosphoreszierender Ring sprüht um sie das Licht,
das fahl
und matt wird am Himmelsrand. Er schreitet fort, dann sieht er wieder
auf. Und
wieder die Wolke, und wieder über ihm. Wird sie nicht größer, rückt sie
nicht
näher? Sein Herz klopft auf einmal wild, daß es ihn schmerzt, die Augen
brennen, weiß, heiß und endlos liegt der schmale Grat da. Und wieder
muß er
ausschauen. Und wieder die Wolke. Langgestreckt, dunkel, zerzaust,
segelt sie
tiefer, über ihm, senkt sich auf ihn zu, immer näher auf ihn zu.
Sie wird größer
und größer, schießt über das
Sonnenlicht, verdunkelt es, weit breitet sie sich aus – nein!
Es ist keine
Wolke, ein Riesenvogel ist's mit
ausgespannten Flügeln, mit schwarzem Gefieder! Weiß leuchten seine
Fänge, weiß
der Schnabel, weiß glimmen die Augen im fahlen Licht. Ohne Laut sinkt
er tiefer
und tiefer.
Der Mann hastet weiter,
er ringt nach Atem und keucht,
seine Knie brechen, das Rauschen der mächtigen Flügel stürmt über ihm,
dunkel
wird's ringsum, Nebel steigen aus der Schlucht, aus dem Tal, er sieht
den Pfad
nimmer und strauchelt –
Da schießt der
Riesenvogel auf ihn nieder und umkrallt
ihn. Einen Augenblick schwebt er frei mit ihm über dem Abgrund, dann
fassen ihn
die mächtigen Fänge, und er sinkt – sinkt – –
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