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04.3
Geschichten
Ann Croissant-Rust
Der Tod
Mittag
Weiche,
warme Frühlingsluft weht über der alten grauen Stadt. Der Himmel ist
lichtblau,
durchsichtig wie Glas und voll strahlenden Glanzes. Aus allen Gärten
strecken
die Bäume ihre Blütenzweige, über die Stadtmauern hängen ganze Büschel
roter
und weißer Blüten, der feuchte Graben hat sich mit bunten
Blumen geschmückt, in
in
den Anlagen, unter den mächtigen Kastanien- und
Lindenbäumen, brechen alle Knospen auf, wie von roten, gelben und
weißen
Flocken sind die Sträucher überrieselt; in den uralten Wipfeln ist ein
Jubilieren und Singen von Hunderten von Vögeln, und auf dem Rasen
jauchzen und
spielen die Kinder. Alle Fenster sind weit geöffnet, weiße Gardinen
bauschen
sich im warmen Winde, heiteres Lachen und Plaudern und Singen tönt aus
den
Häusern. Ein Hauch von Trunkenheit und Frühlingsseligkeit liegt über
der grauen
Stadt, die still lächelnd in der Sonne ruht, mit Blumendüften
überschüttet, von
Vogelgesang umschmettert, in blühende Gärten eingebettet.
Hinter
dem hohen Dom, von einer Sandsteinmauer
umschlossen, schläft ein stiller Garten. Wie ein Teppich hängt sich
dunkler
Efeu über die Einfriedung, riesige Platanen und Ulmen beschatten den
Rasen, das
helle, hohe Patrizierhaus mit den gewundenen, schmiedeeisernen
Verzierungen,
mit der graziösen Verschnörkelung seiner Balkone liegt mit
geschlossenen,
sanftgrünen Läden hinter dem stillen Garten. Orangen- und Lorbeerbäume
säumen
die Sandsteinstufen der Terrasse, aus barocken Vasen fallen üppige
Schlingpflanzen auf das Gitterwerk der Brüstung. Die Flügeltüren
vom Gartensaal
zur Terrasse sind geöffnet, und ein Schein von verblaßter Seide und
Goldverzierungen und weißem Marmor fällt heraus. Nichts regt sich im
Saal,
nichts im Garten. Das alte Haus schläft in tiefer Ruhe, und kein Ton
der
Außenwelt dringt durch die dicken Mauern. Nur im Garten hört man ganz
von fern
die Kinderstimmchen, und wenn man sich weiter in das Dämmergrün des
Parkes
verliert, tönt das Rauschen des großen Stromes wie eine immerwährende,
gedämpfte, heilige Melodie.
Verloren
und vergessen liegt der Garten in seiner
wilden Frühlingspracht. Ein buntes Durcheinander altmodischer Blumen
ist in den
langgestreckten Beeten zwischen der steifen Buchseinfassung in die Höhe
geschossen. Der süßstrenge Geruch des Goldlacks, der zage Duft der
Narzisse
mischt sich mit dem herben Atem des Buchses und dem Hauch des Flieders.
Gelbe
Märzenbecher und dunkelviolette Iris, glührote pralle Pfingstrosen und
blaue
Männertreu, neben zartrosa Federnelken und tiefschwarzen Pensées
tauchen den
Garten in eine märchenhafte Farbenpracht.
Etwas
Träumendes, Geheimnisvolles, ein Hauch
vergangener Zeiten weht über den Laubengängen, aus denen lächelnde,
weiße
Göttinnen schauen.
Man
hört keines Vogels Stimme, kein Fußtritt knirscht
auf dem Kies der Wege, nichts zeigt, daß das weiße Haus bewohnt ist;
kein
Fenster öffnet sich, niemand schreitet die Stufen hinab, der Saal
hält
seine Flügeltüren weitgeöffnet, aber niemand tritt heraus.
Vergessen,
verloren, verträumt. Und doch ist's wie das
Rauschen seidner Frauenkleider in der Luft; in den Bosketten schlummern
Kichern
und Gelächter, samtne Gewänder schimmern und spitze Degen blitzen. Mit
stillem
Lächeln halten die weißen Göttinnen Wache über die Geheimnisse des
Gartens.
Und
dort, am Ende des Laubenganges? Der Greis, der in
dem weitbauchigen, geschweiften Lehnstuhl liegt, in die bunte türkische
Decke
eingehüllt? Ist er wiedererstanden aus jenen Tagen, in denen gepuderte
Schöne
durch den Park wandelten? Wo es in verschwiegenen Nischen seufzte und
girrte,
wo aus grünen Lauben heimliches Liebesgeflüster drang und in den
dunklen
Bosketten Lippe auf Lippe brannte? Oder ist er hier zurückgeblieben,
ein
stummer Träumer, ein sinnender Zuschauer, aus jener Zeit des Glanzes,
als der
Park noch widerhallte von dem berauschenden Lärm galanter Feste? Mit
geschlossenen
Augen ruht das feine, blasse Greisengesicht auf dem Purpursamt des
Sessels. Ein
zartes Tuch ist wieder und wieder um den welken Hals geschlungen, vorn
verknotet, fällt es in reichen Spitzen auf die geblümte Seide des
Schlafrockes.
Schneeweißes Haar legt sich lang von den Schläfen gegen den Nacken;
über der
Stirn und den Ohren gerollt, ist es zu einem regelrechten Zopf mit
schwarzem
Band gebunden. Das ist der alte Freiherr, der Sonderling, der mit einem
einzigen alten Diener schon viele, viele Jahre – wie lang, denken
wenige
in der Stadt – das »Schloß« in seiner verblaßten Pracht bewohnt.
Wenige
erinnern sich daran, ihn auf der Straße gesehen
zu haben, wenige wissen noch von dem Aufruhr, den seine Erscheinung
einst
hervorbrachte. In Kniehosen und seidenen Strümpfen, gepudert und mit
dem
Dreimaster, in Spitzen und Jabots, den vergoldeten Knopf seines Stockes
unter
dem Kinn, wandelte er ehemals steif und langsam durch die Straßen. Er
sah nicht
rechts, noch links, hörte keine der hämischen Bemerkungen und wußte
nichts von
dem tollen Gelächter, das ihm folgte. Riß einmal einer im Hohn den Hut
tief zur
Erde, so dankte er mit einem kurzen Kopfnicken. Der Souverän grüßte den
Untertan. Er sprach nie mit jemandem, nie kam ein Mensch zu ihm, seit
er das
Erbe der Väter angetreten und in die Stadt gezogen war. Tagein und
tagaus lag
im Anfang die ganze Nachbarschaft auf der Lauer, heimlich hinter den
Gardinen
und offen und ehrlich, über das Fenstergesimse mit halbem Leibe
hängend. Eine
Reihe von Kindernasen drückte sich platt an dem schweren eisernen
Parkgitter,
die frechsten Jungen legten sich oben auf der brüchigen Mauer platt auf
den
Bauch, saßen rittlings, stundenlang, oder baumelten vergnüglich mit
beiden
Beinen in das freiherrliche Gebiet hinüber. Leider erblickten sie nicht
viel,
die Laubgänge waren dicht und der Park eine undurchdringliche, grüne
Wildnis.
Manchmal allerdings erschauten sie den Freiherrn, wie er die Stufen
herabstieg
und in den langen, geradlinigen Wegen auf und ab stelzte.
In einiger
Entfernung folgte der Diener mit dem Regenschirm, denn nur, wenn es
feuchtes
und bedecktes Wetter war, spazierte der Freiherr in den offenen Wegen
hin und
her, sonst unternahm er die Promenade im Laubgang, und seine
merkwürdige, bunte
Silhouette und die des gravitätischen Dieners tauchten auf,
verschwanden und
kamen wieder zum Vorschein und verhuschten aufs neue zwischen den
grünen
Buchenhecken und den weißen Götterbildern. Auch der Diener trug
Kniestrümpfe,
die lange Weste und den Tuchfrack. Die Kleider des Freiherrn waren von
Seide
und Samt, mit reicher Stickerei geziert, und atmeten den Duft
vergangener
Jahrhunderte aus, wie wenn sie viele Jahre in den mächtigen
Eichenschränken
gelegen hätten, unter Lavendel- und Rosenblättern.
Allmählich
gewöhnte man sich an den Sonderling. Man
deutete nach der Stirn, man kicherte, lächelte leise, zuckte die
Achseln,
verzog den Mund, die laute Heiterkeit wich, es blieb etwas zurück wie
Scheu,
Scheu vor dem stolzen, müden Haus mit seiner abwehrenden Ruhe, vor der
uralten
Herrlichkeit des Parkes, vor dem stillen Garten mit seiner wilden
Blumenpracht,
vor den fremden Göttern, den zwei fremden alten Menschen. Man gewöhnte
sich
daran, denn es war immer dasselbe Schauspiel, und das Volk wurde müde.
Kaum daß
ein paar neugierige Kinderaugen am Gitter spähten. Der Alte ging auch
nie mehr
aus und lebte wie verschollen auf seiner großen, blühenden Insel.
Nur
wenn manchmal zur Nachtzeit sich alle Läden des
weißen Schlosses öffneten, wenn Hunderte von Kerzen einen breiten
Lichtstrom über den Park warfen und das Haus wie ein helles,
leuchtendes
Märchen aus den Wipfeln der Bäume tauchte, wenn aus den sonst
verschlossenen
Gemächern, verstohlen erhascht, die Pracht seidner Vorhänge und reicher
Spitzen
strahlte, wenn von den Wänden aus breiten Barockrahmen kokette Frauen
mit
weißer Brust und hochgezogenen dunklen Brauen lachten, die mit
gespreizten
Fingern ihre kurzgeschürzten Gewänder hielten, wenn ernste Kavaliere in
heroischer Stellung, mit seitwärts gedrehtem Kopf, die Hand am Degen,
aus den
Rahmen niederzusteigen schienen, wenn in den dunklen Gängen des Gartens
plötzlich farbenbunte Lampions glühten und die Wasser der Springbrunnen
zu
rauschen begannen, dann schworen wohl viele, es sei ein gedämpftes
Gebrause von
vielen Stimmen aus den Sälen gedrungen, mit einem feinen Klirren von
Tellern
und Tassen und Löffelchen. Champagnerpfropfen hätten geknallt,
flüchtige
Schatten seien an den Fenstern vorbeigehuscht, und glückliches Lachen
habe wie
ein leichter, feiner Silberton aus den geöffneten Fenstern geklungen.
Mitten in
der Nacht sank das Haus wie auf einen Schlag in seine stumme Dunkelheit
zurück
und schlief unter dem breiten Dach der Platanen. Schwarz starrte der
Park, und
das Wipfelrauschen mischte sich mit dem verklingenden Nachtgesang des
Stromes.
Der
alte Freiherr träumt. Eine breite Welle süßen,
schmeichelnden Fliederduftes bringt der sonnenwarme Mittagswind.
Wie war
es schön, sein Fest! Wie prächtig die Tafel, schimmernd in
seidenglänzendem
Linnen, mit dem Funkeln der Kristallkelche, der schweren Wucht der
silbernen
Aufsätze, den mächtigen Schalen voll seltener Blumen. Wie eine
strahlende Insel
hob sich der blitzende, schimmernde, helle Tisch ab von dem heitern
Ernst des
grünen Samts der Tapeten und Möbel.
Und
nun kamen sie alle an, alle vom oberen Stockwerk
herab, wo sie monatelang steif und starr in ihren goldenen Prachtrahmen
gestanden, bis er sie zum Leben, zur Freude, zum fröhlichen Genießen
erweckte.
Das war ein Geschäker und Gelächter die breite Treppe herunter,
zwischen
mächtigen Lorbeerbäumen, überstrahlt von den Flammen der Gueridons! Das
war ein
Knistern und Rauschen der Seide, ein Blitzen und Glitzern der
Geschmeide, ein
Gleißen der Stickereien, ein Neigen und Beugen schimmernder Nacken, ein
Prahlen
und Strahlen leuchtender Augen! Und Golddegen blitzten zwischen der
starren
Seide und dem vornehmen Samt, glitzernde Schnallen sprühten auf
zierlichen
Hackenschuhen, und Busennadeln warfen zuckende Lichter aus kostbaren
Spitzen,
die fein wie Spinngewebe. Hoch und ernst schritt im Schwarm schöner
Frauen die
Schönste.
Ihre
Augen tief und leuchtend, wie der See im
Frühlingslicht, ihre Wangen rot und zart wie Apfelblütenblatt, ihr Mund
eine
purpurne Knospe, von Tau benetzt. Sie, seine Sonne, seine Jugend, sein
Leben!
Ihretwegen strahlten die Kerzen, funkelte das Silber, dufteten seltsame
Blüten
in den Schalen, ihretwegen erfüllte der Festglanz, erfüllten die
heiteren Gäste
die Säle. Von ihr, der Ernsten, Stolzen wollte er ein glückliches
Lachen, ihre
triumphierende Schönheit wollte er feiern, sie anbeten, harren, bis ein
Strahl
des Glücks aus ihren Augen auf ihn fiel, wenn er sie pries, die Göttin
der
Schönheit, der Jugend. Oh, er weiß es wohl, wenn sie auch jetzt
hoheitsvoll und
still durch die Reihen der entzückten Gäste schreitet, wenn ihre Augen
auch tagelang
starr und unbeweglich aus dem großen Bilde im Ahnensaal blickten und
über ihn
wegsahen nach dem blühenden Garten – er kannte sie mit einem
verstohlenen
glücklichen Lachen, wie sie mit schelmischen Winken ihm voranglitt
durch die
Türen! Er kannte sie, wie sie vor ihm herflatterte, zum Greifen nah, in
ihrem
bunten, duftigen Kleide, das wie vom Frühling selbst gewebt schien, wie
sie
sich neckisch zum Tanze schürzte und ihm mit Fliederzweigen winkte! Er
sah sie
um die Ecken seines Hauses huschen, im tollen Jagen durch die Parkwege
fliegen,
er sah sie still in der Fliederlaube sitzen mit sehnsüchtigen Augen –
er hörte
ihren leisen Tritt über die alten Treppenstufen, ihr Zagen vor seiner
Schwelle,
das hastige Rascheln der Seide in seinem Zimmer, fühlte den
Fliederduft, der
ihrem Haar entströmte, fühlte ihren erschreckten, scheuen Kuß.
Mochte
sie auch herb aus dem hohen Rahmen blicken und
seiner bittenden Augen nicht achten, er fühlte noch die Wärme ihres
jungen
Körpers, den Hauch ihres Mundes – er wartete, er wußte, die Stunde
würde
kommen, in der sie sich ihm ganz offenbarte.
Wie
der Flieder duftete! Wie eine breite Welle von
Glück und Sonne und Schönheit und Frieden zog's über den Garten auf ihn
zu. Der
alte Freiherr öffnete plötzlich seine großen, blauen Augen, ein
seltsames
Lächeln glomm auf in ihren Tiefen. – Langsam kam sie den Gartenweg
herauf,
nicht ernst und streng, strahlend in Schönheit und Freude, voll
demütigen
Glücks. Ganz leise, ganz unhörbar waren ihre Schritte auf dem Kies, wie
eine
Glorie wob sich das Licht um sie, Vögel umflatterten sie,
Schmetterlinge
setzten sich auf ihr buntes Gewand, und sie kam näher und näher. Das
Licht
wurde flammender, der Gesang der Vögel süßer, eindringlicher, das
Rauschen des
Stromes schwoll zum Brausen. Reicher, üppiger blühten die Blumen, wie
wenn sie
vergehen wollten in Glanz und sterben in Duft, die weißen Göttinnen
streckten
sehnsüchtig die Arme aus – und sie kam langsam auf den alten Freiherrn
zu. Eine
demütige Königin, eine zitternde Herrscherin; ihre Augen mächtige
Sonnen, ihre
Lippen glühende Brände. – Endlich, endlich!
Vergehen,
verstummen in der Woge von Schönheit und
Glück. Er breitet die Arme aus, sein Kopf sinkt zurück, die Sonne
leuchtet auf
seinem weißen Haare, selige Schauer schütteln ihn, ein glühendes
Verdämmern,
ein letzter Seufzer des Glücks – vom Dome tönen die Mittagsglocken, ein
feierlicher Akkord, der sich eint mit der Harmonie der stillen,
glühenden,
blühenden Frühlingspracht.
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