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04.3
Geschichten
Ann Croissant-Rust
Der Tod
Die
Mutter
Den
ganzen Tag schon stiebte der Schnee in großen Flocken herunter, und am
Abend war die ganze Stadt weiß und still. Kaum tönte das Rollen der
Wagen auf dem weichen Schnee, die Tritte der Fußgänger wurden unhörbar;
es war, als schlichen die Menschen auf Samtpfoten, als sei alles Harte,
Herbe, Geräuschvolle verschwunden –
der Rhythmus der
Großstadt, die ewig unruhige Melodie
des rastlosen, drängenden Lebens wurde leise, verschwommen, und erstarb
ganz in
der Vorstadt, die mit ihren kleinen, koketten Villen unter den hohen
Bäumen wie
im Schlaf ruhte. Kaum ein paar Lichter blinzelten noch aus den Häusern
durch
das Schneegestöber. Der Wind jagte die Flocken fast horizontal, und der
Schnee
klebte sich hoch hinauf an die Scheiben.
Eine der Villen
ist hell erleuchtet, es sieht aus, als
erwarte man Gäste dort, denn viele Lichter brennen. Sie ruht trotzdem
still,
kein Ton dringt heraus, kein Wagen hält vor dem Tore, kein Gast steht
vor der
Tür.
Nur eine Mutter wacht
bei ihrem totkranken Kinde und
wartet auf den Arzt, der in der Nacht noch kommen muß.
Viele Nächte schon hält
sie das Kind im Arm, sie läßt
es keinem andern, sie verwehrt jedem den Eintritt, sie verwehrt jedem,
das
kleine graue Gesicht anzuschauen, sie verwehrt, ihm, dem Fiebernden
einen Trunk
zu reichen, es zu betten. Sie hat es unter Qualen geboren, es gehört
ihr, nur
ihr – es ist ein Teil von ihr, und keiner soll es berühren, keiner
soll's ihr
nehmen, und wenn es der Tod ist! Sie trotzt ihm. Sie hält es fest,
sie
will es halten, und ihre Liebe und ihr Wille müssen mächtiger sein denn
alles!
Mag es auch elend
und matt sein und schlaff und
verfallen, ihre Liebe wird es retten; sie sieht es wieder gesund und
froh, die
Augen wie Blumen, die Wangen wie bereifte Früchte, es jauchzt und
lacht, und
das Haus ist voll von Glanz und Leben. So muß es wieder werden. Es wird
sich
wenden; die Tage und Nächte der Trübsal müssen enden.
Sie kann nicht
mehr weinen, nur mit aller Glut
wünschen, mit allen Fibern ersehnen: es muß gesunden!
Wie schwer es in
ihrem Arm wird! Als wollte es sie zu
Boden drücken! – Wie der Wind draußen braust!
Hört sie nicht
Schritte?
Der Arzt kommt,
er wird ihr Rettung bringen!
Sie horcht
gespannt. – Nichts, nur der Sturm an den
Fenstern, der den Schnee gegen die Scheiben schleudert.
Müde lehnt sie
sich zurück; schläft das Kind nicht in
ihrem Arm?
Ihr fallen selbst
die Augen zu. Ein dichter, grauer
Nebel breitet sich über die Stube, nur ein helles Licht brennt weiter,
sie
sieht es halb, und es macht sie ruhig, bringt ihr Trost. Hört sie nicht
das
Kinderjauchzen? – Frühling – die Blumen –
Da geht leis die
Türe. Der Doktor. Endlich! Sie winkt
ihm still ihren Gruß. Was er heute für einen weiten
schwarzen Mantel
trägt, und wie tief ihm der Hut im Gesicht sitzt! Ganz hager und groß
und fremd
kommt er ihr vor. Sie will ihm das sagen, aber wie er sich über das
Kind in
ihrem Arm beugt, fallen ihr schon wieder die Augen zu.
Er wird alles
recht machen, er lächelt ja, er nickt! –
sacht nimmt er ihr das Kind aus den Armen und geht langsam von ihr weg.
Ein eiskalter
Luftstrom kommt plötzlich ins Zimmer,
die Tür schlägt krachend zu. Es ist dunkel ringsum. Warum ist es
dunkel?
Die Lampe erloschen, das Feuer aus, ihr Körper ist
starr, bewegungslos. Das Kind! Sie tastet nach dem Kinde. Sie will es
hochheben, schreiend springt sie auf.
Es ist fort, er
hat es mitgenommen, es ist fort für
immer. – Der Tod! Der Tod war da!
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