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Literatur


04.3


Geschichten

Ann Croissant-Rust
Der Tod






Schatten

Das Gerassel des Wagens, der das junge Mädchen nach Hause gebracht, erstirbt in der Ferne. In einen weichen Stuhl gekauert, horcht sie, wie das letzte Rollen auf dem gefrorenen Boden verklingt. Langsam streift sie die Handschuhe von den Fingern und nimmt das seidene Tuch von den Haaren.

Es ist ein starres Leuchten in ihren Augen, ein vages, stolzes Lächeln auf ihren Lippen, sie hört gemurmelte Worte, hastige Fragen, sieht scheue und brennende Blicke.
 
Ihr Boudoir ist erfüllt von dem schweren Duft welkender Blumen. Mächtige Ballbukette, zierliche, kokette Sträuße, arme, kleine Blümchen, hochfahrende, stolze Blüten, die sich mit steifen Blättern spreizen, und weiche, zarte Blumen voll üppigen Duftes, Blumen mit zagen, schüchternen Farben, brennende, harte Blumen, welke, kleine Veilchen, sie alle liegen auf dem Tisch, achtlos hingeworfen.
 
Wie eine Siegerin ruht das junge Mädchen in dem weißen, knisternden Seidenkleid, juwelengeschmückt.
 
Plötzlich springt sie auf. Hochgereckt den schlanken Leib, steht sie mit flammenden Augen inmitten des Zimmers, die Blicke auf den großen Spiegel gerichtet, der ihr Bild wiedergibt.
 
Da sind ihre rötlichen Haare, die unter dem prickelnden Lichte der vielen Kerzen förmlich phosphoreszieren, da ist ihre schmale, feine Stirn, die düsteren Brauen über den glänzenden Augen, die stolze Nase, die Lippen, zuckend unter dem Gefühl des Triumphes der eigenen Schönheit. Immer näher tritt sie dem Spiegel, immer näher ihrem Bilde, es überkommt sie wie ein Taumel, ein Rausch. Alle Kerzen muß sie entzünden, daß sich's um sie legt, wie eine Gloriole des Lichtes; es glüht aus ihren Augen, es leuchtet aus dem Weiß ihrer Haut, es sprüht wie kleine, herrschsüchtige Sonnen aus den Diamanten an ihrer Brust.
 
Gehoben, getragen, verklärt steht sie in der weißen, blendenden Lichtflut.
 
Sie folgt den feinen Linien ihres Nackens, ihrer Schultern, ihrer Arme, sie berauscht sich an den weichen Formen ihres Körpers, sie liebkost die leise knisternde Seide, die ihn umschließt – hoch hebt sie den vielarmigen Leuchter über ihr Haupt, daß er wie eine Flamme brenne über dem Haupte der Königin.
 
Es ist ein Gottesdienst, ein Kultus der Schönheit, ein Triumph der Jugend, ein Sich-Hin­geben mit allen Fasern des Seins – Vergehen, Zerfließen in diesem Wonnerausch!

Ist sie das? Ist sie das wirklich?
  
Ein Schwindel erfaßt sie vor ihrer eignen Schönheit, ein Schauer schüttelt sie, wie sie ihre eignen flammenden Augen auf sich gerichtet sieht.
 
Sind das ihre Augen?
 
Nein, das sind fremde, brennende, düstere Augen, die sich unbeweglich auf sie richten, die immer größer, wilder, glänzender werden, mächtige Sonnen, die das Leuchten der Kerzen überstrahlen – sprühende Mächte, die alles unterjochen, die sie blenden wollen.
 
Mit einem Ausschrei wirft sie den Leuchter zu Boden und will fliehen.
 
Da weht sie's an wie ein kalter Hauch, ihr Spiegelbild erlischt, eine tote, schwarze Fläche starrt ihr entgegen, die Kerzen zucken auf, und ein riesengroßer Schatten hebt sich aus der Tiefe des Zimmers.
 
Von Fieberschauern geschüttelt sinkt sie zusammen. Klein, gekauert, bettelnd liegt sie auf dem Boden und ringt mit dem Schatten, der seinen großen Faltenmantel um sie schlägt und alles Licht, alle Jugend, alle Schönheit begräbt.





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