Geschichten
Max Dauthendey
Häcksel
und die Bergwerkflöhe II
„Nein, nein und nochmals
nein,“ antwortete
aber darauf das linke Ohr, das von Zinnoberchen beraten war. „Es ist
eine
höhere Notwendigkeit, warum ich das Bergwerk heute verließ.“
„Eine höhere
Notwendigkeit?“ echote es in Häcksel erstaunt.
„Jawohl,“ rief die Flöhin
auf Häcksels Kopf
von links. „Dass ich heute reise, geschieht aus allerhöchster
Notwendigkeit. Ich
bin eine Abgesandte. Ich muss Flohmänner ins Bergwerk herbeiholen,
frische
kräftige gesunde starke Flohkerle.“
„Warum ist Stänker, mein
Leibfloh, zu diesem Auftrag nicht gut genug gewesen,“ fragte Häcksel
ein wenig
verletzt die Flöhin.
„Hat man je gehört, dass
ein
Flohkerl so reizend ist, dass seinetwegen andere Flohkerle einen Sprung
machen?
Es muss schon eine Flöhin kommen, wenn Flohmänner sich holen lassen
sollen.“
„Und da hat man dich
also,
die Zarteste, mit mir nach München geschickt?“
„Ach was! Man hat nicht
mich mit dir geschickt. Sondern du bist von mir und uns allen
ausersehen
worden, mich nach München zu bringen,“ behauptete die Abgesandte hinter
Häcksels Ohr.
„Ich gehe meinethalben
und
nicht deinethalben, nicht in Flohangelegenheiten, sondern in meinen
gesunden
Todesangelegenheiten gehe ich nach München,“ meinte Häcksel störrisch,
als eben
das Morgenlicht aus den Waldbäumen grell auf seine Nase schien. „Licht
und Lärm
kommen immer zusammen,“ fügte
er mürrisch und gereizt hinzu. „Wenn ich nun aber umkehre?“ setzte er
fort.
„Was dann?“
„Dann lassen wir dir
irgend etwas Schlechtes geschehen. Unsere Art zu erhalten, dazu ist uns
kein
Ausweg zu ungeheuer. Und ein Menschenleben ist noch lange kein
Flohleben wert,
noch dazu ein so wackeliges Menschenleben wie deines, das nur noch an
einem
Faden, sagen wir lieber, nur noch an einem Fädchen hängt.“
„Ich wusste es ja,“
schmunzelte Häcksel plötzlich aufgeräumt. „Ich sterbe bald. Ich habe es
auch
nur deshalb so eilig, weil ich die alten Gulden umwechseln will, um
Geld zu
einem schönen Begräbnis bereit zu haben.“
„Den Glauben will ich dir
gern lassen,“ meinte die Flöhin zweideutig.
„Wie meinst du das?“ fuhr
Häcksel auf. „Werde ich am Ende doch nicht bald sterben? Oder werde ich
das
Geld am Ende gar nicht zum Begräbnis verwenden dürfen?“
„Das kommt darauf an.
Versprechungen oder gar Belehrungen teilen wir Flöhe eigentlich selten
aus. Wir
denken zuerst an uns. Und da du als Mensch in unserer Flohgewalt bist,
musst du
gehorchen.“
„Hoho!“
hustete Häcksel und hustete sich
blaurot vor Eifer. „Ich bin in niemandes Gewalt. Ich bin ein freier
Bergwerkarbeiter. Nicht mal der Grubenherr hat mir außerhalb des
Bergwerkes
etwas zu sagen. Heutzutage herrscht Freiheit im Arbeitervolk. Wir sind
keine
altmodischen Knechte mehr.“
„Dass ich nicht lach,“
kicherte Zinnoberchen
und ließ das schaukelnde Schläfenhaar los, sprang zurück und biss
herzhaft dem
Häcksel in das linke Ohrwatschel, sodass ein Blutstropfen, groß wie der
dickste
Floh, dem Burschen aus der Haut quoll.
Häcksel hielt wie immer
still, wenn ihn ein Floh biss, teils um seiner Gesellschaft nicht
verlustig zu
gehen, teils weil er es so seit Väterszeiten im Bergwerk gewöhnt war.
Zinnoberchen setzte sich
an den Blutstropfen, sagte nichts mehr und frühstückte lebhaft
beschäftigt,
während der arme Bursche unter den kahlen Waldbäumen ging, manchmal von
Husten
geschüttelt und von Hunger gekrümmt.
Als die Flöhin von
Menschenblut satt war, sagte sie nicht einmal „danke“, sondern kroch
unter dem
Mützenrand unten durch auf Häcksels Kopf, wo die Luft zwischen
Haar und
Mützenfutter gemütlich warm war. Dort machte sie sich’s bequem. Zuerst
putzte
sie ihre furchtbaren Beißwerkzeuge, strich dann ihre gewaltigen
Springbeine
glatt, dehnte sich und streckte sich auf dem weichen fettigen Haarboden
zu
einem Verdauungsschläfchen aus. Sie hüstelte nicht, sie dachte nicht an
den
Tod. Sie dachte nur an Lebensfortsetzung und Lebensgenuss. Sie murmelte
im
Einschlafen, indem sie mit den Hinterbeinen zum Vergnügen ein wenig auf
den
Haarboden trommelte: „Dummkopf! Dummkopf! Du meinst, du bist der
Stärkere! Du,
der mir doch zum Frühstück dienen muss!“ Dann schlief die altadlige
Flöhin aus
dem vornehmen Bergwerkgeschlecht sanft ein, indessen der hungrige
Bergmann
unter ihr wie ein Kamel weitertrabte und hungernd und hustend den
Bahnhof des
nächsten Dorfes erreichte.
Häcksel hatte auf der
letzten Strecke zum Bahnhof stark nachgegrübelt, wie er unauffällig mit
dem
nächsten Zug nach München kommen könnte. Niemand sollte seine
Abwesenheit oder
seine Reise bemerken. Da war ihm eingefallen, dass immer ein langer
Kohlengüterzug um diese Morgenstunde München fuhr. Er kannte aber den
Bremser
des Zuges, und dieses schien ihm gefährlich, denn er wollte sich
niemandem
anvertrauen, um seine Silbergulden ungestört umwechseln zu können. Er
beschloss,
sich unter einem Kohlenwagen anzuklammern und dort in dem Versteck sich
nach
München fahren zu lassen.
Der Kohlenzug kam immer
langsam und gemächlich daher und hielt einen Augenblick draußen vor dem
Bahnhof, bis die Weiche gestellt wurde und er dann ebenso gemächlich
weitertrotten konnte. Dieses hatte Häcksel früher beobachtet, und
diesen
Augenblick wollte er benutzen und sich unter den Wagen an den Ketten
dort
anhängen. Der Platz war schrecklich unheimlich und grauenhaft qualvoll,
und der
Güterzug würde erst in der Nacht in München ankommen. Aber was machte
das dem
Burschen, der so dringend ein reiches Begräbnis erster Klasse haben
wollte. Für
die Ehren, die seinen Leichnam später dann einmal erwarten würden,
hätte er
gern noch Schlimmeres ertragen.
Indessen nun der junge
Bergmann eingeklemmt und gemartert zwischen Rädern, Ketten und
Eisenstangen
hing und in ewiger Todesgefahr schwebte und der furchtbare
Eisenlärm, das
Schütteln und Rasseln und Stampfen des Wagens, unter dem er
schweißtriefend
angeklammert war, ihn zu betäuben drohte, schlief die Flöhin im
Kopfhaar des
Burschen köstlich, und wenn sie hungrig wurde, krabbelte sie an
Häcksels Nacken
entlang und suchte sich eine möglichst zarte Stelle seines Rückens oder
seiner
Brust aus, biss herzhaft zu und sog das süße heiße Menschenblut in sich
ein.
So kamen beide, jedes auf
seine Art, vorwärts. Der Mensch geplagt, geängstigt und verliebt in
seinen Tod,
der Floh zufrieden, gesättigt und verliebt in Blut und Leben.
Spät in der Nacht fuhr
der
Güterzug langsam in den Bahngeleisen von München ein. Unbemerkt machte
der
erschöpfte blinde Mitreisende sich unter dem Wagen los und schlich sich
im
Güterbahnhof auf Seitenwegen über Schienen, über einen Stachelzaun und
eine Plankenwand
kletternd davon.
Der Güterbahnhof lag
abseits, und in dem Stadtviertel in nächster Nähe standen einfache
schweigende
Häuserreihen, und in weiten Abständen brannten einsame Laternen.
Häcksel wollte
einen Gasthof aufsuchen und am nächsten Morgen die alten Guldenstücke
umwechseln und
dann mit der Bahn gemächlich auf einem Sitzplatz zurückfahren und auf
einer
Haltestelle, etwas entfernt vom Heimatdorf, aussteigen. So würde dann
die Reise
unbemerkt geblieben sein, er wäre dann nur als Waldverirrter in die
Kohlengrube
zurückgekehrt und hätte ohne viel Worte seine Arbeit im Stollen
aufgenommen,
nachdem das gewechselte Geld im Strohsack versteckt und eingenäht
worden wäre.
Aber es sind immer bei
Entschlüssen mehrere Mächte mitbeteiligt, und niemand führt einen
Entschluss
allein aus. Das sollte jeder bedenken, ehe er Heimliches tun will.
Unser
Alleinsein ist immer nur ein scheinbares, in Wirklichkeit ist jedes
Handeln
unsichtbar mit tausend Mithandelnden verknüpft.
So hatte Häcksel nicht
daran gedacht, dass nach der langen Fahrt unter dem Kohlenwagen sein
Kopf
betäubt, seine Kräfte erschöpft, sein Herz schreckhaft und gedankenlos
sein
würde, wie es nicht am Morgen, da er frisch ausgeschlafen die Reise
angetreten,
gewesen war.
Außerdem hatte er
vergessen, dass es Fastnachtsonntag war. Der Fastnachttrubel in der
Großstadt
München war ihm ganz unbekannt. Häcksel
lebte jahraus, jahrein menschenscheu und ins Bergwerkleben versunken,
sodass er
ganz abseits stand von allen Lebenserfahrungen. Nie war er in einer
Stadt
gewesen, nichts wusste er von Faschingstagen, nichts vom närrischen
Treiben
einer Maskenwelt, die er nie gesehen oder erlebt hatte.
So ging er, in München
angekommen, mit schwankenden müden Knien unter den dunkeln
Vorstadthäusern hin,
die ihn mit ihren vielen Stockwerken und ihren vielen dunkeln Fenstern
einschüchterten. Als seine Schritte in der Nacht so einsam auf dem
leeren
Vorstadtpflaster hallten, wurde ihm schwindlig vor Hunger, Schwäche und
Aufregung. Und ängstlich gemacht, weil er glaubte, die stillen
Häuserbewohner
wecken zu können, zog er seine harten Stiefel aus und ging auf
lautlosen Socken
weiter.
Er hatte keine Ahnung,
dass in den leeren Häusern, die meistens Neubauten waren, noch gar
keine
Menschen wohnten, und so schlich er an den unbewohnten frischweißen
Häusern
stumm und behutsam und lautlos wie ein Nachtvogel hin und wusste nicht,
dass er
wie ein ertappter Dieb aussah.
Zinnoberchen aber, seine
Flohherrin, längst wach und aufmerksam und witterte mit Begierde, von
Häcksels
linker Schläfe aus, die tausend Flöhe der Stadt München, die jetzt in
der Nacht
alle auf waren und springend bei Tanz und Leibesfreuden wacher als die
Sterne
am kalten Februarhimmel lebten. Trotzdem die Häuser hier unbewohnt
waren,
witterte die eifrige Flöhin den menschlichen Blutgeruch aus den
nächsten
bewohnten Stadtteilen, und Häcksels Beine gingen ihr viel zu langsam
vorwärts;
sie wäre am liebsten in großen Sprüngen über die nächsten Dächer dem
vor Schwäche
taumelnden Häcksel vorausgeeilt.
Und nun stieß Häcksel gar
mit dem Kopf an einen Laternenpfahl, wankte und fiel, von Hunger und
Überanstrengung geschwächt, besinnungslos neben der Laterne nieder.
Das brachte die Flöhin
ganz aus ihrer Ruhe, und sie stieß einen jener Pfiffe aus, den nur die
feinen
Flohohren hören können, der aber weiter zu hören ist als jeder
Menschenruf. Dem
groben Menschenohr aber ist ein Flohpfiff zu fein, das menschliche
Trommelfell
steht wie eine Mauer tot dort, wo ein Flohohr noch Laute hört. Sofort
antwortete der Flöhin ein Antwortpfiff. Es war aber kein Floh,
sondern auch eine Flöhin, die sich aus einem Neubau bemerkbar
machte. Im dunkeln Bau brannte ein rot glühender Trockenofen und dort
bei dem
Arbeiter, der den Ofen bewachte, saß ein Mädchen auf ein paar
aufgeschichteten
Backsteinen. Das hatte die Flöhin, die Häcksels Flöhin zupfiff, im
Nacken
sitzen. Der Arbeiter vor dem Ofen hatte eine Teufelsmaske auf seine
Stirn
hinaufgerückt, so zeigte er zwei Gesichter übereinander. Der Mann war
gerade
von einem Maskenball in der Nacht auf den Bau gekommen, und seine
Tänzerin, die
eine „Königin der Nacht“ vorstellte, hatte ihn begleitet. Beide
stritten eben,
wer von ihnen das meiste seiner Habe zum Pfandhaus getragen habe. Das
Mädchen
behauptete, sie habe nur noch einen Sonnenschirm bei einer Tante
vergessen, den
könne sie morgen noch versetzen. Der Arbeiter aber behauptete, das
Mädchen habe
ihn betrogen, weil sie bei einer Freundin noch ein Bügeleisen verborgen
halte,
das sie nicht versetzen wolle. Er sagte, er wolle morgen nicht mehr mit
ihr zum
Tanzen gehen, sie solle sich einen andern Tänzer suchen.
„Ich
habe auch noch einen
Floh, den ich nicht versetzt habe,“ lachte das Mädchen
übermütig und
sagte frech, sie werde sich nicht erst morgen, sondern gleich für diese
Karnevalsnacht noch einen neuen Tänzer suchen.
Der Arbeiter gab ihr einen
Tritt, dass sie von den Backsteinen aufflog und es an der Zeit fand zu
verschwinden. Aber ehe sie ging, warf sie noch einen Backstein hinter
sich in
den Trockenofen, so dass Funken und Feuer dem fluchenden Mann um seine
zwei
Gesichter flogen.
Die Königin der Nacht
öffnete rasch die Plankenzauntüre und wollte nochmals dem Arbeiter eine
rohe
Antwort zurückrufen, als sie nahe bei sich unter der nächsten Laterne
den
ohnmächtigen Häcksel liegen sah.
Inzwischen hatten sich
aber die beiden Flohweiber schon laut verständigt und verstanden.
„Ich habe da einen Esel
von einem Kerl,“ rief Zinnoberchen der andern Flöhin, die sich
„Vielliebchen“
nannte, zu. „Ich will nicht in der Nacht mit dem Dickschädel zusammen
erfrieren. Wissen Sie nicht, wie man einen solchen Tölpel zur Besinnung
zurückruft? Ich habe nämlich Eile und will auf ihm weiterreiten. Nein,
was
einen doch manchmal die Menschentiere ärgern können! Ich habe
ihn schon
in den Augendeckel gebissen, aber er schlägt die Augen nicht auf.“
„Guten Abend,“ rief
Vielliebchen vom Nacken des Mädchens. „Ist Ihnen Ihr Mensch gestürzt?
Ach Gott,
springen Sie doch lieber ab und kommen Sie herüber zu mir. Ich nehme
Sie auf
meinem Vieh mit zur Stadt.“
„Ach, nein, das geht
nicht,“ pfiff Zinnoberchen, „ich würde den Schwächling schon gern
verlassen, da
er doch bald krepiert, der Kerl. Aber erst muss er mich doch noch nach
unserem
Bergwerk zurücktragen.“
„Ah, ah, Sie sind aus
einem Bergwerk,“ wunderte sich die Stadtflöhin laut. „Sie sind wohl zum
Tanzvergnügen in die Stadt gekommen?“
„Ja, hm, hm,“ meinte die
Flöhin Häcksels, welche sich ärgerte, dass die Rednerin kein Floh war,
den sie
hätte ins Bergwerk einladen können. Doch ihren Auftrag, Männer zu
suchen,
wollte sie nicht gleich verraten.
Der Kopf der „Königin der
Nacht“ bog sich eben ganz nah über Häcksels Kopf, und die beiden
Flohfrauen
konnten sich schweigend betrachten, indessen die maskierte Menschenfrau
die
Westentaschen des besinnungslosen Bergmannes nach Geld durchsuchte. Als
sie nichts
fand, nahm sie die Stiefel, die neben Häcksel lagen, und warf den einen
über
den Bretterzaun dem Arbeiter am Ofen an den Kopf.
„Das geht nicht. Den
Stiefel her, sie muss sofort den Stiefel wieder holen,“ begehrte heftig
ärgerlich Zinnoberchen. „Wir brauchen den Stiefel zum Heimweg.“
„Den Stiefel her,“ rief
jetzt auch Vielliebchen.
„Er kommt schon,“
antwortete ein dritter weiblicher Floh fernher vom Bauch des Arbeiters
am
Trockenofen. Und zugleich warf der erboste Arbeiter, der das
Wurfgeschoss im
Eifer für einen zweiten Backstein gehalten hatte, den Stiefel über den
Zaun
zurück, und er fiel Häcksel auf die Stirn, sodass der Besinnungslose
erwachte,
als eben die Maskierte seine Hosentasche nach Geld durchsuchen wollte.
„O, o,“ seufzte Häcksel
und starrte auf die in schwarze Schleier gehüllte Gestalt, an der
unzählige
stählerne aufgenähte Paillettensterne im Laternenlicht bläulich
glitzerten.
„Wer bist du?“ fragte der Erwachte.
„Wer ich bin? Ich bin halt
eine von der Gasse. Ach, du betrachtest meine Sterne am Gewand! Ja, ich
stelle
nämlich die Königin der
Nacht vor. So heißt man meine Maskentracht.“
Verdutzt und verblödet vor
Schwäche und Staunen schüttelte Häcksel den Kopf.
„Wenn ich nur was zu essen
hätte,“ murmelte er, „dann wär alles gut.“
„Wenn du ein Geld hast,
gehst halt mit mir; ich bring dich schon wohin, wo du bald satt wirst.“
Erschrocken fuhr Häcksel
mit den Händen um seinen Leib und tastete nach seinem Leibgurt, und er
wurde
kräftig, als er merkte, dass ihm die Silbergulden nicht fehlten.
Nachdem er verwundert
zugesehen, wie ihm die Königin der Nacht geholfen, die Stiefel
anzuziehen,
wanderten beide nebeneinander weiter.
Aber vorher sah Häcksel
noch etwas Schreckliches. Er erblickte durch die offenstehende
Plankentür im
Erdgeschoss eines Hauses einen großen fensterlosen Raum, dort stand ein
glühender Ofen, und vor der offenen roten Ofentüre stocherte ein Mann
mit zwei
Gesichtern im Feuer herum.
„Was tut der dort?“
stotterte Häcksel erschrocken.
„Komm weiter!“ sagte die
geheimnisvolle Schwarzverschleierte,
„das ist mein Schatz gewesen, der war mit mir beim Tanzen heute. Aber
ich lass
ihn laufen, weil der arme Teufel kein Geld nie hat. Du bist jetzt mein
Schatz,
wenn du ein Geld hast. Aber erst zeigen!“
„Was zeigen?“ fragte
Häcksel.
„Geld zeigen,“ schnauzte
ihn die Königin der Nacht barsch an.
„Niemals,“ gab der Verwirrte
zurück. „Das ist mein Begräbnisgeld, das verausgabe ich nicht fürs
Tanzen. Das
gäb ich auch nicht dem Teufel!“
„Was, du Aff, du blöder,“
kreischte ihn das Frauenzimmer an. „Von mir aus kannst du dich auf dem
Mist
begraben lassen!“ Und da sie von fern den Schritt eines Schutzmannes
hörte, gab
das Frauenzimmer dem Häcksel eine sausende Ohrfeige und sprang in die
Nacht
davon.
Dieser Backenstreich hatte
das Gute, dass er den Burschen wärmer machte, als wenn er einen Kognak
bekommen
hätte. Und ganz wach geworden, begann auch er zu laufen, so rasch er
konnte,
dorthin, wo am Ende der dunklen Neubautenstraße der Nachthimmel heller
leuchtete, und wo ihm Leben zu sein schien, das ihn lockte.
„Danke Ihnen!“ hatte Zinnoberchen dem
Vielliebchen noch nachgerufen, als sie spürte, wie ihr Menschenvieh
wieder
flott weitertrabte. Sie hatte, während Häcksel sich mit Hilfe des
Mädchens
aufgerafft hatte, allerhand Ratschläge von der Flöhin erhalten,
besonders
nachdem sie berichtet hatte, welches ihr Reisezweck war. „Sie müssen
Ihren Kerl
in ein Haftlokal lenken,“ hatte ihr die kluge Stadtflöhin noch zuletzt
geraten.
„Dort wimmelt es von allerhand Möglichkeiten, Flohmännerbekanntschaften
zu
schließen.“ Dann hatte sie ihrem Menschenvieh ins Ohr geschrien:
„Haue
ihm eine
Ohrfeige hin.“ Was auch geschah. Also ermuntert von dem guten Einfall
Vielliebchens,
war Häcksel stark und unternehmend ins Leben zurückgekehrt und fühlte
sein Blut
besonders auf der linken Gesichtshälfte, wo der Schlag hingefallen,
angenehm
warm kreisen.
Man ist doch in der
Hauptstadt gleich mitten im Leben, dachte heiß der Geohrfeigte. Die
Königin der
Nacht und der Teufel sind mir schon begegnet. In unserem Bergwerk
daheim werden
die Flöhe staunen, wenn sie davon hören.
Und
er überzeugte sich,
mit dem Zeigefinger hinter
sein Ohr tastend, dass er die Flöhin Zinnoberchen noch nicht verloren
hatte,
und war zufrieden darüber.
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weiter
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Textgrundlage: "Häcksel und die Bergwerkflöhe"
Max Dauthendrey, aus: Geschichten aus
den
Vier Winden", Seite 77 - 128.
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Sedlo Stola Sv.", Urheber:
Biodedek,
2010,
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