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Literatur


04.3



Geschichten

Max Dauthendey




Häcksel und die Bergwerkflöhe II


„Nein, nein und nochmals nein,“ antwortete aber darauf das linke Ohr, das von Zinnoberchen beraten war. „Es ist eine höhere Notwendigkeit, warum ich das Bergwerk heute verließ.“

„Eine höhere Notwendigkeit?“ echote es in Häcksel erstaunt.

„Jawohl,“ rief die Flöhin auf Häcksels Kopf von links. „Dass ich heute reise, geschieht aus allerhöchster Notwendigkeit. Ich bin eine Abgesandte. Ich muss Flohmänner ins Bergwerk herbeiholen, frische kräftige gesunde starke Flohkerle.“

„Warum ist Stänker, mein Leibfloh, zu diesem Auftrag nicht gut genug gewesen,“ fragte Häcksel ein wenig verletzt die Flöhin.

„Hat man je gehört, dass ein Flohkerl so reizend ist, dass seinetwegen andere Flohkerle einen Sprung machen? Es muss schon eine Flöhin kommen, wenn Flohmänner sich holen lassen sollen.“

„Und da hat man dich also, die Zarteste, mit mir nach München geschickt?“

„Ach was! Man hat nicht mich mit dir geschickt. Sondern du bist von mir und uns allen ausersehen worden, mich nach München zu bringen,“ behauptete die Abgesandte hinter Häcksels Ohr.

„Ich gehe meinethalben und nicht deinethalben, nicht in Flohangelegenheiten, sondern in meinen gesunden Todesangelegenheiten gehe ich nach München,“ meinte Häcksel störrisch, als eben das Morgenlicht aus den Waldbäumen grell auf seine Nase schien. „Licht und Lärm kommen immer zusammen,“  fügte er mürrisch und gereizt hinzu. „Wenn ich nun aber umkehre?“ setzte er fort. „Was dann?“

„Dann lassen wir dir irgend etwas Schlechtes geschehen. Unsere Art zu erhalten, dazu ist uns kein Ausweg zu ungeheuer. Und ein Menschenleben ist noch lange kein Flohleben wert, noch dazu ein so wackeliges Menschenleben wie deines, das nur noch an einem Faden, sagen wir lieber, nur noch an einem Fädchen hängt.“

„Ich wusste es ja,“ schmunzelte Häcksel plötzlich aufgeräumt. „Ich sterbe bald. Ich habe es auch nur deshalb so eilig, weil ich die alten Gulden umwechseln will, um Geld zu einem schönen Begräbnis bereit zu haben.“

„Den Glauben will ich dir gern lassen,“ meinte die Flöhin zweideutig.

„Wie meinst du das?“ fuhr Häcksel auf. „Werde ich am Ende doch nicht bald sterben? Oder werde ich das Geld am Ende gar nicht zum Begräbnis verwenden dürfen?“

„Das kommt darauf an. Versprechungen oder gar Belehrungen teilen wir Flöhe eigentlich selten aus. Wir denken zuerst an uns. Und da du als Mensch in unserer Flohgewalt bist, musst du gehorchen.“

„Hoho!“ hustete Häcksel und hustete sich blaurot vor Eifer. „Ich bin in niemandes Gewalt. Ich bin ein freier Bergwerkarbeiter. Nicht mal der Grubenherr hat mir außerhalb des Bergwerkes etwas zu sagen. Heutzutage herrscht Freiheit im Arbeitervolk. Wir sind keine altmodischen Knechte mehr.“

„Dass ich nicht lach,“ kicherte Zinnoberchen und ließ das schaukelnde Schläfenhaar los, sprang zurück und biss herzhaft dem Häcksel in das linke Ohrwatschel, sodass ein Blutstropfen, groß wie der dickste Floh, dem Burschen aus der Haut quoll.

Häcksel hielt wie immer still, wenn ihn ein Floh biss, teils um seiner Gesellschaft nicht verlustig zu gehen, teils weil er es so seit Väterszeiten im Bergwerk gewöhnt war.
Zinnoberchen setzte sich an den Blutstropfen, sagte nichts mehr und frühstückte lebhaft beschäftigt, während der arme Bursche unter den kahlen Waldbäumen ging, manchmal von Husten geschüttelt und von Hunger gekrümmt.

Als die Flöhin von Menschenblut satt war, sagte sie nicht einmal „danke“, sondern kroch unter dem Mützenrand unten durch auf Häcksels Kopf, wo die Luft zwischen Haar und Mützenfutter gemütlich warm war. Dort machte sie sich’s bequem. Zuerst putzte sie ihre furchtbaren Beißwerkzeuge, strich dann ihre gewaltigen Springbeine glatt, dehnte sich und streckte sich auf dem weichen fettigen Haarboden zu einem Verdauungsschläfchen aus. Sie hüstelte nicht, sie dachte nicht an den Tod. Sie dachte nur an Lebensfortsetzung und Lebensgenuss. Sie murmelte im Einschlafen, indem sie mit den Hinterbeinen zum Vergnügen ein wenig auf den Haarboden trommelte: „Dummkopf! Dummkopf! Du meinst, du bist der Stärkere! Du, der mir doch zum Frühstück dienen muss!“ Dann schlief die altadlige Flöhin aus dem vornehmen Bergwerkgeschlecht sanft ein, indessen der hungrige Bergmann unter ihr wie ein Kamel weitertrabte und hungernd und hustend den Bahnhof des nächsten Dorfes erreichte.

Häcksel hatte auf der letzten Strecke zum Bahnhof stark nachgegrübelt, wie er unauffällig mit dem nächsten Zug nach München kommen könnte. Niemand sollte seine Abwesenheit oder seine Reise bemerken. Da war ihm eingefallen, dass immer ein langer Kohlengüterzug um diese Morgenstunde München fuhr. Er kannte aber den Bremser des Zuges, und dieses schien ihm gefährlich, denn er wollte sich niemandem anvertrauen, um seine Silbergulden ungestört umwechseln zu können. Er beschloss, sich unter einem Kohlenwagen anzuklammern und dort in dem Versteck sich nach München fahren zu lassen.

Der Kohlenzug kam immer langsam und gemächlich daher und hielt einen Augenblick draußen vor dem Bahnhof, bis die Weiche gestellt wurde und er dann ebenso gemächlich weitertrotten konnte. Dieses hatte Häcksel früher beobachtet, und diesen Augenblick wollte er benutzen und sich unter den Wagen an den Ketten dort anhängen. Der Platz war schrecklich unheimlich und grauenhaft qualvoll, und der Güterzug würde erst in der Nacht in München ankommen. Aber was machte das dem Burschen, der so dringend ein reiches Begräbnis erster Klasse haben wollte. Für die Ehren, die seinen Leichnam später dann einmal erwarten würden, hätte er gern noch Schlimmeres ertragen.

Indessen nun der junge Bergmann eingeklemmt und gemartert zwischen Rädern, Ketten und Eisenstangen hing und in ewiger Todesgefahr schwebte und der furchtbare Eisenlärm,  das Schütteln und Rasseln und Stampfen des Wagens, unter dem er schweißtriefend angeklammert war, ihn zu betäuben drohte, schlief die Flöhin im Kopfhaar des Burschen köstlich, und wenn sie hungrig wurde, krabbelte sie an Häcksels Nacken entlang und suchte sich eine möglichst zarte Stelle seines Rückens oder seiner Brust aus, biss herzhaft zu und sog das süße heiße Menschenblut in sich ein.

So kamen beide, jedes auf seine Art, vorwärts. Der Mensch geplagt, geängstigt und verliebt in seinen Tod, der Floh zufrieden, gesättigt und verliebt in Blut und Leben.

Spät in der Nacht fuhr der Güterzug langsam in den Bahngeleisen von München ein. Unbemerkt machte der erschöpfte blinde Mitreisende sich unter dem Wagen los und schlich sich im Güterbahnhof auf Seitenwegen über Schienen, über einen Stachelzaun und eine Plankenwand kletternd davon.
Der Güterbahnhof lag abseits, und in dem Stadtviertel in nächster Nähe standen einfache schweigende Häuserreihen, und in weiten Abständen brannten einsame Laternen. Häcksel wollte einen Gasthof aufsuchen und am nächsten Morgen die alten Guldenstücke umwechseln und dann mit der Bahn gemächlich auf einem Sitzplatz zurückfahren und auf einer Haltestelle, etwas entfernt vom Heimatdorf, aussteigen. So würde dann die Reise unbemerkt geblieben sein, er wäre dann nur als Waldverirrter in die Kohlengrube zurückgekehrt und hätte ohne viel Worte seine Arbeit im Stollen aufgenommen, nachdem das gewechselte Geld im Strohsack versteckt und eingenäht worden wäre.

Aber es sind immer bei Entschlüssen mehrere Mächte mitbeteiligt, und niemand führt einen Entschluss allein aus. Das sollte jeder bedenken, ehe er Heimliches tun will. Unser Alleinsein ist immer nur ein scheinbares, in Wirklichkeit ist jedes Handeln unsichtbar mit tausend Mithandelnden verknüpft.

So hatte Häcksel nicht daran gedacht, dass nach der langen Fahrt unter dem Kohlenwagen sein Kopf betäubt, seine Kräfte erschöpft, sein Herz schreckhaft und gedankenlos sein würde, wie es nicht am Morgen, da er frisch ausgeschlafen die Reise angetreten, gewesen war.

Außerdem hatte er vergessen, dass es Fastnachtsonntag war. Der Fastnachttrubel in der Großstadt München war ihm ganz unbekannt.  Häcksel lebte jahraus, jahrein menschenscheu und ins Bergwerkleben versunken, sodass er ganz abseits stand von allen Lebenserfahrungen. Nie war er in einer Stadt gewesen, nichts wusste er von Faschingstagen, nichts vom närrischen Treiben einer Maskenwelt, die er nie gesehen oder erlebt hatte.

So ging er, in München angekommen, mit schwankenden müden Knien unter den dunkeln Vorstadthäusern hin, die ihn mit ihren vielen Stockwerken und ihren vielen dunkeln Fenstern einschüchterten. Als seine Schritte in der Nacht so einsam auf dem leeren Vorstadtpflaster hallten, wurde ihm schwindlig vor Hunger, Schwäche und Aufregung. Und ängstlich gemacht, weil er glaubte, die stillen Häuserbewohner wecken zu können, zog er seine harten Stiefel aus und ging auf lautlosen Socken weiter.

Er hatte keine Ahnung, dass in den leeren Häusern, die meistens Neubauten waren, noch gar keine Menschen wohnten, und so schlich er an den unbewohnten frischweißen Häusern stumm und behutsam und lautlos wie ein Nachtvogel hin und wusste nicht, dass er wie ein ertappter Dieb aussah.

Zinnoberchen aber, seine Flohherrin, längst wach und aufmerksam und witterte mit Begierde, von Häcksels linker Schläfe aus, die tausend Flöhe der Stadt München, die jetzt in der Nacht alle auf waren und springend bei Tanz und Leibesfreuden wacher als die Sterne am kalten Februarhimmel lebten. Trotzdem die Häuser hier unbewohnt waren, witterte die eifrige Flöhin den menschlichen Blutgeruch aus den nächsten bewohnten Stadtteilen, und Häcksels Beine gingen ihr viel zu langsam vorwärts; sie wäre am liebsten in großen Sprüngen über die nächsten Dächer dem vor Schwäche taumelnden Häcksel vorausgeeilt.

Und nun stieß Häcksel gar mit dem Kopf an einen Laternenpfahl, wankte und fiel, von Hunger und Überanstrengung geschwächt, besinnungslos neben der Laterne nieder.

Das brachte die Flöhin ganz aus ihrer Ruhe, und sie stieß einen jener Pfiffe aus, den nur die feinen Flohohren hören können, der aber weiter zu hören ist als jeder Menschenruf. Dem groben Menschenohr aber ist ein Flohpfiff zu fein, das menschliche Trommelfell steht wie eine Mauer tot dort, wo ein Flohohr noch Laute hört. Sofort antwortete der Flöhin ein Antwortpfiff. Es war aber kein Floh, sondern auch eine Flöhin, die sich aus einem Neubau bemerkbar machte. Im dunkeln Bau brannte ein rot glühender Trockenofen und dort bei dem Arbeiter, der den Ofen bewachte, saß ein Mädchen auf ein paar aufgeschichteten Backsteinen. Das hatte die Flöhin, die Häcksels Flöhin zupfiff, im Nacken sitzen. Der Arbeiter vor dem Ofen hatte eine Teufelsmaske auf seine Stirn hinaufgerückt, so zeigte er zwei Gesichter übereinander. Der Mann war gerade von einem Maskenball in der Nacht auf den Bau gekommen, und seine Tänzerin, die eine „Königin der Nacht“ vorstellte, hatte ihn begleitet. Beide stritten eben, wer von ihnen das meiste seiner Habe zum Pfandhaus getragen habe. Das Mädchen behauptete, sie habe nur noch einen Sonnenschirm bei einer Tante vergessen, den könne sie morgen noch versetzen. Der Arbeiter aber behauptete, das Mädchen habe ihn betrogen, weil sie bei einer Freundin noch ein Bügeleisen verborgen halte, das sie nicht versetzen wolle. Er sagte, er wolle morgen nicht mehr mit ihr zum Tanzen gehen, sie solle sich einen andern Tänzer suchen.

„Ich habe auch noch einen Floh, den ich nicht versetzt habe,“ lachte das Mädchen übermütig und sagte frech, sie werde sich nicht erst morgen, sondern gleich für diese Karnevalsnacht noch einen neuen Tänzer suchen.

Der Arbeiter gab ihr einen Tritt, dass sie von den Backsteinen aufflog und es an der Zeit fand zu verschwinden. Aber ehe sie ging, warf sie noch einen Backstein hinter sich in den Trockenofen, so dass Funken und Feuer dem fluchenden Mann um seine zwei Gesichter flogen.

Die Königin der Nacht öffnete rasch die Plankenzauntüre und wollte nochmals dem Arbeiter eine rohe Antwort zurückrufen, als sie nahe bei sich unter der nächsten Laterne den ohnmächtigen Häcksel liegen sah.

Inzwischen hatten sich aber die beiden Flohweiber schon laut verständigt und verstanden.

„Ich habe da einen Esel von einem Kerl,“ rief Zinnoberchen der andern Flöhin, die sich „Vielliebchen“ nannte, zu. „Ich will nicht in der Nacht mit dem Dickschädel zusammen erfrieren. Wissen Sie nicht, wie man einen solchen Tölpel zur Besinnung zurückruft? Ich habe nämlich Eile und will auf ihm weiterreiten. Nein, was einen doch manchmal die Menschentiere ärgern können! Ich habe ihn schon in den Augendeckel gebissen, aber er schlägt die Augen nicht auf.“

„Guten Abend,“ rief Vielliebchen vom Nacken des Mädchens. „Ist Ihnen Ihr Mensch gestürzt? Ach Gott, springen Sie doch lieber ab und kommen Sie herüber zu mir. Ich nehme Sie auf meinem Vieh mit zur Stadt.“

„Ach, nein, das geht nicht,“ pfiff Zinnoberchen, „ich würde den Schwächling schon gern verlassen, da er doch bald krepiert, der Kerl. Aber erst muss er mich doch noch nach unserem Bergwerk zurücktragen.“

„Ah, ah, Sie sind aus einem Bergwerk,“ wunderte sich die Stadtflöhin laut. „Sie sind wohl zum Tanzvergnügen in die Stadt gekommen?“

„Ja, hm, hm,“ meinte die Flöhin Häcksels, welche sich ärgerte, dass die Rednerin kein Floh war, den sie hätte ins Bergwerk einladen können. Doch ihren Auftrag, Männer zu suchen, wollte sie nicht gleich verraten.

Der Kopf der „Königin der Nacht“ bog sich eben ganz nah über Häcksels Kopf, und die beiden Flohfrauen konnten sich schweigend betrachten, indessen die maskierte Menschenfrau die Westentaschen des besinnungslosen Bergmannes nach Geld durchsuchte. Als sie nichts fand, nahm sie die Stiefel, die neben Häcksel lagen, und warf den einen über den Bretterzaun dem Arbeiter am Ofen an den Kopf.

„Das geht nicht. Den Stiefel her, sie muss sofort den Stiefel wieder holen,“ begehrte heftig ärgerlich Zinnoberchen. „Wir brauchen den Stiefel zum Heimweg.“

„Den Stiefel her,“ rief jetzt auch Vielliebchen.

„Er kommt schon,“ antwortete ein dritter weiblicher Floh fernher vom Bauch des Arbeiters am Trockenofen. Und zugleich warf der erboste Arbeiter, der das Wurfgeschoss im Eifer für einen zweiten Backstein gehalten hatte, den Stiefel über den Zaun zurück, und er fiel Häcksel auf die Stirn, sodass der Besinnungslose erwachte, als eben die Maskierte seine Hosentasche nach Geld durchsuchen wollte.

„O, o,“ seufzte Häcksel und starrte auf die in schwarze Schleier gehüllte Gestalt, an der unzählige stählerne aufgenähte Paillettensterne im Laternenlicht bläulich glitzerten. „Wer bist du?“ fragte der Erwachte.

„Wer ich bin? Ich bin halt eine von der Gasse. Ach, du betrachtest meine Sterne am Gewand! Ja, ich stelle nämlich die Königin der Nacht vor. So heißt man meine Maskentracht.“

Verdutzt und verblödet vor Schwäche und Staunen schüttelte Häcksel den Kopf.

„Wenn ich nur was zu essen hätte,“ murmelte er, „dann wär alles gut.“

„Wenn du ein Geld hast, gehst halt mit mir; ich bring dich schon wohin, wo du bald satt wirst.“

Erschrocken fuhr Häcksel mit den Händen um seinen Leib und tastete nach seinem Leibgurt, und er wurde kräftig, als er merkte, dass ihm die Silbergulden nicht fehlten.

Nachdem er verwundert zugesehen, wie ihm die Königin der Nacht geholfen, die Stiefel anzuziehen, wanderten beide nebeneinander weiter.

Aber vorher sah Häcksel noch etwas Schreckliches. Er erblickte durch die offenstehende Plankentür im Erdgeschoss eines Hauses einen großen fensterlosen Raum, dort stand ein glühender Ofen, und vor der offenen roten Ofentüre stocherte ein Mann mit zwei Gesichtern im Feuer herum.

„Was tut der dort?“ stotterte Häcksel erschrocken.

„Komm weiter!“ sagte die geheimnisvolle Schwarzverschleierte, „das ist mein Schatz gewesen, der war mit mir beim Tanzen heute. Aber ich lass ihn laufen, weil der arme Teufel kein Geld nie hat. Du bist jetzt mein Schatz, wenn du ein Geld hast. Aber erst zeigen!“

„Was zeigen?“ fragte Häcksel.

„Geld zeigen,“ schnauzte ihn die Königin der Nacht barsch an.

„Niemals,“ gab der Verwirrte zurück. „Das ist mein Begräbnisgeld, das verausgabe ich nicht fürs Tanzen. Das gäb ich auch nicht dem Teufel!“

„Was, du Aff, du blöder,“ kreischte ihn das Frauenzimmer an. „Von mir aus kannst du dich auf dem Mist begraben lassen!“ Und da sie von fern den Schritt eines Schutzmannes hörte, gab das Frauenzimmer dem Häcksel eine sausende Ohrfeige und sprang in die Nacht davon.

Dieser Backenstreich hatte das Gute, dass er den Burschen wärmer machte, als wenn er einen Kognak bekommen hätte. Und ganz wach geworden, begann auch er zu laufen, so rasch er konnte, dorthin, wo am Ende der dunklen Neubautenstraße der Nachthimmel heller leuchtete, und wo ihm Leben zu sein schien, das ihn lockte.

„Danke Ihnen!“ hatte Zinnoberchen dem Vielliebchen noch nachgerufen, als sie spürte, wie ihr Menschenvieh wieder flott weitertrabte. Sie hatte, während Häcksel sich mit Hilfe des Mädchens aufgerafft hatte, allerhand Ratschläge von der Flöhin erhalten, besonders nachdem sie berichtet hatte, welches ihr Reisezweck war. „Sie müssen Ihren Kerl in ein Haftlokal lenken,“ hatte ihr die kluge Stadtflöhin noch zuletzt geraten. „Dort wimmelt es von allerhand Möglichkeiten, Flohmännerbekanntschaften zu schließen.“ Dann hatte sie ihrem Menschenvieh ins Ohr geschrien:

„Haue ihm eine Ohrfeige hin.“ Was auch geschah. Also ermuntert von dem guten Einfall Vielliebchens, war Häcksel stark und unternehmend ins Leben zurückgekehrt und fühlte sein Blut besonders auf der linken Gesichtshälfte, wo der Schlag hingefallen, angenehm warm kreisen.

Man ist doch in der Hauptstadt gleich mitten im Leben, dachte heiß der Geohrfeigte. Die Königin der Nacht und der Teufel sind mir schon begegnet. In unserem Bergwerk daheim werden die Flöhe staunen, wenn sie davon hören.

Und er überzeugte sich, mit dem Zeigefinger hinter sein Ohr tastend, dass er die Flöhin Zinnoberchen noch nicht verloren hatte, und war zufrieden darüber.

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Textgrundlage:
"Häcksel und die Bergwerkflöhe"
Max Dauthendrey, aus: Geschichten aus den
Vier Winden", Seite 77 - 128.

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