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Literatur


04.3



Geschichten

Max Dauthendey



 Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen II

Claudia prahlte niemals mit ihren Anbetern.  Nur einmal, als ich sie tief unglücklich antraf und ganz natürlich fragte: „Wie sind Sie denn mit diesem Mann zusammengekommen, der Ihnen jetzt so viel Qualen bereitet?“, da erzählte sie diese kleine Verlobungsperiode, und sie schloss: „Gerade weil mich der Freund jenes Adeligen vor Dagon warnte und mir Unheil prophezeite, gerade das war es, was mich herausforderte, Dagon erst recht zu wählen. Es machte mir Lust, mit meinem Geliebten Seele gegen Seele zu ringen. Das fabelhaft Verwandlungsfähige seiner Seele reizte die eisernen, starren und gefestigten Lebensbegriffe in mir. Mir war, als könnte Dagon alles Feste in Wolken auflösen. Mir war, als sähe ich einem Zauberer zu, wenn er mich leise und lächelnd schon in der ersten Zeit unseres Bekanntwerdens belügen konnte. Dann drang ich mit meinen Augen in ihn ein, und mir war, als müsste ich das Lügen aus ihm ausbrennen. Er lächelte wieder und log hilflos weiter und tat, als hätte ich wirklich das leichte Lügen an der feinsten Wurzel in ihm abgetötet. Aber ich ahnte ja nicht, dass er immer wieder neue Fäden der Lüge hinter sich herziehen konnte, wie die Spinne ihre Fäden, daran sie tanzt, daran sie sich über Abgründe schwingt.  Während ich aber glaubte, in Dagon die Lüge abzutöten, wurde ich langsam von ihm abgetötet, entkräftet. Denn Unheil ist sein Schaffen, und nur Unheil war er für mein ganzes Leben.“

Und Claudia erzählte weiter:

„Am ersten Weihnachtsfest, das wir zusammen als Verlobte feiern wollten, reiste ich zum erstenmal in meinem Leben zum Fest nicht nach Hause, trotz der Bitten meiner Eltern und Geschwister und obwohl ich wusste, dass mein Vater alt und krank war. Aber am Nachmittag des Weihnachtsabends, auf den ich mich so sehr gefreut hatte, bekam ich ein Telegramm, das mir den Tod meines Vaters anzeigte. Ich saß eine Stunde später im Eisenbahnzug und durfte den Abend weder bei dem geliebten Mann, noch in meiner geliebten Familie verbringen, sondern war in einer Hölle von Einsamkeit, zwischen zwei Zielen hin und her schwankend, zwischen dem Ziel des Lebens und dem Ziel des Todes. Leidend, weinend und erschüttert saß ich in der weihevollen Nacht als einziger Reisender im leeren Zug, von Selbstvorwürfen gepeinigt, weil ich meinem toten Vater den letzten Wunsch nicht erfüllt hatte, ihn auf seinem Krankenbett am Weihnachtsabend zu besuchen.

Ich hatte nun an diesem Abend nichts, weder den Geliebten, noch das Heim. Ich hatte die Leere. Das war der Anfang des Verschlingens, das von Dagon ausgeht. Aber ich hatte mir Dagon gewählt, das musste ich mir immer wieder sagen. Ich hätte auf dem Landgut des Adeligen vielleicht ein ruhiges, sesshaftes Leben führen können, gepflegt von einem mich aufrichtig Liebenden. Ich hatte es nicht gewollt. Mich hat der Kampf mit dem Unklaren, Ungewissen gelockt. Ich wusste es damals nicht: es ist der Kampf mit dem Nichts gewesen.“

So erzählte mir Claudia ohne Pathos, ohne große Geste, mit schwarzblanken Augen, die glänzend zu sein schienen von den Abgründen ihres Unglückes. Es war auch, als triumphiere in ihrem Blick das Bewusstsein des Unentrinnbaren, als käme sich jene Frau selbst erstaunlich vor und als ließe sie ihr Erstaunen über sich aus ihrer Augenschwärze strahlen. Deshalb klagte sie eigentlich nicht, wie andere klagen, wenn sie Grauenhaftes, Martervolles erleben. Sie lebt in einer Unglücksekstase, und mir scheint, ihre Augen werden immer glänzender, je unglücklicher sie von Jahr zu Jahr wird.

Nur einmal in jenem Winter erschrak ich. Da verflüchtigte sich das Feuer ihres Willens zum Unglück. Ihre Augen sahen so verklärt aus, als ginge sie nur noch mit den Zehenspitzen wie eine Traumwandlerin auf den Dächern der Welt.

Als Claudia und Dagon ein Jahr verheiratet waren und sie sich schwanger werden fühlte, waren sie beide nach Kanada ausgewandert. Sie wusste nicht mehr, wer zuerst den Plan gehegt hatte. Sicher blieb nur, dass es ihr Unglück war, dass er ausgeführt wurde. Sie, die schon damals fühlte, dass sie in dem Mann so wenig Sicherheit hatte, als wenn sie sich an seinen Schatten anklammern würde, hatte begeistert den Weg ins freiheitliche Amerika angetreten, schwärmend für alles Großzügige, Unbegrenzte, nie Dagewesene. Dort in dem jugendlichen Land Amerika, wo die Frau den Mann regiert, hoffte Claudia vielleicht, Dagon allein für sich zu bekommen und seine Augen, die alle Frauen wie Irrlichter umgleiten konnten, zum festen Blick zu zwingen, der sich dann von ihrem Herzen nicht mehr abwenden sollte. Denn Claudia wollte Dagons eidechsenhaften Seelenbewegungen die schwerthafte Stärke ihrer Augen geben.

Aber was half es ihr. Alle ihre Kraft verpuffte nur wie nasses Pulver, da Dagons Schicksal feindlich gegen ihr Schicksal gerichtet war.

Kaum waren beide in Amerika gelandet, so erhielten sie die Nachricht, dass Dagon seinen Vater verloren habe und wegen wichtiger Erbschaftsangelegenheiten nach Deutschland zurückkehren müsse.

Claudia konnte nicht umkehren; sie hatte eben ihr erstes Kind geboren und lag zu Bett. Und Dagon entglitt ihr, wie sie es immer erwartet hatte. Der Ozean trennte sie bald. Sie, die keine Stunde ohne ihn sein wollte, war gezwungen, ihm von einem Weltteil zum andern nachzuklagen. Und als Dagon später Claudia nachkommen ließ und sie in Europa erwartete, hatten sie nicht den Ozean hinter sich gelassen, als sie sich wieder die Hände reichten. Zwischen ihrer beider Augen blieb der erste Ozean der Trennung, und viele Ozeane folgten, die sich einer an den andern reihten. Denn Dagon hatte Claudia von da ab mit der und jener Frau betrogen, mit der und jener Freundin. Wenn sie auch immer Geständnisse aus ihm herauslockte, das Urversprechen einer Treue, einer männlichen Festigkeit,  auf der ihre schwarzen Augen ruhen wollten, konnte sie Dagon nie abringen.

Claudia warf sich dann auf die Arbeit. Sie hatte studiert, hatte ihr Examen gemacht. Sie wurde Ärztin und arbeitete an Dagons Seite unentwegt und damals noch ungelähmt. Sie tat ihre Arbeit gern, um ihren Mann zu ihrem Schuldner zu machen. Denn Dagon hatte kein Vermögen geerbt, wie sie beide es erwartet hatten. Dagons Geschwister hatten es vermocht, den sterbenden Vater zu veranlassen, seinen leichtlebigen Sohn zu enterben, ihn nur auf Pflichtteil zu setzen, und dieses Geld sollte Claudias Kindern und nicht Dagon ausgezahlt werden.

Sie verdiente nun neben ihrem Mann, denn sie hatten beide hohe Lebensansprüche. Die Luft um Dagon wurde immer trüber. Er blieb halbe Tage fort, ohne dass Claudia wusste, wo er war. Sie erfuhr immer wieder von neuen kleinen Leidenschaften zu Frauen aller Kreise, die Dagon fesselten und die er ausleben musste.

Er selbst spaßte nur darüber, als wären seine Liebeserlebnisse nicht mehr als kleine Warzen an der Hand, die kommen und gehen und dem Wohlergehen nicht weiter schädlich sind.

Bei jedem neuen Erlebnis ihres Mannes hoffte Claudia, es würde das letzte sein. In jener Zeit war es einmal, dass ihr die Geduld plötzlich riss und sie ein Messer nach Dagon schleuderte, das in der Tür stecken blieb. Und endlich musste sie erkennen, dass ihres Mannes Seele, wenn sie nach ihr griff, immer ihrer Hand entglitt, so wie man den feinen Wüstensand nicht in der Hand behalten kann; denn wenn man die Faust zudrückt, rieselt dieser ewig bewegliche und ewig erhitzte Sand durch die Fingerritzen, und wenn man die Faust öffnet, hat man nichts in der Hand.

So war das Herz Dagons in der Hand Claudias. Wenn sie es noch eben festhielt, – es war nicht mehr da, wenn sie die Hand öffnete und nachsah.

Darüber wurde ihr eigenes Herz dürr. Es wurde von den Leiden und Schmerzen und von der Leidenschaft versüßt wie getrocknete Datteln, die zuckriges Fleisch um einen steinharten Kern tragen. Den Stein in Claudias Herzen löste nichts auf. Der Stein saß im süßen Fleisch unbeweglich, und das süße Fleisch welkte und dörrte.

Da wurde eines Tages Claudia von Verzweiflung gepackt. Ich war damals nicht in ihrer Nähe und hörte nur aus Briefen meiner Freunde, dass jene Frau ihrem Mann Gleiches mit Gleichem vergolten und sich einen Freund genommen hatte, einen jungen Kaukasier, mit dem sie fortgereist war, um ihre gereizten Gefühle zu beschwichtigen. Später hörte ich, dass sie diesen Freund wieder verlassen, ihr und Dagons Kind zu sich genommen habe und in verschiedenen Weltteilen allein herumreise. Sie hatte nach dem Tode ihrer Mutter ein Vermögen geerbt, und da ihr die Arbeit keine Freude mehr machte, lebte sie in dem Genuss des Müßiggangs. Die Liebeslust und die Arbeitslust waren in ihr abgetötet. Sie lebte dem Kinde, das sie fernhalten wollte von dem Unheilschatten jenes Mannes, dem sie glaubte entronnen zu sein.

Er aber lebte wie ein Junggeselle, bald hier, bald dort, in den verschiedensten Städten, vertiefte sich in Wissenschaften, wie er sich in Frauen vertiefte, hastig, blendend und geblendet.

Dann plötzlich eines Tages, als ich in jene Großstadt kam, wo Claudia und Dagon vorher gewohnt hatten, hörte ich, dass beide wieder zusammenlebten. Ich besuchte sie. Da hingen im Korridor große welke Kränze mit langen breiten Seidenbändern. Dagon glaubte plötzlich eine musikalische Begabung bei sich entdeckt zu haben und hatte öffentlich eigene Kompositionen gespielt und seine ersten Konzerte gegeben.

Seltsamerweise hatten alle Wohnungen, welche jene beiden Menschen bewohnten, den gleichen hellen und lichten Reiz eines glücklichen Heims. Niemand konnte in diesen weiten, behaglichen und lässig vornehm eingerichteten Räumen vermuten, dass hier zwei hausten, die sich marterten. Beider Zartfühligkeit traf sich hier und vereinigte sich im Ausdruck von Möbeln, Spiegel und Bildern. Die innere Zartfühligkeit Claudias gab den Räumen vornehme Ruhe, und die äußere Zartfühligkeit Dagons gab den Räumen jene unnachahmbare lässige Vornehmheit, die den Besucher glücklich einlullte. Erlesene Bücher, erlesene Kunstwerke und Musikinstrumente täuschten jeden, der nicht eingeweiht war in die Herzensschrecknisse, die sich hier zwischen zwei Lebenskameraden abspielten.

Claudia leitete ihr Haus lautlos, erzog ihr Kind glücklich und wusste sich immer ihren Freunden in ihrem Äußeren reizvoll modisch in Kleid, Haartracht und Schmuck zu zeigen.


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Geschichte: "Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen"
Max Dauthendrey, aus: Geschichten aus den Vier Winden",
Seite 143 - 171.

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Logo 184:"Waldmärchen", Margret Hofheinz-Döring, 1965,
Aufbewahrungsort: Galerie Brigitte Mauch,
Göppingen, Quelle: Peter Mauch

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