Geschichten
Max Dauthendey
Auf
dem Weg zu den Eulenkäfigen II
Claudia prahlte niemals
mit ihren Anbetern.
Nur einmal, als ich sie tief unglücklich
antraf und ganz natürlich fragte: „Wie sind Sie denn mit diesem Mann
zusammengekommen, der Ihnen jetzt so viel Qualen bereitet?“, da
erzählte sie
diese kleine Verlobungsperiode, und sie schloss: „Gerade weil mich der
Freund
jenes Adeligen vor Dagon warnte und mir Unheil prophezeite, gerade das
war es,
was mich herausforderte, Dagon erst recht zu wählen. Es machte mir
Lust, mit
meinem Geliebten Seele gegen Seele zu ringen. Das fabelhaft
Verwandlungsfähige
seiner Seele reizte die eisernen, starren und gefestigten
Lebensbegriffe in
mir. Mir war, als könnte Dagon alles Feste in Wolken auflösen. Mir war,
als
sähe ich einem Zauberer zu, wenn er mich leise und lächelnd schon in
der ersten
Zeit unseres Bekanntwerdens belügen konnte. Dann drang ich mit meinen
Augen in
ihn ein, und mir war, als müsste ich das Lügen aus ihm ausbrennen. Er
lächelte
wieder und log hilflos weiter und tat, als hätte ich wirklich das
leichte Lügen
an der feinsten Wurzel in ihm abgetötet. Aber ich ahnte ja nicht, dass
er immer
wieder neue Fäden der Lüge hinter sich herziehen konnte, wie die Spinne
ihre
Fäden, daran sie tanzt, daran sie sich über Abgründe schwingt.
Während ich aber glaubte, in Dagon die Lüge
abzutöten, wurde ich langsam von ihm abgetötet, entkräftet. Denn Unheil
ist
sein Schaffen, und nur Unheil war er für mein ganzes Leben.“
Und Claudia erzählte
weiter:
„Am ersten
Weihnachtsfest, das wir zusammen als
Verlobte
feiern wollten, reiste ich zum erstenmal in meinem Leben zum Fest nicht
nach
Hause, trotz der Bitten meiner Eltern und Geschwister und obwohl ich
wusste,
dass mein Vater alt und krank war. Aber am Nachmittag des
Weihnachtsabends, auf
den ich mich so sehr gefreut hatte, bekam ich ein Telegramm, das mir
den Tod
meines Vaters anzeigte. Ich saß eine Stunde später im Eisenbahnzug und
durfte
den Abend weder bei dem geliebten Mann, noch in meiner geliebten
Familie
verbringen, sondern war in einer Hölle von Einsamkeit, zwischen zwei
Zielen hin
und her schwankend, zwischen dem Ziel des Lebens und dem Ziel des
Todes.
Leidend, weinend und erschüttert saß ich in der weihevollen Nacht als
einziger
Reisender im leeren Zug, von Selbstvorwürfen gepeinigt, weil ich meinem
toten
Vater den letzten Wunsch nicht erfüllt hatte, ihn auf seinem
Krankenbett am
Weihnachtsabend zu besuchen.
Ich hatte nun an diesem
Abend nichts, weder den
Geliebten, noch das Heim. Ich hatte die Leere. Das war der Anfang des
Verschlingens, das von Dagon ausgeht. Aber ich hatte mir Dagon gewählt,
das
musste ich mir immer wieder sagen. Ich hätte auf dem Landgut des
Adeligen
vielleicht ein ruhiges, sesshaftes Leben führen können, gepflegt von
einem mich
aufrichtig Liebenden. Ich hatte es nicht gewollt. Mich hat der Kampf
mit dem
Unklaren, Ungewissen gelockt. Ich wusste es damals nicht: es ist der
Kampf mit
dem Nichts gewesen.“
So erzählte mir Claudia
ohne Pathos, ohne große
Geste,
mit schwarzblanken Augen, die glänzend zu sein schienen von den
Abgründen ihres
Unglückes. Es war auch, als triumphiere in ihrem Blick das Bewusstsein
des
Unentrinnbaren, als käme sich jene Frau selbst erstaunlich vor und als
ließe
sie ihr Erstaunen über sich aus ihrer Augenschwärze strahlen. Deshalb
klagte
sie eigentlich nicht, wie andere klagen, wenn sie Grauenhaftes,
Martervolles
erleben. Sie lebt in einer Unglücksekstase, und mir scheint, ihre Augen
werden
immer glänzender, je unglücklicher sie von Jahr zu Jahr wird.
Nur einmal in jenem
Winter erschrak ich. Da
verflüchtigte
sich das Feuer ihres Willens zum Unglück. Ihre Augen sahen so verklärt
aus, als
ginge sie nur noch mit den Zehenspitzen wie eine Traumwandlerin auf den
Dächern
der Welt.
Als Claudia und Dagon ein
Jahr verheiratet waren
und sie
sich schwanger werden fühlte, waren sie beide nach Kanada ausgewandert.
Sie wusste
nicht mehr, wer zuerst den Plan gehegt hatte. Sicher blieb nur, dass es
ihr
Unglück war, dass er ausgeführt wurde. Sie, die schon damals fühlte,
dass sie
in dem Mann so wenig Sicherheit hatte, als wenn sie sich an seinen
Schatten
anklammern würde, hatte begeistert den Weg ins freiheitliche Amerika
angetreten, schwärmend für alles Großzügige, Unbegrenzte, nie
Dagewesene. Dort
in dem jugendlichen Land Amerika, wo die Frau den Mann regiert, hoffte
Claudia
vielleicht, Dagon allein für sich zu bekommen und seine Augen, die alle
Frauen
wie Irrlichter umgleiten konnten, zum festen Blick zu zwingen, der sich
dann
von ihrem Herzen nicht mehr abwenden sollte. Denn Claudia wollte Dagons
eidechsenhaften Seelenbewegungen die schwerthafte Stärke ihrer Augen
geben.
Aber was half es ihr.
Alle ihre Kraft verpuffte
nur wie
nasses Pulver, da Dagons Schicksal feindlich gegen ihr Schicksal
gerichtet war.
Kaum waren beide in
Amerika gelandet, so
erhielten sie
die Nachricht, dass Dagon seinen Vater verloren habe und wegen
wichtiger
Erbschaftsangelegenheiten nach Deutschland zurückkehren müsse.
Claudia konnte nicht
umkehren; sie hatte eben ihr
erstes
Kind geboren und lag zu Bett. Und Dagon entglitt ihr, wie sie es immer
erwartet
hatte. Der Ozean trennte sie bald. Sie, die keine Stunde ohne ihn sein
wollte,
war gezwungen, ihm von einem Weltteil zum andern nachzuklagen. Und als
Dagon
später Claudia nachkommen ließ und sie in Europa erwartete, hatten sie
nicht
den Ozean hinter sich gelassen, als sie sich wieder die Hände reichten.
Zwischen ihrer beider Augen blieb der erste Ozean der Trennung, und
viele
Ozeane folgten, die sich einer an den andern reihten. Denn Dagon hatte
Claudia
von da ab mit der und jener Frau betrogen, mit der und jener Freundin.
Wenn sie
auch immer Geständnisse aus ihm herauslockte, das Urversprechen einer
Treue,
einer männlichen Festigkeit, auf
der ihre schwarzen Augen ruhen wollten, konnte sie Dagon nie abringen.
Claudia warf sich dann
auf die Arbeit. Sie hatte
studiert, hatte ihr Examen gemacht. Sie wurde Ärztin und arbeitete an
Dagons
Seite unentwegt und damals noch ungelähmt. Sie tat ihre Arbeit gern, um
ihren
Mann zu ihrem Schuldner zu machen. Denn Dagon hatte kein Vermögen
geerbt, wie
sie beide es erwartet hatten. Dagons Geschwister hatten es vermocht,
den
sterbenden Vater zu veranlassen, seinen leichtlebigen Sohn zu enterben,
ihn nur
auf Pflichtteil zu setzen, und dieses Geld sollte Claudias Kindern und
nicht
Dagon ausgezahlt werden.
Sie verdiente nun neben
ihrem Mann, denn sie
hatten beide
hohe Lebensansprüche. Die Luft um Dagon wurde immer trüber. Er blieb
halbe Tage
fort, ohne dass Claudia wusste, wo er war. Sie erfuhr immer wieder von
neuen
kleinen Leidenschaften zu Frauen aller Kreise, die Dagon fesselten und
die er
ausleben musste.
Er selbst spaßte nur
darüber, als wären seine
Liebeserlebnisse nicht mehr als kleine Warzen an der Hand, die kommen
und gehen
und dem Wohlergehen nicht weiter schädlich sind.
Bei jedem neuen Erlebnis
ihres Mannes hoffte
Claudia, es
würde das letzte sein. In jener Zeit war es einmal, dass ihr die Geduld
plötzlich riss und sie ein Messer nach Dagon schleuderte, das in der
Tür stecken
blieb. Und endlich musste sie erkennen, dass ihres Mannes Seele, wenn
sie nach
ihr griff, immer ihrer Hand entglitt, so wie man den feinen Wüstensand
nicht in
der Hand behalten kann; denn wenn man die Faust zudrückt, rieselt
dieser ewig
bewegliche und ewig erhitzte Sand durch die Fingerritzen, und wenn man
die
Faust öffnet, hat man nichts in der Hand.
So war das Herz Dagons in
der Hand Claudias. Wenn
sie es
noch eben festhielt, – es war nicht mehr da, wenn sie die Hand
öffnete und
nachsah.
Darüber wurde ihr eigenes
Herz dürr. Es wurde von
den
Leiden und Schmerzen und von der Leidenschaft versüßt wie getrocknete
Datteln,
die zuckriges Fleisch um einen steinharten Kern tragen. Den Stein in
Claudias
Herzen löste nichts auf. Der Stein saß im süßen Fleisch unbeweglich,
und das
süße Fleisch welkte und dörrte.
Da wurde eines Tages
Claudia von Verzweiflung
gepackt.
Ich war damals nicht in ihrer
Nähe und hörte nur aus Briefen meiner Freunde, dass jene Frau ihrem
Mann
Gleiches mit Gleichem vergolten und sich einen Freund genommen hatte,
einen
jungen Kaukasier, mit dem sie fortgereist war, um ihre gereizten
Gefühle zu
beschwichtigen. Später hörte ich, dass sie diesen Freund wieder
verlassen, ihr
und Dagons Kind zu sich genommen habe und in verschiedenen Weltteilen
allein
herumreise. Sie hatte nach dem Tode ihrer Mutter ein Vermögen geerbt,
und da
ihr die Arbeit keine Freude mehr machte, lebte sie in dem Genuss des
Müßiggangs. Die Liebeslust und die Arbeitslust waren in ihr abgetötet.
Sie
lebte dem Kinde, das sie fernhalten wollte von dem Unheilschatten jenes
Mannes,
dem sie glaubte entronnen zu sein.
Er aber lebte wie ein
Junggeselle, bald hier,
bald dort,
in den verschiedensten Städten, vertiefte sich in Wissenschaften, wie
er sich
in Frauen vertiefte, hastig, blendend und geblendet.
Dann plötzlich eines
Tages, als ich in jene
Großstadt
kam, wo Claudia und Dagon vorher gewohnt hatten, hörte ich, dass beide
wieder
zusammenlebten. Ich besuchte sie. Da hingen im Korridor große welke
Kränze mit langen breiten Seidenbändern. Dagon glaubte
plötzlich eine musikalische Begabung bei sich entdeckt zu haben und
hatte
öffentlich eigene Kompositionen gespielt und seine ersten Konzerte
gegeben.
Seltsamerweise hatten
alle Wohnungen, welche jene
beiden
Menschen bewohnten, den gleichen hellen und lichten Reiz eines
glücklichen
Heims. Niemand konnte in diesen weiten, behaglichen und lässig vornehm
eingerichteten
Räumen vermuten, dass hier zwei hausten, die sich marterten. Beider
Zartfühligkeit traf sich hier und vereinigte sich im Ausdruck von
Möbeln,
Spiegel und Bildern. Die innere Zartfühligkeit Claudias gab den Räumen
vornehme
Ruhe, und die äußere Zartfühligkeit Dagons gab den Räumen jene
unnachahmbare
lässige Vornehmheit, die den Besucher glücklich einlullte. Erlesene
Bücher,
erlesene Kunstwerke und Musikinstrumente täuschten jeden, der nicht
eingeweiht
war in die Herzensschrecknisse, die sich hier zwischen zwei
Lebenskameraden
abspielten.
Claudia leitete ihr Haus
lautlos, erzog ihr Kind
glücklich und wusste sich immer ihren Freunden in ihrem Äußeren
reizvoll
modisch in Kleid, Haartracht und Schmuck zu zeigen.
oben
weiter
_____________________________
Geschichte: "Auf
dem Weg zu den Eulenkäfigen"
Max Dauthendrey, aus: Geschichten aus den Vier Winden",
Seite 143 - 171.
Lizenz
wikimedia
Logo 184:"Waldmärchen", Margret Hofheinz-Döring, 1965,
Aufbewahrungsort: Galerie Brigitte Mauch,
Göppingen, Quelle: Peter Mauch
wikimedia
|