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Literatur


04.3


Geschichten
Marceline Desbordes-Valmore

Das Lebensbild einer Dichterin

Vierter Teil: Briefe





Briefe

Marceline Desbordes-Valmore hat viele Briefe geschrieben (obwohl) sie in ihrer ewigen Armut oft erschrak vor den zwei Sous Postporto und häufig, wenn ihr ein Brief zu gewichtig geraten schien, den Galten erschrocken fragte: Du hast wohl dafür viel bezahlen müssen). Aber Mitteilung, Ausströmung des Gefühls, war ihr unüberwindbares Bedürfnis: mit Briefen kann man trösten, sich und den andern. Man kann sich in ihnen ausbluten wie in Tränen.
 
So schrieb sie viele Briefe, und dank dieser Übermächtigkeit des Gefühls gehören sie zu den schönsten, die wir Frauen verdanken. Sie sind nicht zu vergleichen mit den literarischen der grande épistolaire de France, der Madame de Sévigné, und ebensowenig mit den bezaubernden, aber doch auf Spiegelwirkung und Gelesensein gestimmten etwa der Rahel und der Bettina. Nie hat sie, die Allzubescheidene, geahnt, daß diese Mitteilungen, in denen sich das Alltägliche der Haushaltsorgen, der Geldnot, der kleinen Plackereien des Lebens unmittelbar den elementarsten Ausbrüchen der Empfindung mengt, jemals gedruckt werden könnten: ganz locker, impulsiv, nur dem innern Aufdrang nachgebend sind ihre Briefe geschrieben (meist bis hinab an den Rand, um nicht Papier zu verschwenden, das ihr kostbarer schien als ihr eigenes strömendes Gefühl). Nie bemühen sie sich tiefsinnig, literarisch oder geistig zu werden, und tatsächlich, ihre, gedankliche Fracht ist gering; Marceline Desbordes-Valmore war viel zu sehr echte Frau, um strikt-logisch und metapysisch-aufbauend zu denken. Aber statt geistvoller Gedanken enthalten ihre Briefe oftmals etwas, das ich Gefühlsgedanken nennen möchte, spontane Erkenntnisse des Herzens, wahrhaftige Gefühlsblitze, die auch sprachlich überraschendste Formen finden. Das ist nicht kokett-geistreich, sondern im seelischen Sinne genail, wenn sie etwa vom Wochenbett ihrer Tochter einer Freundin schreibt: „Un petit berceau me retient au los d’Ondine, heureusement délivrée (et moi aussi!). Vous saurez quelque jour, combien on est enceinte de l’enfant de ses enfants.“ Solche urdichterische Worte tropften ihr locker und häufig aus der fließenden Feder, ohne daß sie selbstbewundernd absetzte, und fast jeder Brief, selbst der flüchtigste, findet aus seiner Zärtlichkeit des Gefühls immer auch den überraschendsten Zartsinn des Ausdrucks. Man kann die einzelnen Herrlichkeiten, die wortgewordenen Schreie, Seufzer, Liebesempfindungen, die spontanen Entdeckungen inmitten ihrer naiven Mitteilungen kaum zählen, so dicht drängen sie ineinander.
 
Aber das Schönste dieser Briefe: sie sind vollkommen wahr. Es gibt keine einzige Lüge in den vielleicht zweitausend Schreiben, es sei denn die allzu verzeihliche des Mitleids. Nackte Seele enthüllt sich, aber nicht in der bewußten Gebärde einer, die den spätern Spiegel der Öffentlichkeit vor sich weiß (und ihm, wie Rahel, wie Bettina, nicht ungern entgegentritt). Weder schamhaft sich verhaltend noch schamlos zudringlich sich eröffnend, spricht hier eine Frau zu vertrauten Menschen über alle Geheimnisse ihres Lebens und Gefühls. Dank so unbedingter Echtheit werden diese Briefe unentbehrliche Dokumente nicht allein ihrer Biografie: selten ist das Seelenhafte wirklicher Weiblichkeit überhaupt so transparent geworden wie durch die aufrichtige Selbstmitteilung dieser einen Geliebten, Frau und Mutter.
 
In der vorliegenden Auswahl sind zum überwiegenden Teile die Briefe fragmentarisch mitgeteilt, das alltäglich Familiäre und gleichgültig Private von ihnen abgelöst. Nur insofern sie das äußere und innre Leben der Dichterin im Rückschein auf Zeit und Umgebung sichtbar machen, sollten sie übermittelt sein, und ich hoffe, diese Auswahl genügt, um die in der Einleitung versuchte Skizze mit ihren eigenen Worten zu untermalen.



An den unbekannten Geliebten
 
Von den Briefen Marcelinens an „Olivier“, den unbekannten Geliebten, sind im ganzen nur zwei durch den Zufall der Autographenkataloge aufgefunden worden – kaum als Briefe eigentlich anzusprechen, vielmehr „Zettelgen“, wie Goethe die hitzig raschen Botschaften an und von Frau von Stein nannte. Die wesentlichen sind vernichtet (oder wenn tatsächlich Henri de Latouche der Verführer war, im Jahre 1817 bei der deutschen Invasion mit allen dessen Dokumenten und dem Nachlaß André Chéniers verbrannt). Die vorliegenden beiden bilden nebst den Gedichten das einzige, was wir verbürgt von jener entscheidenden Episode besitzen, unzulänglich, sie zu erhellen, und nur flackernde Blitze in dem geheimnisvollen Dunkel jener tragischen Verstrickung.
 
 
 

An Olivier
Jänner 1809 oder 1810
 
Komm morgen nicht, Vielgeliebter, ich habe tausenderlei lästige Arbeit, Pflichtbesuche. Gestern erhielt ich den Besuch eines – reichlich gepuderten – Mannes von Geist, der sich, um Gnade zu erlangen, zuerst auf die Kniee niederließ.  Ich habe gelacht und die Huldigung seiner Bonbons und seiner Almanachs entgegengenommen. Was sage ich, das kostbarste Buch der Welt, da sich der Name all dessen, was ich liebe, darin befindet! Diesen Namen, der über mein Schicksal entscheiden wird, habe ich geküßt . . . Adieu, mein Olivier.
 
Und meine drei Brüder, meine drei Freunde? Bringe sie mir doch bitte mit, daß kein Tag ohne diese Arbeit vergeht. Denke daran, daß Du Dich dabei mit meinem Glück befassest. Ich will es, dieses geliebte Holzbein, diesen armen zerlumpten Dichter und besonders diesen häßlich, interessanten Barbier.
 
Wie gut Du daran getan hast, sie nach Spanien zu versetzen, ihnen ist niemals kalt. Komm, komm Du dort hin, kleiner Freund. Komm, uns in reinster Sonne zu wärmen. Indessen werde ich Dich Samstag am Kamin meiner Freundin sehen.

 

 
1809 oder 1810
 
Besinne Dich Deines Versprechens, teurer Vielgeliebter; vergiß nicht, daß ich eine Seele einzig nur dazu besitze, um Dich zu lieben, Dir zu folgen und an all Deinen Handlungen teilzunehmen.
 
Bleiben wir niemals mehrere Tage, ohne einander zu sehen; zu sehr habe ich gelitten; morgen um vier Uhr erwarte ich Dich. Liebe mich, mein kleiner Freund,
gib meinem Herzen Antwort, o ich flehe Dich an, lieb mich recht! Das ist, als ob ich Dir sagte: Schenk mir das Leben. Deine Liebe ist mehr noch, Olivier, mein Olivier, mein Olivier. Du weißt nicht, bis zu welchem Grade Du mich glücklich oder unglücklich machen kannst.

 





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